Review: Cosmopolis | Don DeLillo (Buch)

Anlässlich des noch gar nicht so lange zurückliegenden Kinostarts von Cosmopolis hatte ich seinerzeit bei Kiepenheuer & Witsch ein Rezensionsexemplar des dem Film zugrundeliegenden Buches angefragt und erfreulicherweise wurde meiner Bitte prompt entsprochen, so dass ich euch heute wenn schon nicht von Cronenbergs Film, so doch von Don DeLillos hochgelobtem Buch berichten kann und folglich werde.

Cosmopolis

Cosmopolis, USA 2003, 208 Seiten

Cosmopolis von Don DeLillo
© Kiepenheuer & Witsch

Autor:
Don DeLillo

Verlag (D):
Kiepenheuer & Witsch
ISBN:
978-3-462-04437-9

Genre:
Drama

 

Inhalt:

Es ist der April des Jahres 2000 in New York und Eric Packer, Multimilliardär und Währungsspekulant, besteigt seine mit Kork verkleidete Luxus-Stretch-Limousine voll technischer Raffinessen um sich nebst Sicherheitsgefolge durch die Stadt kutschieren zu lassen, mit dem vornehmlichen Ziel, sich die Haare schneiden zu lassen. Doch Packer stehen noch ganz andere Dinge bevor, denn dieser scharf kalkulierende und – wie es scheint – über alles erhabene Mann meint die Gänze des Finanz- und Wirtschaftssystems durchschaut zu haben und in den großen Zyklen der Weltwirtschaft Muster zu erkennen. Während die Börsenkurse bereits ins Wanken geraten, deutet sich jedoch schon bei seinem täglichen Arztbesuch innerhalb der Limousine an, dass Packer mit einer Sache nicht umzugehen weiß und diese folglich nicht berücksichtigt hat: Asymmetrie.

Eric Packer verspekuliert sich mehr und mehr und der Yen, der laut Packer einfach nicht noch höher steigen kann – ganz so, als kenne die Währung ihre eigenen Grenzen – überrascht ihn und steigt dennoch und Packers Finanzen schrumpfen in Windeseile dahin, während er seinen Arzt, seine Finanzchefin oder seine Cheftheoretikerin innerhalb des Wagens empfängt, zeitweiligen Sex mit seiner Geliebten hat und zuweilen auch seiner Frau begegnet. Seine Fahrt und sein Niedergang werden begleitet von allerlei abstrusen Szenerien auf den Straßen New Yorks, die Eric aber schon kaum mehr denn als teilnahmsloser Betrachter zu registrieren scheint, während er dezent seinen Sturz zu forcieren beginnt, denn im Kosmos von Packer endet mit seinem Tod nicht das Leben, sondern die Welt – und die Zukunft wird Vergangenheit.

Rezension:

Es fällt mir schwer, Don DeLillos Werk zu rezensieren, beziehungsweise einen sinnhaften Anfang zu finden, denn was der weltberühmte Autor mit Cosmopolis abgeliefert hat, verweigert sich jeder geradlinigen Zusammenfassung, wie man sie bei einem typischen Roman anstreben würde, was vielleicht auch schon in meiner Inhaltszusammenfassung anklingt. Wir befinden uns im Kopf Eric Packers und bereisen mit hm gemeinsam die Straßen New Yorks, während schnell klar wird, dass nicht nur der Geist Packers sich der Realität verweigert, sondern dass auch seine Limousine Verlängerung dieser inneren Einstellung ist und – gleichwohl sein Lebenszentrum – ihn von allen Geschehnissen um ihn herum entrückt, so dass er viel eher Begebenheiten im Wageninneren über einen Monitor verfolgt, als dass es ihm in den Sinn käme, aus dem Fenster zu blicken – hinein in diese für ihn so verachtenswerte, so unwissende, so überflüssig scheinende Welt, deren Prämissen er schon lange nicht mehr versteht und die ihn auch schon lange nicht mehr interessieren.

