Review: Gluthitze | Joe R. Lansdale (Buch)

Und schon ist wieder Sonntag. Werde mal sehen müssen, ob, wann und wie ich noch von der Frankfurter Buchmesse berichten werde, heute aber definitiv nicht mehr, muss schließlich auch der Media Monday noch startbereit gemacht werden. Immerhin gibt es jetzt aber eine neue Buch-Kritik, dem Thema Literatur bleibe ich also zumindest treu.

Gluthitze

Leather Maiden, USA 2008, 390 Seiten

Gluthitze von Joe R. Lansdale | © Suhrkamp Verlag
© Suhrkamp Verlag

Autor:
Joe R. Lansdale

Verlag (D):
Suhrkamp Verlag
ISBN:
978-3-518-46441-0

Genre:
Drama | Krimi | Thriller

 

Inhalt:

Am nächsten Morgen wachte ich mit dem Gefühl auf, in meinem Mund sei etwas verendet und irgendetwas anderes
sei mir den Arsch hinaufgekrabbelt. Ich duschte, putzte mir das tote Ding aus dem Mund und beschloss, mit dem Eindringling im Arsch einfach weiterzuleben, was auch immer das sein mochte. Anschließend fuhr ich zu meinem Bewerbungsgespräch beim Camp Rapture Report.

Nachdem er durch seine Liaison mit sowohl der Frau als auch der volljährigen Tochter seines ehemaligen Chefs seine Chancen auf den Pulitzer-Preis verspielt hat, kehrt der Kriegsveteran und Journalist Cason Statler in seine Heimatstadt Camp Rapture zurück, um bei der hiesigen Zeitung unterzukommen und die wöchentliche Kolumne zu übernehmen. Doch Cason hat noch andere Probleme, als nur seine angeknackste Reputation wiederherzustellen, denn er trinkt deutlich zu viel und ist noch immer zwanghaft vernarrt in Gabby, seine Exfreundin, die in Camp Rapture eine Tierarztpraxis betreibt und über die er nicht hinwegkommt. Doch bald findet Cason eine Aufgabe, in die er sich verbeißen kann, als er in den Notizen seiner Vorgängerin über den Fall einer vermissten Studentin namens Caroline stolpert.

Zunächst scheint es, als verliefen Casons Bemühungen, mehr über die Studentin und ihr Verschwinden zu erfahren, im Sande und selbst sein gut situierter Bruder, seines Zeichens Dozent an der hiesigen Universität, weiß Wissenswertes über das Mädchen zu berichten, doch Cason verbeißt sich mehr und mehr in die Sache und spätestens, als ein mehr als nur heikles Video seinen Weg zu ihm findet, ist klar, dass Cason etwas auf der Spur ist, doch kratzt er bis dahin lediglich an der Oberfläche der Dinge und den Geheimnissen, die darunter liegen.

Rezension:

Ohne es in seiner Gänze beurteilen zu können, habe ich schließlich noch längst nicht alle Werke des aus East Texas stammenden Joe R. Lansdale lesen können, gehört Gluthitze sicherlich zu seinen stärksten Romanen und wurde ebenso unzweifelhaft nicht grundlos vom Suhrkamp Verlag unter besagtem Titel veröffentlicht, nachdem der Roman bereits im Golkonda Verlag in gebundener Fassung – allerdings noch unter dem vielsagenden Titel Gauklersommer – veröffentlicht worden ist. Hinzu gelernt habe ich auch, dass der Roman zwar für sich steht, indirekt aber eine Fortsetzung von Kahlschlag (ebenfalls bei Suhrkamp und sicherlich beizeiten auch hier) darstellt, da es sich bei dem Protagonisten Cason Statler um den Urenkel der Hauptfigur des vorangegangenen Romans handelt, der ebenso in Camp Rapture angesiedelt war. Um aber zum eigentlichen Buch zu kommen und dazu, zu erörtern, warum mir die Geschichte so gut gefallen hat, holen wir einmal weit aus.

Der Report machte einen ziemlich altmodischen Eindruck. Man kam sich vor, als trügen die Reporter hier noch Filzhüte
mit dem Presseausweis im Hutband, während die Reporterinnen Kaugummi kauten, hellroten Lippenstift aufgetragen hatten und bissige Dialoge zum Besten gaben.

