Dienstagabend, es ist soweit, weiter geht’s mit einer neuen Buch-Kritik, heute zum direkten Nachfolger der ersten Madison Spencer-Geschichte von Herrn Palahniuk. Los geht’s!
Verdammt
Doomed, USA 2013, 384 Seiten
© Manhattan
Chuck Palahniuk
Werner Schmitz
Manhattan
978-3-442-54745-6
Drama | Satire
Inhalt:
Geneigter Twitterer,
zunächst gilt festzuhalten, dass ich meinen Verstand immer als ein Verdauungsorgan betrachtet habe. Ein Magen zur Verdauung von Wissen, wenn man so will. Als verschlungene, faltige Masse sieht das menschliche Gehirn ja wirklich und unverkennbar wie graue Eingeweide aus, und in diesen denkenden Därmen werden meine Erfahrungen sortiert und verwertet und zur Geschichte meines Lebens aufbereitet. Meine Gedanken erscheinen als würziger Rülpser oder aufsteigende Galle. Die unverdaulichen Knorpel und Knochen meiner Erinnerungen sind das, was ich hier in Wort fasse.
Madison Spencer ist durch die Hölle gegangen, buchstäblich, doch nach Monaten des Herumirrens in den tiefsten Tiefen der Heimstatt von Satan persönlich, ist die frühzeitig verstorbene Tochter eines Hollywoodpaares zu Halloween auf die Erde zurückgekehrt, für einen Tag – so der Plan – , doch da sie ihre Rückfahrtgelegenheit verpasst hat, hängt das junge Mädchen nun in der Welt der Menschen fest, als Geist selbstredend, zumindest so lange, bis sich Halloween erneut jähren wird. Zeit genug also, ihr früheres Leben einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und zu ergründen, wie sie in der Hölle hat landen können.
Doch die Erinnerungen an ihr früheres Leben fördern kaum Erfreuliches zutage und nicht nur Satan scheint noch Pläne für Madison zu haben, zumal ihre Eltern längst eine Art Geisterjäger darauf angesetzt haben, den Geist ihrer toten Tochter zu finden, die bei den Menschen dank des Einflusses ihrer Eltern längst als eine Art neuer Messias gehandelt wird. Was genau es allerdings mit ihrer Bestimmung auf sich hat und welche Mächte noch ihre Finger im Spiel haben, nun, das gilt es erst noch zu ergründen und derweil gedenkt Madison die Menschheit auf dem Laufenden zu halten, natürlich – wie sollte es anders sein – via eines Blogs, in dem sie von ihren Erfahrungen und Gedanken berichtet – und ab und an mal Kommentare ihrer höllischen Wegbegleiter zu beantworten gedenkt…
Rezension:
Madison Spencer ist zurück und das gleich in zweifacher Hinsicht, denn einerseits handelt es sich bei Verdammt um die direkte Fortsetzung von Verflucht (weshalb man es auch tunlichst vermeiden sollte, diesen Band in Unkenntnis des vorangegangenen Romans zu lesen), andererseits endete der Vorgänger damit, dass die in der Hölle gestrandete Madison es während des alljährlichen Ausflugs zur Erde – natürlich passend zu Halloween, wenn die Tore weit offen stehen (zumal Süßigkeiten ein beliebtes Zahlungsmittel in der Hölle sind) – versäumt hat, ihre Rückfahrt anzutreten und nun für ein gesamtes Jahr auf der Erde als Geist herumzugehen verdammt ist. Dadurch geht leider auch zunächst einer der Schlüsselreize des Vorgängers verloren, denn Palahniuks Vision der Hölle war schlicht grandios und bis zuletzt durchdacht, wenn auch himmelschreiend satirisch und von abgründigem Humor und Sarkasmus geprägt.
Es war Satan, der Fürst der Finsternis, zweifellos las er aus seinem lausigen Manuskript ‘Die Geschichte von Madison
Spencer’ vor – meine angebliche Lebensgeschichte, die er bereits vor meiner Zeugung geschrieben zu haben behauptet. Auf diese Blätter will er jeden Augenblick meiner Vergangenheit und Zukunft diktiert haben.
Dadurch wird Verdammt nun nicht per se ein schlechter Roman, doch benötigt er gewisse Zeit, um in Fahrt zu kommen, zumal rund das erste Drittel oftmals sehr redundant wirkt, vieles Vorangegangene noch einmal durchkaut, obwohl auch dem Autor bewusst gewesen sein muss, dass niemand sich die Fortsetzung zu Gemüte führt, wenn er den ersten Teil nicht kennt (und wenn doch, gefälligst selbst Schuld zu haben hat). Vor allem aber wird nicht ersichtlich, wohin die Reise geht und worin die Daseinsberechtigung für diesen Roman besteht, wenn man das offene Ende des ersten Teils einmal außer Acht lässt, doch verflüchtigt sich dieser Eindruck zusehends mit der an Fahrt aufnehmenden Geschichte, denn Palahniuk hat tatsächlich nicht nur noch einiges in petto, sondern wartet auch mit zahlreichen erhellenden Rückblenden auf, die Madison in einem anderen Licht erscheinen lassen, nicht nur ihre Verdammnis in die Hölle zu erklären vermögen, sondern auch eine Art Masterplan offenbaren, der hinter all dem steckt und Madison eine ganz konkrete, lang vorherbestimmte Aufgabe zuweist, die weit darüber hinausreicht, ein pures Hirngespinst des Teufels zu sein, wie dieser ihr in Verflucht zu suggerieren versuchte.
