Review: Nachtfalter | James Sallis (Buch)

Wieder einmal ist es viel viel später geworden als gedacht, aber nachdem ich ja letzte Woche Sonntag schon ausgesetzt hatte, konnte ich es nicht vor mir verantworten, euch auch heute einen neuen Artikel schuldig zu bleiben und während ich mich als gleich um den neuen Media Monday kümmere, könnt ihr euch die Zeit mit dieser neuesten Buch-Kritik vertreiben. Ist doch auch was!

Nachtfalter

Moth, USA 1993, 254 Seiten

Nachtfalter von James Sallis | © DuMont Buchverlag
© DuMont Buchverlag

Autor:
James Sallis

Verlag (D):
DuMont Buchverlag
ISBN:
978-3-832-16242-9

Genre:
Krimi | Thriller

 

Ich ging die Louisiana Avenue hoch, schaute in das Fenster von Brown Sugar Records und auf das Sandpiper’s-Schild über der Tür auf der anderen Straßenseite, ein rund einen halben Meter hohes Martiniglas samt Rührquirl, Olive und einem im Glas endenden Regenbogen. Natürlich sollte es beleuchtet sein, vermutlich in lauter Grün- und Blautönen, aber das Licht funktioniert seit mindestens zwanzig Jahren nicht mehr. Diese großartigen alten Reklameschilder findet man immer noch in der ganzen Stadt. Hier ändert sich alles nur langsam, wenn überhaupt.

Inhalt:

Nach dem Tod seiner Freundin LaVerne begibt sich Lew Griffin auf die Suche nach deren lange verschollener Tochter Alouette, von deren Existenz er bis vor kurzem nichts ahnte. Eigentlich hatte er den Job als Detektiv an den Nagel gehängt, veröffentlichte Kriminalromane und unterrichtete Literatur, doch nun sieht er sich gezwungen, erneut auszuziehen, die Wahrheit zu ergründen. Bei seinen Ermittlungen gerät Lew schneller als ihm lieb ist tief in den Moloch des Verbrechens und erfährt bald darauf, dass Alouette ein Baby bekommen hat. Allen Widrigkeiten zum Trotz ermittelt Griffin weiter und kommt dahinter, wo er LaVernes Tochter finden könnte.

Aber Lew Griffin wäre nicht Lew Griffin wenn er sich bei seiner Detektivarbeit nicht prompt eine Menge Feinde machen würde und so gerät er nicht nur mit der Unterwelt sondern auch der Polizei aneinander, bis er Alouette schließlich findet. Er sieht es als seine Pflicht an, ihr zu helfen, doch erweist sich auch dieses Unterfangen natürlich als schwieriger, als er es sich nur hätte vorstellen können.

Rezension:

Was Jack Taylor für Galway – oder weiter gefasst Irland – ist, ist Lew Griffin für New Orleans beziehungsweise Louisiana, denn auch James Sallis‘ Protagonist ist zwar als Privatdetektiv tätig, doch stehen auch hier nicht unbedingt die Fälle im Vordergrund, sondern vielmehr die zwischenmenschlichen Verwicklungen, die Tragik des Lebens und Lews melancholische Sichtweise auf das, was ihn in den letzten Jahren und Jahrzehnten widerfahren ist. Rauschte der erste Band Stiller Zorn noch in Windeseile durch die Jahrzehnte und wurde gerade dadurch so außergewöhnlich, speziell als Auftakt einer sechsbändigen Reihe, sind wir in Nachtfalter nun quasi in der Gegenwart angekommen und blicken gemeinsam mit Lew bereits auf ein bewegtes Leben zurück. Teil dieses Lebens ist auch LaVerne gewesen, bis sie verschied und im Grunde den Aufhänger der Geschichte liefert, denn es gilt, ihre lang verlorene Tochter zu finden.

Und somit wären wir nun nach geraumer Weile (Sie kennen die Leier, stimmen Sie ruhig mit ein) an der entscheidenden Stelle angelangt, genau eine Woche, bevor Chip Landrieu wie ein Waisenknabe an meiner Tür schellte, und damit wiederum drei Wochen, bevor ich dastand und mit ansehen musste, wie sich jemand an Kartoffelchips und Cola aus einer Mülltonne in Mississippi gütlich tat.
Kommt bislang noch jeder mit?

