Passend zu den mörderisch-drückenden – zumindest in meinen Breitengraden herrschenden – Temperaturen kommt heute die Buch-Kritik zu einem kalifornischen Drogen-Thriller, der genau diese schwüle Hitze verströmt.
Zeit des Zorns
Savages
Savages, USA 2010, 338 Seiten
© Suhrkamp Verlag
Don Winslow
Suhrkamp Verlag
978-3-518-46300-0
Krimi | Thriller
Inhalt:
Ben und Chon sind zwei Freunde, wie sie gegensätzlicher und unterschiedlicher nicht sein könnten. Neben ihrer innigen Freundschaft und der gemeinsamen, bahnbrechenden Geschäftsidee, das reinste, stärkste und erstklassigste Dope in Kalifornien zu verkaufen, verbindet sie vor allem die Liebe und Hingabe zu der jungen, verwöhnten und in beide Jungs verschossenen Ophelia, O genannt – O wie, ihr wisst schon. Gemeinsam führen die drei ein umtriebiges, luxuriöses, privilegiertes Leben im ewigen Sonnenschein. Doch am Horizont zieht ein Sturm auf, denn das mexikanische Baja-Kartell hat beschlossen, sich die Drogen-Firma der beiden Jungunternehmer einzuverleiben und macht Ben und Chon ein Angebot, das sie nicht ablehnen können. Nicht, dass das Angebot so unsagbar gut wäre, die Forderungen des Kartells sind schlicht nicht verhandelbar.
Das wollen sich Ben und Chon natürlich nicht bieten lassen, doch dem Kartell liegt das hochwertige Hydro-Gras der beiden dermaßen am Herzen, dass sie ihren einzigen Schwachpunkt – O – ausmachen und in ihre Gewalt bringen. Jenseits der Grenze soll Ophelia drei Jahre festgehalten werden, bis die Jungs ihre vermeintliche Schuld gegenüber dem Kartell beglichen haben, es sei denn, sie bringen die Summe von zwanzig Millionen Dollar auf – der errechnete Gewinn der Kooperation zwischen Ben & Chon und dem Baja-Kartell. Dermaßen viel Geld besitzen die zwei selbstredend nicht und treffen bald einige fragwürdige Entscheidungen, um O zu retten, Entscheidungen, für die sie über Leichen zu gehen bereit sein müssen.
Rezension:
Nachdem mir die filmische Adaption von Don Winslows Zeit des Zorns – im amerikanischen Original schlicht Savages betitelt – entgegen des allgemeinen Konsens ausnehmend gut gefallen hat, stand für mich außerfrage, mich auch dem zugrundeliegenden literarischen Werk zu widmen, zumal ich bereits viel über Don Winslows Schreibtalent habe verlauten hören. Und so ist dieses kaum 340 Seiten umfassende Werk ein einziger, wuchtiger Drogen-Thriller voller Adrenalin und knapper, präziser Momentaufnahmen, die mich nachhaltig gefangen zu nehmen wussten. Hier bedarf es keiner großen Worte oder ausschweifender Charakterzeichnungen, hier reichen manchmal nur wenige Worte, um das, was in den Köpfen der Protagonisten vor sich geht, auf den Punkt zu bringen.
Und man kann zwar den Verdacht von sich ablenken, indem man sich selbst ausraubt, schafft auf diese Art aber keine Kohle ran. Jedenfalls nicht mit unversicherbaren Gütern wie Dope und Drogengeld. (»Hallo, Versicherung? Wie hoch sind die Prämien bei einer Tonne Sweet Dreams und … Hallo, Versicherung?«)
Das geht zuweilen so weit, dass manche der 290 (!) Kapitel aus nicht mehr als drei Wörtern bestehen und beispielsweise das erste Kapitel wie folgt daherkommt: „Fickt euch.“ Das mag nicht jedermanns Geschmack treffen und ist als Eröffnungssatz unter marketingtechnischen Gesichtspunkten kritisch zu betrachten, doch trifft Winslow bei mir einen Nerv und so unvermittelt und roh wie die Geschichte beginnt wird sie fortgeführt und entwickelt eine unglaubliche Sogwirkung, die durch die knappen Kapitel noch verstärkt wird. Damit hat Zeit des Zorns aber auch oft mehr mit einem Drehbuch, denn mit einem wirklichen Roman zu tun und es erschließt sich nach wenigen Seiten, wie es Oliver Stone gelungen sein mag, dieses Werk so kongenial zu adaptieren, denn sein Drehbuch fußte auf der denkbar besten Vorlage, zumal Winslow selbst sich zuweilen einer Skript-Schreibweise bedient, wie man sie eben von einem Theater- oder Kino-Skript erwarten würde.
