Review: Das Licht der letzten Tage | Emily St. John Mandel (Buch)

Weiter geht die wilde Fahrt, doch heute recht kurz angebunden, denn ich bin quasi schon wieder auf dem Sprung. So ihr denn mehr Zeit zur Verfügung habt als ich, wünsche ich euch aber dennoch viel Spaß bei der Lektüre meiner neuesten Buch-Kritik! Ach ja, und natürliche einen schönen Wochenendeinstand allerseits!

Das Licht der letzten Tage

Station Eleven, CA 2014, 416 Seiten

Das Licht der letzten Tage von Emily St. John Mandel | © Piper
© Piper

Autorin:
Emily St. John Mandel
Übersetzerin:
Wibke Kuhn

Verlag (D):
Piper
ISBN:
978-3-492-06022-6

Genre:
Drama | Endzeit | Mystery

 

Inhalt:

In der Lobby sammelten sich die Leute an der Bar und stießen an. »Auf Arthur«, sagten sie. Sie tranken noch eine Weil, dann gingen sie alle ihrer Wege, hinaus in den Sturm.
Von allen Personen, die in dieser Nacht in der Bar gewesen waren, war der Barkeeper derjenige, der noch am längsten leben sollte. Er starb drei Wochen später auf der Straße, über die er die Stadt verlassen wollte.

Am Vorabend des endgültigen Ausbruchs der Georgischen Grippe bricht während einer Aufführung von Shakespeares König Lear der Schauspieler Arthur Leander zusammen und obwohl der Sanitäter Jeevan ihm aus dem Publikum umgehend zu Hilfe eilt, stirbt der alte Mann an den Folgen eines Herzinfarktes. In den darauffolgenden Tagen bricht zunächst unmerklich die gesamte Zivilisation zusammen und die neuartige Grippe rafft einen Großteil der Erdbevölkerung dahin. Zwanzig Jahre später erinnert sich kaum noch jemand an die Welt, wie sie einmal war, doch speziell das Andenken von Arthur bleibt unvergessen, hat sich schließlich schon Jahre zuvor die sogenannte Symphonie zusammengetan, bereist das Land und führt allerorten ihre Interpretationen Shakespeare’scher Stücke auf.

Doch weit mehr als sie ahnen, eint die Überlebenden in großen Teilen eine gemeinsame Vergangenheit mit Arthur, in der auch ein kurzlebiger wie unbekannter Comic namens Das Licht der letzten Tage eine Rolle zu spielen scheint. So reist die Symphonie von Ort zu Ort und gerät in einer Siedlung mit einem selbsternannten Propheten aneinander und während die Fehde zu eskalieren droht, kämpft Jeevan andernorts ums Überleben, derweil bereits kurz nach dem Ende ein Zivilisations-Museum in einem stillgelegten Flughafen entstanden ist…

Rezension:

Selbstredend auch von Cover, Titel und der (mehr als dürftigen) Inhaltsangabe angezogen, waren es letztlich die lobenden Worte von George R. R. Martin auf dem Klappentext, die mich dazu verleitet haben, Emily St. John Mandels Das Licht der letzten Tage eine Chance zu geben. Der Anfang ist dabei so gelungen wie außergewöhnlich, denn dass der Anfang vom Ende sich während einer Shakespeare-Aufführung in Toronto anbahnen würde, habe ich so als Einstiegspunkt in einer endzeitlichen Dystopie nicht erwartet und das Ausmaß der Georgischen Grippe wird erst nur langsam erfahrbar, während die allwissende Erzählerin zuweilen wohldosiert in die Zukunft zu blicken weiß und in lapidaren Halbsätzen klarmacht, dass ein Großteil der Figuren in nur wenigen Wochen tot sein wird. Dank einer ungemein geschliffenen Sprache und teils regelrecht poetischen Untertönen hatte das Buch mich bis dahin durchaus in seinen Bann ziehen können.

