Ihr lest gerade den obligatorischen Dreizeiler, den ihr immer dann in neuer Formulierung an dieser Stelle vorfindet, wenn es ein neuer Artikel auf den Blog geschafft hat. Wie das so Usus ist, wünsche ich euch einfach mal wieder viel Spaß bei der Lektüre, freue mich wie gewohnt über Kommentare, Lob und Kritik und bitte selbstredend zu entschuldigen, dass der von mir freimütig als Dreizeiler betitelte Einleitungstext vermutlich auf den wenigsten Endgeräten tatsächlich aus drei Zeilen bestehen wird.
Big Blowdown
Washington-Noir-Serie 1
Big Blowdown, USA 1996, 367 Seiten
© DuMont Buchverlag
George P. Pelecanos
DuMont Buchverlag
978-3-832-16175-0
Krimi | Drama | Historie
Inhalt:
Washington D. C. im Jahre 1946: Peter Karras ist vor nicht einmal einem Jahr aus dem Krieg zurückgekehrt. Zurück in der Heimat, zurück im griechischen Viertel, ist er auf der Suche nach Erfolg und Reichtum. Der Sohn griechischer Einwanderer hat Ambitionen, will nicht in solch ärmlichen Verhältnissen leben müssen wie noch sein Vater Dimitri, der einen Obst- und Gemüsestand betreibt. Obschon er sich im Marine Corps verdient gemacht hat und verheiratet ist, strebt Peter nach mehr und lässt sich bereitwillig von seinem Jugendfreund Joe Recevo an den örtlichen Gangsterboss Burke vermitteln, in dessen Hierarchien er aufzusteigen gedenkt. Doch gleich am ersten Abend weigert sich der eigentlich integre Peter, den Befehlen Folge zu leisten und zieht den Zorn des Kriminellen auf sich. Zu seinem Pech gerät er an Reed, ein weiteres Mitglied der Gang, der ihm im Wahn das Knie zertrümmert und ihn zum Krüppel macht.
Er hörte Elenis Stimme aus der Küche. Sie sang, leicht neben der Melodie, eine Platte von Perry Como mit – »Dig You Later (A Hubba, Hubba, Hubba)« -, die sie am Wochenende im Super Drugs an der 13th und H gekauft hatte. Wenigstens war es nicht die neue Vaughn Monroe, eine Platte, die sie am selben Tag mit nach Hause gebracht hatte. Monroe hing Karras zum Hals raus.
Drei Jahre vergehen und Peter Karras kommt bei Stevanos in dessen Kneipe Nick’s unter, doch die Vergangenheit verfolgt ihn noch immer. Nachdem er seine Träume von Wohlstand und Ansehen hat begraben müssen, wird er erst gezwungen, sich seiner Vergangenheit zu stellen, als der noch immer umtriebige Burke beschließt, seine Handlanger auch bei Nick’s vorbeizuschicken, um Schutzgelder zu erpressen. Diesen Affront wollen die griechichstämmigen Mitarbeiter nicht auf sich sitzen lassen und endlich einmal kommt Peter Karras seine militärische Erfahrung und Ausbildung erneut zugute, wenn er auch längst ahnt, dass er einen hohen Preis wird zahlen müssen, wenn er dem organisierten Verbrechen die Stirn zu bieten gedenkt.
Rezension:
George P. Pelecanos‘ Big Blowdown bildet den Auftakt einer vierbändigen Reihe und beschäftigt sich mit dem organisierten Verbrechen im Washington der Zeit kurz vor und nach dem Ende des II. Weltkriegs, während die folgenden Vertreter der Washington-Noir-Serie (auch D. C. Quartett genannt) sich späteren Jahrzehnten widmen werden. Dabei ist der Roman aber mitnichten ein klassischer Gangster-Thriller, sondern skizziert stattdessen eine Art Mikrokosmos innerhalb der Hauptstadt, der treffend ein Gefühl dafür vermittelt, wie es den Einwanderern in ihren jeweiligen Vierteln ergangen ist, wobei er sich hier – genauso untypisch wie der Schauplatz Washington – nicht etwa auf beispielsweise die Iren stürzt, sondern stattdessen das griechische Viertel in den Fokus der Erzählung rückt.
Recevo grinste kurz, fischte eine Päckchen Raleighs aus seinem Mantel und blies in die geöffnete Packung. Eine Zigarette schnippte heraus. Karras entzündete ein Streichholz, steckte sich selbst eine Lucky an, hielt die Flamme zu Recevo hinüber und gab ihm Feuer. Dann öffnete er das Fenster einen Spalt und warf das Streichholz hinaus in die Nacht.
