Review: Stiller Zorn | James Sallis (Buch)

Seinerzeit bin ich – wie es mir schön öfter im Leben passiert ist – durch den Film Drive auf das Buch Drive und somit an den Schriftsteller James Sallis gekommen. Nachdem mich dieses erste Buch dann so sehr überzeugen konnte, hat es mich natürlich umso mehr gefreut, dass der DuMont Verlag einen zweiten Versuch startet, die Lew-Griffin-Reihe zu verlegen, deren ersten Teil ich nun heute vorstellen möchte, auf dass ihm alle weiteren bald folgen mögen!

Stiller Zorn

The Long-Legged Fly, USA 1992, 189 Seiten

Stiller Zorn von James Sallis | © DuMont Buchverlag
© DuMont Buchverlag

Autor:
James Sallis

Verlag (D):
DuMont Buchverlag
ISBN:
978-3-832-16235-1

Genre:
Krimi | Thriller

 

Inhalt:

New Orleans, 1964: Gelegenheitsermittler Lew Griffin begibt sich auf die Suche nach der vermissten schwarzen Aktivistin Corene Davis. Während er mehr und mehr damit umzugehen lernt, dass sich das Böse nicht unbedingt als greifbares Feindbild manifestiert und im Grunde schlicht Teil seiner Welt ist, spürt er die Leere, das Loch, die das abhandenkommen eines Menschen hinterlassen. 1970 ist die Suche nach der jungen Ausreißerin Cordelia Clayson, die ihn umtreibt und auch diese Ermittlung droht im Sande zu verlaufen, kein Happy-End zu finden, keinen glücklichen Ausgang zu nehmen. 1984 – Griffin erholt sich noch von seinem jüngsten heftigen Absturz – könnte man meinen, sein Leben habe eine Wendung erfahren und noch immer ist der Ermittler dennoch bereit, sich in die Untiefen New Orleans zu stürzen und bietet – obwohl von seinen Alkoholexzessen noch schwer in Mitleidenschaft gezogen – dem Ex-Lehrer Jimmi Smith seine Hilfe dabei an, dessen Schwester Cherie zu finden.

1990 schlussendlich ist es Lews eigener Sohn, der nach einem Trip nach Frankreich nicht zurückgekehrt ist und fortan als vermisst gilt. Lew indes sucht noch immer, wenn auch mittlerweile weniger nach Personen als nach einem tieferen Sinn, einer Antwort auf die bohrenden Fragen des Existentialismus. Mittlerweile als Autor relativ erfolgreich, beschließt Griffin, dass es an der Zeit wäre, sich seiner eigenen Geschichte zu widmen. Einer Geschichte, der er viel zu lange unreflektiert und wie unbeteiligt beigewohnt hat.

Rezension:

Kaum zu glauben, dass Stiller Zorn – die neubetitelte Neuauflage des Romans Die langbeinige Fliege – den Auftakt einer sechsteiligen Reihe um den Ermittler Lew Griffin bildet, denn immerhin erstreckt sich die Story dieses Bandes über nicht weniger als ein Vierteljahrhundert und man kommt nicht umhin, sich ungläubig zu fragen, wie diese fragmentarisch wirkende Geschichte fortgeführt werden soll, doch existieren zweifelsohne noch genug Lücken in der Biografie von Lew Griffin, als dass man behaupten könne, sein Leben mittlerweile zu kennen. Ich persönlich hoffe auf alle Fälle, dass es dem Dumont Verlag diesmal vergönnt sein wird, alle noch folgenden Bände zu veröffentlichen und dass die Reihe es diesmal bis über den zweiten Teil hinausschaffen wird.

Schon komisch, wie wenig von unserem Leben übrig bleibt, sobald wir nicht mehr präsent sind, sobald wir in der Versenkung verschwinden. Eine Handvoll Fakten, Unternehmungen, Ungereimtheiten – das ist alles, was der Betrachter sieht. Eine leere Hülse.

James Sallis‘ Stiller Zorn mutet zwar zunächst wie ein klassischer Hardboiled-Krimi an, entfernt sich aus diesem Sujet nach einem markanten Einstieg jedoch mehr und mehr und bald wird klar, dass es weniger um die Ermittlungsarbeit, weniger um den Thrill geht als um den an seinem eigenen Leben verzweifelnden Lew Griffin, einen markanten, zynischen, desillusionierten afroamerikanischen Privatdetektiv, ebenso wie um seine Stadt, seine Wirkstätte, das in pulsierenden, poetischen Worten beschriebene New Orleans, das Griffin einerseits als bodenloses Moloch, andererseits als seine Heimstatt erscheint.

