Review: Die Androidin – Auf der Flucht | Joel Shepherd (Buch)

Und auch heute bin ich wieder unglaublich aktuell dabei, denn das meiner heutigen Buch-Kritik zugrundeliegende Buch gibt es erst ab morgen im Handel, aber ich erzähle euch natürlich gerne jetzt schon, ob und für wen sich ein Blick lohnen könnte!

Die Androidin
Auf der Flucht
Die Cassandra Kresnov-Trilogie 1

Crossover, AU 2001, 576 Seiten

Die Androidin - Auf der Flucht von Joel Shepherd | © FISCHER Tor
© FISCHER Tor

Autor:
Joel Shepherd
Übersetzerin:
Maike Hallmann

Verlag (D):
FISCHER Tor
ISBN:
978-3-596-29728-3

Genre:
Science-Fiction | Drama | Action | Abenteuer

 

Inhalt:

Sandy. Ihr Name war Sandy. Sie hatte geglaubt, sie könne ihn einfach ändern, und damit hätte es sich erledigt. Alle amtlichen Dokumente belegten unzweifelhaft, dass ihr Name April Cassidy lautete und nie anders gelautet hatte, aber die amtlichen Dokumente waren gefälscht.
Captain Cassandra Kresnov, Dark-Star-Spezialkommando. Als könnte sie dem jemals wirklich entkommen.

Von der Liga als Elitesoldatin erschaffen, hat die Androidin Cassandra Kresnov lange Zeit die Aufträge ihrer Erbauer ausgeführt, ohne diese zu hinterfragen, doch als experimentelles Modell einer langen Reihe künstlicher Soldaten ist sie nicht nur weit intelligenter und kreativer, sondern vor allem sich selbst als Person bewusst Als sie an den Beweggründen und Zielen der Liga – die sich in einer Art kaltem Krieg mit der Föderation befindet – zu zweifeln beginnt, entschließt sie sich zur Flucht und kommt inkognito auf dem Föderations-Planeten Callay – genauer der Megapolis Tanusha – unter. Dort versucht sie, sich ein normales Leben aufzubauen, doch alsbald fliegt ihre Tarnung auf und Cassandra droht zum Spielball gleich mehrerer Fraktionen zu werden, die aus unterschiedlichen Gründen Interesse an dieser einzigartigen Androidin haben. Zu Cassandras Glück weiß sie sich dank übermenschlicher Kräfte und gesteigerter Sinneswahrnehmungen mehr als gut zu behaupten…

Rezension:

Am morgigen Tag erscheint bei FISCHER Tor mit Die Androidin – Auf der Flucht der erste Band der als Cassandra Kresnov-Trilogie betitelten Reihe, obgleich Autor Joel Shepherd – beginnend mit dem im Original als Crossover 2001 veröffentlichten Band – bereits sechs Bücher in dieser Reihe veröffentlicht hat, aber scheinbar hat man sich noch nicht festlegen wollen, ob alle Bände der Reihe auch in deutscher Sprache veröffentlicht werden. Dessen ungeachtet sollte man aber natürlich zunächst einmal diesen Roman für sich betrachten und der macht unter Berücksichtigung dessen, dass es sich um ein Debüt handelt, eine weitestgehend überzeugende Figur, wenn man denn dem Science-Fiction-Genre oder in diesem Fall vielleicht konkreter dem Cyberpunk-Setting grundsätzlich zugetan und bereit ist, sich auf teils weitschweifige Gedankenspiele einzulassen, was das Wesen und Verständnis künstlich erschaffener Menschen anbelangt, denn auch wenn die Story durchaus actionreich daherkommt und sich in ebensolchem Maße mit den politischen Verwicklungen auf Tanusha – so der Handlungsort der Geschichte – befasst, ist es doch vor allem ein sehr introspektiver Roman, der sich ausgiebig dem Seelen- und Innenleben der Hauptfigur Cassandra – kurz Sandy – widmet.

