Review: Geborene Freaks | Andrew Kaufman (Buch)

Lange hatte ich kein Buch mehr von Andrew Kaufman in der Hand, Mitte 2011 zuletzt, wenn ihr es genau wissen wollt, doch selbst nach all der Zeit wusste mich sein unnachahmlicher Stil schnell wieder in seinen Bann zu ziehen. Und wenn ihr jetzt neugierig geworden seid, was es mit dem heute vorzustellenden Buch auf sich hat, verweise ich nur zu gern auf die nun folgende Kritik.

Geborene Freaks

Born Weird, CA 2013, 320 Seiten

Geborene Freaks von Andrew Kaufman | © btb
© btb

Autor:
Andrew Kaufman
Übersetzerin:
Eva Bonné

Verlag (D):
btb
ISBN:
978-3-442-71527-5

Genre:
Drama | Komödie

 

Inhalt:

Die Mitglieder der Familie Freak waren schon seit jeher – nicht nur ihrem Familiennamen nach – ziemliche Freaks, was mitunter daran gelegen haben mag, dass die Großmutter der fünf Geschwister Angie, Lucy, Abba, Richard und Kent ihnen zu ihrer Geburt jeweils einen Segen mitgegeben hat, der sich im Laufe ihres Lebens aber vermehrt als Fluch erweisen sollte – ein "Flegen" also. Nun liegt die Großmutter im Sterben und ist fest davon überzeugt, exakt an ihrem Geburtstag das Zeitliche zu segnen, weshalb sie der schwangeren Angie aufträgt, ihre in alle Winde zerstreuten Geschwister zusammenzutrommeln, denn einzig im Moment ihres Todes würde sie den Fluch von ihnen nehmen können. Für Angie beginnt ein aberwitziger Road-Trip quer durchs Land und ihr bleiben nur noch wenige Tage, derweil ihre Geschwister auch nicht so recht an die Verwünschungen der Großmutter glauben wollen und ohnehin – richtig – ganz schöne Freaks sind, was die Sache nicht unbedingt vereinfacht…

Rezension:

Andrew Kaufman lernte ich bereits einige Zeit vor Eröffnung meines Blogs durch dessen Debüt-Roman Alle meine Freunde sind Superhelden und auch den nachfolgenden Roman Nach dir die Sintflut habe ich seinerzeit an dieser Stelle recht euphorisch besprochen, weshalb ich natürlich ohne zu zögern auch zu seinem momentan noch neuesten Werk Geborene Freaks gegriffen habe, wenn es auch in diesem Fall wieder rund vier Jahre gedauert hat, bis eine deutsche Fassung des nicht minder skurril geratenen Romans die hiesigen Buchhandlungen erreichte. Nun hatte ich bereits bei der vorangegangenen Rezension attestiert, dass Kaufman mit Sicherheit alsbald ein richtig großer Wurf gelingen würde, kann das nun jedoch nicht bestätigen, wobei das alles Jammern auf hohem Niveau ist, denn Kaufman bleibt sich seinem Stil treu und wirft eine ganze Handvoll skurriler Figuren in eine aberwitzige Handlung, garniert mit einem Schuss Fantasy, was den "Flegen" der Großmutter angeht, doch spricht das eben auch für Kaufmans Marschrichtung, der seit jeher im Grunde moderne Märchen für Erwachsene erzählt und da macht diese Geschichte keine Ausnahme.

Der junge Engländer Sterling D. Frenk überquerte an Bord des isländischen Fischkutters Örlög den Atlantik, um nach Kanada auszuwandern. Raues Wetter und leere Netze sorgten dafür, dass aus der sechswöchigen eine dreimonatige Überfahrt wurde. Nach seiner Ankunft in Halifax betrat Sterling die frisch zusammengezimmerten Planken des Pier 21 und zeigte seine Papiere einem Einwanderungsbeamten vor, der just an diesem Morgen seine zukünftige Frau kennengelernt hatte. In kreativer Hochstimmung (oder einfach nur aus Zerstreutheit) änderte der Beamte das n in Sterlings Nachnamen in ein a um.

So gibt sich Geborene Freaks nach einer doch ziemlich knappen Einleitung schnell als Buch gewordenes Road-Movie und ergeht sich in weiten Teilen darin, die unterschiedlichen Mitglieder der Familie Freak zusammenzutreiben und kurz zu charakterisieren, was für sich genommen sicherlich nicht den spannendsten Plot ergeben würde, doch haben die Freaks eben nicht nur alle so ihre Eigenheiten und Spleens, sondern sich auch untereinander teils nicht ganz grün, was einige herrliche Dialoge ergibt. Vor allem aber begnügt sich Kaufman mitnichten damit, einzig ihre Odyssee durchs Land nachzuzeichnen, sondern liefert immer wieder auch Einsprengsel aus der Kindheit und Jugend der Freaks und offenbart speziell hier nicht nur sein außerordentliches erzählerisches Talent, sondern auch den kreativen Einfallsreichtum, den seine Romane stets auszeichnen.

