Und da wäre ich dann auch schon wieder mit einer neuen, frischen Film-Kritik zu einem der ungewöhnlichsten Genre-Filme der letzten Zeit. Habt Spaß beim Lesen, macht euch einen schönen Abend und bis morgen dann!
The Voices
The Voices, USA/DE 2014, 103 Min.
© Ascot Elite
Marjane Satrapi
Michael R. Perry
Ryan Reynolds (Jerry / Mr. Whiskers/Bosco/Deer/Bunny Monkey [Stimme])
Gemma Arterton (Fiona)
Anna Kendrick (Lisa)
Jacki Weaver (Dr. Warren)
Komödie | Horror | Thriller
Trailer:
Inhalt:
© Ascot Elite
Jerry Hickfang hat psychische Probleme und wurde erst kürzlich unter der Auflage aus dem Gefängnis entlassen, dass er sich regelmäßig bei der vom Gericht bestellten Psychiaterin Dr. Warren meldet, die die Einnahme seiner Psychopharmaka überwachen soll, derweil ihm der Job in der Milton Bathtub Factory ein wenig Stabilität in sein Leben bringen soll. Jerry allerdings denkt gar nicht daran, seine Medikamente zu nehmen, denn schließlich machen sie seine kunterbunte und fröhliche Welt nicht nur trist und grau, sondern verhindern auch, dass seine Haustiere, die Katze Dr. Whiskers und sein treuer Hund Bosco sich mit ihm unterhalten können und das, wo sie doch Jerrys einzige Freunde sind.
Folgerichtig verzichtet Jerry auf die Einnahme seiner Medikamente und erfreut sich lieber an seiner Bonbon-Welt und der attraktiven Fiona aus der Buchhaltung, die es ihm sofort angetan hat. Die allerdings will von Jerry nicht so wirklich etwas wissen und versetzt ihn zunächst, doch als er sie nachts im strömenden Regen aufgabelt, kommt ihr seine treudoofe Art nur zu gelegen, um sich nach Hause kutschieren zu lassen. Als sich Fiona allerdings von Jerry bedroht fühlt, kommt es zu einem folgenschweren Unfall und Bosco muss seinem Herrchen mehr als gut zureden, um ihn zu überzeugen, dass er trotzdem ein guter junge sei, während Mr. Whiskers die Meinung vertritt, auch Mord sei ein durchaus probates und vertretbares Mittel gegen Jerrys Einsamkeit. Und so bekommt dessen heimische Entourage alsbald ersten Zuwachs…
Rezension:
Bei dem neuesten Film der iranischen Regisseurin Marjane Satrapi – die 2007 mit ihrem Erstling Persepolis für einiges Aufsehen sorgte – handelt es sich wahrhaftig um eine der schwärzesten Komödien, die mir je untergekommen ist und spätestens nach ersten Hälfte mag einem das Lachen auch immer öfter im Halse stecken bleiben, insbesondere dann, wenn Hauptfigur Jerry das erste Mal auf die rosarote Brille verzichtet und auf Drängen der Stimmen seine Medikamente wieder zu nehmen beginnt, was darin mündet, dass er das erste Mal im Film, den auch wir Zuschauer samt und sonders aus der Sicht von Jerry erleben, seine Umwelt wahrnimmt wie sie sich wirklich darstellt und nicht, wie er sie sich imaginiert. Doch ich greife vor, denn The Voices beginnt völlig harmlos und präsentiert mit Jerry einen herrlich liebenswürdigen, beinahe unterwürfigen Kerl, der voller Glückseligkeit und guter Laune durchs Leben geht. Da erscheint es noch als charmanter Spleen, als man ihn das erste Mal daheim mit seinen Tieren, der gehässigen Katze Mr. Whiskers und dem treudoofen Hund Bosco, reden hört, doch ab dem Moment, wo sich Jerry in die attraktive Fiona verguckt, drohen die Geschehnisse aus dem Ruder zu laufen und schnell ist der erste Mord passiert.
