Review: Die Wälder am Fluss | Joe R. Lansdale (Buch)

Heute soll es dann erneut eine Buchkritik sein und wie es der Zufall so will, bleiben wir in den Südstaaten der USA, reisen diesmal aber auch noch prompt über achtzig Jahre in die Vergangenheit. Das derzeitige schwüle Wetter hat mich dann auch dazu verleitet, diesen Artikel für euch vorzubereiten, so dass ich, während diese Zeilen veröffentlicht werden, idealerweise in der Sonne brate oder zumindest im Halbschatten vor mich hin schwitze.

Die Wälder am Fluss

The Bottoms, USA 2000, 366 Seiten

Die Wälder am Fluss von Joe R. Lansdale | © DuMont Buchverlag
© DuMont Buchverlag

Autor:
Joe R. Lansdale

Verlag (D):
DuMont Buchverlag
ISBN:
978-3-832-16152-1

Genre:
Krimi | Thriller | Drama

 

Inhalt:

Hinter Harry Crane liegt ein langes und erfülltes Leben und doch ist es die Erinnerung an seine Kindheit, die ihn noch bis zu seinem näher rückenden Ableben umtreibt. Es waren die frühen 1930er Jahre und Harry war damals elf Jahre alt, als er mit seiner kleinen Schwester während einer Odyssee durch die Wälder am Fluss nahe Marvel Creek eine grausame Entdeckung macht: Die Leiche einer mit Stacheldraht an einen Baum gefesselten Schwarzen, ermordet und offensichtlich geschändet. Pflichtschuldig erzählt Harry seinem Vater Jacob von dem Fund, denn Harrys Dad ist nicht nur der hiesige Friseur in Marvel Creek, sondern verdingt sich auch als Constable. gemeinsam mit seinen Eltern, seiner Schwester Mehr als der Mord erschüttert die Bewohner von Marvel Creek allerdings, dass Jacob sich anschickt, wirkliche Ermittlungen anzustellen und dass, wo es sich doch nur um eine „Niggerfrau“ handelt und nicht etwa um einen „richtigen Menschen“.

Es ist die Zeit der Großen Depression und obwohl die Zeit der Sklaverei schon bald ein Dreivierteljahrhundert zurückliegt, ist das Gedankengut des Ku-Klux-Klan noch weitverbreitet und das Klassendenken immer noch fest in den Köpfen verwurzelt. Dank der Vorbildfunktion seines Vaters denkt Harry da gänzlich anders, doch der Junge ist zunächst auch der festen Überzeugung, dass es sich bei dem Mörder um den Ziegenmenschen handeln muss, ein mythisches Geschöpf, das angeblich in den Wäldern umgeht. Jacobs stößt bei seinen Ermittlungen mehr und mehr an seine Grenzen und als schließlich ein Unschuldiger als vermeintlicher Mörder gelyncht wird, nimmt Harry es selbst in die Hand, dem Geheimnis des Ziegenmenschen auf die Spur zu kommen.

Rezension:

Nachdem ich durch Schlechtes Chili vor nicht ganz einem Jahr das erste Mal an den Autor Joe R. Lansdale geraten bin war es nur eine Frage der Zeit, bis ich weitere seiner Werke sichten würde und auch wenn es sich bei Die Wälder am Fluss nun nicht um einen weiteren Band um Hap und Leonard handelt, hat mich die Geschichte doch ungemein zu fesseln gewusst und gegen Ende gar beinahe zu Tränen gerührt, denn Lansdale schildert die Story aus Sicht eines alten Mannes, der sich des prägendsten Erlebnisses seiner Jugend erinnert und der folglich auch genau darum weiß, wie es den Protagonisten seiner Geschichte im Nachgang ergangen ist. Das hat zur Folge, dass die Geschichte einerseits aus der Sicht eines Elfjährigen geschildert ist und sich auch glaubhaft so anhört, doch andererseits auch immer wieder aus diesem gewohnten Muster ausbricht, wenn der Erzähler sich bemüßigt fühlt, die Geschehnisse mit späteren Erkenntnissen oder weitergehenden Erläuterungen anzureichern.