Beispielsweise beschließen die Kinder eines verregneten Tages, aus Pappe und dergleichen mehr auf dem heimischen Dachboden eine Stadt zu bauen, die sie bezeichnenderweise "Rainytown" taufen und die über die Jahre hinweg mit immer neuen Bauten erweitert wird, während die Kinder alsbald ein Gremium bilden, um etwaige Bauvorhaben im gemeinschaftlichen Ausschuss abzusegnen oder zu verhindern. Wer nun aber meint, dies habe im weiteren Verlauf der Geschichte keine tiefergehende Bewandtnis, der ist schlichtweg mit Kaufmans Art, Geschichten zu erzählen nicht vertraut, denn natürlich hat jede Anekdote, jeder Einschub, jeder Hinweis seinen Sinn und lässt die Geschichte trotz aller Absurdität und des märchenhaften Charakters letztlich überaus durchdacht und in sich kohärent wirken, so dass es ein wahres Vergnügen ist, die vielen kleinen Geheimnisse und Miniaturen zu entdecken, während die eigentliche Geschichte von Geborene Freaks speziell im letzten Drittel noch mit einigen überaus unerwarteten Wendungen aufwartet, die bis zuletzt zu faszinieren wissen.

»Lucy kann sich nicht verirren. Abba verliert nie die Hoffnung. Richard meidet die Gefahr. Doch ich hätte nicht gedacht, dass eure Fähigkeiten auf euch lasten würden wie ein Fluch. Sie waren als Segen gemeint. Nie hätte ich gedacht, dass sie euer Leben ruinieren würden.«
»Unser Leben ist ruiniert?«
»Nicht nur das. Die ganze Familie. Unser Name! Aber ich werde die Schuld, den guten Namen der Freaks ruiniert zu haben, auf keinen Fall mit ins Grab nehmen.«

In dem Zusammenhang muss aber auch gesagt werden, dass es sich bei der Lektüre doch im direkten Vergleich um ein eher kurzes Vergnügen handelt, denn mit kaum über 300 Seiten ist Geborene Freaks schon nicht wirklich lang und wird zudem noch künstlich gestreckt durch die allzu kurzen Kapitel, die immer wieder auch leere Seiten mit sich bringen, da ein neues Kapitel stets nur auf der rechten Seite beginnt, so dass man schon manchmal das Gefühl hat, hier wäre – gepaart mit der gefühlt etwas größeren Schriftart – bewusst gestreckt worden, um die mehr als Novelle zu betrachtende Story ein wenig aufzuplustern. Immerhin hatte das zur Folge, dass ich den Roman mit nur kurzer Unterbrechung beinahe in einem Rutsch verschlingen konnte und mich auch keine Sekunde zu langweilen drohte, denn bekanntermaßen geht Qualität vor Quantität und es ist mir allemal lieber, dass Kaufman eine auf die wesentlichen Elemente zurechtgestutzte, dafür in jedem Moment überzeugende Geschichte erzählt, als dass er sie mit allerhand Nichtigkeiten aufzupolstern versucht. Ich für meinen Teil bin zwar nicht ganz so begeistert wie seinerzeit bei Nach dir die Sintflut, kann aber auf alle Fälle für Freunde ungewöhnlicher Literatur trotz dessen eine uneingeschränkte Empfehlung aussprechen.

Fazit & Wertung:

Andrew Kaufmans Geborene Freaks setzt die Reihe seiner überaus fantasievoll und beherzt skurril inszenierten Werke fort und widmet sich diesmal der teils etwas sonderlichen Familie Freak, deren Mitglieder mit einem sich als Fluch entpuppenden Segen – einem "Flegen" quasi – geschlagen sind und sich auf einen aberwitzigen Road-Trip begeben, der von der ersten bis zur letzten Seite zu faszinieren versteht.

8,5 von 10 ungewöhnlichen Eigenarten und Spleens

Geborene Freaks

  • Ungewöhnliche Eigenarten und Spleens - 8.5/10
    8.5/10

Fazit & Wertung:

Andrew Kaufmans Geborene Freaks setzt die Reihe seiner überaus fantasievoll und beherzt skurril inszenierten Werke fort und widmet sich diesmal der teils etwas sonderlichen Familie Freak, deren Mitglieder mit einem sich als Fluch entpuppenden Segen – einem "Flegen" quasi – geschlagen sind und sich auf einen aberwitzigen Road-Trip begeben, der von der ersten bis zur letzten Seite zu faszinieren versteht.

8.5/10
Leser-Wertung 10/10 (1 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von btb.

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Geborene Freaks ist am 10.07.17 bei btb erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den folgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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