Wieder hörte Sandy den Binärcode, verlor in einem kurzen statischen Rauschen die Verbindung, konnte sie aber fast sofort wiederherstellen. Lange starrte sie blicklos aus dem Fenster, wo Bäume, Fahrbahn und Passanten immer schneller vorüberglitten, aber ihre Aufmerksamkeit war auf die Spiegelung eines Mannes gerichtet, der vier Reihen hinter ihr auf einem Platz am Gang saß. Er hatte ein Kommunikationsgerät bei sich, dessen Übertragungen irgendetwas mit dem Binärcode zu tun hatten. Das war es, was ihre Verbindung unterbrochen hatte. Möglicherweise hatte es nichts zu bedeuten. Vielleicht, dachte sie ruhig, war es reiner Zufall. April Cassidy hätte sich den Luxus erlauben können, an reine Zufälle zu glauben. Cassandra Kresnov nicht.

Dessen ungeachtet betreibt Shepherd aber auch zuweilen exzessives World-Building und beschreibt nicht nur Tanusha in all seiner Pracht – und punktet hierbei mit gehörig Einfallsreichtum und einem überzeugenden Detailgrad – , sondern widmet sich eben auch vermehrt den unterschiedlichen Fraktionen und arbeitet insbesondere die Diskrepanz zwischen Föderation – zu der auch der Planet Callay und folglich dessen Hauptstadt Tanusha gehören – und der Liga – die unter anderem Cassandra erschaffen hat – heraus, wobei ich mir speziell in dieser Hinsicht von den Folgebänden noch mehr erhoffe, denn dadurch, dass die Geschichte auf nur einen Ort fokussiert, bleibt natürlich vieles im Dunkeln, was die anderen Welten und deren Bewohner anbelangt. Wie aber ja auch schon der deutsche Titel Die Androidin – Auf der Flucht suggeriert, geht es eben vorrangig um Sandy und darum, dem Einfluss der Liga entkommen zu wollen, da sie – anders als ihre GI-Artgenossen – über Empfindungsvermögen und ein "echtes" Bewusstsein verfügt, das weit über die nur rudimentären Fähigkeiten der anderen Liga-Produkte hinausgeht und sie in die Lage versetzt, ihr Handeln kritisch zu hinterfragen.

So erinnert Shepherds Roman im Ansatz auch immer mal wieder an Philip K. Dicks Genre-Klassiker Blade Runner, wobei ich mich nicht von ungefähr mehrfach an die kurzlebige TV-Serie Dark Angel erinnert gefühlt habe, deren von Jessica Alba verkörperte Hauptfigur Max als genmanipulierte Supersoldatin mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen hat wie hier nun Sandy, auch wenn sich die Ansätze der jeweiligen Geschichten ansonsten kaum miteinander vergleichen lassen und es nur eine zum Schmunzeln animierende Koinzidenz sein dürfte, dass die Organisation innerhalb der Liga, der Sandy entstammt, zufällig den Namen Dark Star trägt. Fernab der Androiden-Thematik und dem eigentlichen Plot ist es allerdings auch – wie bei so vielen "älteren" Science-Fiction-Romanen – interessant, wie hier das Netz(werk), der Zugriff auf digitale Datenströme und deren Absicherung geschildert werden, denn in Anbetracht dessen, was sich in den bald zwei Dekaden, seit Shepherd seinen Debüt-Roman um die Jahrtausendwende rum verfasst hat, in Sachen Digitalisierung und Internet getan hat, ist seine Geschichte überraschend gut gealtert. So sehr Shepherd aber auch an einer lebendigen Welt und einer vielschichtigen Hauptfigur liegt, verzettelt er sich aber auch zuweilen in seinen teils Seiten füllenden Erklärungen und Monologen, so dass ich Die Androidin – Auf der Flucht auch leider manch kleinere Längen ankreiden muss, zumal mir manche Begegnungen zu hastig abgehandelt worden sind, während mir andernorts eine detailliertere Beschreibung besser gefallen hätte. Wie aber schon erwähnt, ist das Niveau für ein Debüt-Werk überraschend hoch und punktet vor allem mit einer gefälligen Mischung aus reißerischer Action und nachdenklich stimmenden, ruhigen Passagen der Introspektive.

Und weiter durch einen breiten, marmornen Gang voller Anzugträger, an denen sie mit wehenden Mantelschößen in unmenschlicher Geschwindigkeit vorbeiraste. Im kreuzenden Gang eine einkalkulierte schmerzhafte Kollision mit der gegenüberliegenden Wand, dann flog sie, acht Stufen auf einmal nehmend, das weiträumige Treppenhaus hinauf. Gerade als sie bei der obersten Stufe in die Kurve ging, krachte neben ihr ein Schuss in die Wand. Betäubungsmunition, registrierte sie, während sie schon die nächste Treppe hinaufjagte. Sie wollten sie lebend.