Man sollte definitiv wissen, worauf man sich einlässt, wenn man sich Zeit des Zorns widmet, doch wird man belohnt mit einer Sprache, deren Kunstfertigkeit sich nicht allein auf die Ausdrucksweise erstreckt, sondern auch gestalterische Mittel mit einfließen lässt, wenn Sätze unvermittelt enden oder wie ein vermeintlich neuer Gedankengang in der darauffolgenden Zeile fortgeführt werden. Auch muss man sich bewusst sein, dass Winslow sich einer harten, unverblümten Sprache bedient und bei aller sprachlichen Knappheit manche Dinge, insbesondere auch den nicht gerade unwichtigen Sex in einer ungewohnten Ausführlichkeit schildert, doch sollte einem die eröffnenden Worte vielleicht schon ein Wink in diese Richtung sein.
Es ist ein Scherz mit Wahrheitsgehalt, dass Frauen selten auf den Kopf, dafür häufig auf den Schritt zielen, dass sie nicht das Schwarze in der Mitte der Scheibe, sondern das Schwarze im Auge der Schlange anvisieren, bis es der Lehrer aufgibt und ihnen beibringt, auf die Knie zu schießen, weil die Pistole sowieso nach oben ausschlägt, und dann treffen sie Freund / Ehemann / Daddy / Ex-Freund /Ex-Mann voll ins Gemächt.
Davon ab ist Zeit des Zorns ein erbarmungslos vorantreibender, in präzisem Sprachduktus verfasster Fiebertraum von einem Thriller, unbarmherzig, hart und kompromisslos in Ausdrucksweise und Dramaturgie. Und auch wenn dies mein erstes Werk von Don Winslow ist, wurde bereits hier mehr als deutlich, dass er sich in der amerikanisch-mexikanischen Drogenszene auszukennen scheint, ebenso aber auf das Konsumverhalten neureicher Gören einzugehen versteht. Ein Buch wie ein Roadmovie, ein sprachgewaltiges Werk roher Kraft, ein Buch, mit dem mich der Autor in seinen Bann zu schlagen vermochte und dem ich sicherlich noch viele folgen lassen werde.
Zeit des Zorns - Savages
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Pragmatische Entscheidungen - 9/10
9/10
Fazit & Wertung:
Don Winslows Zeit des Zorns ist ein von Sex, Gewalt, Dekadenz und Gier dominiertes Werk, das sich nicht nur einer messerscharfen Sprache bedient, sondern auch die Möglichkeiten einer filmreifen Inszenierung zu nutzen weiß, um das Tempo noch einmal gehörig anzuziehen. Klare Empfehlung!
Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des Suhrkamp Verlages. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe als PDF.
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Zeit des Zorns – Savages ist am 24.10.11 im Suhrkamp Verlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!
Wenn Dir “Zeit des Zorns” schon so gut gefallen hat, dann kann ich Dir “Tage der Toten” nur sehr ans Herz legen. Das ist meines Erachtens mit Abstand das beste Buch von Don WInslow, in dem man zudem sehr viel über den ‘Krieg gegen die Drogen” erfährt.
Und ich fand “Savage” entgegen der landläufigen Meinung auch gar nicht so schlecht. Nur das Ende, das hat mich sehr verärgert.
Ist vorgemerkt und nach meiner Begeisterung hatte ich sowieso vor, mich dem Œuvre von Don Winslow auch weiterhin zu widmen, doch steht nun zunächst “Manhattan” an und danach – so empfahl mir die werte Dame vom Suhrkamp-Verlag – werde ich mich zunächst “Kings of Cool”, dem Prequel zu “Zeit des Zorns” widmen. Dann aber lese ich sehr gerne “Tage der Toten” und danke dir für die Empfehlung! ;-)
Hmm, das würde ich anders empfehlen. “Kings of Cool” okay, macht aber mehr Freude, wenn man zumindest “Frankie Machine” kennt. “Manhattan” ist zwar gerade erst erschienen und auch gut, jedoch ein älteres Werk und gar nicht ‘typisch’ Winslow. (http://zeilenkino.de/krimi-kritik-manhattan-don-winslow) Aber gut, Du machst das schon. ;)
Cool geschriebene Rezension, hat mir Spaß gemacht zu lesen!Wenn ich das Buch mal günstig sehe, wird es mitgenommen!:-) Viele Grüße Chris
Das freut mich, dass es Spaß bereitet und dich anscheinend ja auch von dem Buch überzeugt hat!
Es ist tatsächlich schon günstiger geworden, denn statt einer Neuveröffentlichung hat man den Preis der damals veröffentlichten Klappenbroschur von Verlagsseite aus einfach überklebt und so bekommt man das Buch nun für schlanke 9,99€. Demnächst steht aber auch eine “echte” Taschenbuchausgabe an und vielleicht findet sich dann die alte Variante ja mal bei den Remittenden.