Review: Leviathan erwacht – Expanse-Serie 1 | James Corey (Buch)

Wie angekündigt und versprochen folgt hier nun heute mein Artikel zum Auftaktband der Science-Fiction-Reihe, die es unlängst auch auf die Bildschirme geschafft hat und mich in der vorliegenden Fassung noch einmal deutlich mehr fasziniert hat als schon als Serie. Also ja, "I’m hooked!"

Leviathan erwacht
Expanse-Serie 1

Leviathan Wakes (The Expanse Series Book 1), USA 2011, 672 Seiten

Leviathan erwacht von James Corey | © Heyne
© Heyne

Autor:
James Corey
Übersetzer:
Jürgen Langowski

Verlag (D):
Heyne
ISBN:
978-3-453-31781-9

Genre:
Science-Fiction | Mystery | Thriller

 

Inhalt:

Der Maschinenraum war riesig und hatte eine gewölbte Decke wie eine Kathedrale. Der Fusionsreaktor nahm das Zentrum ein. Dort stimmte etwas nicht. Wo sie erwartet hatte, Anzeigen, Abschirmungen und Monitore zu sehen, floss etwas über den Reaktorkern, das ihr vorkam wie eine Schicht Schlamm. Langsam schwebte Julie hinüber, hielt sich aber noch mit einer Hand an der Leiter fest. Der seltsame Geruch wurde stärker.

Wir schreiben das 23. Jahrhundert: Mithilfe des Epstein-Antriebes ist es der Menschheit zwar nicht gelungen, in ferne Galaxien aufzubrechen, doch sind zumindest große Teile unseres Sonnensystems besiedelt und während sich auf dem Mars eine nach Unabhängigkeit strebende Nation angesiedelt hat und in stillem Zwist mit ihren irdischen Nachbarn liegt, sind es vor allem die Bewohner der Kolonien im Asteroidengürtel, die sich von beiden Großmächten ausgenutzt und vernachlässigt fühlen. Die Lage droht zu eskalieren, als der eigentlich unbedeutende Eisfrachter namens "Canterbury" den Notruf eines havarierten Schiffs empfängt und in einen Hinterhalt gerät, denn James Holden zögert nicht lange, eine Nachricht diesbezüglich abzusetzen, die suggeriert, der Mars habe seine Finger im Spiel gehabt, was wiederum die insbesondere im Gürtel aktive AAP – die Allianz der äußeren Planeten – auf den Plan ruft. Unterdessen wird auf der ebenfalls im Gürtel befindlichen "Ceres Station" Detective Miller damit betraut, die Tochter eines hochrangigen Industriellen ausfindig zu machen, nicht ahnend, dass die Vermisste Julie Mao sich an Bord der "Scopuli" befunden hat, dem Schiff, das mit seinem Notruf die "Canterbury" überhaupt erst angelockt hat…

Rezension:

Nachdem ich mich kürzlich von der ersten Staffel der Syfy-Serie The Expanse habe mitreißen lassen, konnte und durfte die Lektüre der zugrundeliegenden Buchreihe natürlich nicht lange auf sich warten lassen und bei Heyne scheint man den Braten gerochen zu haben, denn relativ pünktlich hat man hierzulande die Neuveröffentlichung der ersten drei Bände als Taschenbuch angestoßen, wobei ich persönlich übrigens auch den "neuen" Look der Bücher mag, der zwar (bewusst) ein wenig in Richtung Trash zu neigen scheint und nicht so episch daherkommt wie die bereits seit Längerem verfügbaren Klappenbroschuren, aber das bleibt letztlich Geschmackssache und ändert ja auch am Inhalt nichts, denn der hat es hier wie da in sich, so dass mir die literarische Variante des Themas in Leviathan erwacht auch erwartungsgemäß noch deutlich mehr zugesagt hat als die Adaption, was natürlich mitunter daran liegt, dass man hier weitaus mehr in die Tiefe gehen kann und hinsichtlich der Darstellung des Universums nicht an Budgetvorgaben oder dergleichen gebunden ist.

