Review: Unterwerfung | Michel Houellebecq (Buch)

So, jetzt hier heute kommt dann aber endlich eine neue Buch-Kritik, nachdem mir auch in der vergangenen Woche die Freizeitplanung einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, was das stete Veröffentlichen neuer Artikel angeht, namentlich ein donnerstägiger Kneipenbesuch, eine freitägige Betriebsfeier und eine samstägige Geburtstagsfeier, die in Kombination nun einmal auch das sonntägige Bloggen verhindert haben. Aber jetzt bin ich ja wieder auf dem Dampfer und deshalb reden wir nun hier heute auch über Herrn Houellebecqs neuesten Roman, der nicht nur in der Literaturwelt schon gehörig Wellen geschlagen hat.

Unterwerfung

Soumission, FR 2015, 272 Seiten

Unterwerfung von Michel Houellebecq | © DuMont Buchverlag
© DuMont Buchverlag

Autor:
Michel Houellebecq
Übersetzer:
Norma Cassau
Bernd Wilczek

Verlag (D):
DuMont Buchverlag
ISBN:
978-3-832-19795-7

Genre:
Satire | Drama

 

Inhalt:

Ein Studium im Fachbereich Literaturwissenschaften führt bekanntermaßen zu so ziemlich gar nichts außer – für die begabtesten Studenten – zu einer Hochschulkarriere im Fachbereich Literaturwissenschaften. Wir haben es hier im Grunde mit einem recht ulkigen System zu tun, das kein anderes Ziel hat, als sich selbst zu erhalten; die über 95 Prozent Ausschuss nimmt man in Kauf.

In der nicht allzu fernen Zukunft, führt François als Professor an der Universität Paris III – Sorbonne ein recht beschauliches, um nicht zu sagen eintöniges Leben, das er sich mit wechselnden Bettgespielinnen aus der Schar seiner Studentinnen und dem Genuss alkoholischer Getränke versüßt. Nicht mehr der Jüngste, hat François Zeit seines Lebens darauf verwandt, die Literatur zu studieren und vorwiegend das Lebenswerk von Joris-Karl Huysmans, der auch Thema seiner Dissertation war, die ihm seine gefällige Anstellung eingebracht hat. Obschon Teil der intellektuellen Elite begnügt sich François damit, zuweilen Artikel für das Journal des dix-neuvièmistes oder seltener das Magazine littéraire zu verfassen, doch zunächst ohne dass es ihm auffallen würde, beginnt sich die Stimmung im Land zu verändern. François, der sich bislang nur marginal für Politik begeistern konnte, betrachtet interessiert, wie die Partei der Bruderschaft der Muslime erstarkt und deren Kandidat Ben Abbes mehr und mehr Boden gut macht unter den Wählerinnen und Wählern.

Schließlich kommt es soweit, dass die politische Linke sich zu einer Kollaboration gezwungen sieht, da sie keine Handhabe hat, gegen die politischen wie religiösen Forderungen von Ben Abbes Einspruch zu erheben, will sie sich schließlich nicht in das Lager der Rechten drängen lassen, weshalb sie notgedrungen auch teils archaischen Ideen wie der Entmündigung der Frau nachgibt und gute Miene zum bösen Spiel macht. Schlussendlich, während François noch gänzlich beansprucht von seinen privaten Problemen wie Gelenkschmerzen und Erektionsproblemen zu kämpfen hat, kommt die muslimische Partei an die Macht und eine schleichende Islamisierung der französischen Gesellschaft nimmt ihren Lauf. François, sich seit jeher als Atheist betrachtend, sieht sich mehr und mehr gezwungen, Farbe zu bekennen und sich für oder gegen ein Leben in der neuen, islamisch geprägten Gesellschaft zu entscheiden, nachdem bereits die ersten Familien das Land verlassen und ihr Heil in der Flucht gesucht haben. Und ausgerechnet seine Studien zu Huysmans spiritueller Selbstfindung dienen ihm nun als Kompass auf seinem Weg durch ein Frankreich im Umbruch.

