Review: Sandman | Staffel 1 (Serie)

Es ist ja eigentlich nicht meine Art, die Woche mit einer Serien-Rezension zu beginnen, doch nachdem ich aus nachvollziehbaren Gründen am Wochenende davon Abstand nehmen musste, mich dem Sandmann zu widmen – schließlich hatte ich die überraschend veröffentlichte Bonus-Episode noch nicht gesehen –, wurde es nun allerhöchste Zeit, auch meine Gedanken und Gefühle zu dieser gloriosen ersten Staffel zu verschriftlichen, der hoffentlich noch viele folgen werden.

Sandman
Staffel 1

The Sandman, UK/USA 2022-, ca. 48 Min. je Folge

Sandman | © Netflix
© Netflix

Serienschöpfer:
Neil Gaiman
David S. Goyer
Allan Heinberg
Ausführende Produzenten:
Allan Heinberg
David S. Goyer
Neil Gaiman
Mike Barker

Main-Cast:
Tom Sturridge (Dream)
Boyd Holbrook (The Corinthian)
Patton Oswalt (Matthew the Raven [Stimme])
Vivienne Acheampong (Lucienne)

in weiteren Rollen:

David Thewlis (John Dee)
Jenna Coleman (Johanna Constantine)
Gwendoline Christie (Lucifer Morningstar)
Kirby Howell-Baptiste (Death)
Mason Alexander Park (Desire)
Joely Richardson (Ethel Cripps)
Niamh Walsh (Young Ethel Cripps)
Ferdinand Kingsley (Hob Gadling)
Vanesu Samunyai (Rose Walker)
John Cameron Mitchell (Hal Carter)
Razane Jammal (Lyta Hall)
Sandra James-Young (Unity Kincaid)
Cassie Clare (Mazikeen)
Charles Dance (Roderick Burgess)
Stephen Fry (Gilbert)
Mark Hamill (Merv Pumpkinhead [Stimme])

Genre:
Drama | Fantasy | Horror | Mystery

Trailer:

 

Inhalt:

Szenenbild aus Sandman | © Netflix
© Netflix

Dream, auch bekannt als Lord Morpheus, Sandmann oder Herrscher des Traumreichs, ist einer der Ewigen, und damit im Grunde mächtiger und schwerer zu töten als ein Gott. Das schützt allerdings nicht davor, eingesperrt zu werden, wie Dream am eigenen Leib erfahren muss, als der Okkultist Sir Roderick Burgess versucht, Dreams Schwester Death herbeizurufen und stattdessen den Herrn der Träume in seinen Bannkreis zieht. Seiner Insignien beraubt, sieht Dream sich außerstande, seinem Gefängnis zu entkommen und so bricht die Europäische Schlafkrankheit aus, während das Traumreich ohne Anführer ist. Über hundert Jahre sollen vergehen, bis Morpheus seine Ketten sprengen, seinen Käfig verlassen und sich auf die Suche machen wird nach seinem Helm, seinem Rubin und seinem Beutel voll Sand, den Insignien, die einen Großteil der Kräfte des Ewigen bündeln. Doch die Gefangenschaft ist nicht spurlos am Herrn der Träume vorbeigegangen und Dream wird neu lernen müssen, sich mit der Welt, den Menschen und seinem Schicksal, seiner Bestimmung zu arrangieren…

Rezension:

Eigentlich wollte ich mich ja bereits am Wochenende wortreich zur ersten Staffel Sandman geäußert haben, doch dann wurde recht unerwartet die Veröffentlichung einer elften Bonus-Episode angekündigt und vollzogen, so dass ich dieses Special, auch wenn es nicht im klassischen Sinne zur Staffel gehören mag, natürlich im Text mitberücksichtigen wollte. Aber beginnen wir von vorn: Im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte gab es sicherlich so manch ambitionierte Buch- oder eben auch Graphic-Novel-Adaption, denen mehr oder minder viel Erfolg beschieden war und von denen vielen gemein war, dass ihre Vorlage bislang als unverfilmbar galt, wobei diese Art vielbeschworener Fluch ja im Grunde bereits seit Jacksons Der Herr der Ringe ad acta gelegt worden sein dürfte. Nichtsdestotrotz ist insbesondere Netflix schon des Öfteren mit und an derartigen Adaptionen gescheitert, ob es sich um das prestigeträchtig angekündigt und prompt eingestellte Jupiter’s Legacy handelt oder das sang- und klanglos abgesetzte, weitestgehend enttäuschende Cursed, derweil man ja beispielsweise mit The Witcher oder The Umbrella Academy durchaus bewiesen hat, es zu können. Langer Rede kurzer Sinn, galt das von Neil Gaiman über acht Jahre hinweg bis in die Mitte der 1990er hinein veröffentlichte Magnum Opus Sandman ebenfalls als unverfilmbar, ganz davon ab, dass Norman Mailer ihn "einen Comic für Intellektuelle" nannte, was schon erahnen lässt, dass es sich vielleicht nicht um das zugänglichste, massentauglichste Material handelt, dass man hier in eine Fernsehserie zu verwandeln gedenkt.

