Review: Ein Akt der Gewalt | Ryan David Jahn (Buch)

Sonntagabend, höchste Zeit noch eine Kritik rauszuhauen, bevor ich mich gleich der Gestaltung des neuen Media Monday widme, bei dem ich diesmal allerdings viel Hilfe hatte. Lasst euch überraschen!

Ein Akt der Gewalt

Acts of Violence, UK 2009, 270 Seiten
+ 17 Seiten Leseprobe aus Der Cop

Ein Akt der Gewalt von Ryan David Jahn | © Heyne
© Heyne

Autor:
Ryan David Jahn

Verlag (D):
Heyne
ISBN:
978-3-453-67632-9

Genre:
Drama | Thriller

Trailer:

 

Inhalt:

Es ist das Jahr 1964 und vier Uhr in der Nacht. Die junge Katrina Marino befindet sich auf dem Heimweg, seit Verlassen des Bowling-Centers von einem unguten Gefühl begleitet. Doch erst als sie sich ihrer Haustür in dem Appartement-Komplex nähert, in dem sie wohnt, nimmt sie aus dem Augenwinkel eine Gestalt wahr. Unvermittelt stürzt diese auf sie, ist über ihr, sticht auf sie ein. Sie schreit, brüllt, bettelt und bebt und allüberall Licht hinter den Fenstern in dem Wohnblock.

Und in jeder der Wohnungen läuft für die Bewohner ihr ganz persönliches Drama ab, ebenso wie auf den Straßen der Stadt und Katrinas Schicksal erscheint so elendig klein und unbedeutend und irgendwer, ja irgendwer, wird doch sicherlich schon die Polizei verständigt haben…

Rezension:

Katrina Marino heißt eigentlich Catherine Genovese, die den Begriff des Bystander– oder auch Genovese-Effekts prägte, denn auch sie wurde – wie ihr halbfiktionales Alter Ego – in Sichtweite ihres Appartement-Komplexes niedergestochen, vergewaltigt und letztlich getötet, während die zweifellos vorhandenen Mitwisser und Zuschauer nichts unternommen haben, ihr Leben zu retten. Sie bildet die (lose) Grundlage für Ryan David Jahns Debüt-Roman Ein Akt der Gewalt, im Original ungleich treffender als Acts of Violence betitelt, denn Jahn beschränkt sich nicht etwa auf dieses eine grausame Gewaltverbrechen, sondern skizziert und charakterisiert nach und nach all die Menschen hinter ihren Fenstern, die jeder ihr eigenes Päckchen zu tragen haben und sich dadurch zu rechtfertigen wissen, nichts unternommen zu haben.

Es handelt sich zwar um Jahns Roman-Debüt, dennoch merkt man ihm schon nach wenigen Seiten die schriftstellerische Versiertheit an, was dem Umstand geschuldet ist, dass er sich als Drehbuchautor verdingt und durchaus Erfahrung mit Dramaturgie, Inszenierung und Figurenzeichnung besitzt. Vermutlich deshalb gelingt es ihm so vermeintlich mühelos, auf nur wenigen Seiten glaubhafte Figuren einzuführen, denn nach nur wenigen Seiten der Einführung entfaltet sich Ein Akt der Gewalt zu einem regelrechten Konstrukt sich gegenseitig bedingender oder beeinflussender Geschichten und er nimmt hierbei besonders Bezug auf die kleinen, unscheinbaren Zufälle und Entscheidungen, die dazu führen, dass etwas so und nicht etwa ganz anders passiert, so dass man als Leser stets das Gefühl hat, einem unbarmherzigen Fatalismus beizuwohnen, denn für die wenigsten der Figuren hält die Geschichte ein Happy-End bereit.

Bindeglied der alles in allem lediglich zwei Stunden umfassenden Erzählung bildet dabei stets Katrinas Überlebenskampf, der ein ums andere Mal aufgegriffen wird und zuweilen Hoffnungsschimmer durchscheinen lässt, die der grausamen Realität gänzlich zuwider laufen. Um diesen Aufhänger bildet Jahn in Ein Akt der Gewalt ein Panoptikum unterschiedlicher Erzählstränge und widmet sich einem heimlich Homosexuellen, der sich gar eine fiktive Familie ersonnen hat, einem korrupten und arroganten Cop, der den grassierenden Rassismus dazu nutzen möchte, seine eigenen Taten zu kaschieren, einem Rettungssanitäter, der ein Unfallopfer lieber sterben lassen möchte als ihm zu helfen und gar dem Gewalttäter selbst, der verzweifelt bemüht ist, die Schuld von sich zu weisen. Selten war der Blick auf den Menschen so abtrünnig und hoffnungslos, doch auch wenn Jahn seine Geschichten überhöht und dramatisiert, skizziert er dennoch auf glaubhafte Weise den urtümlichen Schrecken der menschlichen Unzulänglichkeit.

Ein Akt der Gewalt ist oftmals harter Tobak und nicht leicht zu verdauen, regt aber auch zum Nachdenken an und überzeugt mit schriftstellerischer Finesse. Die kurzen Kapitel und die fragmentarischen Einblicke in die lose miteinander verwobenen Leben sind unbarmherzig und schonungslos, selten hoffnungsfroh und noch seltener dazu beschieden, einen glücklichen Ausgang zu nehmen. Er offenbart die menschliche Unzulänglichkeit und den unbedingten Willen, schreckliche Dinge zu ignorieren, selbst wenn sie in nächster Nähe stattfinden und sei es bloß, um das eigene Dasein nicht über Gebühr mit diesen unliebsamen Vorkommnissen zu belasten, denn schließlich ist sich jeder selbst der nächste und die eigenen Probleme – so unbedeutend sie im Kontext scheinen mögen – sind stets auch die gravierendsten.

Fazit & Wertung:

Ein Akt der Gewalt überzeugt durch die Gegenüberstellung brutaler Gewalt und des banalen Alltags, zeichnet ein schonungsloses Bild menschlicher Abgründe und bedient sich einer ausgefeilten Sprache nebst cleverer Dramaturgie. Ein Debüt, dem hoffentlich noch viele ähnlich großartige Werke folgen werden!

10 von 10 tragischen Geschichten hinter den Fenstern

Ein Akt der Gewalt

  • Tragische Geschichten hinter den Fenstern - 10/10
    10/10

Fazit & Wertung:

Ein Akt der Gewalt überzeugt durch die Gegenüberstellung brutaler Gewalt und des banalen Alltags, zeichnet ein schonungsloses Bild menschlicher Abgründe und bedient sich einer ausgefeilten Sprache nebst cleverer Dramaturgie. Ein Debüt, dem hoffentlich noch viele ähnlich großartige Werke folgen werden!

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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des Heyne Verlag. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe als PDF.

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Ein Akt der Gewalt ist am 13.08.12 als Taschenbuch bei Heyne Hardcore erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!

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Kommentare (6)

  1. icke 13. Februar 2013
  2. Sandra Hausser 19. Februar 2013
    • Wulf | Medienjournal 20. Februar 2013
  3. burnedeyez 16. Juni 2013
    • burnedeyez 18. Juni 2013
      • Wulf | Medienjournal 18. Juni 2013

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