Packer lebt in seiner eigenen Welt der Zahlen und Fakten, Analysen und erkennbaren Zyklen, der Prognosen und sicher schienenden Kreditgeschäfte. Freilich verunsichert ihn dann sehr, dass der Yen sich plötzlich seinen Voraussagen verweigert, ja sich gar konträr zu seinen Prognosen verhält und ihn in den Ruin zu treiben beginnt. Durch die tägliche ärztliche Untersuchung in seiner Limousine angestachelt, während derer sein Arzt in Bezug auf „einen Pfropf aus Talg und Zelltrümmern auf seinem Unterbauch“ die Aussage tätigt: „Soll sich ruhig frei entfalten“. Packer macht sich dieses Paradigma zu eigen und überträgt es im Laufe der nur einen Tag umfassenden Erzählung auf zahllose Begebenheiten, um sich selbst die Absolution zu erteilen, durch immer skurriler werdende Situationen zu stolpern und sich keinen Deut um Warnungen und Drohungen zu scheren.

Eric Packer entscheidet sich aus freien Stücken für den freien Fall und zelebriert diesen im Rahmen seiner Möglichkeiten, fordert sein Schicksal heraus und beginnt – wie gesagt – sich frei zu entfalten, während die Bedrohung sich nähert und das Ende abzusehen ist, dass durch die gleichsam antizyklisch verlaufenden Bekenntnisse Benno Levins vorweggenommen wird. Doch unser Protagonist entfernt sich auf vielerlei Art mehr und mehr von der ihn umgebenden Welt was sich beispielsweise darin äußert, dass er sich selbst bei in der Zukunft liegenden Handlungen und Gesten beobachtet – über die Bildschirme in seiner Luxuslimousine oder auf seiner High-Tech-Uhr. Doch für Irritation ist es seitens Packer längst zu spät und auch der Leser misst dem bis zuletzt nicht die gewünschte Bedeutung bei, was insbesondere an DeLillos präziser und ästhetisierter Sprache liegt, die es vermag, darüber hinwegzutäuschen, dass womöglich gerade etwas oder auch nur Seltsames passiert, was nicht lediglich in der generellen Absonderlichkeit des Verhaltens beinahe sämtlicher Figuren begründet liegt.

Cosmopolis hat etwas Poetisches, Traumwandlerisches und während die Welt um ihn herum vor Leben zu pulsieren scheint, ist Eric Packer zum Stillstand verurteilt, obwohl er es ist, der sich in dem mobilen Gefährt befindet. Doch kapselt er sich dadurch auch von der ihn umgebenden Welt ab und schafft sich seinen eigenen, sicheren Mikrokosmos, den er nur im äußersten Notfall zu verlassen bereit ist und der ihn dazu verdammt, nur als unbeteiligter Zuschauer die Welt wahrzunehmen. Die Erzählung ist für mich weniger eine prophetische Vorwegnahme der Börsencrashs späterer Jahre, als vielmehr ein beeindruckendes Portrait einer in einer die Realität überlagernden Zukunftsvision, die DeLillo hier ganz bewusst bereits drei Jahre vor Erscheinen des Buches ansiedelt, um erneut die Relativität von Zeit und den Begriffen von Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit herauszustellen – denn genau um deren Verlust an Sinnhaftigkeit in einer Welt endloser Datenströme und nie ruhender Märkte und Nachrichten geht es (unter anderem) in diesem Buch.

Fazit & Wertung:

Ich habe nicht annähernd alle Facetten anreißen können, die in Cosmopolis thematisiert werden, doch glaube ich, einen recht lebhaften Eindruck vermittelt zu haben von der Tragweite der Erzählung, die anfangs so unscheinbar wirkt und in der ein oder anderen Form in der Kürze der Zeit doch ein Mannigfaches an grundlegenden Themen anzuschneiden versteht.

9 von 10 Luxus-Stretch-Limousinen

Cosmopolis

  • Luxus-Stretch-Limousinen - 9/10
    9/10

Fazit & Wertung:

Ich habe nicht annähernd alle Facetten anreißen können, die in Cosmopolis thematisiert werden, doch glaube ich, einen recht lebhaften Eindruck vermittelt zu haben von der Tragweite der Erzählung, die anfangs so unscheinbar wirkt und in der ein oder anderen Form in der Kürze der Zeit doch ein Mannigfaches an grundlegenden Themen anzuschneiden versteht.

9.0/10
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von Kiepenheuer & Witsch. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.

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