Rezension:

Man hat es nicht leicht, auch nicht als seit Jahren gefeierter Schriftsteller wie eben Michel Houellebecq, denn mit seinem ausgerechnet am Tag des Anschlages auf Charlie Hebdo veröffentlichten neuen Roman Unterwerfung ist er ob der thematischen Nähe natürlich prompt ins Fahrwasser aktueller politischer Diskurse geraten und schnell hieß es, er habe ein Schreckensszenario eines zukünftigen Frankreich unter islamischer Herrschaft entworfen und während ihm von der einen Front Islamophobie vorgeworfen wird, mutmaßt die andere Front, er schreibe von einer wünschenswerten Utopie, was sich in der gefälligen Art widerspiegele, in der der Erzähler François als Houellebecqs Alter Ego sich letztlich mit den Gegebenheiten abfindet und an der neuen, islamisierten Gesellschaftsordnung durchaus Gefallen findet, insbesondere, was seine Position als Intellektueller und die ihm dadurch zur Verfügung stehenden Frauen anbelangt.

Jahr um Jahr schlief ich weiter mit Studentinnen meiner Fakultät, die Tatsache, dass ich ihr Dozent war, änderte daran nichts. Die Altersdifferenz zwischen mir und diesen Studentinnen war anfangs recht klein, erst nach und nach schlich sich eine Dimension des Verbotenen ein, die mehr mit meinem universitären Status zusammenhing als mit meinem wirklichen oder erkennbar fortschreitenden Alter.

Durch den Stern, unter dem Unterwerfung erschienen ist, bekommt der Roman allerdings eine politische Tragweite, die ich persönlich überhaupt nicht gegeben sehe, handelt es sich schließlich zuvorderst noch immer um eine Satire, ja zuweilen gar Komödie, die zwar mit gegenwärtigen Zuständen und künftigen Möglichkeiten kokettiert, vieles kritisiert und auf die Spitze treibt, doch weder Schreckensszenario noch Utopie beschreibt, sich vor allem keinem Lager zugehörig fühlt und linke wie rechte Gedankenströme aufs Korn nimmt und manch irrationales Verhalten ad absurdum führt. Die Übernahme Frankreichs geht dabei friedlich vonstatten, die Kollaboration wird von mehr als nur einer Partei begrüßt und die Entmündigung der Frau mag zwar einen Aufschrei rechtfertigen, wird aber von dem Protagonisten ebenso hinterfragt wie der Rest der Entwicklungen auch, wobei Houellebecq auch in diesem Punkt nicht müde wird, stets zwei Seiten der Medaille zu beleuchten, wobei er sich der den Protagonisten François umgebenden Figuren bedient, um teils seitenlange Diskurse zu starten, die das Für und Wider aufzeigen.

Durch diesen Kniff allerdings gelingt es seinem Roman auch gemeinsam mit dem aktuellen Bezug, dermaßen zu polarisieren, denn Unterwerfung lässt jegliche Lesart zu, sollte bei Befürwortern wie Gegnern jedweder Meinung ein zustimmendes Nicken hervorrufen können und verschleiert gekonnt Houellebecqs persönliche Meinung, die aber auch gar nicht zur Debatte stehen dürfte oder müsste, wäre das Buch in einem anderen Kontext oder in einer anderen Zeit erschienen. So allerdings muss man es ja zwangsläufig als Zukunftsvision betrachten oder behandeln, ob positiv oder negativ sei mal dahingestellt und ebenso unzweifelhaft wird es in den Augen der Geschichte wohl sein berühmtestes Buch werden, wenngleich es mich persönlich nicht ganz so zu fesseln wusste wie noch Karte und Gebiet, denn obschon es sich um ein lustvoll und einfallsreich gestaltetes Gedankenspiel höchster Güte handelt und der Autor mit unverhohlener Freude die Islamisierung Frankreichs skizziert, funktioniert nicht der gesamte Roman einhellig gut als Satire, da das eigentliche Kernthema der Geschichte auch gerne mal an den Rand der Geschehnisse rückt und insbesondere die Einschübe um François‘ persönliche Fehlbarkeiten oder den Tod seiner Eltern zwar nicht minder lesenswert sind, mit dem, zu was das Buch in den Medien und natürlich insbesondere im Feuilleton hochstilisiert worden ist, aber herzlich wenig gemein haben und schlichtweg an die melancholischen wie düster dräuenden Vorgängerwerke des Schriftstellers erinnern.

Auf einer Internetseite der Identitären war am darauffolgenden Morgen zu lesen, dass der Zusammenstoß sehr heftig gewesen sei und man mehrere Tote registriert habe, was das Innenministerium sogleich wieder dementierte. Wie jedes Mal ließen die Vorsitzende des Front National und der Vorsitzende der Bruderschaft der Muslime eine Erklärung veröffentlichen, worin sie sich nachdrücklich und jeder für sich von diesen kriminellen Machenschaften distanzierten.