All das würde aber nicht halb so gut funktionieren, wenn Shepherd sich nicht des Kniffs bedienen würde, dass Sandy relativ früh im Roman der SWAT-Team-Chefin Vanessa Rice begegnen würde, die sich bald als ihre erste Vertraute erweisen wird, mit ihrer forschen und zuweilen schnippischen Art aber auch gehörig zur Auflockerung der ansonsten sehr ernsten Geschichte beiträgt. Irritierend allein ist vielleicht im Kontext des gesamten Romans zuletzt noch Sandys durchaus stark ausgeprägter Sexualtrieb, denn auch wenn man attestieren könnte, dass eine künstlich geschaffene Frau – und sei sie auch zu Kriegs- und Infiltrationszwecken entworfen worden – von (männlichen) Forschern möglicherweise dergestalt konzipiert worden wäre (diese Lust an der Lust ist aber übrigens sämtlichen GIs zu eigen), wird doch in ihrem Fall einerseits klar herausgearbeitet, dass ihre Natur und ihr Wesen das Produkt von Erfahrungen sind und eben nicht künstlich geschaffen, während es andererseits den Plot in wirklich keiner Weise bereichert oder voranbringt, zumal sich Shepherd bei den sich hieraus ergebenden Schilderungen unerwartet keusch zurückhält. Nicht falsch verstehen, ich bin weder prüde noch würden mich derartige Schilderungen stören, doch lässt sich hier eben absolut kein Mehrwert daraus erkennen, ein ums andere Mal zu betonen, wie viel Sandy an regelmäßigen Sexualkontakten liegt. So führt das zu leichten Abzügen in der B-Note, zumal es Die Androidin – Auf der Flucht im Grunde künstlich aufbläst, was gemeinsam mit einigen redundanten oder zu weitschweifig geschilderten Passagen das Lesevergnügen – zum Glück nur geringfügig – trübt. Auf alle Fälle bin ich trotz genannter Kritikpunkte schon sehr gespannt auf die Ende Juli erscheinende Fortsetzung Die Androidin – Zwischen allen Fronten.

Fazit & Wertung:

Rund sechzehn Jahre nach der Erstveröffentlichung in Australien schafft es Joel Shepherds Debüt-Roman als Die Androidin – Auf der Flucht dank FISCHER Tor nun auch nach Deutschland und legt gleich den Grundstein für eine ganze Reihe an Büchern um die künstlich geschaffene Cassandra Kresnov, die sich in einer fernen Zukunft müht, ihren Erschaffern zu entkommen, wobei sich dieser erste Band als gelungene Mischung aus Cyberpunk-Action, Polit-Thriller und existenziellem Drama präsentiert, allerdings mit einigen kleinen Längen aufwartet. Dessen ungeachtet für Genre-Freunde beinahe Pflichtprogramm.

7,5 von 10 übermenschlich wirkenden Fähigkeiten

Die Androidin – Auf der Flucht

  • Übermenschlich wirkende Fähigkeiten - 7.5/10
    7.5/10

Fazit & Wertung:

Rund sechzehn Jahre nach der Erstveröffentlichung in Australien schafft es Joel Shepherds Debüt-Roman als Die Androidin – Auf der Flucht dank FISCHER Tor nun auch nach Deutschland und legt gleich den Grundstein für eine ganze Reihe an Büchern um die künstlich geschaffene Cassandra Kresnov, die sich in einer fernen Zukunft müht, ihren Erschaffern zu entkommen, wobei sich dieser erste Band als gelungene Mischung aus Cyberpunk-Action, Polit-Thriller und existenziellem Drama präsentiert, allerdings mit einigen kleinen Längen aufwartet. Dessen ungeachtet für Genre-Freunde beinahe Pflichtprogramm.

7.5/10
Leser-Wertung 5/10 (2 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von FISCHER Tor.

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Die Androidin – Auf der Flucht erscheint am 27.04.17 bei FISCHER Tor. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den folgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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