Review: Die Kunst, Schluss zu machen | Anna Stothard (Buch)

Der Abend naht und folglich auch direkt der nächste Blogbeitrag, der sich nach einer gefühlten Ewigkeit mal wieder einem Buch widmet.

Die Kunst, Schluss zu machen

The Art of Leaving, UK 2013, 323 Seiten

Die Kunst, Schluss zu machen von Anna Stothard
© Diogenes Verlag

Autorin:
Anna Stothard

Verlag (D):
Diogenes Verlag
ISBN:
978-3-257-30019-2

Genre:
Drama

 

Inhalt:

Die junge Eva Elliott arbeitet als Lektorin bei Echo Books, einem Verlag, der sich der Veröffentlichung schnulziger, kitschiger und erotischer Liebesromane verschrieben hat. Die meiste Zeit des Tages nutzt Eva allerdings, um gedankenverloren aus dem Fenster zu starren und ihren Tagträumen und Fantasien nachzuhängen, denn so wenig ihr Job sie fordert, so überbordend ist ihre Fantasie und allein der gegenüberliegende Scorpio Club inspiriert sie zu einer tragischen Liebesgeschichte um Sophia, die als Assistentin eines Zauberers bei einem Trick verlorengegangen ist und seitdem zusammen mit zahllosen weggezauberten Kaninchen, Spielkarten und Blumensträußen darauf wartet, von ihrem Liebsten gefunden zu werden.

Auch wenn Eva das später niemandem gestand, fühlte sie sich geschmeichelt, weil Grace nicht lockerließ: dass dieses schillernde Wesen mit dem wilden Blick sie darum bat, Zeit mit ihr zu verbringen.

So sehr Eva allerdings in ihrer Fantasie die Liebe romantisiert, so wenig kann sie sich mit diesem Gedanken in der Realität anfreunden, denn eine Beziehung erfährt in ihren Augen erst ihren wahren Wert, wenn sie beendet wird, wie zahlreiche letzte Szenen in einschlägigen Filmen wie etwa Casablanca zu belegen scheinen. Der Akt des Schlussmachens versetzt Eva in ein regelrechtes Hochgefühl und so spürt sie, dass es mehr als Zeit wird, ihre seit drei Jahre währende Beziehung zu dem Anwalt Luke zu beenden, nachdem sie es bereits zwei Mal vergeblich versucht hat. Dann jedoch tritt die mysteriöse wie charmante Grace in ihr Leben und lockt die schüchterne Eva ein wenig aus der Reserve. Schnell wird ihr jedoch klar, dass Luke und Grace einander nicht unbekannt sind und plötzlich erscheint es gar nicht mehr so einfach, einen Schlussstrich unter diese Beziehung zu ziehen.

Rezension:

Der hierzulande fälschlicherweise als Debüt vertriebene und beworbene Roman Pink Hotel von Anna Stothard wusste mich bekanntermaßen mehr als nur zu überzeugen und so war ich sehr gespannt auf ihr mittlerweile drittes Buch, während man auf den eigentlichen Erstling noch immer warten darf. Sei es wie es will, kann ich vorwegschicken, dass Die Kunst, Schluss zu machen nicht an den Vorgänger heranzureichen vermag, doch das war abzusehen, denn so einen Roman schreibt man wahrscheinlich nur einmal im Leben – und die überwiegende Mehrheit sogar nie. Dafür besitzt Stothards neuestes Werk ganz andere, ähnlich gelagerte Qualitäten und lässt denselben, von Melancholie und Träumerei geprägten Stil erkennen, der mich bereits einmal zu fesseln wusste.

Die Protagonistin Eva Elliott lebt in ihrer eigenen Welt, die sie um Versatzstücke aus Film und Literatur ergänzt und so ihr seltsames Credo schafft, eine Beziehung gewinne erst durch ihr Ende an Bedeutung. Die introvertierte, schüchterne Frau setzt sich damit unbewusst in die Position der starken, der dominanten Frau, die die Zügel in die Hand nimmt, während sie das im wahren Leben in den allermeisten Fällen nicht ist, oftmals lieber den Mund hält, sich versteckt, sei es hinter Häuserecken oder in ihrer Wohnung, die plötzlich und ungeahnt von ihrem Freund Luke okkupiert wird, als ein Wasserschaden im eigenen Appartement ihn in die Arme seiner Freundin treibt, die davon alles andere als angetan ist. In dem Wissen, dass drei Jahre eine viel zu lange Zeit sind und sie Luke eigentlich im Grunde schon viel zu nah an sich herangelassen hat, beginnt sie im Kopf die Trennung durchzuspielen. Das hört sich vielleicht herzlos an, doch vermag es Stothard, dieser Eva so viel Sympathie und Liebenswürdigkeit zu verleihen, dass man als Leser nie auf die Idee käme, ihr ihr Denken und Handeln anzukreiden. So glaubhaft Eva skizziert wird, so gelungen weiß die Autorin auch die Gegensätze zu dem Anwalt Luke herauszuarbeiten, der ganz im Gegensatz zu seiner Freundin extrovertiert und offen, aber auch pedantisch und pragmatisch veranlagt ist; Wesenszüge, die Eva ziemlich gegen den Strich zu gehen beginnen.

