Review: China Girl | Don Winslow (Buch)

Da wäre ich auch schon wieder, hätte dann mal wieder ein Buch im Gepäck, würde – so denn Interesse besteht – viel Spaß bei der Lektüre wünschen, des Artikels wie auch des Buches. Nein, Quatsch, würde ich nicht nur, mach ich auch, ist schließlich mal wieder Don Winslow-Zeit!

China Girl
Neal Careys zweiter Fall

The Trail to Buddha’s Mirror, USA 1992, 440 Seiten

China Girl von Don Winslow | © Suhrkamp Verlag
© Suhrkamp Verlag

Autor:
Don Winslow
Übersetzerin:
Conny Lösch

Verlag (D):
Suhrkamp Verlag
ISBN:
978-3-518-46581-3

Genre:
Krimi | Thriller

Trailer:

 

Inhalt:

Graham sah erbärmlich aus, wie er dort stand. Der Regen tropfte von der Kapuze seines Regenmantels auf seine schlammverkrusteten Schuhe. Er stellte seinen kleinen Koffer in eine Pfütze und wischte sich mit seiner künstlichen rechten Hand das Wasser von der Nase, schaffte es dabei sogar noch, Neal sein ganz besonderes Joe-Graham-Grinsen zu schenken, gleichermaßen boshaft wie schelmisch.
»Freust du dich nicht?«, fragte er.
»Bin ganz außer mir.«

Nach den Ereignissen in London hat sich Neal Carey dem Zugriff der Friends of the Family entzogen und es sich in dem Cottage inmitten der Yorkshire Moore bequem gemacht, doch eines Tages steht sein Mentor und Ausbilder Joe Graham vor der Tür, denn die Friends fordern, dass er in den aktiven Dienst zurückkehrt, speziell unter Berücksichtigung der Vergünstigungen, die Neal im Laufe der Jahre erfahren hat. Widerwillig nimmt er den Job an, den hochdekorierten Chemiker Robert Pendleton nach Hause zu holen. Der nämlich, so eröffnet ihm Graham, war bis vor kurzem für das renommierte Unternehmen AgriTech tätig und forschte dort an einem bahnbrechenden Düngemittel.

Wenngleich sich das zunächst trivial anhört, hat die Bank – deren geheimer Ableger die Friends sind – eine Menge Geld in Pendletons Forschung investiert, der sich von einer Konferenz aus nach San Francisco abgeseilt hat und sich dort mit seiner neuen Liebschaft Li Lan – seinem China Girl – versteckt. Neal macht sich auf die Reise, doch bald schon kommt er dahinter, dass Li Lan längst nicht nur eine aufregende Bettgespielin für Pendleton ist, ebenso wie hinter dessen Forschungen weit mehr steckt, was auch erklärt, das unbekannte Parteien die Jagd auf Pendleton und Lan eröffnen, die nach Hongkong flüchten; mit Neal Carey ihnen dicht auf den Fersen…

Rezension:

Mit China Girl fand nun also auch der zweite Fall für Neal Carey den Einzug in mein Bücherregal und nachdem London Undercover schon geschickt die Exposition des ungewöhnlichen Protagonisten mit einem spannenden und wendungsreichen Kriminalfall zu verknüpfen musste, konnte Don Winslow diesmal in die Vollen gehen und sich ganz Careys nächstem großen Abenteuer widmen, das – wie der Name schon suggeriert – ihn bis nach China führen wird, wenngleich der Originaltitel The Trail to Buddha’s Mirror doch ein Stück weit poetischer wirkt. Anzumerken sei in dem Zusammenhang noch, dass Careys zweiter Kriminalfall bereits 1997 als Das Licht in Buddhas Spiegel seinen Weg nach Deutschland fand, nun aber in neuer Übersetzung von Conny Lösch vorliegt, die sich bereits als alter Hase für Winslows Werke bezeichnen kann und unter anderem Zeit des Zorns – Savages und Kings of Cool kongenial ins Deutsche übertrug.

Pendletons Foto sah aus wie für einen internen Firmennewsletter aufgenommen, ein Porträtfoto mit der Bildunterschrift: Der neue stellvertretende Vorsitzende der Abteilung Unternehmensentwicklung. An seinem Gesicht hätte man sich schneiden können, die Nase spitz, das Kinn kantig, der Blick messerscharf. Sein kurzes schwarzes Haar dünnte am Ansatz aus. Sein tapferer Versuch zu lächeln wirkte unnatürlich. Die Krawatte hätte Piloten in nebligen Nächten als Orientierungshilfe beim Landeanflug dienen können.

China Girl nun aber setzt genau da an, wo London Undercover endete und nimmt durchaus Bezug auf die vorangegangenen Ereignisse, was ich im Fall von Krimi-Reihen immer als sehr angenehm empfinde, da so die Story mehr wirkt wie ein sich fortlaufend entwickelndes Konstrukt als nur wie ein in sich abgeschlossener Fall wie man ihn in einer Folge C.S.I. beispielsweise dargereicht bekommen würde. Dennoch muss man auch sagen, dass Winslow in späteren Tagen weitaus kreativer wurde als hier, denn so wendungsreich und dramatisch die Geschichte auch geraten sein mag, die nicht nur Carey quer über den Globus jagt und zahlreiche Parteien mit unterschiedlichsten Intentionen und Motivationen in den Ring schickt, Carey einmal mehr ungewollt zum Spielball weitaus mächtigerer Institutionen macht, finden sich doch auch zahlreiche Parallelen zu seinem ersten Fall, so dass Neal sich wieder einmal in das Objekt seiner Bemühungen verliebt, so dass Li Lan den Part von Allie Chase übernimmt, während Handlungsort London gegen Hongkong und später das tiefste China getauscht werden, während sich Careys Aufgabe natürlich zunächst weitaus profaner anhört, als sie es letztlich werden wird, denn sollte er vorher eine Teenagerin nach Hause holen, handelt es sich diesmal um den Chemiker Pendleton, der zur Heimkehr bewegt werden soll.