Palahniuk taucht aber auch, fehlende Hölle hin oder her, tief in christliches Gedankengut und pervertiert es erklecklich für seine Zwecke, interpretiert vieles um und schafft zusammen mit seinen Ausführungen über das wahre Wesen des Geist-seins eine wieder rundherum überzeugende, einfallsreiche Geschichte, die an Abgründigkeiten und Perversionen selbstredend nicht spart, schlussendlich dem Vorgänger in kaum etwas nachsteht, würde und könnte man den gemächlichen und ziellos wirkenden Auftakt ignorieren. Leider geht das natürlich nicht und so tut man sich zunächst schwer, wieder in Madisons Gedankenwelt zu dringen, die nun nicht mehr in Tagebuchform, sondern als Blog fortgeführt wird, was im Grunde auf dasselbe hinausläuft, wobei hier eben suggeriert wird, dass die Menschen auf der Erde Madisons Abenteuern in Schriftform folgen könnten, was aber in keiner Weise als Chance wahrgenommen und ausgenutzt wird, denn Kommentare bekommt sie lediglich von ihren zurückgelassenen Höllenfreunden, wir erinnern uns, dem ebenfalls pervertierten Breakfast-Club.
Wenn meine Eltern sich Gott überhaupt einmal vorstellten, dann als himmelhohen berggroßen Schwulenrechtler, der mit geflügelten Delfinen anstelle von Cherubim das Ozonloch repariert. Und Regenbögen, jede Menge Regenbögen.
Statt Weihnachten feierten wir den Tag der Erde. Wir praktizierten Zazen im Lotossitz und feierten Swami Nikhilanandas Geburtstag. Manchmal führten wir einen Moriskentanz auf, nackt um den Stamm eines uralten Mammutbaums herum, dessen Äste behängt waren mit den verdreckten Hängematten und Scheißeimern von körnerfressenden Baumbesetzern, die Fleckenkäuze in den Techniken des passiven Widerstands unterrichteten. Ihr versteht schon.
Die zuletzt glänzen in der Geschichte von Verdammt leider meistenteils ebenfalls durch Abwesenheit, was schade ist, da man sich noch viel von diesen Figuren erhofft hätte, deren wahre Herkunft man ebenfalls erst gegen Ende des ersten Bandes erfahren hat. Selbst deren Kommentare bekommt man nicht zu sehen, sondern lediglich Madisons Antworten hierauf, was man zweifelsfrei eleganter hätte lösen können, zumal – wenn man schon dazu übergeht, Madison zur geisterhaften Bloggerin mutieren zu lassen, die konsequent genutzte Eingangsformel Geneigter Twitterer reichlich Irritation hervorruft, ein Passus, der nicht annähernd an die Poesie des im Vorgänger genutzten Bist du da, Satan? Ich bin‘s, Madison heranreicht. Dementsprechend hat Palahniuk einen zwar würdigen Nachfolger verfasst, der im direkten Vergleich allerdings merklich zurücksteht und dem es erst gegen Ende wirklich gelingt, zu alter Größe zurückzukehren und mit einem brachialen Finale noch einmal alle als unumstößlich erachteten Gesetzmäßigkeiten hinwegzufegen und ähnlich offen zu enden, um – wir ahnen es fast – den Weg für einen weiteren Nachfolger zu ebnen, der Madison in gänzlich unerforschte Gefilde führen könnte.
Verdammt
-
Höllische Erkenntnisse - 7.5/10
7.5/10
Fazit & Wertung:
Chuck Palahniuks Verdammt vermag zunächst nicht an den ungleich packenderen Vorgängerband heranzureichen, findet ab dem zweiten Drittel aber nicht nur zu alter Stärke zurück, sondern findet mit neuen Versatzstücken nicht nur christlicher Glaubensgrundsätze neue –Interpretationsmöglichkeiten und Aufhänger für sein beißend satirisches Höllenmanifest, das sich diesmal mehr denn je den Irrungen und Fehlungen menschlicher Denkart widmet und Madisons Odyssee in die Hölle und zurück eine noch weitaus epischere Note verpasst, zumal sie auch hier noch längst nicht ihr Ende gefunden zu haben scheint. Der schwache Start allerdings hätte bei stringenterer Ausrichtung vermieden werden können und verleidet den Lesegenuss ein wenig.
Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von Manhattan. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.
– – –
Verdammt ist am 06.10.14 bei Manhattan erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!
Keine Reaktionen