Review: Das Manifest der Anonymen Schauspieler | James Franco (Buch)

So, die Urlaubspause ist offiziell vorbei und zum Einstand gibt es direkt mal eine Buch-Kritik, die die Bresche zu den Filmen schlägt, handelt es schließlich im weitesten Sinne von der Schauspielerei und ist zudem von James Franco, den man ja doch auch aus diversen Filmen kennt. Viel Vergnügen mit einer ausnahmsweise vergleichsweise andersartigen Kritik, die hoffentlich diesem Werk gerecht wird.

Das Manifest der Anonymen Schauspieler

Actors Anonymous, USA 2013, 318 Seiten

Das Manifest der Anonymen Schauspieler von James Franco | © Eichborn Verlag
© Eichborn Verlag


Verlag (D):
Eichborn Verlag
ISBN:
978-3-847-90567-7

Genre:
Drama | Satire

 

Inhalt:

Wir von den Anonymen Schauspielern sind über fünfzig Männer und Frauen, die einen scheinbar hoffnungslosen Geistes- und Leibeszustand überwunden haben.
In diesem Band berichten wir von unseren Erfahrungen mit der Existenz, der modernen Gesellschaft und Identität, um geeignete Möglichkeiten des Darstellens und Seins in der Welt zu finden.
Manchmal tut es weh, man selbst zu sein; manchmal kann man sich selbst einfach nicht entkommen. Das Schauspielerleben bietet denen eine Fluchtmöglichkeit, die ihr eigenes Leben langweilig, schmerzhaft und abgeschottet finden. Doch ein Schauspieler/Entfesselungskünstler kann auch zu weit gehen.
Wenn man zu viele Rollen spielt oder sich zu sehr in eine Figur hineinversetzt, kann man sich verlieren. Manche betrachten diesen Verlust als etwas Positives, und vielleicht ist er das auch für Menschen, die gerne entwurzelt im leeren Raum schweben, aber andere, wie die Mitglieder der Anonymen Schauspieler, glauben, dass es gilt, eine Balance zwischen Leben und Kunst zu finden, zwischen erschaffenem und wahrhaftigem Selbst.
Auf diesen Seiten haben wir unsere Erfahrungen zusammengetragen, um andere – Berufsschauspieler, Amateure wie auch Nichtschauspieler – zu einem Leben anzuleiten, das dem psychologischen Determinismus ebenso trotz wie dem chaotischen Wahnsinn.

Rezension:

Das Manifest der anonymen Schauspieler war nicht meine erste Begegnung mit James Francos literarischem Schaffen und es wird auch sicher nicht meine letzte bleiben, auch wenn das als Roman gehandelte Buch schlussendlich alles war, nur kein Roman, denn in Analogie zu den zwölf Schritten und den zwölf Traditionen der Anonymen Alkoholiker ersinnt Franco nun ebenselbiges für die Gruppe der Anonymen Schauspieler, die diesem Buch ihren Titel gegeben haben. Das taugt als roter Faden durchaus, auch wenn man den Zusammenhang zwischen Schritt/Tradition und dem jeweiligen Text manchmal durchaus deutlicher hätte herausstellen können, denn unter den jeweiligen Punkten finden sich nicht etwa staubtrockene Abhandlungen, sondern Kurzgeschichten, Gedichte, Notizen, fragmentarische Entwürfe und experimentelles.

Daniel Day-Lewis fällt nie aus der Rolle, nicht mal, wenn er in der Maske sitzt oder nach Hause geht. Kannst du dir vorstellen, ein halbes Jahr lang Billy the Butcher zu sein? Würdest du dir nicht blöd vorkommen, wenn du als Abraham Lincoln verkleidet durch die Gegend laufen würdest? Mit achtzehn? Mit fünfundzwanzig? Mit vierzig oder fünfzig?
Und was, wenn du dreiunddreißig Jahre lang als irgendein unsicherer Loser herumlaufen würdest? Moment…

Und für genau diese auf den ersten Blick krude Mischung wurde Franco dann auch prompt vom – so scheint es mir – gesamten Feuilleton abgestraft: Prätentiös sei sein Geschreibsel, voller Plattitüden, selbstverliebt und unausgegoren. Was habe ich nicht schlecht gestaunt, wozu man sich bemüßigt fühlte, es Franco anzukreiden und was habe ich mich gewundert, wieso mir das Buch so gut gefallen hat. Langsam dämmerte es mir, spätestens als ich dieses Zitat aus dem Buch erblickte, das als Verweis auf die darin enthaltene Selbstkritik mitangegeben worden war: „Das hier ist ein Mischmasch aus ‘National Enquirer’-Quatsch, viel zu schnellen MTV-Schnitten und irgendwelchem Geschmiere aus einer experimentellen Schreibwerkstatt.“ Recht hat er und dafür mag ich Franco, der sich nicht nur narzisstisch gibt, sondern es auch unverhohlen nach außen trägt, dabei aber immerhin so kokett ist, schon im eigenen Buch zuzugeben, dass sicher nicht jede Scheiße Gold ist, die glänzt, auch seine nicht.

