Da könnt ihr heute mal sehen, mit welchem Vorlauf ich zumindest bei den Film-Kritiken agiere, denn im vorletzten Monatsrückblick – also dem für April – hatte ich angedeutet, diesen Film nun endlich auch gesehen zu haben und – zack – da kommt nun auch schon prompt die Review, kaum fünf Wochen später.
Anna Karenina
Anna Karenina, UK 2012, 129 Min.
© Universal Pictures
Joe Wright
Tom Stoppard (Drehbuch)
Leo Tolstoi (Buch-Vorlage)
Aaron Taylor-Johnson (Vronsky)
Kelly Macdonald (Dolly)
Matthew Macfadyen (Oblonsky)
Domhnall Gleeson (Levin)
Ruth Wilson (Princess Betsy Tverskoy)
Alicia Vikander (Kitty)
Olivia Williams (Countess Vronsky)
Emily Watson (Countess Lydia Ivanova)
Drama | Historie
Trailer:
Inhalt:
© Universal Pictures
Russland in den 1870er Jahren, St. Petersburg: Als Anna, Gemahlin des Regierungsbeamten Alexei Karenin, von ihrem Bruder Oblonsky nach Moskau gerufen wird, um die von seiner untreue verursachten Wogen in seiner Ehe zu Dolly zu glätten, lässt sie erstmalig ihren über alles geliebten Sohn Serhoza daheim zurück. Unterdessen befindet sich auch Oblonskys Freund Levin in der Stadt und nimmt allen Mut zusammen, die von ihm angebetete Kitty zu umwerben – ihrerseits jüngere Schwester von Dolly – doch die ist wiederum mit dem Offizier Vronsky verbandelt und lehnt Levins Heiratsantrag ab. Als Anna allerdings Vronsky kennenlernt, fliegen prompt die Funken und Kitty muss erkennen, dass es der Offizier mit ihr nicht längst so ernst gemeint hat wie andersherum. Die Verbindung zwischen Anna und Vrosnky bleibt allerdings nicht lange unbemerkt und kommt alsbald auch Alexei zu Ohren, der seine Frau eindringlich davor warnt, Ehebruch zu begehen und damit ihre gesellschaftliche Stellung, ihre Ehe, vor allem aber die Verbindung zu ihrem Sohn zu gefährden…
Rezension:
Gute drei Jahre harrte die Blu-ray von Anna Karenina in der Schublade ihrer Sichtung und stellenweise glaubte ich, womöglich niemals Zeit und Muße zu finden, dieser dritten Literaturverfilmung von Joe Wright unter Mitwirkung von Keira Knightley (nach Stolz und Vorurteil und Abbitte) meine Aufmerksamkeit zu schenken und entsprechend froh bin ich nun, dem im selben Maße eigenwillig wie auch einzigartig inszenierten Film eine Chance gegeben zu haben, denn Wright geht hier nicht den einfachen Weg, ein historisches Drama vor opulenter Kulisse zu inszenieren, sondern nimmt stattdessen das Wort "Kulisse" wörtlich und siedelt seine Variation des Tolstoi‘schen Klassikers gleich auf einer Theaterbühne an, wobei er ebenso den vorgelagerten Saal wie auch die Hinterzimmer zu nutzen versteht und seine Akteure bei sich verschiebenden Kulissen von einem Ort zum anderen schickt und manch großartige Plansequenz kreiert, auch wenn hier die Schnitte nicht unbedingt so geschickt verborgen werden wie beispielsweise bei Birdman, doch tut das dem ungewöhnlichen Flair keinen Abbruch und mit entsprechend viel Verve und Faszination startet der Reigen um Liebe, Leid und Lust.
© Universal Pictures
Theoretisch hätte sich Anna Karenina für mich zu schnell zu einem Lieblingsfilm entwickeln können, zumal ich ja bekanntermaßen ein großer Fan von Keira Knightley (Can A Song Save Your Life?) bin und sie sich in ihrer Darstellung der namensgebenden Hauptfigur nicht vor anderen Akteurinnen verstecken braucht, welche die Rolle bereits innehatten, doch während auch Jude Law (Side Effects) einen unerwartet sympathischen Karenin gibt und in seiner vergleichsweise spärlichen Leinwandzeit vollends überzeugt, ist es ausgerechnet der von Aaron Taylor-Johnson (Godzilla) verkörperte Vronsky, dessen Figur in meinen Augen nicht immer funktioniert und in seiner Art einerseits schmierig, andererseits berechnend wirkt, was nicht gerade eben die Faszination greifbar macht, die Anna vom ersten Moment an für ihn empfindet und dieser Umstand, gepaart mit seiner oft offensiven Wortlosigkeit, lassen die Figur ein wenig unnahbar wirken und entsprechend funktioniert auch die doch so leidenschaftliche Beziehung der beiden nur mäßig gut, wobei sich Kameramann Seamus McGarvey nach Kräften müht, mit einfallsreichen Einstellungen über mangelnde Chemie zwischen den beiden Hauptfiguren hinwegzutäuschen, der hier sowieso teils Fabulöses abliefert und seinerzeit die Oscar-Nominierung völlig zurecht bekommen hat.
