Review: Manchester by the Sea (Film)

Und es wird Zeit für die erste Film-Kritik dieser noch jungen Woche, wobei wir diesmal direkt mit einem cineastischen Leckerbissen starten, auch wenn ich mir gut vorstellen kann, dass die langsame und verschachtelte Erzählweise nicht jedem munden dürfte, aber welcher Film tut das schon oder will das überhaupt!? Ich für meinen Teil war sehr angetan und erzähle euch nachfolgend gern, warum.

Manchester by the Sea

Manchester by the Sea, USA 2016, 137 Min.

Manchester by the Sea | © Universal Pictures
© Universal Pictures

Regisseur:
Kenneth Lonergan
Autor:
Kenneth Lonergan

Main-Cast:

Casey Affleck (Lee Chandler)
Michelle Williams (Randi Chandler)
Kyle Chandler (Joe Chandler)
Gretchen Mol (Elise Chandler)
Lucas Hedges (Patrick)

Genre:
Drama

Trailer:

 

Inhalt:

Szenenbild aus Manchester by the Sea | © Universal Pictures
© Universal Pictures

Lee Chandler verdingt sich in Boston als Hausmeister und führt ein einfaches, unaufgeregtes Leben, bis er eines Tages erfahren muss, dass in seinem Heimatort Manchester-by-the-Sea sein Bruder Joe an einem Herzinfarkt gestorben ist. Notgedrungen reist er zurück, nur um dort alsbald zu erfahren, dass Joe sich gewünscht hat, er möge sich um dessen sechzehnjährigen Sohn Patrick kümmern. Lee sieht sich von der Situation heillos überfordert, zumal er dem Ort vor Jahren nach einem tragischen wie schrecklichen Vorfall den Rücken gekehrt hatte und sichtliche Angst davor hat, seiner Ex-Frau Randi zu begegnen, die untrennbar mit den Erinnerungen an die Nacht verbunden ist, die sein Leben nachhaltig aus der Spur gerissen hat. Dennoch bemüht er sich um Patrick, auch wenn der ganz eigene Vorstellungen vom Leben hat und vor allem nichts davon hören will, dass Lee so schnell irgend möglich mit ihm zurück nach Boston ziehen will…

Rezension:

Lange Zeit bin ich schon um Manchester by the Sea herumgeschlichen und selbst als ich schließlich die Blu-ray mein Eigen nannte, sollte noch einige Zeit ins Land ziehen, bis ich mich schließlich zu einer Sichtung habe hinreißen lassen, was wohl damit zusammenhängt, dass einem nach einem bedeutungsschwangeren und getragenen Drama eben auch der Sinn stehen muss, um sich wirklich darauf einlassen zu können. Mehr denn je gilt das meiner Meinung nach nun bei diesem Film und ich habe gut daran getan, auf den richtigen Moment zu warten, denn im Grunde erzählt Drehbuchautor und Regisseur Kenneth Lonergan eine simple Geschichte, die allerdings nicht nur durch ihre verschachtelte Erzählform, sondern auch durch die Konzentration auf die leisen Zwischentöne und intimen Momente förmlich dazu auffordert, sich voll und ganz auf den Film einzulassen, denn ansonsten entgeht einem beinahe unter Garantie nicht nur dessen Kern, sondern auch die unterschwellige emotionale Wucht des Films, der weniger auf die offenkundig emotionalen Ausbrüche setzt, sondern vieles von dem, was im Inneren der Figuren brodelt, lediglich als Subtext transportiert.

Szenenbild aus Manchester by the Sea | © Universal Pictures
© Universal Pictures

Diesem Gestus folgend, verweigert sich Lonergan aber auch weiteren Konventionen, die man von einem "typischen" Drama oder Melodram erwarten würde, so dass es beispielsweise – in der Hoffnung, damit nicht zu viel vorwegzunehmen – keine alles aufklärende Katharsis für Hauptfigur Lee Chandler geben wird, der wahrhaft grandios von Casey Affleck verkörpert wird, den ich seit Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford nicht mehr so brillant habe aufspielen sehen, zumal er sich dem depressiven Charakter seiner Figur geschuldet durchaus auch einfach hätte machen können, sich aber ebenfalls darauf konzentriert, feinste Nuancen zu transportieren, die eben den Kern dessen ausmachen, was man landläufig als eine Geschichte wie aus dem Leben gegriffen bezeichnen würde. Genau darum geht es nämlich in Lonergans Regie-Arbeit, beziehungsweise genau deshalb übt die Story eine so merkwürdige Faszination aus, denn oftmals wirkt es, als würde er das Leben echter Menschen filmen und eben nicht Schauspieler bei der Arbeit ablichten, was Manchester by the Sea eine seltene Wahrhaftigkeit verleiht, die dann eben auch nicht auf einen schmalzigen Soundtrack angewiesen ist, um zu signalisieren, dass große Gefühle im Anmarsch sind, sondern stattdessen in aller Stille eine ganz andere, ehrlichere Form von Emotion zu generieren.