Im Grunde weiß man ziemlich genau, was einen bei einem Lansdale-Roman erwartet: Von rätselhaften Morden, geraunten Geheimnissen und Mysterien über teils derbe Szenen sowie humorvolle Passagen und exzellente Metaphern bis hin zu Themen wie Bigotterie, Rassenhass, Doppelmoral und natürlich dem unvermeidlichen, eindringlich geschilderten Südstaaten-Flair sind alle Versatzstücke eines typischen Lansdale enthalten, doch damit nicht genug, meint man auch, in Cason Statler den typischen Protagonisten eines Hardboiled-Krimis zu erkennen, trunksüchtig, von seinen Kriegserlebnissen gezeichnet, teils zwanghaft in seinem Verhalten und einer ihm eigenen Moral verpflichtet. Diesen vermeintlichen Wiedererkennungswert hat man überdurchschnittlich häufig in Gluthitze, doch geht Lansdale den dankbaren Weg, ein ums andere Mal mit der Erwartungshaltung des Lesers zu brechen und seine Figuren zu konterkarieren, ohne dass der Erzählton je in Richtung Parodie kippen würde.

Zudem beginnt der Roman recht beschaulich und nimmt sich durchaus ausgiebig Zeit, Camp Rapture, Statler und sein Umfeld zu skizzieren, bevor unsere Hauptfigur langsam in den Kriminalfall zu schlittern beginnt, dem Geheimnisse innewohnen, die man zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal zu erahnen beginnt. Dass es bis dahin nicht langweilig wird, verdankt man dem pointierten Schreibstil Lansdales, der nur so strotzt vor ausgefeilten Dialogen, schmissigen Sprüchen und einfallsreichen Szenen und Figuren, allen voran Casons Chefredakteurin bei der Zeitung, die für gefällige Wortgefechte herhalten darf sowie der nach eigener Aussage völlig unfähige Polizeichef der Stadt, der noch immer den verpassten Chancen im Leben nachtrauert und den es nicht wundert, dass es im Vermisstenfall von Caroline keine neuen Erkenntnisse gibt, schließlich sei er ja mit den Ermittlungen betraut.

»Sie können ehrlich zu mir sein. Nichts, was Sie mir erzählen, könnte mich noch in Verlegenheit bringen oder gar schockieren.«
»Ich habe seine Frau gebumst. Und seine Stieftochter. Die Tochter war übrigens dreißig, die Mutter achtundvierzig.«
»Also keine Teenager mehr?«
»Nein, Ma’am.«
»Und ich nehme mal an, Ihre Taktlosigkeiten haben den Hund der Familie nicht mit eingeschlossen.«
»Nein, Ma’am. Irgendwo muss man eine Grenze ziehen.«
»Sie halten sich vermutlich für was Besonderes, habe ich recht, mein Junge?«
»Damals schon.«

Vor allem aber gelingt es dem Autor einmal mehr, eine zunächst simpel und übersichtlich scheinende Geschichte mehr und mehr aufzuzäumen und in ungeahnte Abgründe zu stürzen, wie es kaum einem anderen Schriftsteller gelingt, während er im letzten Drittel auch noch Casons alten Kriegskameraden Booger auf den Plan zaubert, der den Ton der Erzählung noch einmal merklich ins Surreale kippen lässt, für den Fortgang der Geschichte aber auch unbestreitbar wichtig und richtig ist. Und wie so oft bei Lansdale beginnt man sich irgendwann zu fragen, ob es sich nun um einen Thriller, eine Kriminalgeschichte oder ein Drama, ja vielleicht gar eine Tragödie handelt, die man hier vor sich hat, denn kategorisieren lassen sich seine Romane seit jeder kaum, zu vielfältig sind die Themen, zu akribisch seine Schilderung des Metiers, zu nervenaufreibend die Geschehnisse, zu dramatisch die Wendungen, als dass man sich entscheiden könnte, zu welcher Gattung Roman das Ergebnis gehören mag. Lansdale schreibt wohl schlicht und ergreifend Geschichten und wie formidabel er diese Kunst beherrscht, stellt er auch mit Gluthitze erneut unter Beweis.

Fazit & Wertung:

Dank bestechender Ausdrucksweise, liebevoll skizzierten Figuren und einem Plot, der erst ganz langsam im Verlauf der Erzählung seine Geheimnisse preiszugeben bereit ist, gelingt Lansdale mit Gluthitze beziehungsweise Gauklersommer erneut ein nicht nur spannungsgeladener, sondern auch tiefgründiger und vor allem mitreißender Roman besonderer Güte.

9 von 10 belastenden Videoaufnahmen

Gluthitze

  • Belastende Videoaufnahmen - 9/10
    9/10

Fazit & Wertung:

Dank bestechender Ausdrucksweise, liebevoll skizzierten Figuren und einem Plot, der erst ganz langsam im Verlauf der Erzählung seine Geheimnisse preiszugeben bereit ist, gelingt Lansdale mit Gluthitze beziehungsweise Gauklersommer erneut ein nicht nur spannungsgeladener, sondern auch tiefgründiger und vor allem mitreißender Roman besonderer Güte.

9.0/10
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Meinungen aus der Blogosphäre:
Review Corner: 10/10 Punkte

Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des Suhrkamp Verlages. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.

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Gluthitze ist am 17.06.13 als Taschenbuch im Suhrkamp Verlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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