Und da wären wir auch schon wieder, heute mit einer Buch-Kritik der etwas anderen Art, zumindest im Hinblick darauf, was ich hier die letzten Wochen überwiegend so vorgestellt habe. Aber dass ich einen – zurückhaltend ausgedrückt – breitgefächerten Geschmack habe, wissen ja zumindest die Stammleserinnen und –leser unter euch schon seit längerem und deshalb fügt sich freilich auch diese Kritik nur allzu trefflich in mein mediales Portfolio.
Straight White Male
Straight White Male, UK 2013, 384 Seiten
© Heyne
John Niven
Stephan Glietsch
Heyne Verlag
978-3-453-67694-7
Satire | Drama
Inhalt:
Dieser Kerl – dieser E.G.A.L. (Ehemann, Geliebter, Arsch, Lover, egal was) – war gar nicht mal von schlechten Eltern gewesen, wie Kennedy später einräumen musste. Er hatte ihm nicht sofort einen ungestümen, schlecht gezielten Faustschlag versetzt, wie viele andere es getan hätten. Oder dämlich dahergeredet und seinem Widersacher so wertvolle Sekunden verschafft, um auf die Beine zu kommen. Er hatte einfach über den Tisch gelangt, Kennedy am Revers gepackt – das Revers eines sehr schicken Anzugs aus der Savile Row, Gieves & Hawkes, um genau zu sein – und ihn aus der Sitznische gezerrt.
Morgens ein erster Cocktail, zum Mittag zwei Martini und ein ausgiebiges Lunch bei einer guten Flasche Wein, abends ausgehen und Frauen hinterherjagen, sich alternativ gepflegt vor dem heimischen Laptop befriedigen, während willige Frauen von sonstwo eine Privat-Show für ihn abziehen; das Leben könnte für den gefeierten Schriftsteller Kennedy Marr nicht übersichtlicher und geordneter sein, wenn ihm sein grenzenlos scheinender Hedonismus auch vor Jahren schon den Kontakt zu (Ex-)Frau und Tochter gekostet hat, was in einsamen Momenten durchaus an ihm zu nagen scheint, doch ansonsten bewegt er sich zielsicher taumelnd durch die Glitzerwelt von Los Angeles. Einzig seine Agentin und sein Manager trüben das Gesamtbild, drängen sie ihn schließlich ein um den anderen Tag, auch seine zahlreichen Verpflichtungen zu erfüllen, dieses Drehbuch zu überarbeiten, jenes Buch endlich zu schreiben, diesen Regisseur zurückrufen und jenen Schauspieler beim Brunch verhätscheln.
Doch die Blase droht zu platzen, als seine getreuen Ratgeber Kennedy eröffnen, dass sein exzessiver Lebensstil seinen Tribut fordert, er nicht nur bis Jahresende beim Finanzamt eine Steuerschuld in Millionenhöhe zu begleichen hat, sondern mit seinen oft mehrere tausend Dollar kostenden Mittagessen und sonstigen Eskapaden weit mehr Geld verschleudert, als er zu verdienen imstande ist. Da erscheint der F. W. Bingham Preis wie ein Silberstreif am Horizont, dotiert schließlich auf eine steuerfreie halbe Million, doch bringt die Ehrung dummerweise mit sich, dass Kennedy Marr in seine alte Heimat, nach Irland, zurückkehrt und dort an der Universität zu unterrichten hat. Ihm graut nicht nur vor dem Gedanken, vor semi-talentierten Möchtegern-Schriftstellern dozieren zu müssen, sondern vor allem auch, dass dort seine seit Jahren vor sich hinsiechende Mutter und sein Bruder Patrick auf ihn warten, die ihn nur allzu schmerzlich an seine verstorbene Schwester erinnern. Doch Kennedy wird sich wohl oder übel den Dämonen seiner Vergangenheit stellen müssen.
