Review: American Gods – Director’s Cut | Neil Gaiman (Buch)

Schon wieder ist der Mittwoch beinahe wieder rum und diese Woche nun komme ich dann auch entsprechend wieder mit einer Buch-Kritik daher. Wie ihr also seht, habe ich für die roundabout 700 Seiten ein wenig länger gebraucht als eine Woche, aber mein Gott habe ich die Zeit genossen und bin jetzt auf der Suche nach adäquater Nachfolgelektüre. Aber gut, das fällt wohl wieder einmal unter First World Problems.

American Gods
Director’s Cut

American Gods, USA 2001, 672 Seiten

American Gods von Neil Gaiman | © Eichborn Verlag
© Eichborn Verlag

Autor:
Neil Gaiman
Übersetzer:
Hannes Riffel

Verlag (D):
Eichborn Verlag
ISBN:
978-3-847-90587-5

Genre:
Fantasy | Mystery | Abenteuer

 

Inhalt:

Nur wenige Tage vor seiner Haftentlassung nach Verbüßen einer dreijährigen Haftstrafe erfährt Shadow von dem Tod seiner Frau Laura und als gebrochener Mann versucht er, in die Reste seines früheren Lebens zurückzukehren. Doch bereits auf der Heimfahrt begegnet Shadow einem mysteriösen Mann, der sich ihm als Mr. Wednesday vorstellt und ihm nicht nur einen Job anzubieten hat, sondern ihn auch sehr genau zu kennen scheint. Zunächst sträubt Shadow sich, doch muss er bald einsehen, dass Zuhause nichts mehr auf ihn wartet und schließlich erklärt er sich bereit, Mr. Wednesday zu Diensten zu sein. Gemeinsam treten die beiden eine Reise quer durch Amerika an und während Shadow noch darüber rätselt, was es mit seinem Job und Mr. Wednesdays zunehmend merkwürdiger werdenden Freunden auf sich hat, beginnt sich herauszukristallisieren, dass sich ein regelrechter Krieg der Götter anbahnt, eine gewaltige Schlacht um Amerika, in der Shadow eine nicht unwesentliche Rolle spielen wird…

Rezension:

Speziell im Hinblick darauf, dass uns im kommenden Jahr eine von Bryan Fuller erdachte Serien-Fassung von American Gods mit Ricky Whittle, Ian McShane und Emily Browning in den Hauptrollen ins Haus steht, wurde es für mich allerhöchste Zeit, eine in meinen Augen wirklich eklatante Wissenslücke zu schließen und mich nun im Vorfeld Neil Gaimans originären Werk aus dem Jahre 2001 zu widmen, wobei ich das Glück hatte, dass sich der Eichborn Verlag erbarmt hat, im vergangenen Jahr die anlässlich des zehnjährigen Jubiläums restaurierte Langfassung des Romans einzudeutschen, was dann auch den auf dem Cover prangenden Zusatz Director’s Cut erklärt, wobei es sich natürlich selbstredend vielmehr um den "Author’s Cut" handelt. Wurde schon die gekürzte Fassung seinerzeit mit Preisen überhäuft, hätten diese der Langfassung nun meines Erachtens nach ebenso zugestanden, denn zugegebenermaßen ist das Buch weitschweifig, zuweilen beinahe langatmig, doch wer sich mit der Art Neil Gaimans, Geschichten zu erzählen, anfreunden und dafür erwärmen kann, der wird dankbar sein für jede zusätzliche Seite, jede neue Szene und Erläuterung, die – auch wenn mir der direkte Vergleich zur ursprünglichen Fassung fehlt – dem Buch eine solch enorme Tiefe verleihen, dass man sich wünschen würde, es möge nie enden.

Shadow war keineswegs abergläubisch. Er glaubte nicht an Dinge, die er nicht sehen konnte. Trotzdem hatte er in jenen letzten Wochen das Gefühl, dass eine dunkle Wolke über dem Gefängnis hing, wie damals, in der Woche vor dem Raubüberfall. Er verspürte ein leeres Gefühl in der Magengrube, redete sich jedoch ein, er würde sich nur davor fürchten, in die Welt da draußen zurückzukehren. Aber sicher war er sich nicht. Er war noch paranoider als normalerweise, und im Gefängnis war man normalerweise schon sehr paranoid, weil man das dort zum Überleben brauchte. Shadow wurde noch stiller, noch mehr ein Schatten als ohnehin schon. Er ertappte sich dabei, wie er die Körpersprache der Wachleute und der anderen Insassen beobachtete, auf der Suche nach einem Hinweis auf die Katastrophe, die – und davon war er überzeugt – unmittelbar bevorstand.

Selten, beziehungsweise schon lange nicht mehr, bin ich bei einem Buch so ins Schwelgen und Schwärmen geraten wie bei American Gods, das sich im Grunde als eine höchst skurrile Mischung aus Roadmovie, Kriminalgeschichte und Fantasy-Märchen präsentiert, alte und neue Götter ins Feld führt, Donnervögel, eine untote Exfrau, sprechende Büffelgestalten in Traumgestaden und nicht zuletzt natürlich Shadow als klassischen Antiheld und Spielball größerer Mächte, der sich mit Münztricks die Zeit vertreibt und von einem gewissen Mr. Wednesday angeheuert wird, wobei schon das erste der insgesamt drei enthaltenen Vorworte einen entscheidenden Hinweis zu dessen Identität vorwegnimmt, was aber den Lesegenuss in keiner Weise schmälert. Überhaupt ergötzt sich Gaiman regelrecht an Mysterien und Andeutungen und die Identität nicht weniger im Buch auftauchender Gottheiten blieb mir längere Zeit verborgen, zumal er sich nicht etwa auf die einschlägig und hinlänglich bekannten Gottheiten der beispielsweise nordischen Mythologie beschränkt, sondern wild durch zahllose Kulturen und Glaubensrichtungen mäandert, um ein Panoptikum zu schaffen, das seinesgleichen sucht, von den "neuen" Gottheiten einmal ganz zu schweigen.

