Review: Giants – Sie sind erwacht | Sylvain Neuvel (Buch)

Jetzt bin ich also auch bei der letzten Buch-Kritik für dieses Jahr angelangt und werde schon ein wenig nostalgisch, doch in Anbetracht der jüngsten Meldung, dass nun auch Carrie Fisher nicht mehr unter uns weilt, bin ich doch echt froh, wenn 2016 hinter uns liegt, denn dass es immer noch schlimmer kommen kann, mag man in Anbetracht der Verluste dieses Jahr kaum glauben. Jetzt aber zu einem anderen Thema, denn ich habe mal wieder gelesen und wurde einmal mehr regelrecht gepackt von der Geschichte, von der ich euch heut erzählen möchte.

Giants
Sie sind erwacht

Sleeping Giants, USA 2016, 416 Seiten

Giants - Sie sind erwacht von Sylvain Neuvel | © Heyne Verlag
© Heyne Verlag

Autor:
Sylvain Neuvel
Übersetzer:
Marcel Häußler

Verlag (D):
Heyne Verlag
ISBN:
978-3-453-31690-4

Genre:
Science-Fiction | Thriller

 

Inhalt:

Das Loch, in dem ich lag, war quadratisch und fast so groß wie unser Haus. Aus den kunstvollen Einkerbungen in den dunklen geraden Wandtafeln drang von allen Seiten dieses herrliche türkisfarbene Licht. Vorsichtig tastete ich meine Umgebung ab. Ich lag auf einem Bett aus Erde, Steinen und zerbrochenen Zweigen. Die glatte Fläche unter dem Schutt war leicht gewölbt und kalt wie Metall.

Als Mädchen stürzt Rose in eine Höhle und macht unbewusst und zufällig einen der bedeutendsten Funde der Menschheitsgeschichte: eine gigantische, mehr als sechs Meter messende, metallische Hand aus unbekannter Legierung. Siebzehn Jahre später kommt Rose Franklin, nun als herausragende Physikerin, erneut mit dem Fund in Kontakt, der beinahe zwei Dekaden lang vom amerikanischen Militär unter Verschluss gehalten worden ist und als ein unbekannter Mann sie kontaktiert und den Kontakt zu mehreren Koryphäen und Experten herzustellen weiß und sie mit den nötigen finanziellen Mitteln ausstattet, beginnen Rose und ihr Team das waghalsige Unterfangen, die weiteren Teile des Ungetüms zusammenzutragen, die sich mutmaßlich ebenfalls irgendwo auf dem Erdball unter der Erde befinden und hoffentlich Antworten liefern können darauf, woher der Roboter stammt, wer ihn gebaut und vergraben hat und zu welchem Zweck. Doch ein Projekt mit derartigen Ausmaßen, nicht nur bezogen auf die immens große Maschine unbekannter Herkunft, kann natürlich nicht ewig geheim gehalten werden…

Rezension:

Das Roman-Debüt von Sylvain Neuvel ist in mehr als nur einer Hinsicht als überaus ungewöhnlich zu bezeichnen, wobei zuvorderst die ungewöhnliche Struktur auffallen dürfte, denn abgesehen von einem kaum dreiseitigen Prolog, der sich noch in relativ "klassischer" Roman-Struktur präsentiert, ist der gesamte, sich über fünf große Teile erstreckende Plot von Giants – Sie sind erwacht in Form von Interviews und – weitaus sporadischer – Tagebuch-Einträgen verfasst, was dem Geschehen natürlich die Unmittelbarkeit einer Erzählung nimmt, bei der man sich schier in die Geschichte gezogen fühlt und glaubt, mit den Protagonisten am Ort des Geschehens zu sein, doch was leicht hätte zum Manko werden können, nutzt Neuvel sehr gewinnbringend dazu, einem die Figuren weitaus näher zu bringen und eine Realitätsnähe zu erzeugen, die in Anbetracht des utopischen Themas sicherlich schwer zu erreichen ist.

— Was wurde nach seinem Tod aus dem Projekt?
— Nichts. Die Hand und die Wandtafeln verstaubten vierzehn Jahre lang in einem Lagerhaus, bis das Militär das Projekt freigab. Dann übernahm die University of Chicago mit finanzieller Unterstützung der NSA die Forschung, und mir wurde die Leitung der Untersuchung übertragen. Man könnte fast von Schicksal sprechen, obwohl ich eigentlich nicht an so etwas wie Vorsehung glaube.

So lernt man zunächst Dr. Rose Franklin kennen, die sich zielführend für das Projekt engagiert, den Rest des Roboters oder Wesens zusammenzutragen, auf dessen Hand sie im zarten Alter von dreizehn Jahren gestoßen ist. Ihr Interview-Partner bleibt dabei unbekannt und wird auch Sprachführer in den weiteren Gesprächen sein, wenn sukzessive weitere Experten hinzugezogen werden, um das Team um Dr. Franklin zu verstärken. Und trotz oder gerade wegen der Interview-Struktur kommt man dieser Handvoll Gestalten immer näher und fühlt sich ihnen regelrecht verbunden, während die Geschehnisse trotz zahlreicher Auslassungen und teils mehrwöchiger Zeitsprünge stets nachvollziehbar bleiben und sich logisch und konsequent fortentwickeln, was gerade in der zweiten Hälfte für gehörig Spannung sorgt, denn so interessant die Suche nach den verschollenen Körperteilen sein mag, hätte sich die Geschichte von Giants sicherlich irgendwann totgelaufen, doch diesen Fehler begeht Neuvel zum Glück nicht.