Naomi blickte Holden fragend an. "Sind wir hier fertig?", sagten die Augen. Er salutierte ironisch, worauf sie schnaubte und sich kopfschüttelnd entfernte. In dem verschmierten Overall wirkte ihr Körper besonders lang und schmal.
Sieben Jahre bei der Marine der Erde, fünf Jahre Arbeit im Weltraum mit Zivilisten, und er hatte sich immer noch nicht an den unglaublich dürren, großen Körperbau der Gürtler gewöhnt. Wenn man die Kindheit in normaler Schwerkraft verbrachte, konnte man gar nicht anders, als die Dinge auf eine ganz bestimmte Weise zu betrachten.
Am Zentralaufzug tippte Holden auf den Knopf für das Navigationsdeck und freute sich schon darauf, Ade Tukunbo zu begegnen – dieses Lächeln, die Stimme, die nach Patschuli und Vanille duftenden Haare –, doch stattdessen drückte er auf den Knopf der Krankenstation. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

So gelingt es dem Autoren-Duo Daniel Abraham – der beispielsweise auch schon George R.R. Martins Fevre Dream als Graphic Novel adaptiert hat – und Ty Franck, das sich hinter dem aus den jeweiligen Zweitnamen zusammengesetzten Pseudonym James Corey verbirgt, eine faszinierende und ungemeine durchdacht wirkende Zukunft zu skizzieren, die einerseits nicht in fernen Welten, sondern unserem eigenen Sonnensystem spielt und dadurch ungleich bodenständiger wirkt, andererseits aber um interessante Kniffe und Einfälle nicht verlegen ist, sich also dennoch spürbar von der unsrigen Welt beziehungsweise Zeit unterscheidet. So wird in Leviathan erwacht ein gleichermaßen durchdachtes wie fragiles politisches Konstrukt aus den rivalisierenden Kräften der Erde, des Mars und der Gürtler umrissen, ohne dass diese Aspekte der Geschichte den eigentlichen Plot überlagern oder ausbremsen würden. Die eigentliche Story wiederum wird weitestgehend vorangetrieben von den Hauptfiguren Holden und Miller, deren Parts sich zunächst parallel zueinander an unterschiedlichen Orten entwickeln, jedoch mehr und mehr Überschneidungen aufweisen und schließlich unweigerlich zusammenlaufen.

Dabei habe ich es als überaus angenehm empfunden, dass man sich – abgesehen von Intro und Outro – auf exakt diese beiden Figuren beschränkt hat, denn einerseits wartet so alle paar Seiten ein zum Weiterlesen verleitender Cliffhanger auf den geneigten Leser, andererseits läuft man selten Gefahr, den Überblick zu verlieren, wobei Leviathan erwacht nun auch nicht die anspruchsvollste Literatur darstellt und zügig gelesen werden kann, derweil ich mir über die Akkuratesse von beispielsweise physikalischen Schilderungen kein Urteil zu fällen zu erlauben wage, zumindest aber festhalten kann, dass mir hier keine störend ins Gewicht fallenden Ungereimtheiten aufgestoßen sind, die mir den Lesegenuss verleidet hätten, denn ganz im Gegenteil hat sich der immerhin weit über 600 Seiten zählende Wälzer für mich recht bald zu einem regelrechten Page-Turner gemausert, den ich kaum noch aus der Hand legen wollte, denn obgleich hier wirklich exzessives World-Building betrieben wird, sind die Sichtweisen von Holden und Miller für sich genommen doch eher intim und treiben die Geschichte im kleinen Rahmen voran, was insbesondere emotional zu involvieren weiß.

Miller starrte sein Handterminal an und öffnete aufs Geratewohl ein paar Dateien, ohne sie wirklich zu betrachten. In seinem Bauch hatte sich ein seltsamer Knoten gebildet. Er arbeitete jetzt seit dreißig Jahren für die Sicherheitskräfte auf Ceres und hatte sich von vornherein nicht viele Illusionen gemacht. Der Witz war, dass Ceres keine Gesetze hatte, sondern nur eine Polizei. Seine Hände waren nicht sauberer als die von Captain Shaddid. Manchmal stürzten Leute aus Luftschleusen. Manchmal verschwanden Beweismittel aus Schränken. Es ging nicht so sehr um Recht und Gesetz, sondern eher um die Frage, was gerechtfertigt schien. Man verbrachte sein Leben in einer steinernen Blase, und das Essen, das Wasser und sogar die Luft wurden von anderen Orten hergeschafft, die so weit entfernt waren, dass man sie kaum mit dem Teleskop erkennen konnte. Da war eine gewisse moralische Flexibilität durchaus angebracht. Aber bisher hatte er noch nie einen Entführungsjob übernommen.