Ganz der abgehalfterte Poet hat Griffin den Blues, liest Faulkner und Hobbes, ertränkt seine Probleme überwiegend im Alkohol, stürzt ab und steigt wieder auf, stets umgetrieben von Fragen des Existentialismus, stets auf der Hut, auf der Suche, grüblerisch, traurig und lakonisch. Und wie ein Déjà-vu reihen sich in Stiller Zorn die Vermisstenfälle von Jahrzehnt zu Jahrzehnt aneinander und obwohl sie oberflächlich betrachtet nicht viel miteinander gemein haben, eint sie doch die Tragik und das vermeintlich vorweggenommene Scheitern. Überhaupt wiederholen sich Motive und Eindrücke der Vermisstenfälle ein ums andere Mal und machen Griffins Verzweiflung an der Welt erfahrbar, die er mit allen Mitteln zu unterdrücken, zu verneinen sucht.

Letzten Endes, nehme ich an, lief es in etwa auf das Gleiche raus wie bei uns allen – wir stoppeln uns unser Leben aus Stückwerk zusammen, hier ein Zitat aus einem Buch, dort ein Songtitel oder eine Textzeile, ein Spruch von jemand, den wir mal kannten, dazu allerlei Filmausschnitte, machen uns ein Bild von uns und gestalten unser Leben dementsprechend, suchen uns dann was Neues und danach wieder was, wurschteln uns durch, improvisieren Tag für Tag, Jahr um Jahr, ein ganzes sogenanntes Leben lang.

Nach nicht einmal zweihundert Seiten, die sich einem dramaturgischen Konzept konsequent verweigern und – wären da nicht die Überlappungen, Überschneidungen und Wiederholungen – in ihrer viergeteilten Art wie eine beliebige Aneinanderreihung von Kurzgeschichten wirken könnten, kommt Erzähler Griffin und somit Sallis zum Ende, nicht ganz, ohne eine Art Katharsis zu erfahren, doch indes, ohne wirklich geläutert zu sein und endet mit gleichsam poetischen Worten und einem Ausblick, was da noch folgen mag. Ein Roman von treibender Kraft, der von einem Getriebenen handelt, einem, der sich in der Ambivalenz seiner Person und der Welt, in der er sich bewegt, zu verlieren droht, doch immer wieder Oberwasser gewinnt und sei es nur, um auch nur einer Person zur Rettung zu verhelfen.

Fazit & Wertung:

Stiller Zorn ist gar nicht so sehr Krimi, sondern vielmehr eine lakonische Erzählung, der Blick eines Gescheiterten auf die Welt, ein Buch voller loser Enden, aber auch der spannende Auftakt einer Reihe, die nicht bereit ist, sich den Lesegewohnheiten des geneigten Interessenten anzubiedern und gerade dadurch so einzigartig wird.

8,5 von 10 Vermissten

Stiller Zorn

  • Vermisste - 8.5/10
    8.5/10

Fazit & Wertung:

Stiller Zorn ist gar nicht so sehr Krimi, sondern vielmehr eine lakonische Erzählung, der Blick eines Gescheiterten auf die Welt, ein Buch voller loser Enden, aber auch der spannende Auftakt einer Reihe, die nicht bereit ist, sich den Lesegewohnheiten des geneigten Interessenten anzubiedern und gerade dadurch so einzigartig wird.

8.5/10
Leser-Wertung 1/10 (1 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des DuMont Buchverlages.

Im Zusammenhang mit dieser Rezension verweise ich zudem noch gerne auf das hochspannende Interview der geschätzten Kollegin Sonja vom Zeilenkino, das sie mit James Sallis hat führen dürfen.

– – –

Die Lew-Griffin-Reihe:

1. Stiller Zorn / Die langbeinige Fliege
2. Nachtfalter
3. Black Hornet*
4. Eye of the Cricket*
5. Bluebottle*
6. Ghost of a Flea*
*: (noch) kein deutscher Titel

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Stiller Zorn ist am 21.05.13 als Taschenbuch im DuMont Buchverlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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