Auch heute habe ich wieder einen – für einen Donnerstag passend ausgewählten – absolut mittelmäßigen Film im Gepäck, der durchaus das Zeug gehabt hätte, mehr zu sein als die Summe seiner Teile, sich in punkto Storytelling aber merklich verhebt und trotzdem manch gelungenen Moment zu bieten hat.
The Lie
The Lie, USA 2018, 97 Min.
© Amazon Studios
Veena Sud
Veena Sud
Peter Sarsgaard (Jay)
Mireille Enos (Rebecca)
Joey King (Kayla)
Cas Anvar (Sam)
Patti Kim (Detective Kenji)
Nicholas Lea (Detective Barnes)
Devery Jacobs (Britney)
Dani Kind (Trini)
Krimi | Drama | Mystery | Thriller
Trailer:
Inhalt:
© Amazon Studios
Die Eltern von Kayla sind frisch getrennt und während der Teenager die meiste Zeit bei Mutter Rebecca lebt, soll Vater Jay sie zumindest zum Ferien-Tanzlager chauffieren. Auf dem Weg dorthin und inmitten verschneiter Weiten stoßen die beiden auf Britney, eine Freundin von Kayla, die dasselbe Ziel hat und auf den Bus wartet. Jay bietet sich an, sie ebenfalls mitzunehmen, nicht ahnend, was er damit heraufbeschwört. Denn bei einer Pause kommt es zu einem tödlichen Zwischenfall. Als Jay Schreie hört und den Mädchen nacheilt, entdeckt er lediglich Kayla, aufgelöst nahe einer Brücke, die ihm gesteht, sich mit Britney gestritten und sie im Affekt ins Wasser gestoßen zu haben. Von dem Mädchen allerdings fehlt jede Spur und Jay wird schnell klar, dass niemand von dem Vorfall je erfahren darf, denn sonst wäre das Leben seiner Tochter unwiderruflich verwirkt. Dafür muss er allerdings seine Ex Rebecca ins Vertrauen ziehen und gemeinsam entwerfen sie ein Lügengebilde, dem der besorgte Vater von Britney, der alsbald vor ihrer Türe steht, zunächst machtlos gegenübersteht. Sorgen macht Rebecca und Jay allerdings die zunehmende Teilnahmslosigkeit ihrer Tochter, die anscheinend kaum Gewissensbisse hat, ihre Freundin mutmaßlich getötet zu haben…
Rezension:
Im Dreierpack wusste Blumhouse vergangenen Herbst gleich mehrere Filme aus dem eigenen Hause an Amazon zu verhökern, die natürlich die Ergebnisse entsprechend flugs ins eigene Streaming-Portfolio integriert haben und da habe ich mir eben jüngst den bereits 2018 beim Toronto Film Festival uraufgeführten The Lie herausgepickt, der mit einigen mehr oder minder bekannten Namen und einer vielversprechenden Aufmachung als undurchsichtiger Thriller lockt. Der kommt in seinen knapp über neunzig Minuten Laufzeit auch schnell auf den Kern dessen, was Thema sein soll und inszeniert innerhalb der ersten Minuten das Fiasko, das nicht nur eine namensgebende Lüge, sondern gleich ein ganzes Konstrukt davon nach sich ziehen wird. Oft und gern dürfte dabei kritisiert werden, dass sich die Eltern der jungen Kayla vom ersten Moment an irrational und wenig nachvollziehbar verhalten, doch auch wenn ich mich dem grundsätzlich anschließen kann, darf man auch nicht außeracht lassen, in welcher Art unerwarteter und beispielloser Ausnahmesituation sie sich unmittelbar befinden und da kann es dann eben auch schnell vorbei sein mit der Logik und Integrität. Nichtsdestotrotz muss man bereit sein, diese Tatsachen zu aspektieren und zu schlucken, um überhaupt nur die Chance zu haben, Freude an diesem ungewöhnlichen Thriller zu haben.