Viel prägnanter scheint da indes François‘ Auseinandersetzung mit Joris-Karl Huysmans, dessen Leben ebenfalls geprägt war von der Suche nach einem Sinn, den er schließlich im glauben – hier dem Katholizismus – fand und dessen Lebensgeschichte der Protagonist dermaßen verinnerlicht hat, dass er gar im Zuge der politischen Umstürze beginnt, dessen Leben zu rekonstruieren, ja nachzuerleben und einzig die Religion ist eine andere, die Zeiten haben sich geändert. Vor allem aber entwirft Houellebecq Figuren, keine Karikaturen und auch wenn er sich seine zahlreichen Seitenhiebe nicht schenken kann, nicht schenken will und auch nicht muss, so ist doch hinlänglich zu erkennen, dass Linke wie Rechte, Gläubige wie Atheisten gleichermaßen ihr Fett wegbekommen und Unterwerfung vor allem eines aufzeigt, nämlich, dass Fanatismus jedweder Art zu verdammen, in seinem Fall zu belächeln ist selbst das negativ konnotierte Wort Unterwerfung, das auf vielerlei Art und Weise in der Geschichte seine Entsprechung findet, sei es die Unterwerfung Frankreichs, die Unterwerfung vor dem Glauben, die Unterwerfung vor dem Unabänderlichen, dem Altern, dem Verfall des eigenen Körpers oder auch die Unterwerfung der Frau, ebenfalls immer aus wenigstens zwei Warten betrachtet werden kann, was sich beispielsweise in François‘ Neid auf zwei unbeschwerte Frauen widerspiegelt, die objektiv ihrem Mann unterworfen, subjektiv eine Freiheit genießen, die ihr Mann unter dem Joch des Druckes, seine Familie ernähren und sein auskommen zu sichern, niemals erreichen wird. Doch bevor mir nun jemand eine antifeministische Grundhaltung unterstellen möchte, sei darauf hingewiesen, dass dies François‘ Worte sind, dem sie wiederum von Michel Houellebecq selbst in den Mund gelegt worden sind und dass das, was er schreibt, auch bitte immer unter dem Gesichtspunkt feinsinniger Ironie und einer sarkastisch-satirischen Note betrachtet werden sollte, muss man den meisten wohl nach der unverhofften Politisierung seines Romans von Grund auf neu erklären.

Fazit & Wertung:

In seinem Roman Unterwerfung entwirft Michel Houellebecq eine satirisch-ironische Zukunftsvision, die nicht einmal so sehr von einer zu begrüßenden Islamisierung handelt, sondern in ihrer Ausgestaltung mehr den Weg eines Mannes zum Glauben skizziert, ungeachtet dessen, dass mit ihm ein ganzes Land konvertiert, dessen politische Strömungen und Parteien der Autor unverhohlen freudig seziert, die Grenzen der satirischen Überhöhung sanft und doch bestimmt verschiebt und im Schatten aktueller Ereignisse damit weitaus mehr provoziert, als er beim Schreiben selbst beabsichtigt haben kann.

9 von 10 politischen und religiösen Umwälzungen

Unterwerfung

  • Politische und religiöse Umwälzungen - 9/10
    9/10

Fazit & Wertung:

In seinem Roman Unterwerfung entwirft Michel Houellebecq eine satirisch-ironische Zukunftsvision, die nicht einmal so sehr von einer zu begrüßenden Islamisierung handelt, sondern in ihrer Ausgestaltung mehr den Weg eines Mannes zum Glauben skizziert, ungeachtet dessen, dass mit ihm ein ganzes Land konvertiert, dessen politische Strömungen und Parteien der Autor unverhohlen freudig seziert, die Grenzen der satirischen Überhöhung sanft und doch bestimmt verschiebt und im Schatten aktueller Ereignisse damit weitaus mehr provoziert, als er beim Schreiben selbst beabsichtigt haben kann.

9.0/10
Leser-Wertung 9/10 (1 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des Dumont Buchverlages.

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Unterwerfung ist am 16.01.15 im DuMont Buchverlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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Kommentare (2)

  1. MIchael Loef 24. Februar 2015
    • Wulf | Medienjournal 26. Februar 2015

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