Hier kommt dem Geschehen sehr zupass, dass der Autor durchaus kreativ mit seinen Möglichkeiten zu hantieren weiß und beispielsweise mittels Telefonaten dann auch ein Gefühl der Unmittelbarkeit in die Handlung fügt, wenn der unbekannt bleibende Mann im Hintergrund sich schildern lässt, was gerade vor Ort vorgeht. Nun bin ich weder in Sachen Physik und Chemie, noch Politik ein Experte, doch den Zwecken des Romans genügend, schafft Giants es auf alle Fälle, eine glaubhafte und in sich stimmige Parallelwelt zu schaffen, die auch um wissenschaftliche Thesen und Erklärungen nicht verlegen ist, dabei dankenswerterweise aber auch nie in den Vortragsmodus wechselt und somit stets spannend und kurzweilig bleibt, ohne dass man das Gefühl bekäme, hier würden sich Plot-Twists aus den Fingern gesogen werden, denn die Konsequenzen des Handelns des Forschungsteams und die insbesondere internationalen Reaktionen auf den unglaublichen Fund scheinen sowohl stimmig als auch stichhaltig zu sein, derweil es allein schon eine Menge Freude bereitet, über die Rolle des Kontakters zu grübeln, der nicht nur mächtige Verbündete und schier unbegrenzte Gelder vorhält, sondern auch jederzeit ein Ass im Ärmel hat, ohne indes als allwissend in Erscheinung zu treten.

— Ich kann Ihnen nicht folgen.
— Entschuldigung. Chondrite sind Steinmeteoriten. Iridium ist im irdischen Gestein so selten, dass es oft nicht nachweisbar ist. Das meiste Iridium wird aus Meteoriten gewonnen, die beim Eintritt in die Erdatmosphäre nicht völlig verglüht sind. Um die Tafeln und die Hand zu bauen – und die Vermutung liegt nahe, dass es nicht das Einzige ist, was deren Schöpfer gebaut haben –, muss man das Iridium von dort herholen, wo es mehr davon gibt als auf der Erdoberfläche.

Nicht nur in Anbetracht des Themas und Genres bleiben allerdings auch einige Fragen unbeantwortet, was jedoch zu verschmerzen ist, da Neuvel ein durchaus stimmiger und gelungener Abschluss gelingt, derweil eine Fortsetzung sich wohl bereits in der Mache befindet und es sich mitnichten um ein Stand-Alone-Werk handelt sondern den Auftaktband einer im Englischen als Themis Files bezeichneten Reihe, wobei man einen solchen Hinweis in der deutschen Ausgabe wieder einmal vergeblich sucht. Nichtsdestotrotz kann ich dieses Science-Fiction-Werk uneingeschränkt weiterempfehlen und rate bei Skepsis bezüglich der ungewöhnlichen Erzählweise zur Konsultation der obligatorischen Leseprobe, die einen recht umfassenden Einblick gewährt, was einen im weiteren Verlauf erwarten wird. Gerade dieser Stil wird auch ohne Zweifel nicht jedermanns Sache sein und dürfte dem Werk eine gewisse Sperrigkeit bescheinigen, doch ich für meinen Teil empfand diese Herangehensweise als überaus frisch und einfallsreich, während die Seiten nur so zu verfliegen scheinen, denn so ein Dialog fühlt natürlich weit weniger Raum auf den Seiten, als es ellenlange Schilderungen hätten tun können.

Fazit & Wertung:

Mit Giants – Sie sind erwacht legt Sylvain Neuvel nicht nur ein erfrischend innovatives Debüt vor, sondern legt auch den Grundstein für eine vielversprechende Science-Fiction-Buchreihe, deren ungewöhnlicher Stil, sie gänzlich in Form von Interviews zu erzählen, sie noch zusätzlich von einschlägigen Genre-Veröffentlichungen abhebt.

9 von 10 über den Erdball verstreuten Körperteilen

Giants - Sie sind erwacht

  • Über den Erdball verstreute Körperteile - 9/10
    9/10

Fazit & Wertung:

Mit Giants – Sie sind erwacht legt Sylvain Neuvel nicht nur ein erfrischend innovatives Debüt vor, sondern legt auch den Grundstein für eine vielversprechende Science-Fiction-Buchreihe, deren ungewöhnlicher Stil, sie gänzlich in Form von Interviews zu erzählen, sie noch zusätzlich von einschlägigen Genre-Veröffentlichungen abhebt.

9.0/10
Leser-Wertung 6.33/10 (3 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des Heyne Verlag.

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Giants – Sie sind erwacht ist am 08.08.16 im Heyne Verlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den folgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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