Damit einhergehend ist keine der Figuren einseitig als Sympathieträger zu betrachten, während andererseits ihre Verfehlungen auch nie so gravierend sind – oder zumindest in den Umständen begründet –, dass es nicht trotzdem möglich wäre, sich ihnen verbunden zu fühlen. Vor allem aber mag dem Plot eine Tragik innewohnen, die viele von uns (hoffentlich) in diesem Ausmaß und dieser Ausgestaltung nie erleben werden, doch wirkt das Ganze eben auch nicht so künstlich überhöht, als dass man es nicht als gegeben akzeptieren könnte. Die raue Schönheit des namensgebenden Ortes Manchester-by-the-Sea tut hierbei ihr Übriges, die triste, aber nicht hoffnungslose Atmosphäre des Geschehens zu unterstreichen, dass in seinem sprunghaften Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit eine ganz eigene Sogwirkung entfaltet, die sich objektiv im Grunde schwer erklären lässt. Einziger kleiner Wermutstropfen, für den der Film selbst allerdings nichts kann, ist, dass die prominent auf dem Poster vertretene Michelle Williams (Blown Apart) zwar eine durchaus gewichtige Rolle als Lees Ex-Frau Randi hat, in der Gesamtheit aber kaum zehn Prozent des Films mit ihrer Anwesenheit beehrt.

Szenenbild aus Manchester by the Sea | © Universal Pictures
© Universal Pictures

Immerhin bietet das dem noch eher unbeschriebenen Newcomer Lucas Hedges genügend Raum, sich als Adoptivsohn Patrick zu profilieren und auch neben Casey Affleck bestehen zu wissen, derweil sich schnell herauskristallisiert, dass Manchester by the Sea im Grunde die Geschichte der Annäherung der beiden erzählt und eben nicht die von Lee und Randi, gleichwohl deren gemeinsame Vergangenheit ebenso wie Lees Beziehung zu seinem verstorbenen Bruder Joe (Kyle Chandler; The Wolf of Wall Street) inhärenter Bestandteil dessen sind, was Lee und Patrick letztlich zusammenführt und verbindet. Sowohl Aufhänger als auch Ausgestaltung der Geschichte sind dabei durchaus als tragisch zu bezeichnen und Lonergans Film ist in seiner Gänze weit davon entfernt, beschwingt oder leichtfüßig zu sein, doch immerhin ließ er es sich nicht nehmen, in den pointierten, aber nie gestelzt wirkenden Dialogen auf eine ordentliche Portion ungemein trockenen Humors zurückzugreifen, die immerhin das ansonsten schnell niederdrückend wirkende Geschehen ein wenig aufzulockern wissen. So hat man es bei diesem völlig zu Recht oscarprämierten und ohnehin vielfach ausgezeichneten Film mit dem Paradebeispiel einer charakter-getriebenen Geschichte zu tun, denn die Reaktionen und Emotionen der handelnden Figuren sind weitaus eindringlicher und interessanter, als die dem Grunde nach doch überschaubare Rahmenhandlung, aus der Lonergan allerdings mit reichlich Finesse ein zu Herzen gehendes Familien-Drama zu kreieren wusste.

Fazit & Wertung:

Kenneth Lonergan präsentiert mit Manchester by the Sea ein enorm entschleunigtes, unaufgeregtes Drama, dessen emotionale Wucht sich vielmehr im Subtext entfaltet, statt sich auf große Momente zu konzentrieren. Der Fokus auf den leisen Zwischentönen unterstützt aber auch die Wahrhaftigkeit dessen, was Lonergan zu erzählen trachtet, der für sein Drehbuch nicht von ungefähr auch mit dem Oscar bedacht worden ist. Die eindringliche Darstellung des ebenfalls Oscar-prämierten Casey Affleck tut hierbei ihr Übriges, um aus Lonergans dritter Regiearbeit ein Meisterwerk von schlichter Eleganz zu machen.

9 von 10 lethargisch verlebten Tagen

Manchester by the Sea

  • Lethargisch verlebte Tage - 9/10
    9/10

Fazit & Wertung:

Kenneth Lonergan präsentiert mit Manchester by the Sea ein enorm entschleunigtes, unaufgeregtes Drama, dessen emotionale Wucht sich vielmehr im Subtext entfaltet, statt sich auf große Momente zu konzentrieren. Der Fokus auf den leisen Zwischentönen unterstützt aber auch die Wahrhaftigkeit dessen, was Lonergan zu erzählen trachtet, der für sein Drehbuch nicht von ungefähr auch mit dem Oscar bedacht worden ist. Die eindringliche Darstellung des ebenfalls Oscar-prämierten Casey Affleck tut hierbei ihr Übriges, um aus Lonergans dritter Regiearbeit ein Meisterwerk von schlichter Eleganz zu machen.

9.0/10
Leser-Wertung 8.5/10 (2 Stimmen)
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Manchester by the Sea ist am 01.06.17 auf DVD und Blu-ray bei Universal Pictures erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!

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Blu-ray:

vgw

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