Überdies mag es sich bei Leviathan erwacht zwar um eine "klassische" Space Opera handeln, doch ist es eben in Bezug auf die Odyssee von Holden und seiner Crew auch eine echte Abenteuergeschichte voller Spannung und Action, während Millers Ermittlungen in Bezug auf den Verbleib von Julia Mao an eine typische Detektiv-Geschichte erinnern, auch wenn gerade er anfänglich reichlich stereotyp erscheint. Zum Glück wissen aber Abraham und Franck um die damit verbundenen Fallstricke und schicken sich alsbald an, das eigentlich so offensichtlich erscheinende Schema des unbeirrbar optimistischen Gutmenschen Holden und des zynisch gewordenen Opportunisten Miller aufzubrechen und deren beider Figuren mit weiteren Facetten und Zwischentönen zu versehen, derweil einem auch die Crew der "Canterbury" – beziehungsweise später "Rosinante" – recht bald ans Herz wächst und ihren besten Momenten hinsichtlich ihrer Flachsereien an die Crew des berühmtesten Schiffs der Firefly-Klasse erinnert (ein Humor übrigens, der mir in der Serie doch merklich gefehlt hat). Um noch ein letztes Mal aber auch den Vergleich zur Serie zu bemühen, war ich auch positiv überrascht, dass es sich bei der ersten Staffel lediglich um eine Adaption der etwa ersten zwei Drittel des Buches handelt, so dass hier doch noch einiges mehr passiert und die Geschichte ein weitaus befriedigenderes (und packenderes) Ende spendiert bekommt, das ich im Übrigen als angenehm entschleunigt wahrgenommen habe, derweil manchem ein beinahe obligatorisches, reißerisches Action-Feuerwerk zum Ende hin im Umkehrschluss natürlich auch fehlen könnte, aber meinen persönlichen Geschmack wusste die Story mit der eingeschlagenen Richtung mehr als nur zu bedienen und ich bin jetzt schon wahnsinnig gespannt auf die weiteren Abenteuer der "Rosinante" und darauf, mehr aus dem Expanse-Universum zu erfahren, dass bis zum heutigen Tage verlässlich jedes Jahr einen neuen Band spendiert bekommt, so dass für Nachschub erst einmal gesorgt sein dürfte.

Fazit & Wertung:

Unter dem Deckmantel des Pseudonyms James Corey entwerfen Daniel Abraham und Ty Franck in Leviathan erwacht eine ungemein einnehmende und spannende Version "unserer" Zukunft und punkten dabei mit einer angenehmen Bodenständigkeit, statt sich auf bombastische Weltraumschlachten zu verlassen, die man hier vergebens suchen wird. Stattdessen folgt man den Geschicken eines idealistischen Schiffs-Offiziers und eines zynisch gewordenen Detectives, die jeder auf ihre Art einen interessanten Blick auf die sich zuspitzenden Ereignisse erlauben, die als erste Andeutung der sich noch entspinnenden Stories verstanden werden dürfen, handelt es sich schließlich erst um den Auftakt einer im selben Maße erfolgreichen wie auch langlebigen Science-Fiction-Reihe, die mich bereits nach wenigen Seiten in ihren Bann geschlagen hatte.

9,5 von 10 Differenzen zwischen Erde und Mars

Leviathan erwacht - Expanse-Serie 1

  • Differenzen zwischen Erde und Mars - 9.5/10
    9.5/10

Fazit & Wertung:

Unter dem Deckmantel des Pseudonyms James Corey entwerfen Daniel Abraham und Ty Franck in Leviathan erwacht eine ungemein einnehmende und spannende Version "unserer" Zukunft und punkten dabei mit einer angenehmen Bodenständigkeit, statt sich auf bombastische Weltraumschlachten zu verlassen, die man hier vergebens suchen wird. Stattdessen folgt man den Geschicken eines idealistischen Schiffs-Offiziers und eines zynisch gewordenen Detectives, die jeder auf ihre Art einen interessanten Blick auf die sich zuspitzenden Ereignisse erlauben, die als erste Andeutung der sich noch entspinnenden Stories verstanden werden dürfen, handelt es sich schließlich erst um den Auftakt einer im selben Maße erfolgreichen wie auch langlebigen Science-Fiction-Reihe, die mich bereits nach wenigen Seiten in ihren Bann geschlagen hatte.

9.5/10
Leser-Wertung 7.57/10 (7 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von Heyne.

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Leviathan erwacht ist am 13.02.17 als Taschenbuch bei Heyne erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den folgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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