Wo aber die zentrale Liebesgeschichte nicht immer so funktioniert, wie man sich das hätte wünschen können, macht Anna Karenina auf den Nebenschauplätzen einiges wett und nicht zuletzt Matthew Macfayden (Ripper Street) als Oblonsky wusste mich wieder einmal schwer zu begeistern, während natürlich auch Kelly Macdonald (Boardwalk Empire) als dessen Frau Kelly überzeugt. Weitaus spannender aber noch ist die sich parallel entwickelnde Liebesgeschichte zwischen Levin und Kitty, die hier nicht nur ungewöhnlich viel Platz eingeräumt bekommt, sondern mit Domhnall Gleeson und Alicia Vikander (die zwei Jahre später in Ex Machina erneut aufeinandertreffen sollten) auch noch ganz wunderbar besetzt ist und mit den zaghaften Annäherungsversuchen gleich mehrere intime Szenen kreiert, die einen sehr schön austarierten optimistischen Gegenpol zu der zunehmend tragischer werdenden "Hauptgeschichte" bilden. Einhergehend mit dem sich zuspitzenden Drama allerdings scheint Wright zuweilen auch die virtuose Inszenierung zu vergessen und der gesamte Aspekt der künstlichen Kulissen und der unterschwellig durchscheinenden Theaterbühne gerät vermehrt in den Hintergrund, was das Setting ein wenig inkonsistent erscheinen lässt.
© Universal Pictures
Das fällt nun nicht wahnsinnig störend ins Gewicht und überhaupt ist es die zunehmend wankelmütigere, aufgebrachte Anna, die hier einen Großteil der Szenen dominiert und den echauffierten Gegenpol zu ihren bewusst zurückhaltend gezeichneten männlichen Konterparts gibt, doch scheinen eben zu diesem Zeitpunkt des Films so Spielereien, wie eine lange Zugfahrt mithilfe einer sich durch verschneite Landschaften schiebenden Spielzeug-Eisenbahn zu visualisieren, hier längst in Vergessenheit geraten zu sein, während natürlich gerade im letzten Drittel die Chemie Vronsky und Anna zwingend hätte funktionieren müssen, um restlos zu überzeugen und da muss man leider kleine Abstriche in Kauf nehmen. Dessen ungeachtet handelt es sich aber sicherlich um eine der besseren Verfilmungen und eine insbesondere optisch eigenständige Version des Klassikers, die man als Fan der Werke von Wright oder auch der Filme mit Knightley gesehen haben sollte, zumal sich der Film in seiner eigenwilligen Inszenierung auch noch gekonnt von einschlägigen Historien-Dramen emanzipiert und einen frischen Ansatz für das teils schwere Thema findet.
Anna Karenina
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Heimliche Treffen - 8/10
8/10
Fazit & Wertung:
Mit Anna Karenina gelingt Joe Wright eine überzeugende Adaption des Klassikers von Leo Tolstoi, die sich vor allem durch den Aspekt von anderen Verfilmungen abhebt, dass er die Geschichte gleich auf einer Theaterbühne ansiedelt und damit eine unterschwellige Meta-Ebene bedient, ohne dass das sich entspinnende Drama auf emotionaler Ebene darunter zu leiden hätte. Während man aber sagen kann, dass der Film bis in die kleinsten Rollen formidabel besetzt worden ist, entpuppt sich ausgerechnet Aaron Taylor-Johnson als Vronsky als Schwachstück in dem Ensemble, weshalb Wright gut dran getan hat, sich nicht lediglich auf die Romanze zwischen ihm und Anna zu konzentrieren.
Anna Karenina ist am 11.04.13 auf DVD und Blu-ray im Vertrieb von Universal Pictures erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!
Für mich war Wrights plötzliche inszenatorische Einfallslosigkeit in der zweiten Hälfte (quasi ab der grandiosen Ballszene, mit der er offenbar sein Pulver verschossen hatte) tatsächlich ziemlich störend. Zumindest so störend, daß “Anna Karenina” für mich von einem potentiellen Meisterwerk zu einem “nur noch” richtig guten Film wurde (wenn auch immerhin mit einem halben Punkt mehr als bei dir). Aber Keira reißt natürlich wieder einmal sehr viel heraus, für solche historischen Rollen ist sie einfach geschaffen! :-)
Also bei mir ist es zwar schon eine Zeit her, dass ich den Film damals im Kino gesehen habe aber ich kann mich eigentlich noch sehr gut daran erinnern weil ich es damals tatsächlich auf mich genommen hatte vorher das Buch zu lesen. Insofern muss ich sagen, dass gerade der Punkt den du bemängelst, nämlich die scheinbar fehlende Chemie zwischen Anna und Vronsky, eigentlch eine sehr treffende Adaption des Buches bot…auch in diesem ist einem oft nicht klar warum die beiden so unglaublich aufeinander abfahren.
Was die Inszenierung betrifft bin ich voll und ganz deiner Meinung…was am Anfang noch kreativ und frisch umgesetzt wurde verkam immer mehr zu scheinbarer Ratlosigkeit.
Außerdem kann ich mich noch gut erinnern, dass ich echt froh war das Buch gelesen zu haben, denn mein Freund hatte nach dem kryptischen Ende nicht mal mitbekommen, dass Anna stirbt und warum sie ihrem Leben gerade auf diese Art und Weise ein Ende setzte…musste ihm danach einiges erst erklären ;-)!
Interessant, daß das im Buch ähnlich ist, das wußte ich auch nicht. Was das Ende betrifft, so ist das – soweit ich mich erinnere – bei der alten Greta Garbo-Version aus den 1930er Jahren (die ich schon vor Wrights Film gesehen hatte) besser und kunstvoller, dabei gleichzeitig aber auch eindeutiger gelöst worden; Zweifel über Annas Ende konnte man da kaum haben.