Review: Das Dickicht | Joe R. Lansdale (Buch)

Sooo, heute mal wieder ganz kurz angebunden, weil es für mich gleich zu einer Firmen-Feier geht, aber euch noch eben eine längst fertige Buch-Kritik zum Wochenende zu kredenzen, das sollte zeitlich noch drin sein und deshalb kommt sie hier auch schon.

Das Dickicht

The Thicket, USA 2013, 336 Seiten

Das Dickicht von Joe R. Lansdale | © Heyne Hardcore
© Heyne Hardcore

Autor:
Joe R. Lansdale
Übersetzer:
Hannes Riffel

Verlag (D):
Heyne Hardcore
ISBN:
978-3-453-67677-0

Genre:
Drama | Thriller | Western

 

Inhalt:

Als Großvater zu uns rausgefahren kam und mich und meine Schwester Lula abholte und zur Fähre karrte, ahnte ich nicht, dass alles bald noch viel schlimmer werden oder dass ich mich mit einem schießwütigen Zwerg zusammentun würde, mit dem Sohn eines Sklaven und mit einem großen, wütenden Eber, geschweige denn, dass ich mich unsterblich verlieben und jemand erschießen würde, aber genau so war’s.

Nachdem die im Amerika des beginnenden 20. Jahrhunderts um sich greifende Pockenepidemie die Eltern des sechzehnjährigen Jack Parker und seiner zwei Jahre jüngeren Schwester Lula dahingerafft hat, ist es ihr Großvater, der die beiden abholt, um sie zu ihrer Tante nach Kansas zu bringen, die fortan für die zu Waisen gewordenen Kinder sorgen soll, auch wenn sie selbst noch nichts davon ahnt. Doch bei der Fährfahrt über den Sabine River gerät Jacks und Lulas Großvater mit drei mehr als zwielichtigen Gesellen aneinander und wird schlussendlich erschossen, kurz bevor die Fähre kentert. Als Jack wieder zu sich kommt, erklärt ihm ein Pärchen, das den Vorfall beobachtet hat, dass die Gangster seine Schwester Lula mit sich genommen haben. Jack nimmt die Verfolgung auf und will sich in der nächsten Ortschaft an den Sheriff wenden, doch wurde dieser jüngst bei einem Banküberfall erschossen, für den dieselben Gestalten verantwortlich zu sein scheinen.

Mehr durch Zufall trifft Jack bald darauf den Kopfgeldjäger Eustace Cox und dessen Eber und bietet ihm an, ihm das Grundstück seiner Eltern und seines Großvaters zu überschreiben, sollte er ihm helfen, seine Schwester zu befreien. Eustace schlägt vor, seinen Partner und Freund Shorty hinzuziehen, der sich als grantiger Liliputaner entpuppt, doch auch wenn Jack langsam ernste Zweifel an seinen Begleitern kommen, ist es für einen Rückzieher zu spät und gemeinsam nehmen sie bald darauf die Fährte der Verbrecher auf, die sich allem Anschein nach in einem Wald zu verstecken planen, der allerorten nur als Dickicht bekannt ist.

Rezension:

Widmen wir uns heute meinem mittlerweile achten Buch von Ausnahmeschriftsteller Joe R. Lansdale, dem jüngst bei Heyne Hardcore erschienenen Taschenbuch zu Das Dickicht. Dabei fällt schnell auf, dass auch dieser Roman den restlichen Werken seines Œuvre teils frappierend ähnelt, wieder einmal aus der Sicht eines zur Zeit der Handlung jugendlichen Ich-Erzählers geschildert wird, wieder einmal in den Südstaaten – in diesem Fall in der Nähe des Sabine River – um die Jahrhundertwende herum angesiedelt ist, wieder einmal die Konfrontation mit weit mehr als kriminellen Elementen beinhaltet und wieder einmal von einer äußerst dichten Atmosphäre lebt. Was jetzt aber vielleicht so klingen mag, als würde der Autor anfangen, sich selbst zu kopieren, ist noch nicht einmal in irgendeiner Weise abwertend gemeint, handelt es sich schließlich auch zu großen Teilen um exakt die Elemente, die Lansdales Romane zu erfolgreich und lohnenswert machen und Teil des speziellen Reizes sind, die sein Werk zu verströmen weiß.