© Ascot Elite
Das wird auch wirklich extrem schwarzhumorig dargebracht und von der Idee der sprechenden Tiere über die sprechenden Köpfe und den schwer gestörten Jerry mit seiner gleichsam gestörten Wahrnehmung ist zwar nichts neu in The Voices, jedoch abgesehen von der Mischung all dieser Versatzstücke, die einen wirklich skurrilen, unterhaltsam-düsteren, aber auch überraschend tragischen und traurigen Film ergeben, denn Satrapi gelingt das Kunststück spielend, dass man für dem munter vor sich hinmordenden Jerry stets auch Mitgefühl aufbringt und er seine Sympathiepunkte eigentlich nie zu verlieren droht, sind es schließlich die Stimmen, allen voran Mr. Whiskers, die ihn zu seinen Taten drängen. Das funktioniert zwar einerseits aufgrund der Inszenierung und vor allem der schockierenden Realität, die sich eröffnet, wenn Jerry wider besseren Wissens seine Medikamente nimmt, doch ein Großteil des Lobes darf sicherlich der oftmals unterschätzte Ryan Reynolds für sich verbuchen, denn in der Rolle des innerlich zerrissenen Jerry spielt er sich im positivsten sinne um Kopf und Kragen, während er in der Originalfassung auch Mr. Whiskers und Bosco seine bewusst und gekonnt verfremdete Stimme leiht, finden die Dialoge mit seinen Haustieren schließlich eigentlich samt und sonders in seinem Kopf statt.
Unterstützt wird Ryan Reynolds derweil von Gemma Arterton (Hänsel und Gretel: Hexenjäger, Byzantium), die als Fiona nicht unmaßgeblich für Jerrys Niedergang verantwortlich ist und später selbst als sprechender Kopf eine gute Figur macht, während Anna Kendrick (50/50) sich die meiste Zeit damit begnügen darf, das süße Mädchen von nebenan zu mimen, keine herausfordernde Rolle zwar, aber auch eine, auf die sie nicht zu Unrecht abonniert zu sein scheint. Derweil gelingt es Jacki Weaver, die witzigerweise in dem ähnlich gelagerten, aber ganz und gar anders ausgerichteten Silver Linings ebenfalls mitgewirkt hat, als Jerrys Therapeutin Dr. Warren einige Glanzpunkte zu setzen. Dergestalt ist es Satrapi gelungen, für The Voices einen rundherum überzeugenden Cast zu versammeln, dem man die Spielfreude zu jedem Moment ansieht und der auch zuweilen dafür entschädigt, dass der schwarzhumorig-komödiantische Aspekt der Erzählung doch im weiteren Verlauf immer mehr in den Hintergrund tritt zugunsten einer zunehmend verstörender und beklemmender werdenden Geschichte.
© Ascot Elite
Überhaupt wird The Voices sicherlich nicht jedermanns Geschmack treffen, denn die Story ist doch weit mehr als – wie man ihn gerne zu vermarkten versucht – leichtfüßig blutig und das Thema, dem sich der Film in teils unerwarteter Ernsthaftigkeit und Konsequenz widmet, lädt vielleicht viele nicht gerade zum Lachen ein, doch ich persönlich fühlte mich nicht nur gut unterhalten, sondern nahm es dem Film auch nicht krumm, als er sich mehr und mehr von Jerrys kunterbunter Bonbon-Welt entfernte, um die tieftraurige Geschichte eines Mannes zu erzählen, der mit kaum selbstverschuldetem Verhalten immer tiefer in eine Misere schlittert, aus der es kein Entrinnen gibt. Das Ende wiederum, welches ebenfalls vielen Zuschauern vor den Kopf stoßen dürfte, ist in seiner Konsequenz und unter dem Aspekt einer schwarzhumorigen Killer-Story einfach nur als großartig zu bezeichnen, traf mich völlig unvorbereitet und hievt den Film die letzten Meter noch einmal gehörig aus dem Einheitsbrei üblicher Genre-Produktionen, doch da sich Satrapis nunmehr vierter Film sowieso allen Genre-Konventionen und Schubladen verweigert, wäre dies nicht einmal vonnöten gewesen, um zu untermauern, welch ungewöhnliches Filmerlebnis The Voices geworden ist, auch wenn es – und mittlerweile kommt mir dieser Satz schon wie eine hohle Phrase vor – ihm schwerfallen dürfte, bei dem einseitig auf Komödie gerichteten Marketing sein Publikum zu finden, ein Publikum, das dankbar den Rückgang der komödiantischen Ausrichtung in der zweiten Hälfte in Kauf nimmt und zugunsten einer tieftraurigen und tragischen Geschichte auf einige Lacher zu verzichten bereit ist. Für Kultpotential – wie auf dem Cover angepriesen – langt es aufgrund der teils inkohärenten Ausrichtung nicht ganz, doch könnte sich der Film auf alle Fälle zum Geheimtipp für Freunde ungewöhnlicher Unterhaltung mausern. Verdient hätte er es.