Szenenbild aus Sandman | © Netflix
© Netflix

Ungeachtet vorhergehender Bedenken und allzu nachvollziehbarer Skepsis aber möchte ich gleich vorweg einmal festhalten, dass es den Verantwortlichen – inklusive dem ebenfalls an der Adaption beteiligten Neil Gaiman – auf geradezu begeisternde Art und Weise gelungen ist, das Material zu interpretieren und zu modernisieren und dabei dennoch dem Geist der Vorlage treu zu bleiben, was selbst die oftmals leicht trashige Attitüde, den zuweilen überraschend hohen Gewaltgrad nebst Splatterfaktor sowie die märchenhafte Eigensinnigkeit des Erzählten umfasst. Die zahlreichen mythologischen, historischen oder auch literarischen Querverweise gehören hier natürlich ebenso zum guten Ton wie das neue und freie Interpretieren berühmter Geschichten oder Figuren, ob es sich nun um William Shakespeare oder den Morgenstern handelt, der aus Gottes silberner Stadt gestürzt und nun Herrscher der Hölle ist. Apropos Lucifer, kann man Befürchtungen, die Adaption würde zugunsten einer breiten Publikumsakzeptanz verändert und verwässert werden, ebenfalls beiseitelegen, denn so gern ich die Serie um den von Tom Ellis charmant verkörperten Teufel auch mag, hätte diese Art der Interpretation Sandman binnen Minuten das Genick gebrochen, so dass es hier – zum Glück – ungleich lethargischer und melancholischer, getragener und tragischer zustatten geht. Darüber hinaus ist es (leider) auch so, dass man seit American Gods durchaus skeptisch sein kann, ob die Geschichte dereinst zu einem zufriedenstellenden Ende gebracht oder mittendrin fallengelassen werden wird, doch hat selbst dahingehend The Sandman einige Vorteile, denn dem Geist der Vorlage geschuldet, sind viele der Geschichten doch weitestgehend inhaltlich geschlossen, was sich selbst innerhalb der ersten Staffel bemerkbar macht, die ihrerseits grob die Sammelbände Präludien und Notturni sowie Das Puppenhaus umfasst. Und das merkt man und muss man mögen und akzeptieren, so dass das Geschehen hier längst nicht so durchgängig und stringent ist wie in vergleichbaren Serienproduktionen, dieser Netflix-Produktion dafür aber auch ein ganz eigenes Flair verleiht und es eben ermöglicht, auch mal ohne große "Vorwarnung" eine Bonusepisode zu veröffentlichen, in deren zwei Geschichten Morpheus eine nurmehr untergeordnete Rolle spielt, auch wenn er natürlich maßgeblich zur Geschichte als solchen beiträgt.

Dabei könnte man grob umreißen, dass die erste Staffelhälfte sich dem ersten Handlungsstrang widmet, bevor, unterbrochen von dem Quasi-One-Shot Das Rauschen ihrer Flügel (1.06) – das allerdings neben Death mit allerhand Qualitäten und einer faszinierenden Struktur und Story aufwartet –, der nächste Erzählzyklus startet, der logischerweise vier Folgen umfasst und deutlich geradliniger miteinander verbunden ist. Nichtsdestotrotz muss ich für mich festhalten, dass ich die erste Hälfte der Staffel ungleich packender und beeindruckender empfunden habe, so dass auch eine etwaige Bewertung zu diesem Zeitpunkt noch einmal ungleich höher ausgefallen wäre. Das heißt nicht, dass die zweite Staffelhälfte oder die mit Arthur Darvill (Doctor Who) gelungen besetzte Bonusepisode Der Traum der tausend Katzen / Kalliope (1.11) nicht sehenswert wären, doch macht die erste Hälfte eben einfach noch mehr Spaß. Das liegt mitunter auch an dem Besetzungs-Coup Tom Sturridge (Am grünen Rand der Welt), der als Dream – oder Morpheus – eine echte Erscheinung ist und zunächst eben eine deutlich prägnantere Rolle hat als in den letzten paar Episoden, wo ein Großteil des Geschehens auf Rose Walker (Vanesu Samunyai) fokussiert, die alles daran setzt, ihren Bruder zu finden. Dabei entpuppt sich Sandman zunehmend als Ensemble-Serie, wobei ein Großteil der Figuren hier lediglich Gastauftritte absolviert und längst noch nicht ihr Potential entfalten kann. Ausnahmen bestätigen aber selbstredend die Regel und so muss man zumindest John Dee (David Thewlis, Wonder Woman) und ebenso den Korinther (Boyd Holbrook, Logan), einen entlaufenen Alptraum, hervorheben, während man bei anderen Figuren und Casting-Entscheidungen durchaus geteilter Meinung sein darf.