© Amazon Studios
Dabei wirkt es oft so, als hätte aus The Lie vielleicht noch eher eine wirklich gelungene, rabenschwarze Komödie werden können, denn man merkt die Lust, die Situation genussvoll immer weiter eskalieren zu lassen, wenn sich die Eltern von Kayla in immer neue Widersprüche und aus dem Ärmel geschüttelte Ausreden verstricken, sich dabei letztlich um Kopf und Kragen argumentieren. Den Darstellern kann man hier derweil wenig Vorwürfe machen und sowohl Peter Sarsgaard (Jackie) als auch Mireille Enos (Hanna) überzeugen in den Rollen der aufopferungsvollen, zu allem bereiten Eltern, die sich gefühlt alle paar Minuten fragen müssen, wie weit sie noch zu gehen bereit sind, um das eigene Kind zu schützen. Das geht alsbald soweit, dass sie auch nicht davor zurückschrecken, die Ermittlungen dahingehend auf eine falsche Fährte zu führen, dass sie bewusst und offensiv den Vater der vermissten Britney unter Verdacht geraten lassen, was schon eine gewisse schwarzhumorige Garstigkeit mit sich bringt, die man gerne noch stärker hätte betonen können. Tatsächlich handelt es sich bei dem Film um ein Remake, wie ich im Vorfeld nicht wusste, noch dazu zu einem deutschen Film mit dem Titel Wir Monster, von dem ich bis dato nie etwas gehört hatte.
Und dem Vernehmen nach bleibt das Skript der ebenfalls als Regisseurin fungierenden Veena Sud tatsächlich nah bei der Vorlage und bewahrt sich über weite Strecken eine Ernsthaftigkeit und Dramatik, die in starkem Kontrast zu den inszenierten Absurditäten steht, denn mit jeder neuen Verstrickung, jeder neuen Kurzschlusshandlung der Eltern verliert das Geschehen natürlich weiter an erdender Bodenhaftung, während das Verhalten von Kayla – gelungen verkörpert von Joey King (Die fantastische Welt von Oz) – am Ende nur noch verwirrt, denn nach Trauer und Geschrei folgen manische Phasen ebenso wie Apathie, wobei The Lie hier tatsächlich einer übergeordneten Narrative folgt, die erst spät zum Tragen kommt und einen der gelungeneren Twists des Ganzen darstellt. Nicht zuletzt überzeugt hier der mittlerweile in Verruf geratene Cas Anvar (The Expanse) als besorgter Vater von Britney, hat aber auch den undankbaren Part des ewig Vertrösteten und Belogenen, bevor Kaylas Eltern auf den Trichter kommen, sie könnten gleich andeuten, der angeblich so besorgte Vater sei selbst für das Verschwinden seiner Tochter verantwortlich.
© Amazon Studios
Ja, The Lie hat manch herrlich garstigen Moment zu bieten und wusste mir in seinen Sternstunden durchaus zu imponieren, doch wiegt das unschlüssige und offenkundig kopflose Verhalten von Jay und Rebecca eben weit schwerer und so ist es beinahe unmöglich, den Film wahrhaft ernst zu nehmen und ihn nicht unter Trash zu verbuchen, wozu auch die überbordende Farbentsättigung beiträgt, die als Stilmittel zwar sicher gut gemeint worden ist, hier aber eben ausnahmslos alles in kühle Grau- und Blautöne taucht; einerseits sicherlich, um Kälte und Distanziertheit zu unterstreichen, andererseits vermutlich, um dem Gezeigten einen edleren Anstrich zu geben. So verbirgt sich hier tatsächlich Potential, einerseits an abgründiges Drama, andererseits eine beißend böse Komödie zum Besten zu geben, doch in dem Versuch, beides miteinander zu verquicken, beraubt sich der Film zahlreicher Möglichkeiten und Gelegenheiten, unter Beweis zu stellen, dass er mehr sein könnte als die Summe seiner Teile. So langt es hier leider nur für absolutes Mittelmaß mit manch gelungenem Einzelmoment, während man in Sachen Dramaturgie natürlich auch böswillig von einem erzählerischen Totalausfall sprechen könnte, wenn man nicht zu akzeptieren bereit ist, dass besorgte Eltern sich in solch einer Situation dermaßen irrational und kopflos verhalten könnten.
The Lie
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Zunehmend abstruser werdende Lügenkonstrukte - 5.5/10
5.5/10
Fazit & Wertung:
Mit The Lie adaptiert Veena Sud den deutschen Thriller Wir Monster, hat allerdings merklich damit zu kämpfen, dass viele der Charaktere dermaßen irrational handeln, dass es schwer wird, die Ernsthaftigkeit der Situation durchgehend zu vermitteln. Umso mehr merkt man dem Skript den Spaß an der Eskalation der Situation an, so dass hier der Ansatz einer rabenschwarzen Komödie vielleicht ein besserer gewesen wäre. Es ist mitnichten ein wirklich schlechter Film dabei herausgekommen, leider aber auch kein besonders guter, wenn man von vereinzelten Lichtblicken absieht.
The Lie ist seit dem 06.10.2020 exklusiv bei Amazon Prime Instant Video verfügbar.