The Voices
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Drängende Stimmen im Kopf - 8/10
8/10
Fazit & Wertung:
Marjane Satrapis The Voices ist nicht annähernd die leichtfüßige Komödie, als die man sie gern darstellt und fordert dem Zuschauer einiges ab, doch lohnt sich diese ungewöhnliche Produktion schon allein für Ryan Reynolds bahnbrechende Performance, während Freunde tiefschwarzen Humors durchaus auf ihre Kosten kommen dürften und gleichsam eine unerwartet ernste und traurige Geschichte offeriert bekommen, was ich in der Kombination und Ausprägung bisher selten erlebt habe. Und spätestens mit dem Happy Song wird man den Film lieben oder hassen.
Meinungen aus der Blogosphäre:
Der Kinogänger: 8/10 Punkte
Nerdtalk: 9/10 Punkte
Singende Lehrerin: 9/10 Punkte
The Voices erscheint am 06.10.15 auf DVD und Blu-ray im Vertrieb von Ascot Elite. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!
Klingt spannend! Wird gleich einmal vorgemerkt… :)
Da bin ich ja dann mal gespannt, ob du auch hier zu einem ähnlichen Ergebnis kommst. Ist tatsächlich einer der wenigen Filme, wo ich mir da echt nicht sicher bin ;-)
Ja, Mensch: Zwei Gehirne, eine Meinung! Ich glaube, so einig waren wir uns in einer Filmbewertung noch nie. :-)
Wie richtig dein letzter Abschnitt vor dem Fazit ist, konnte ich übrigens besonders gut beim Fantasy Filmfest erleben. Ich hätte ja gedacht, daß gerade bei einem solchen Genrefestival ein unkonventioneller Film dieser Art sehr gut ankäme, aber selbst dort schien sich die Mehrheit an dem “Stimmungswechsel” in der zweiten Hälfte zu stören. Da will ich eigentlich gar nicht wissen, wie das “normale” Publikum reagiert … Dabei hat Ryan Reynolds für diese grandiose (vor allem auch stimmliche) Performance jeden Zuschauer verdient. Ich war vorher wirklich kein Fan von ihm, aber was er hier abliefert, ist einfach eine Wucht!
Stimmt, ist mir beim Verlinken auch schon aufgefallen. Zum Glück habe ich erst in der OFDb gesehen, dass du auch schon über den Film berichtet hast, sonst hätte ich beinahe selber denken können, mich von deinem Beitrag “inspiriert” haben zu lassen.
Ist ja interessant, dass selbst beim Fantasy Filmfest das Publikum da so reagiert hat, hätte ich jetzt – ohne bisher je da gewesen zu sein – gefühlsmäßig auch sei eingeschätzt, dass man da offener und wohlwollender auf eben solche unkonventionellen Filme reagiert. Und nein, Ryan Reynolds-Fan war und bin ich auch nicht, aber ich verdamme ihn auch nicht so wie mancher, was aber auch daran liegen mag, dass ich mir niemals ‘Green Lantern’ angetan habe. Aber von der Performance und dann noch der Interpretation der unterschiedlichen Stimmen her war das schon wirklich großartig, was er hier gezeigt hat!
Tolle Kritik! Für mich war das letztes Jahr ein Highlight auf dem Fantasy Filmfest: https://singendelehrerin.wordpress.com/2014/09/12/fff-2014-the-voices-marjane-satrapi-usad-2014/ (meine Kritik ist nicht ganz so ausführlich geraten, aber ist auch knackig, wenn man in einer guten Woche 16 Filme ansieht… ;) ) Ich war absolut begeistert – gerade auch von Ryan Reynolds’ Leistung. Schön, dass du zu einer ganz ähnlichen Einschätzung kommst! :)
Ach, so kurz geraten ist die Kritik bei dir ja nun auch nicht. Werde ich gleich mal in den “Meinungen” verlinken, dann stehts an prominenterer Stelle.
