Review: Sieben Minuten nach Mitternacht | Patrick Ness | Siobhan Dowd (Buch)

Diesmal habe ich ein echtes Schmankerl im Gepäck, denn wenn ich schon noch immer nicht dazu gekommen bin, mir die gleichnamige Verfilmung anzusehen, bin ich doch froh, mich nun im Vorfeld erst dem Buch gewidmet zu haben, dass mich weit mehr berührt und begeistert hat, als ich das im Vorfeld für möglich gehalten hätte.

Sieben Minuten nach Mitternacht

A Monster Calls, USA 2011, 224 Seiten

Sieben Minuten nach Mitternacht von Patrick Ness, Siobhan Dowd | © Goldmann
© Goldmann

Autoren:
Patrick Ness
Siobhan Dowd
Übersetzerin:
Bettina Abarbanell

Verlag (D):
Goldmann
ISBN:
978-3-442-48534-5

Genre:
Fantasy | Mystery | Drama | Märchen

 

Inhalt:

Seit seine Mutter an Krebs erkrankt ist, wird der dreizehnjährige Conor Nacht für Nacht von einem grausigen Alptraum geplagt, über dessen Inhalt er sich in Schweigen hüllt, doch gibt es da auch niemand zum Reden, ist sein Vater schließlich nach Amerika ausgewandert, während seine Mitschüler ihn ob der Krankheit seiner Mutter meiden und die Lehrer ihn wie ein rohes Ei behandeln. Und dann, eines Nachts, sieben Minuten nach Mitternacht, erscheint Conor ein Monster und behauptet, von ihm gerufen worden zu sein. Es werde ihm drei Geschichten erzählen, erklärt ihm das Monster und zuletzt wird Conor seine Geschichte erzählen, die Geschichte seines Alptraums…

Das Monster tauchte kurz nach Mitternacht auf. Wie das bei Monstern eben üblich ist.
 
Conor war wach, als es kam.
Er hatte einen Albtraum gehabt. Na gut, nicht irgendeinen. Den Albtraum. Den einen, den er in letzter Zeit ziemlich oft hatte. Den mit der Finsternis und dem Wind und dem Schrei. Den mit den Händen, die er irgendwann nicht mehr festhalten konnte, egal, wie sehr er sich bemühte. Den, der immer damit endete, dass –
»Geh weg«, flüsterte Conor in die Dunkelheit seines Zimmers hinein, um den Albtraum zurückzudrängen und nicht zuzulassen, dass er ihm in die Wirklichkeit folgte. »Geh jetzt weg.«

Rezension:

Wie so viele andere auch bin ich vorrangig aufgrund der Adaption des Stoffes auf Sieben Minuten nach Mitternacht gestoßen – auch wenn ich die Verfilmung noch nicht gesehen habe – und muss gleich vorweg schicken, dass mich das vergleichsweise dünne Büchlein mit seinen kaum 230 Seiten mich schwer beeindruckt zurückgelassen hat und keineswegs verschmäht werden sollte, nur weil man der Meinung ist, es handele sich um ein Kinder- oder Jugendbuch, denn tatsächlich ist die von Patrick Ness auf Basis des Exposé und der Notizen von Siobhan Dowd ausformulierte Geschichte ein Buch für Menschen jeden Alters, die sich mit der Erkrankung der Mutter von Conor einem schwierigen Thema zuwendet, in Art und Weise der Aufarbeitung aber einen dermaßen einzigartigen Ton anschlägt, eine zwar zuweilen überraschend düstere Gangart wählt, dass es tief berührt.

Eine Wolke schob sich vor den Mond und ließ die ganze Landschaft in Dunkelheit versinken, und gleich darauf fegte ein Windstoß vom Hügel herunter in sein Zimmer und bauschte die Vorhänge. Erneut hörte Conor das Knarren und Knacken von Holz, hörte es ächzen und grummeln wie ein lebendiges Wesen, wie den knurrenden Magen der Erde, der nach etwas zu essen verlangte.

Zugegeben, die Sprache ist vergleichsweise simpel gehalten und sollte entsprechend auch jüngere Leser vor keine Herausforderung stellen, doch wohnt ihr dadurch auch eine schlichte Eleganz inne, die zusammen mit den wirklich großartigen, teils seitenfüllenden Zeichnungen – nein, regelrechten Kunstwerken – eine regelrechte Symbiose eingehen und vom ersten Moment an in ihren Bann ziehen. Dabei untergliedert sich Sieben Minuten nach Mitternacht in einzelne, recht knapp gehaltene Kapitel und enthält eben neben der eigentlichen Handlung die drei Geschichten des Monsters, die allesamt mit einem ambivalenten wie überraschenden Blick auf die Ereignisse überzeugen und nichts mit allzu platt formulierten Fabeln gemein haben, sondern eher unterstreichen, dass es kein Gut oder Böse gibt, sondern lediglich eine Welt der Grauschattierungen.