Dann allerdings springt die Geschichte des in insgesamt neun Teilen daherkommenden Romans einen zwanzigjährigen Sprung in die Zukunft und präsentiert dem geneigten Leser die Zeit nach dem Ende, dies aus der Sicht einer fahrenden Symphonie, die auf Anhieb keine Verbindung zu den Geschehnissen in Toronto zwei Dekaden zuvor erkennen lässt, doch wird sich dieser Eindruck selbstredend noch revidieren. Auch die Idee der Symphonie wusste mir zu gefallen, wenn es auch schon ein wenig romantisch-verklärt erscheint, in einer niedergegangenen und überwiegend entvölkerten Welt keinen sinnhafteren Daseinszweck zu finden, als Shakespeare-Stücke zum Besten zu geben, während man doch meinen würde, die kläglichen Reste der Menschheit wären um Wiederaufbau bemüht, gerade, nachdem so viele Jahre seit der Grippe vergangen sind und keine Ansteckungsgefahr mehr zu drohen scheint – schließlich handelt es sich ja auch bei der Symphonie um fahrende Künstler, die nirgendwo einkehren könnten, würde man unterstellen, dass die Angst vor der tödlichen Grippe noch immer grassiere. Sicherlich, es handelt sich um einen Roman, um Fiktion, doch fragt man sich schon ein wenig, wie allein so viel Wissen verloren gehen konnte, denn hier verhält es sich schließlich anders als in anderen Dystopien, sind die Welt, die Infrastruktur, die Gebäude, die Möglichkeit, Elektrizität zu erzeugen etc. pp. noch intakt, worüber man sich mokieren kann, aber auch nicht muss, doch irritierend ist es trotzdem zuweilen, wie die Protagonisten sich verhalten.

»Das ist die kürzeste Inkubationszeit, die ich jemals gesehen habe. Ich hab gerade eine Patientin gesehen, eine von unseren Pflegerinnen, die hatte Dienst, als heute Morgen die ersten Patienten reinkamen. Nach ein paar Stunden fühlte sie sich schlecht, ging früh nach Hause, vor zwei Stunden hat ihr Freund sie wieder reingefahren, und jetzt hängt sie am Beatmungsgerät. Wer mit diesem Virus in Berührung gekommen ist, erkrankt innerhalb weniger Stunden.«

Mandel scheint aber auch gar nicht zuvorderst daran gelegen zu sein, einen endzeitlichen Überlebenskampf zu schildern und ergeht sich in weiterer Folge in einer bunten Mischung aus Rückblenden, die teils kurz vor dem Ausbruch der Grippe, teils noch einmal Jahre zuvor, manchmal aber auch kurz nach dem Ende angesiedelt sind und allerhand neue Figuren ins Spiel bringen (oder bekannten Figuren weiter folgen selbstredend), die – und das haben sie alle miteinander gemein, in irgendeiner Form mit Arthur Leander zu tun gehabt haben, dem Mann, der gleich auf den ersten Seiten von Das Licht der letzten Tage das Zeitliche segnet, gleichzeitig aber all die Plots miteinander zu verbinden und verweben scheint. Sicherlich, das hört sich zunächst toll an, doch das große Problem ist hier leider, dass sich die Autorin für meinen Geschmack viel zu sehr übernommen hat, was sowohl Anzahl der Figuren als auch Handlungsorte und –zeiten anbelangt, zumal diese kaum voneinander getrennt sind, man Zeitangaben vergeblich sucht und sich oftmals auch irritiert fragen mag, bei welcher Figur man nun wieder gelandet ist, ob man sie bereits kennt und wenn ja, woher.

Dem Verständnis der Geschichte ist solch ein allumfassender Fauxpas natürlich alles andere als zuträglich, doch immerhin bemüht sich Mandel, die einzelnen Fäden zum Ende hin miteinander zu verbinden, so dass einem kurz vor Ende von Das Licht der letzten Tage schon durchaus bewusst ist, wer hier mit wem und warum wie verbunden ist, doch selbst da ergibt sich ein für mich nicht zu ignorierendes Problem, denn was hier letztlich als Konsens und Koinzidenz präsentiert wird, ist so ernüchternd wie trivial und zieht zudem noch ein antiklimatisches Finale nach sich, so dass ich mich durch die letzten Seiten beinahe quälen musste in der Hoffnung, hier noch etwas zu erfahren, meinte ich schließlich bereits gute vierzig Seiten vor Schluss, nun alle Fäden miteinander verbunden zu haben. Leider sollte ich damit Recht behalten, denn so vielversprechend die ungewöhnliche Genre-Mixtur auch begonnen haben mag, versandet sie meinem Empfinden nach zusehends in trivialen und teils plakativen Schnappschüssen und Momenteindrücken, denn gerade in der Rückschau wird einem erst richtiggehend bewusst, wie wenig man doch über einige Figuren erfahren hat, wie belanglos teils ganze Erzählstränge letztendlich geblieben sind, wie wenig man sich wirklich in die Protagonisten hat hineinversetzen können, aufgrund dessen, dass man sie zugunsten von Zeitsprüngen und Perspektivenwechseln immer wieder aus den Augen verloren hat.