So erklärt sich auch, warum Lew Griffin sich bereit erklärt, seine frühere Tätigkeit als Ermittler wiederaufzunehmen, denn eigentlich hatte er den Job an den Nagel gehängt, verdingt sich nun als Lehrer und Schriftsteller. In seinen Romanen verarbeitet Lew unter anderem seine eigenen Erlebnisse und speziell durch die Erwähnung selbiger erschließt sich dem Roman noch eine spannende Meta-Ebene, wenn man bedenkt, dass man von einem Mann in einem Buch liest, dass dieser ein Buch geschrieben hat, in dem er seine Vergangenheit verarbeitet, die man selbst aus im Grunde ebenjenen Buch bereits zu kennen meint. Davon abgesehen, ist es James Sallis‘ spezieller Stil, sein Ausdruck, seine Sprache und Herangehensweise, die Nachtfalter so lohnenswert machen.

So ist eben einmal mehr weniger die mitreißende Kriminalhandlung, sondern vielmehr Lew Griffins lakonischer Blick auf New Orleans, die thematisierten Bande zwischen ihm und früheren Weggefährten und seine ungewöhnliche Suche, die ihn nicht nur zu LaVernes Tochter, sondern auch zu deren Tochter führt. Und eigentlich geht es um einen Sinnsuchenden, einen vom Leben Enttäuschten, einen belesenen Mann, den es gegen seinen Willen wieder auf die Straßen treibt, hinein in zwielichtige Gegenden, zu dubiosen Gestalten, an gefährliche Orte und das nur, um einer toten Freundin einen letzten Dienst zu erweisen. Lew Griffin ist trotz seiner Fehler und Verfehlungen einer der letzten Rechtschaffenden und doch gerät er immer wieder in Situationen, in denen er gezwungen ist, sich früherer Verhaltensmuster zu bedienen.

»Du bist ein Goldschatz.«
Doch als ich hinterher in den Spiegel schaute, sah ich überhaupt nichts funkeln, eher einen stumpfen Schein, der alles andere schluckte. Ich musste daran denken, wie alt und verlebt mir Walsh bei Vernes Beerdigung vorgekommen war. Vermutlich sah ich nicht viel besser aus, höchstwahrscheinlich sogar einen ganzen Zacken schlechter. Doch genug der Träumerei. Es gab allerhand zu erledigen. Aufträge, die in Angriff genommen werden wollten, Missstände, die es auszuräumen, Rechte, die es zu verfechten gab.
Lew, der Drachentöter.

Dass Griffin bei seiner Suche nach vermissten Personen schon einiges an Rückschläge in Kauf zu nehmen hatte und nicht einmal fähig war, seinen eigenen Sohn aufzuspüren, klingt dabei in Nachtfalter immer wieder an und so darf man nicht unbedingt auf ein glückliches, freudestrahlendes Ende hoffen, denn die Geschichten von James Sallis gehen selten in die Richtung, dass am Ende sein Held allen Widrigkeiten getrotzt und alle Hürden überwunden hat, doch diese Abkehr von einem typischen Happy End, ebenso wie seine Fokussierung auf die Figuren denn auf den Krimi machen seine Geschichten vor allem eines: zutiefst menschlich – und das ist eine unbedingte Leseempfehlung!

Fazit & Wertung:

Wie schon sein Vorgänger Stiller Zorn ist auch James Sallis‘ Nachtfalter – der zweite Fall für Lew Griffin – ein rundherum überzeugender, literarischer, von Melancholie geprägter Kriminalroman, dem es weniger um den Fall an sich, sondern mehr um seine Protagonisten geht und der dabei mit jedem Wort das ihm eigene Flair von New Orleans und Louisiana verströmt. Ein Roman der Zwischentöne.

8,5 von 10 Vermissten

Nachtfalter

  • Vermisste - 8.5/10
    8.5/10

Fazit & Wertung:

Wie schon sein Vorgänger Stiller Zorn ist auch James Sallis‘ Nachtfalter - der zweite Fall für Lew Griffin – ein rundherum überzeugender, literarischer, von Melancholie geprägter Kriminalroman, dem es weniger um den Fall an sich, sondern mehr um seine Protagonisten geht und der dabei mit jedem Wort das ihm eigene Flair von New Orleans und Louisiana verströmt. Ein Roman der Zwischentöne.

8.5/10
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des DuMont Buchverlages.

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Die Lew-Griffin-Reihe:

1. Stiller Zorn / Die langbeinige Fliege
2. Nachtfalter
3. Black Hornet*
4. Eye of the Cricket*
5. Bluebottle*
6. Ghost of a Flea*
*: (noch) kein deutscher Titel

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Nachtfalter ist am 13.02.14 als Taschenbuch im DuMont Buchverlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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