Die Wälder am Fluss ist damit, obwohl sie nur eine vergleichsweise kurze Zeitspanne in den Jahren 1933 und 1934 umfasst, die Geschichte eines ganzen Lebens, aber auch eine Abhandlung über die damalige Zeit und die Zustände in den Südstaaten der USA, zudem eine Kriminalgeschichte, ein Stück weit Horrormärchen und zudem klassische Coming-of-Age-Story – und das alles im Gewand der von Dürre und schwüler Hitze geprägten Südstaatenatmosphäre, die Lansdale so vortrefflich einzufangen versteht. Gerade diese Mischung, diese vehemente Verweigerung einer Kategorisierung gegenüber macht das Buch dann auch so ungemein spannend, denn was sich zunächst wie ein simples Schauermärchen vom Ziegenmann anhört, der augenscheinlich auch für einen jüngst verübten Mord an einer Farbigen verantwortlich zeichnet, wächst sich aus zu einem Psychogramm der amerikanischen Gesellschaft, schildert die Folgen von Rassismus und Engstirnigkeit, stürzt Harrys Vater ob seiner Hilflosigkeit in eine tiefe Sinnkrise und die Offenbarung, dass es sich offenbar um einen methodisch agierenden Serienkiller handelt, lässt letztlich keinen Stein auf dem anderen und bringt auch Harry und dessen Schwester Tom in ernste Gefahr.

Lansdale versteht es einfach, fesselnde Situationen zu entwerfen und mit einer derartigen Wortgewalt und Spannung anzureichern, dass man gar nicht anders kann, als immer weiter und weiter zu lesen, weil man gemeinsam mit dem gealterten Harry so sehr in dessen Vergangenheit verankert ist. Dabei unterteilt sich die Geschichte von Die Wälder am Fluss in fünf große Teile an deren Anfang Harry kurz in die Gegenwart zurückkehrt um dann, nach einleitenden Worten, mit seiner Erzählung fortzufahren. Insbesondere, wenn man das Buch in rascher Folge verschlingt, verstärkt sich dadurch der Eindruck noch zusätzlich, man würde sich wahrhaftig die Geschichte eines alten Mannes anhören, der von seinen prägendsten Kindheitserlebnissen berichtet. Und prägend sind die fünf großen Abschnitte aus Harrys Jugend ohne Frage, denn was in dem verschlafenen Örtchen passiert ist teilweise harter Tobak.

Definitiv wird Die Wälder am Fluss nicht das letzte Buch gewesen sein, das ich von Joe R. Lansdale gelesen habe, denn mehr noch als der vergleichsweise eher klassische Hardboiled-Krimi mit Hap und Leonard ist für mich dieses Buch eine der seltenen Ausnahmeerscheinungen, bei der im Grunde alles passt und die mich wirklich hat mitreißen und in eine andere Welt entführen können, so dass mir Harry im Laufe der Geschehnisse mehr und mehr ans Herz gewachsen ist, vor allem aber seine zeitweilige Hilflosigkeit spürbar wurde, da er als kleiner Junge so oft nichts gegen die Erwachsenen hat ausrichten können und ihren Launen hilflos ausgeliefert schien, wäre da nicht sein Vater gewesen, zu dem er die meiste Zeit unumwunden hat aufsehen können und der zugleich als eine der moralischen Instanzen in der Story fungiert, wenngleich er selbst von Unfehlbarkeit fraglos weit entfernt ist. Ein Buch also, das ich unumwunden empfehlen kann, dass mit einer berührenden, spannenden, düsteren Geschichte aufwartet und differenzierten Charakteren, die so lebendig und glaubhaft erscheinen, als hätten sie wirklich gelebt, damals, 1933, als der Ziegenmann in den Wäldern am Fluss umging.

Fazit & Wertung:

Mit Die Wälder am Fluss untermauert Joe R. Lansdale für mich ohne Zweifel sein überragendes Schreibtalent und hat mich von Anfang bis Ende zu fesseln verstanden mit der Geschichte eines Jungen, der in seiner Kindheit mehr hat erleben müssen, als viele in ihrem ganzen Leben. Lansdale schickt sich damit mehr und mehr an, einer meiner Lieblingsautoren zu werden.

9 von 10 grausam zugerichteten Opfern des Ziegenmannes

Die Wälder am Fluss

  • Grausam zugerichtete Opfer des Ziegenmannes - 9/10
    9/10

Fazit & Wertung:

Mit Die Wälder am Fluss untermauert Joe R. Lansdale für mich ohne Zweifel sein überragendes Schreibtalent und hat mich von Anfang bis Ende zu fesseln verstanden mit der Geschichte eines Jungen, der in seiner Kindheit mehr hat erleben müssen, als viele in ihrem ganzen Leben. Lansdale schickt sich damit mehr und mehr an, einer meiner Lieblingsautoren zu werden.

9.0/10
Leser-Wertung 6.6/10 (5 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des DuMont Buchverlages.

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Die Wälder am Fluss ist am 17.02.11 als Paperback im Dumont Verlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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