»Wohin fahren wir?«, fragte ich, den Blick auf unser Zuhause gerichtet, das in Flammen stand. Etwas anderes el mir nicht ein. Lula hatte die Arme um ihren Oberkörper geschlungen und sagte gar nichts. Wer sie nicht kannte, hätte meinen können, sie wäre stumm.

Doch Das Dickicht besitzt auch genügend Alleinstellungsmerkmale, um für sich genommen überzeugen zu können, denn auch wenn es beinahe ein Spleen des Autors zu sein scheint, seinen Protagonisten ruppige Nebenfiguren als Sidekicks zur Seite zu stellen, treibt er dieses Vorgehen hier dahingehend auf die Spitze, dass er um den jungen Jack, der sich nichts sehnlicher wünscht, als seine Schwester Lula aus den Fängen des sadistischen Cut Throat Bill zu retten, gleich eine ganze Menagerie von skurrilen Figuren schart, die mit dem Schwarzen Eustace und dessen Begleiter und Freund, einem Eber namens Keiler sowie dem Liliputaner Shorty, einem ungemein belesenen und gleichsam zuweilen jähzornigen Kopfgeldjäger und Ex-Zirkus-Artisten, ihren Anfang nimmt und nach einem Abstecher in das nicht gerade beschauliche Örtchen No Enterprise um eine redselige Hure namens Jimmie Sue, den Sheriff des Ortes, Winton, der es mit dem Gesetz nicht allzu genau nimmt und last but not least dessen Putzkraft Spot ergänzt wird, die eine ganz und gar unfassbare Truppe ergeben, die – wie sollte es auch anders sein – von den zahllosen Halunke und Halsabschneidern, denen sie auf ihrer Reise begegnen, kaum für voll genommen wird, was sich natürlich als schwerer Fehler herausstellen wird.

Dabei ist die Story diesmal ungewohnt schnörkellos erzählt, beginnt mit einer kurzen Abhandlung darüber, wie Jacks und Lulas Eltern von den Pocken dahingerafft und sie (die Kinder natürlich) von ihrem Grandpa eingesammelt werden, um in den Zug gen Kansas zu ihrer Tante gesteckt zu werden, wozu es allerdings nicht kommen soll, trägt sich schließlich auf dem Weg dorthin die verhängnisvolle Begegnung mit Cut Throat Bill zu, die Lulas Entführung zur Folge hat und die eigentliche Geschichte erst ins Rollen bringt. Von dort ausgehend begegnet Ich-Erzähler Jack recht bald den exzentrischen Weggefährten Eustace und Shorty, die sich gegen entsprechende Bezahlung bereit erklären, ihm bei seiner Mission zu helfen, zumal auf Cut Throat Bills Bande ein hübsches Kopfgeld ausgesetzt ist und nach einigem Vorgeplänkel nimmt man die Verfolgung auf. Ohne da jetzt aber weiter ins Detail zu gehen, ist zwar Lansdale nicht um einige Schlenker verlegen, verzichtet aber – was zu großen Teilen auch an der Perspektive liegen mag – auf jegliche Nebenhandlungen und konzentriert sich ganz auf die Verfolgungsjagd. Dennoch braucht das Dickicht einige Zeit, um in Fahrt zu kommen und ich befürchtete fast, mir wäre mal ein Lansdale-Roman untergekommen, der mich nicht rundweg begeistern würde, doch spätestens nach dem ersten Drittel – also rund 100 Seiten – platzte der Knoten und ich verschlang die Geschichte an einem Stück und Abend.