Rezension:
Dass John Niven ein ziemlich begnadeter Schriftsteller ist, war mir nicht erst seit Music From Big Pink bekannt, doch noch immer klaffen einige ärgerliche Lücken meinerseits bei der Sichtung seines Gesamtwerkes, weshalb mir die im Oktober erfolgte Veröffentlichung von Straight White Male als Taschenbuch ein mehr als willkommener Anlass war, mich wieder einmal seinem Œuvre zu widmen. Und mit seinem Protagonisten Kennedy Marr hat Niven wieder eine Figur geschaffen, bei der man sich hüten möge, sie – schließlich ist Marr zumindest ebenfalls Schriftsteller – als Alter Ego des Autors zu bezeichnen, denn Kennedy ist ein dermaßen hedonistisches, vergnügungssüchtiges, ichbezogenes, nach Sex und Alkohol gierendes Individuum, dass es eine helle Freude wäre, würde dem Ganzen nicht eine so tiefgehende Dramatik innewohnen, denn selbst wenn das erste Drittel des Buches noch beinahe fragmentarisch wirkt und allein der drohende finanzielle Ruin des über seine Verhältnisse lebenden Autors den erzählerischen Rahmen bildet für eine Aneinanderreihung von Eskapaden, Ausschweifungen und Exzessen, schimmert, nein, lauert selbst dort schon das Unheil unter der Oberfläche und Niven versteht es einmalig, in kurzen Erinnerungsfetzen und melancholischen Monologen in die Vergangenheit, auf das Innenleben von Kennedy Marr zu deuten, die erst im letzten Drittel wirklich fulminant in dramatischen Wendungen kulminieren.
Der Freitagabend war nicht groß aus dem Rahmen gefallen: Dinner mit den Jungs in irgendeinem neuen Restaurant, das der Bekannte eines Bekannten gerade eröffnet hatte, danach ein paar Drinks im Soho House, und in den frühen Morgenstunden war er schließlich mit irgendeinem Sternchen, das mal in einer ABC-Sitcom mitgespielt hatte, zu sich nach Hause gefahren. Am Samstag hatte er einen ruhigen Abend verbracht. Nun ja, mehr schlecht als recht …
Marr hat sich zu Beginn des Reigens von Straight White Male – dessen Titel sich natürlich an die auch im Buch thematisierten Dead White Male anlehnt, womit Niven wiederum nicht nur indirekt seine Inspirationsquellen wie etwa Bret Easton Ellis (Imperial Bedrooms) und Konsorten preisgibt – längst an die Filmindustrie prostituiert und des lieben Geldes wegen sämtliche künstlerischen Ambitionen himmelhochjauchzend über Bord geworfen, einfach weil man allein mit einem Script-Polish weitaus mehr Geld scheffeln kann als mit einem ausgewachsenen Roman, wohingegen er selbst diese Jobs kaum noch mit Hingabe, geschweige denn Enthusiasmus zu erledigen imstande ist und tagein tagaus den nächsten Rausch, den nächsten Fick herbeisehnt. Was man als Leser früh zu denken beginnt, wird dann auch von Kennedys Bruder Patrick im weiteren Verlauf verbalisiert, nämlich, dass seine auf Äußerlichkeiten, Statussymbole und Lustbefriedigung fokussierte Scheinwelt zwar von außen hin wie ein glitzerndes, funkelndes Abenteuer anmuten muss, im Inneren aber eine hinter allem lauernde Leere offenbart, was auch dem durchaus noch zur Selbstreflektion fähigen Marr nicht entgeht, wenngleich er sich aufgrund seines über die Jahre immens angewachsenen Schmerzkataloges – wie er es in Anlehnung an Saul Bellow nennt – nur allzu bereitwillig in die oberflächliche Welt der Stars und Möchtegern-Promis flüchtet und folglich auch nicht wahrhaben will, dass diese Zeit ein Ende finden könnte, sollte er sich nicht bereit erklären, als Dozent nach Irland zu reisen, wie seine Berater ihm eindringlich nahezulegen versuchen.