Es war vorbei mit dem Internet. Es war vorbei mit den sozialen Netzwerken, es war vorbei damit, sich durch Litaneien von Träumen und nervösen Hoffnungen und Essensfotos zu scrollen, durch Hilfeschreie und Bekundungen von Zufriedenheit und Updates des Beziehungsstatus, mit ganzen oder zerbrochenen Herzen daneben, mit Plänen für spätere Treffen, Bitten, Beschwerden, Wünschen, Bildern Babys, die zu Halloween als Bären oder Paprika verkleidet wurden. Es war vorbei damit, die Leben anderer zu lesen und zu kommentieren und sich damit ein klein bisschen weniger einsam zu fühlen. Es war vorbei mit der Virtualität.

Nein, Das Licht der letzten Tage wusste mich nicht in Gänze zu überzeugen, was dadurch umso bedauerlicher wird, dass Emily St. John Mandel über gehörig Ausdrucksvermögen verfügt und eine wahrhaft poetische Endzeitgeschichte schreibt, teils extrem gelungene Passagen in ihrem Werk verbaut hat, in denen sie unter anderem stimmungsvoll wie diversifiziert aufzuzeigen versteht, was der Menschheit nach dem Ende alles verloren gegangen ist, zudem sorgsam konstruierte Interview-Abschnitte zwischen die einzelnen Szenen fügt, die teils zum Schmunzeln, teils zum Nachdenken anregen, während all das auf einem ansprechenden sprachlichen Niveau daherkommt. Auch der Clou mit dem namensgebenden Comic-Band, von dem immer wieder die Rede ist, dessen Entstehung man beiwohnt und der selbst nach der Zeit der Georgischen Grippe noch ab und an aufzufinden ist, gefiel mir als Idee ausnehmend gut und hielt mein Interesse wach, doch münden eben all die Ideen und Geschichten, die Verbindungen zu Arthur Leander aber auch der Figuren untereinander in einer solch ernüchternden Trivialität, dass es wirklich eine Schande ist, denn während der im Mittelteil immer mal wieder vorhandenen Längen tröstete ich mich stets mit dem Gedanken, dass all dies noch erklärt werden, all dies noch Bewandtnis haben würde, doch war dem leider in vielen Punkten nicht so. In letzter Konsequenz also ein durchaus ambitioniertes Werk, dem ich jede Aufmerksamkeit und jedes lobende Wort gönne, das für mein Empfinden aber an den eigenen Ansprüchen gescheitert ist, zumal die zahllosen Zeit- und Handlungswechsel der Geschichte mehr schaden, als dass sie nützen würden und mir den Zugang zu den einzelnen Figuren erheblich erschwert haben.

Fazit & Wertung:

Emily St. John Mandels Das Licht der letzten Tage ist eine zweifellos ambitionierte wie ungewöhnliche Genre-Mixtur aus Dystopie und Drama, wartet mit melancholisch-poetischen Bildern auf und weiß insbesondere sprachlich zu überzeugen, doch die Quintessenz der verworrenen Erzählung weiß letztlich nicht zu überzeugen, da viele Handlungsstränge über weite Strecken vernachlässigt werden und insbesondere das letzte Drittel nur leidlich zu packen versteht.

6 von 10 Überlebenden der Georgischen Grippe

Das Licht der letzten Tage

  • Überlebende der Georgischen Grippe - 6/10
    6/10

Fazit & Wertung:

Emily St. John Mandels Das Licht der letzten Tage ist eine zweifellos ambitionierte wie ungewöhnliche Genre-Mixtur aus Dystopie und Drama, wartet mit melancholisch-poetischen Bildern auf und weiß insbesondere sprachlich zu überzeugen, doch die Quintessenz der verworrenen Erzählung weiß letztlich nicht zu überzeugen, da viele Handlungsstränge über weite Strecken vernachlässigt werden und insbesondere das letzte Drittel nur leidlich zu packen versteht.

6.0/10
Leser-Wertung 2.67/10 (3 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von Piper. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.

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Das Licht der letzten Tage ist am 14.09.15 bei Piper erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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