Davon abgesehen macht China Girl aber eine mindestens so gute Figur wie sein Vorgänger und braucht sich auch im Gesamtwerk Winslows sicherlich nicht zu verstecken, insbesondere, wenn man berücksichtigt, wie frisch und agil, aufregend und spannend die Story geraten ist, die immerhin auch schon mehr als zwanzig Jahre auf dem Buckel hat, was man ihr – von den politischen Querverweisen und den zeitgeschichtlichen Bezügen natürlich abgesehen – zu keinem Zeitpunkt anmerkt. Vor allem gelingt es Winslow auch hier, dem Geschichtsinteressierten zahlreiche Fakten zu China zu offerieren und diese in seine Erzählung zu betten, einen stimmigen und soliden Kontext zu schaffen und die Geschichte weit mehr in der Realität zu verankern, als dies manch anderem versierten Schriftsteller auch nach zahlreichen Buchveröffentlichungen gelingt. Vor allem aber ist auch dieser Fall durch seine wechselnden Handlungsorte, die sich erst langsam in das Geschehen mischenden Antagonisten und die sich nach und nach erschließenden Geheimnisse und Zusammenhänge wieder ausgesprochen kurzweilig geraten und geizt auch nicht an einer gehörigen Portion Humor, ohne dabei ins Lächerliche zu driften, denn Carey ist schlichtweg nicht auf den Mund gefallen und weiß sich schlagfertig Gehör zu verschaffen.

Dann kippte er den Scotch in einem Zug runter und wartete, bis sich die Wärme ausgebreitet hatte. Wäre er eine Katze gewesen, hätte er geschnurrt, aber da er ein Blödmann war, grinste er nur anzüglich. Gegen die Kälte gewappnet, fuhr er fort: »Pendleton ist die weltweit größte Autorität, was Hühnerkacke angeht. AgriTech hat Millionen Dollar reingesteckt.«
»Lass mich raten«, sagte Neal. »Die Bank hat Millionen Dollar in AgriTech gesteckt?«

Eine weitere Besonderheit – ich meine es bereits beim ersten Band erwähnt zu haben – ist aber auch, dass Neal Carey endlich einmal wieder kein Überflieger mit schier übermenschlichen Kräften und Fähigkeiten ist, sondern ein zwar flinker und gewiefter Typ mit wachem Verstand, der aber im direkten Zweikampf auch schnell das Nachsehen hätte und sich lieber List und Tücke bedient, um seinen Weg zu machen, dabei aber nicht unverwundbar oder unantastbar scheint, sondern auch mal gehörig auf die Fresse fliegt, so dass er gerade im Mittelteil des Buches in einen unglaublich packend dargebrachte, schier ausweglose Situation gerät, aus der er sich ohne Hilfe sicher nicht hätte befreien können, während auch sein Mentor Joe Graham – wenn auch hier mehr aus der Ferne – seine schützende Hand über seinen Zögling zu halten versucht, der sich immer weiter in ein Netz aus Intrigen und Korruption, und konträren Absichten verstrickt. Wie schon am Ende von Band 1 vermag man sich auch diesmal kaum vorzustellen, wie es mit Neal weitergehen wird, was es umso erfreulicher macht, dass der seinerzeit als Das Schlangental veröffentlichte dritte Band bereits für September diesen Jahres – nun unter dem Titel Holy Nevada – seitens Suhrkamp zur (Neu)Veröffentlichung angedacht ist.

Fazit & Wertung:

Don Winlows China Girl ist als zweiter Teil der Neal Carey-Reihe nicht minder überzeugend als sein Vorgänger, doch wird der ungemein stimmige Gesamteindruck ein wenig dadurch getrübt, dass beide Fälle sich in vielen Versatzstücken zu ähneln scheinen, was aber zum Glück auch auf die vielen überraschenden Twists und den packenden Plot zutrifft, die über die gesamte Länge spielend und kurzweilig zu unterhalten wissen, zumal Protagonist Carey auch hier wieder alle Sympathien auf seiner Seite hat.

8 von 10 falschen Fährten über San Francisco nach Hongkong bis nach China

China Girl

  • Falsche Fährten über San Francisco nach Hongkong bis nach China - 8/10
    8/10

Fazit & Wertung:

Don Winlows China Girl ist als zweiter Teil der Neal Carey-Reihe nicht minder überzeugend als sein Vorgänger, doch wird der ungemein stimmige Gesamteindruck ein wenig dadurch getrübt, dass beide Fälle sich in vielen Versatzstücken zu ähneln scheinen, was aber zum Glück auch auf die vielen überraschenden Twists und den packenden Plot zutrifft, die über die gesamte Länge spielend und kurzweilig zu unterhalten wissen, zumal Protagonist Carey auch hier wieder alle Sympathien auf seiner Seite hat.

8.0/10
Leser-Wertung 5/10 (1 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des Suhrkamp Verlages. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.

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China Girl ist am 06.04.15 als Neuauflage im Suhrkamp Verlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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