Das große, initale Rätsel umrankt aber natürlich den Alptraum Conors über den bis zuletzt wenig preisgegeben wird, auch wenn man als versierter Leser durchaus weit mehr als eine grobe Ahnung hat, in welche Richtung es gehen wird, doch tut das dem Genuss dieses an ein Burton’sches oder Gaiman’sches Märchen erinnernden Bandes absolut keinen Abbruch, der von einer stillen Traurigkeit beseelt scheint, was auch mit der Entstehungsgeschichte des Buches zu tun haben mag, das aus der Feder von Siobhan Dowd hätte stammen können, wäre diese nicht selbst einem Krebsleiden erlegen, worauf der Autor im Vorwort auch kurz eingeht, so dass sich die Themen des Buches, die Angst vor dem Tod, die Wut auf dessen irrationalen wie unbändigen Charakter, das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit, die falsch verstandene Rücksichtnahme und die Überzeugung von der eigenen Schuld im Grunde zu Teilen auch auf einer Meta-Ebene außerhalb der Geschichte zu spiegeln scheinen, was den Kloß im Hals noch zu vergrößern imstande ist.

Das Monster brüllte noch lauter und stieß krachend einen Arm durch Conors Fenster, sodass Glas, Holz und Stein barsten. Eine riesige Asthand umfasste Conor und hob ihn vom Boden auf. Sie schwang ihn aus seinem Zimmer hinaus in die Nacht, hoch über den Garten, hielt ihn vor den kreisrunden Mond und quetschte seine Rippen, bis er kaum noch Luft bekam. Conor sah die schiefen Zähne aus hartem, knorrigem Holz im offenen Mund des Monsters und fühlte warmen Atem zu sich heraufsteigen.

Dabei ist Sieben Minuten nach Mitternacht nie trist oder pessimistisch, zwar oft konstruiert und auch in Teilen vorhersehbar, aber nie klischeehaft oder oberflächlich, sondern bedient sich einer Wahrhaftigkeit, die man selten findet und die ans Innerste rührt, wenn Conor mit Hilfe des Monsters, dessen Existenz nie hinlänglich untermauert oder alternativ ins Reich der Fantasie verbannt wird, langsam lernt, sich seinen Ängsten und seiner Schuld zu stellen. Die erwähnten Geschichten geben dem Geschehen dabei noch eine zusätzliche Ebene, wenngleich ich persönlich die Passagen in der "realen" Welt, in denen das Monster sich zunehmend einen Platz an der Seite von Conor erkämpft, mir noch einmal weit besser gefallen haben, derweil der Schluss des Ganzen von einer so schlichten Schönheit ist, dass es müßig wäre, hierfür Worte finden zu wollen, denn ohnehin ist dies eines dieser Bücher, das jeder für sich selbst und ohne allzu großes Vorwissen entdecken sollte.

Fazit & Wertung:

Nicht nur hat Patrick Ness mit Sieben Minuten nach Mitternacht ein anrührendes, für alle Altersklassen geeignetes und von einer schlichten Schönheit beseeltes Fantasy-Märchen geschaffen, sondern auch der verstorbenen Kinderbuchautorin Siobhan Dowd, auf deren Ideen die Geschichte fußt, ein gleichermaßen melancholisches wie hoffnungsvolles Denkmal gesetzt. Nicht zuletzt aber dank der ungemein atmosphärischen Schwarzweiß-Zeichnungen bilden hier Form und Inhalt eine unumwunden stimmige Einheit.

10 von 10 nächtlichen Besuchen eines weisen Monsters

Sieben Minuten nach Mitternacht

  • Nächtliche Besuche eines weisen Monsters - 10/10
    10/10

Fazit & Wertung:

Nicht nur hat Patrick Ness mit Sieben Minuten nach Mitternacht ein anrührendes, für alle Altersklassen geeignetes und von einer schlichten Schönheit beseeltes Fantasy-Märchen geschaffen, sondern auch der verstorbenen Kinderbuchautorin Siobhan Dowd, auf deren Ideen die Geschichte fußt, ein gleichermaßen melancholisches wie hoffnungsvolles Denkmal gesetzt. Nicht zuletzt aber dank der ungemein atmosphärischen Schwarzweiß-Zeichnungen bilden hier Form und Inhalt eine unumwunden stimmige Einheit.

10.0/10
Leser-Wertung 10/10 (2 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und den Autoren findet ihr auf der Seite von Goldmann. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.

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Sieben Minuten nach Mitternacht ist am 16.01.17 bei Goldmann erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!

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