Szenenbild aus Sandman | © Netflix
© Netflix

So dachte ich zumindest, denn im Vorfeld war ich zugegebenermaßen nicht gerade glücklich, dass ausgerechnet aus John Constantine nun Johanna Constantine werden sollte, doch muss ich zugeben, dass die wie immer großartige Jenna Coleman (ebenfalls Doctor Who) eben auch hier wieder auf ganzer Linie überzeugt. Darüber hinaus hat Gaiman selbst erklärt, dass es damit zusammenhängt, die Rolle der historischen Johanna reizvoller zu gestalten, indem man sie und den "Gegenwarts-Constantine" mit derselben Person besetzt, was mir absolut schlüssig scheint. Vom ebenfalls neu interpretierten und hier mit Gwendoline Christie (Die letzten Jedi) besetzten Luzifer wird man derweil wohl definitiv auch noch mehr sehen, so man nicht wirklich die Frechheit besitzt, die Serie nach einer Staffel einzustampfen. Das wiederum kann ich mir im vorliegenden Fall aber nun wirklich nicht vorstellen, zumal das Medien-Echo bisher doch recht einhellig positiv gewesen ist, auch wenn vielerorts die inszenatorische Entscheidung, mit visuellen Verzerrungen zu arbeiten, was das Bildformat angeht, nicht unbedingt begrüßt worden ist. Das ist meines Erachtens aber nicht einmal Jammern auf hohem Niveau, sondern vielmehr die Suche nach dem Haar in der Suppe, denn ob man mit der Entscheidung der Verantwortlichen glücklich sein mag oder nicht, trübt das doch kaum den Sehgenuss und die allgemein formidable Optik, der man nur in den seltensten Momenten ankreiden könnte, dass das CGI dann doch (leider) auch als CGI erkennbar ist, was allerdings selten der Fall ist. Klar ist zwar auch, dass man den visuellen Bilderrausch der Vorlage nicht in allen Belangen hat einfangen können, doch in Relation zu Budget und Möglichkeiten macht man bei Sandman schon so einiges möglich und noch mehr richtig. Bleibt letztlich nur zu hoffen, dass wir uns nicht allzu lange gedulden werden müssen, was die zweite Staffel angeht, derweil ich mir hier mehr als sonst wünsche, dass der Streaming-Dienst den Mut und langen Atem besitzt, die Angelegenheit auch bis zum Ende durchzuziehen und eben nicht auf halber Strecke den Stecker zu ziehen. Bis dahin aber sollte man genießen, was bisher produziert worden ist und sofern noch nicht geschehen, sollte wirklich jede*r einen Blick riskieren, auch wenn die Altersfreigabe ab 18 Jahren schon darauf deutet, dass es ab und an – aber wirklich selten – auch mal durchaus blutig und drastisch werden kann, was aber ebenfalls zur phantasmagorischen Faszination von Gaimans Meisterwerk gehört und beiträgt.

Fazit & Wertung:

Netflix ist es mit der ersten Staffel Sandman tatsächlich gelungen, dem Magnum Opus von Neil Gaiman eine würdige Adaption zu spendieren und nicht nur Tom Sturridge als Dream ist ein echter Besetzungs-Coup, während dem Geist der Vorlage in allen Belangen Rechnung getragen wird, obwohl man die Story behutsam modernisiert und angepasst hat. Bleibt lediglich zu hoffen, dass uns diese Serie auch über Jahr erhalten bleiben wird, wie sie es definitiv verdient hätte.

8,5 von 10 Gefahren für das Traumreich

Sandman | Staffel 1

  • Gefahren für das Traumreich - 8.5/10
    8.5/10

Fazit & Wertung:

Netflix ist es mit der ersten Staffel Sandman tatsächlich gelungen, dem Magnum Opus von Neil Gaiman eine würdige Adaption zu spendieren und nicht nur Tom Sturridge als Dream ist ein echter Besetzungs-Coup, während dem Geist der Vorlage in allen Belangen Rechnung getragen wird, obwohl man die Story behutsam modernisiert und angepasst hat. Bleibt lediglich zu hoffen, dass uns diese Serie auch über Jahr erhalten bleiben wird, wie sie es definitiv verdient hätte.

8.5/10
Leser-Wertung 8.5/10 (2 Stimmen)
Sende

Episodenübersicht: Staffel 1

01. Der Schlaf der Gerechten (8,5/10)
02. Gastgeber mit kleinen Fehlern (8,5/10)
03. Träum einen Traum von mir (8,5/10)
04. Hoffnung in der Hölle (9/10)
05. 24 Stunden (9/10)
06. Das Rauschen ihrer Flügel (9/10)
07. Das Puppenhaus (8/10)
08. Vater, Mutter, Kind … (8,5/10)
09. Unter Sammlern (8,5/10)
10. Verlorene Herzen (8,5/10)
11. Der Traum der tausend Katzen / Kalliope (8,5/10)

 
– – –

Sandman | Staffel 1 ist seit dem 05.08.22 exklusiv bei Netflix verfügbar. Am 19.08.22 wurde die elfte Episode als Bonus nachgereicht.

vgw

Sharing is Caring:

Hinterlasse einen Kommentar