Schlussendlich fügt Kennedy sich in sein unvermeidliches Schicksal und kehrt L. A. den Rücken, doch während die Geschichte selbst nun aufgrund einer ersten echten Entwicklung deutlich stringenter wirkt, erinnern Kennedys Eskapaden an der Uni im Mittelteil von Straight White Male doch oft sehr an die Irrungen und Wirrungen von Hank Moody – der im Übrigen unstrittig als Kennedys Bruder im Geiste bezeichnet werden darf – in der dritten Staffel Californication, die dummerweise zu einer der weniger überzeugenden Episoden der Serie gezählt werden darf, denn ähnlich verhält es sich auch hier, dass ein zunächst vielversprechender Plot und eine unbestreitbar interessante Figur hier allenthalben auch mal mit Altmänner-Fantasien vermischt werden, speziell als Kennedy versucht, sich an eine seiner Studentinnen heranzumachen, die natürlich stets die kürzesten Röcke, die anrüchigsten Outfits, gepaart mit einem regelrechten Traumkörper, zur Schau trägt. Sicherlich mag das alles zum Charakter der Figur Hank –ähm, ich meine – Kennedy Marr passen, doch wirkt der Mittelteil in seinen schlechtesten Momenten eher wie ein notwendiger Lückenfüller, der weder an die fatalistische Wucht der Eingangspassagen, noch an das zunehmend dramatischer werdende letzte Drittel anzuknüpfen vermag.
Wie sollte er Dr. Brendle verständlich machen, dass er sich aufs Fürchterlichste an der Liebe versündigt hatte und deshalb zu Recht fürchtete, sie würde ihm das am Tag der Abrechnung vorhalten? Dass er dann am tiefsten in ihrer Schuld stehen würde, wenn er sie am nötigsten brauchte und nichts anderes mehr zu bieten hatte? Und der Liebe wurden ihre Forderungen niemals verwehrt. Also öffnete man die Whiskyflasche. Zog sich das Koks rein. Warf eine Xanax oder Vicodin ein. Man schob dem Mädchen den Rock hoch und klammerte sich an die Oberleitung, so fest und so lange man eben konnte. Und man tat es wieder und wieder und wieder.
Wie sollte er dem guten Doktor all das erklären? Kennedy seufzte. »Ach, verdammt«, sagte er. »Drauf geschissen.«
In einem gewissen Maße scheint sich aber auch Niven selbst dieses Umstandes bewusst gewesen zu sein und dank der allgemeinen Kurzweil des dennoch oft gleichsam getragen wirkenden Romans Straight White Male erweist sich die Uni-Episode auch als ausnehmend kurz, bevor sich der Autor wieder dem Innenleben seines Protagonisten widmet und mit jeder Offenbarung und Entwicklung wieder mehr zu überzeugen weiß, was in dem Fall für mich persönlich nach sich zog, dass ich die zweite Hälfte des Buches in einem Rutsch verschlungen habe, was bei mir eher seltener vorkommt, doch konnte ich die Geschichte ab einem gewissen Punkt schlichtweg nicht mehr aus der Hand liegen, was wiederum für die Güte der Erzählung spricht, mit der John Niven einmal mehr sein stilistisches wie erzählerisches Talent einmal mehr wortgewaltig unter Beweis stellt. Sicherlich, nicht jeder Teil des Plots, speziell den F. W. Bingham Preis betreffend, wird zu einem befriedigenden Ende gebracht, doch fällt es in Anbetracht der ansonsten unerwartet wuchtigen und zum Ende hin hochdramatischen Szenerie nicht allzu schwer, diesen Part als notwendiges Plot-Device zu verbuchen, um Kennedy aus seinem heimischen Nest in Los Angeles herauszulocken. Am Ende ließ er mich tief beeindruckt und berührt zurück und das hätte ich mir tatsächlich nach dem anfänglichen Reigen aus Sex, Alkohol und Drogen wirklich nicht erwartet. Chapeau.
Straight White Male
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Selbstzerstörerische Ausschweifungen - 9/10
9/10
Fazit & Wertung:
Nach einem überaus starken Einstieg flacht John Nivens Straight White Male zwar im Mittelteil kurzfristig etwas ab, doch tut das der Mär um den scheinbar grenzenlos hedonistischen Protagonisten Kennedy Marr kaum einen Abbruch, zumal es dem Autor gekonnt gelingt, nach und nach die Untiefen hinter der Fassade seiner Figur auszuloten und sich nicht damit begnügt, bloß einen bissigen Abgesang auf die Scheinwelt des Showbiz abzuliefern.
Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von Heyne. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.
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Straight White Male ist am 12.10.15 als Taschenbuch bei Heyne erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!