Die Handlung selbst, wie sich auch schon der Inhaltsangabe entnehmen lässt, splittet sich in zwei große Teile und dieser Bruch ist es auch, der Big Blowdown noch interessanter werden lässt, denn während der erste Teil beinahe klassisch daherkommt und man meint, dem jungen Peter Karras bei seinen ersten Schritten auf einer kriminellen Laufbahn zu folgen, wird diesen Ambitionen ein schnelles und jähes Ende bereitet. Bis dahin allerdings ist einem die Figur, auch dank zahlreicher Rückbelnden und Einschübe, längst ans Herz gewachsen und man mag sich unvermittelt wundern, wo, drei Jahre später, die vermeintliche Hauptfigur geblieben sein mag. Wenn es auch keine fünfzig Seiten dauert, bis Karras wieder in Erscheinung tritt (und man erfährt, dass mittlerweile drei Jahre vergangen sind), führt Pelecanos zunächst die Geschwister Mike und Lola Florek ein. Während Lola dem Charme eines Zuhälters erliegt und nach Washington verschleppt wird, folgt ihr Mike nach, um sie zu retten und landet dabei schlussendlich ebenfalls im Nick’s.
Wenn der Fokus auch durchaus auf Peter Karras liegen mag, ist der Plot um Mike und Lola nur ein Beispiel für diverse Nebenschauplätze, die der Autor ebenfalls mit seiner Erzählung verknüpft und dadurch ein so lebendiges, schillerndes, überzeugendes Bild des damaligen Washington skizziert, wenngleich auffällt, dass all die Hoffnungslosigkeit, das konsequente Vermeiden des Aufkeimens von Hoffnung und das generelle Gefühl, sich auf der Schattenseite der eigentlichen Gesellschaft zu befinden, deutlich machen, dass es sich bei Big Blowdown unverhohlen um einen Vertreter der schwarzen Serie handelt, dem Äquivalent des Film noir, der Pelecanos Jahrzehnte später erfolgreich neues Leben eingehaucht hat.
»Wenn er zu groß wird, wird er zerquetscht. Die Geschäfte sind schon alle verteilt. Snags Lewis hat die Taschendiebe, und Pete Gianaris kontrolliert die Lotteriespiele. Meyers hat die Würfel. Und alles fließt zu Jimmy La Fontaine. Und von La Fontaine läuft ein Draht zu Frank Costello in New York. Glaubst du denn, die New Yorker Gangs lassen sich ein Stück des Geschäfts von einem Haufen Strolche wegnehmen?«
So finden sich auch verständlicherweise immer wieder Einflüsse des Hardboiled-Krimis in dem Roman, wenngleich die eigentliche Krimi-Handlung nie den Fokus der Reise bildet, sondern stattdessen nur einen roten Faden darstellt, um den vorherrschenden Fatalismus der Hoffnungslosen erfahrbar zu machen. So bildet Big Blowdown einen hervorragenden Auftakt, sich nicht nur dem Autor George P. Pelecanos, sondern auch dem Washington vergangener Jahrzehnte anzunähern, wenngleich der eigentliche Auftakt sicherlich eher in der Nick-Stefanos-Trilogie zu suchen ist, die allerdings bislang nicht ins Deutsche übertragen worden ist, deren Protagonist aber auch hier eine wichtige Rolle spielt und – ihr werdet es geahnt haben – das Nicks’s betreibt.
Big Blowdown
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Schießereien im griechischen Viertel - 8/10
8/10
Fazit & Wertung:
George P. Pelecanos hat mit Big Blowdown einen fatalistischen und lakonischen Roman geschaffen, der einen tiefen Einblick in die Schattenseiten des Washingtons vergangener Tage gewährt und darüber hinaus ein spannendes – und zuweilen gar sozialkritisches – Bild der griechischen Einwanderer zeichnet.
Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des DuMont Buchverlages.
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Big Blowdown ist am 24.08.11 im DuMont Buchverlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!
Ah, ist ja lustig! Das Buch liegt auch noch ganz oben auf meinem Lesestapel – und das, wo ich gerade überlege, was ich als nächstes lesen soll. Ein Zeichen? :D
Wer weiß… ;-)
Sei dir nur im Klaren darüber, dass du dann wieder eine Reihe startest, wenn die Teile wohl auch nur lose zusammenzuhängen scheinen. Die Lektüre lohnt sich aber auf alle Fälle, das kann man schon sagen.
Ich habe das Buch letztes Jahr im Urlaub gelesen und hat es mir auch sehr gut gefallen – gerade die Beschreibungen einer Seite von Washington, das man hierzulande nicht unbedingt kennt. Und es sind ja nur vier Teile …
Und die Bücher sind nicht einmal sehr dick, das stimmt wohl. Teil 2 und 3 immerhin liegen hier auch schon bereit. Erst einmal aber wieder ein wenig James Sallis und Ken Bruen lesen, dann schauen wir mal ;-)
Mir hat dieser Blick auf Washington ja wie gesagt auch sehr gefallen, eben weil es nicht dieses ganz alltägliche, nur allzu typische Setting für die damalige Zeit ist.