Bin ja ganz begeistert, dass der Film anscheinend in “meinem” Teil der Blogosphäre so positiv aufgenommen wurde, da liest man ja andererorts auch weitaus vernichtendere Kritiken – und ich hatte im Vorfeld schon wieder Angst, zu euphorisch bewertet zu haben. Ryan Reynolds ist schon klasse in dem Film und dann noch mit den tollen Damen an seiner Seite, ja und natürlich dem ‘Happy Song’, von dem ich tagelang einen Ohrwurm hatte. Hach, so Filme darf es ruhig öfter geben.
Danke für die Verlinkung! :)
Der Film ist halt irgendwie nichts für ein reines Mainstream-Publikum, man muss sich schon auf die eigenartige Mischung einlassen können (im Gegensatz zum Kinogänger hatte ich eigentlich schon den Eindruck, dass der Film gut bei “meinem” FFF-Publikum angekommen war). Deswegen freue auch ich mich immer, wenn ich Gleichgesinnte zu “solchen” Filmen finde! :)
Bitte, immer gerne doch :)
Das stimmt, der Film ist doch sehr eigen in seiner Machart, da gibt es nichts dran zu rütteln, aber gerade solche Quertreiber sind es ja auch, die das Film-Genre interessant werden und bleiben lassen. Immer nur Mainstream, immer nur 08/15 ist ja auch öde. Mag einer der Gründe sein, warum auch Filme wie ‘Knights of Badassdom’ bei mir doch überdurchschnittlich gute Wertungen bekommen haben, einfach weil sie so anders sind.
Und wer weiß, vielleicht schaffe ich es ja nächstes Jahr dann doch auch mal endlich zum FFF, wer weiß. Ich hab nämlich so das Gefühl, ich könnte mich da ziemlich gut aufgehoben fühlen ;)
Tu das! Heuer war ich ja (leider) nicht, weil ich statt dessen in den USA Urlaub gemacht habe! Tststs, was ich da für falsche Prioritäten setze…
Ich mag auf jeden Fall die FFF-Crowd, vielleicht weil ich mir dann im Vergleich – v.a. mit den Dauerkartenbesitzern – so normal vorkomme… :-D
Wie die Einzel-Ergebnisse des “Fresh Blood”-Awards regelmäßig zeigen, gibt es ja selbst beim FFF-Publikum in den einzelnen Städten doch beträchtliche Unterschiede – vielleicht hast du einfach ein überdurchschnittlich aufgeschlossenes erwischt (oder ich ein unterdurchschnittlich aufgeschlossenes). ;-) Davon abgesehen lief “The Voices” in Nürnberg auch sicher nicht schlecht, aber nach allem, was ich nach der Vorstellung so gehört (und später im Internet gelesen) habe, bekam ich definitiv einen eher zwiegespaltenen Eindruck. Selbst meine Begeisterung über den grandiosen “Happy Song”-Abspann wurde nur bedingt geteilt …
Aaaah, du gehst in Nürnberg?! :) Ha, vielleicht hab ich dich da früher sogar gesehen. Bis vor ein paar Jahren war ich nämlich auch immer in Nürnberg mit meinem Bruder, eigentlich erst letztes Jahr das erste Mal komplett in München. Bist du einer von den “Dauerkärtlern”? ;)
Ja, auch eine Begleitung von mir fand den “Happy Song” dann am Schluss doch irgendwie unpassend; ICH habe ihn gefeiert! :-D
Für eine Dauerkarte bin ich dann doch nicht verrückt genug – oder einfach schon zu alt. ;-) Normalerweise schaue ich mir 10 bis 15 Filme pro Jahrgang an, das Maximum waren mal knapp 20, glaube ich. Das reicht nicht, damit sich eine Dauerkarte rechnet …
Obwohl es sich für meinen Bruder und mich doch in manchen Jahren gelohnt hätte, hatten wir auch nie Dauerkarten. Aber ich lasse auch schon etwas nach… Früher haben wir bis zu fünf Filme an einem Tag angesehen, inzwischen gebe ich mir nicht mehr als höchstens drei… ;)