Der Dicke schaute mich an und lachte. »Du, Fährenmann, ist das dein Sohn?« Und meinte natürlich mich. Seine Stimme klang komisch, weil seine Mundwinkel schlaff waren und seine Worte klebrig.
»Den seh ich heut zum ersten Mal«, antwortete der Fährmann und warf einen raschen Blick zu mir rüber.
»Er hat dieselben feuerroten Haare wie du. Ihr solltet euch ein paar Hüte besorgen und sie darunter verstecken. Du weißt doch, wie es heißt: Lieber tot, als rot.« Der Dicke wandte sich leise glucksend zu Lula um, die anng zu zittern, entweder vom Regen oder aus Angst. Oder wegen beidem. Er lächelte, aber ohne Zähne sah das aus, als hätte sich ein Spalt in der Erde aufgetan. »Natürlich gibt’s da auch Ausnahmen.«

Teilweise mag das damit zusammengehangen haben, dass sich zu diesem Zeitpunkt unsere ungewöhnlichen Helden nach No Enterprise begeben und der Trupp komplettiert wird, denn ab diesem Moment spielt der Autor eine Trumpfkarte, die ich von ihm in dem Ausmaß nicht gewohnt war, denn eines der Highlights in diesem Buch sind tatsächlich die teils himmelschreiend komischen Dialoge der Protagonisten untereinander, die mit einer gleichermaßen scharfzüngigen wie teils schwarzhumorigen Note daherkommen und Das Dickicht allein deshalb schon zu einem großen Vergnügen machen. Dennoch handelt es sich definitiv nicht um einen klassischerweise als witzig zu bezeichnenden Roman und die Geschichte selbst besticht in starkem Kontrast einmal mehr mit einer Ernsthaftigkeit und Düsternis, die ihresgleichen sucht, wobei man bei Lansdale eigentlich kaum noch gesondert erwähnen muss, dass es zuweilen recht blutig zur Sache geht, wobei seine Schilderungen zwar einerseits recht explizit sein können, sich aber gleichsam stets auf einem hohen sprachlichen Niveau bewegen. Ausgehend von den Schilderungen Jacks, der während der gerade einmal 330 Seiten eine beachtliche Wandlung vollzieht, weshalb man die Story ebenso als ungewöhnlichen Coming-of-Age-Roman bezeichnen könnte, wähnt man sich mancherorts in einem Märchen für Erwachsene, wenngleich man die strahlenden Helden hier vergeblich sucht, denn auch wenn die Bösen abgrundtief schlecht bis ins Mark sein mögen, bedeutet das im Umkehrschluss nicht, dass deren Antagonisten nicht auch mehr in einem schmutzigen Grau erscheinen würden, denn auf Schwarz-Weiß-Malerei verzichtet Lansdale ja bekanntermaßen seit ehedem.

Fazit & Wertung:

Mit Das Dickicht inszeniert Joe R. Lansdale einen stringent wie schnörkellos erzählten Südstaaten-Thriller um die Jahrhundertwende, der gleichermaßen von der Entwicklung seines sechzehnjährigen Ich-Erzählers zu berichten weiß und ihm gleich eine ganze Gruppe spleeniger Weggefährten zur Seite stellt, die wiederum für eine gehörige Prise schwarzen Humors zu sorgen wissen.

9 von 10 schockierenden wie prägenden Erlebnissen

Das Dickicht

  • Schockierende wie prägende Erlebnisse - 9/10
    9/10

Fazit & Wertung:

Mit Das Dickicht inszeniert Joe R. Lansdale einen stringent wie schnörkellos erzählten Südstaaten-Thriller um die Jahrhundertwende, der gleichermaßen von der Entwicklung seines sechzehnjährigen Ich-Erzählers zu berichten weiß und ihm gleich eine ganze Gruppe spleeniger Weggefährten zur Seite stellt, die wiederum für eine gehörige Prise schwarzen Humors zu sorgen wissen.

9.0/10
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von Heyne Hardcore. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.

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Das Dickicht ist am 08.02.16 bei Heyne Hardcore als Taschenbuch erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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