Interessant gerade im Hinblick auf die neuen Götter ist aber auch die noch immer ungebrochene Aktualität des Anfang des neuen Jahrtausends entstandenen Werkes, die ich mir in dieser Form nicht unbedingt erwartet hätte. Davon abgesehen ist es aber auch sonst ein Hochgenuss, Shadow bei seinen Reisen quer durch die USA zu begleiten und langsam dahinterzukommen, was es mit dem Krieg der Götter auf sich hat, warum selbige sich überhaupt in Amerika befinden und wie es dazu gekommen ist. Aufschluss hierüber geben zudem mehrere eingestreute Zwischenkapitel, Unterwegs nach Amerika betitelt, während Gaiman auch um Zwischenspiele in seinem sich in drei große Teile gliedernden Roman nicht verlegen ist, doch hätte es nach meinem Dafürhalten gerne noch mehr sein dürfen, weil ich mich so sehr in der unfassbar einfallsreichen Geschichte zu verlieren wusste, dass es mich beinahe schmerzte, als ein Ende langsam abzusehen war. Dieses Ende wiederum wird gleichermaßen regelrecht zelebriert und wer meint, das Finale beschließe auch gleichsam das Buch, der wird sich täuschen, denn allein der Epilog umfasst noch einmal gute vierzig Seiten, um offene Fragen und Handlungsfäden zu einem stimmigen Abschluss zu bringen und die Geschichte sozusagen sanft ausklingen lässt.

»Ich lieb dich, Welpchen«, sagte Laura.
Shadow legte den Hörer auf die Gabel.
Nach ihrer Hochzeit hatte sich Laura einen Welpen gewünscht, aber ihr Vermieter hatte sie darauf hingewiesen, dass ihr Vertrag keine Haustiere zuließ.
»Hey«, hatte Shadow gesagt, »dann bin ich eben dein Welpe. Was soll ich tun? Auf deinen Latschen rumkauen? Auf den Küchenboden pinkeln? Dir die Nase ablecken? Dir im Schritt herumschnüffeln? Ich wette, ich kann alles, was so eine Töle kann.« Und er hob sie hoch, als wäre sie federleicht, fing an, ihr über die Nase zu lecken, während sie kicherte und kreischte, und trug sie dann ins Bett.

Bei American Gods handelt es sich also um eine ohne falsche Scheu als episch zu bezeichnendes Abenteuer, auf das man sich einzulassen bereit sein muss, doch dann belohnt es den Leser auch mit einer ungemein stimmigen und spannenden Geschichte, die natürlich enorm durch Neil Gaimans virtuosen Schreibstil gewinnt, der meines Erachtens nach auch in der (Neu-)Übersetzung von Hannes Riffel spürbar erhalten bleibt. Wer also schon immer einmal wissen wollte, was mit den alten Göttern geschehen sein mag, wer ein ganz und gar andersartiges, fantastisches Amerika von einer völlig neuen Warte aus erleben möchte, wer gemeinsam mit Shadow durch eine zunehmend fantastischer und abstruser werdende Geschichte stolpern möchte, wer sich für alte Mythen und Legenden begeistern kann, der wird hier mit einem einzigartigen Werk belohnt, dass zu lesen sich sicherlich auch schon in der gekürzten Variante gelohnt haben mag, das jedoch – und das spürt man selbst bei Unkenntnis der anderen Fassung – im vorliegenden Author’s Cut erst seine wahrhaftige Vollendung gefunden hat und besser kaum sein könnte, außer, dass einem selbst die beinahe 700 Seiten noch zu kurz erscheinen.

Fazit & Wertung:

Mit American Gods hat Neil Gaiman einen modernen Klassiker der Fantasy-Literatur geschaffen und speziell die mit drei Vorworten, einem Nachsatz sowie Bonus-Track üppig ummantelte, als Director’s Cut vermarktete Langfassung seines Werkes wird den epischen Ausmaßen seiner schier grenzenlos scheinenden Fantasie nur annähernd gerecht. Ein einzigartiges, vor Ideen sprühendes Leseerlebnis, das seinesgleichen sucht und für ungemein lohnenswerte Stunden sorgt, so man denn bereit ist, sich gemeinsam mit Shadow auf dieses aberwitzig-abstruse Abenteuer zu begeben und sich den alten wie neuen Göttern zu stellen.

10 von 10 beinahe vergessenen Göttern

American Gods - Director's Cut

  • Beinahe vergessene Götter - 10/10
    10/10

Fazit & Wertung:

Mit American Gods hat Neil Gaiman einen modernen Klassiker der Fantasy-Literatur geschaffen und speziell die mit drei Vorworten, einem Nachsatz sowie Bonus-Track üppig ummantelte, als Director’s Cut vermarktete Langfassung seines Werkes wird den epischen Ausmaßen seiner schier grenzenlos scheinenden Fantasie nur annähernd gerecht. Ein einzigartiges, vor Ideen sprühendes Leseerlebnis, das seinesgleichen sucht und für ungemein lohnenswerte Stunden sorgt, so man denn bereit ist, sich gemeinsam mit Shadow auf dieses aberwitzig-abstruse Abenteuer zu begeben und sich den alten wie neuen Göttern zu stellen.

10.0/10
Leser-Wertung 9.75/10 (4 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des Eichborn Verlages.

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American Gods – Director’s Cut ist am 15.05.15 im Eichborn Verlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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Eine Reaktion

  1. Dominik Höcht 20. Oktober 2016

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