Sie spürte, wie Panik in ihr aufstieg, und lenkte sich dadurch ab, dass sie übergangslos daran dachte, wie Sophia in dem sich ausbreitenden Badewasser- und Tränensee im Scorpio saß und sich so intensiv auf ihren Liebhaber und Zauberer konzentrierte, dass sämtliche Fenster des Clubs auf einmal zersprangen, in der Mitte einen Sprung bekamen und auf den Teppichboden barsten.

Nun hätte Die Kunst, Schluss zu machen ein geradliniger und etwas vorhersehbarer Liebesroman mit den üblichen Irrungen und Wirrungen werden können, doch ist er genau das gerade nicht und macht sich gar augenzwinkernd die gängigen Klischees des Genres zu eigen, wenn Eva während ihrer Streifzüge durch London immer wieder versucht, den Liebesromann Die Piratenbraut zu lektorieren und dabei Auszüge aus ebenselbigem zum Besten gibt. Zudem wäre da noch die Meta-Ebene um die im Scorpio Club gestrandete Sophia, die – von Eva erdacht – ein tragisches Schicksal erdulden muss, bis Evas Traumwelten mit der Wirklichkeit kollidieren und die Grenzen dessen, was sich die fantasievolle Frau hat einfallen lassen, niedergerissen werden.

Ähnlich verhält es sich mit der sich langsam in der Geschichte etablierenden Grace, die Eva vom ersten Moment an aus ihr unbekannten Gründen fasziniert und ihr Leben mehr in Urordnung bringen wird, als sie sich beim ersten Zusammentreffen nur vorstellen könnte. Wie die anderen Figuren in Die Kunst, Schluss zu machen ist auch Grace‘ Charakter durchaus als ambivalent zu bezeichnen, so dass sie weniger konkrete Beweggründe hat, als dass sie ihrem Bauchgefühl folgt und zuweilen in ihrem Tun irrational erscheint, was ihr einen sorgfältig glaubhaft gemachten Charakter verleiht. Tatsächlich wird sie es auch sein, die Evas Welt dahingehend umkrempelt, als dass ihr übliches Vorgehen zur Beendigung der Beziehung durch Grace‘ Intervention ad absurdum geführt wird und Eva voll Schrecken erkennen muss, dass die Rollen nun womöglich vertauscht worden sind.

Eva sah immer aus, als stünde sie mit dem einen Fuß im Gestern und mit dem anderen im Morgen, unordentlich zwischen Augenblicken gefangen. Sie hatte schulterlanges, kastanienbraunes Haar, beinahe durchscheinende Haut, auf der Sommersprossen verstreut waren, zarte Gesichtszüge, ein Lächeln, das eine Zahnlücke enthüllte, und grüne Augen, die immer irgendwie benommen dreinblickten. Menschen fragten sie oft, ob sie sich verlaufen habe oder ob es ihr gutgehe.

Weiterhin reichert die Autorin ihren Roman Die Kunst, Schluss zu machen mit der Geschichte des aus dem Londoner Zoo geflüchteten Steinadlerweibchens Regina an, die zunächst nur wie eine Randnotiz scheint, sich dann aber immer wieder in Evas Erlebnisse einschleicht und im weiteren Verlauf ihre Bewandtnis bekommt. Die liebevoll und nachvollziehbar skizzierte Eva ist es schließlich auch, die mit ihrem Blick für derlei scheinbar triviale Nichtigkeiten leichtfüßig durch die Erzählung trägt und dem Leser ein melancholisches, ein poetisches London vor Augen führt, das man so in der Wirklichkeit nicht erleben würde, es sei denn, man könnte Evas Sicht auf die Welt im selben Maße teilen, wie sie sich von ihr abzuschotten weiß, ohne dabei die Augen vor der Realität zu verschließen, sich gleichsam aber ihr ganz eigenes Bild der Welt zu schaffen und dadurch seltsam entrückt und unnahbar zu wirken. Nur Anna Stothards pointierter Sprache ist es zu verdanken, dass man sich der Protagonistin dennoch verbunden fühlt und bereitwillig gemeinsam mit ihr durch die Charing Cross Road oder den Regent’s Park schlendert und sich währenddessen in ihren Gefühls- und Gedankenwelten zu verlieren droht.

Fazit & Wertung:

Anna Stothards Die Kunst, Schluss zu machen reicht nicht ganz an die Qualitäten des überragenden Vorgängers heran, doch dankenswerterweise hat sie sich ihre verträumte, poetische und bildhafte Art der Schilderung bewahrt und liefert erneut einen ungemein überzeugenden, von Metaphern und Magie durchwobenen Roman ab, der noch lange nachhallt.

9 von 10 Arten, Schluss zu machen

Die Kunst, Schluss zu machen

  • Arten, Schluss zu machen - 9/10
    9/10

Fazit & Wertung:

Anna Stothards Die Kunst, Schluss zu machen reicht nicht ganz an die Qualitäten des überragenden Vorgängers heran, doch dankenswerterweise hat sie sich ihre verträumte, poetische und bildhafte Art der Schilderung bewahrt und liefert erneut einen ungemein überzeugenden, von Metaphern und Magie durchwobenen Roman ab, der noch lange nachhallt.

9.0/10
Leser-Wertung 1/10 (2 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und der Autorin findet ihr auf der Seite des Diogenes Verlag.

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Die Kunst, Schluss zu machen ist am 24.07.13 als Paperback im Diogenes Verlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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