Das Buch ist nicht perfekt, es wird den eigenen Horizont kaum erweitern, doch – anders als die Feuilletonisten – erhoffe ich mir das auch in den seltensten Fällen von einem als Roman angepriesenen Buch, auch wenn es dann eben kein Roman ist. Und genauso wie ich Francos Kurzgeschichtenband Palo Alto mochte, mag ich nun auch Das Manifest der Anonymen Schauspieler, denn abgesehen von dem gedanklichen Überbau der zwölf Schritte und Traditionen sind sich die Bücher nicht unähnlich. Da verwischen Grenzen zwischen Realität und Fiktion, spricht mal Franco selbst, dann als literarisches Alter Ego und wiederum auch als jemand völlig anderes oder gar Frau, die – ja, richtig – James Franco anhimmelt. Natürlich ist das zuweilen selbstverliebt, natürlich ist das selten hohe Kunst, aber es ist derbe, es ist provokativ, es ist ehrlich und es ist unterhaltsam, weil, ja weil es anders ist, frisch und modern, von mir aus auch mit zu schnellen MTV-Schnitten, denn die mochte ich schon in Spring Breakers.

»Wie kann ich dir behilflich sein?«, fragte er.
»Ich will bei Ihnen lernen«, erwiderte ich.
»Warum?«
»Ich will Schauspieler werden.«
»Warum?«
Plötzlich wusste ich nicht mehr, was ich sagen sollte. Dann entschied ich mich für:
»Weil ich mich und mein Leben hasse und jemand anders sein will.«
Mr Smithsons Gesicht blieb ausdruckslos. Ich schaute auf den Tisch. Aus den Augenwinkeln konnte ich ihn mit dem Gummiband spielen sehen.

Vielleicht ist das Buch wirklich nichts für gestandene Literaturkritiker, vielleicht haben sie aber auch das selbstironische Augenzwinkern nicht herauslesen können, vielleicht kennen sie die 30 Rock-Folge nicht, in der Franco sich selbst spielt und die Liebe zu einem Anime-Körperkissen namens Kamiko gesteht, was von der Tendenz und Thematik her in eine ähnliche Kerbe schlägt wie Das Manifest der Anonymen Schauspieler. James Franco ist ein Teil der Popkultur und die Filmindustrie, über die er mitunter schreibt ist es ebenfalls und so ist sein Buch gespickt mit Anspielungen, realen, halbwahren und ausgedachten Geschichten und Querverweisen, bewegt sich zuweilen auf einer Meta-Ebene und verliert sich nur wenige Seiten später wieder in dem übergeordneten Thema der Identitätssuche und Selbstfindung, wenn sich beispielsweise die Email eines Professors als gar nicht von ihm verfasst herausstellt, sondern von dem Mann, der nur Der Schauspieler genannt wird, und der darauf vom echten Professor belehrt wird: „James, hör mit dem Schreiben auf. Dir fehlen die nötigen Fähigkeiten.“ Aber man muss ja nicht immer auf das hören, was selbsternannte Experten zum Besten geben. Und wenn diese Buch-Kritik jetzt so völlig anders war als das, was ihr hier ansonsten lest, macht das gar nichts, denn mit Das Manifest der Anonymen Schauspieler verhält es sich genauso.

Fazit & Wertung:

James Francos Zweitwerk Das Manifest der Anonymen Schauspieler ist an Koketterie und Selbstironie kaum zu überbieten und während die Grenzen zwischen Identität und Realität mehr und mehr verschwimmen, beginnt man sich zu fragen, ob es des übergeordneten, an die Anonymen Alkoholiker angelehnten Konzepts überhaupt bedurft hätte, um diesem Konglomerat aus Gedanken Gedichten, Erzählungen und Geschichten eine Struktur zu verleihen.

8 von 10 Manifestationen der Schauspielerei

Das Manifest der Anonymen Schauspieler

  • Manifestationen der Schauspielerei - 8/10
    8/10

Fazit & Wertung:

James Francos Zweitwerk Das Manifest der Anonymen Schauspieler ist an Koketterie und Selbstironie kaum zu überbieten und während die Grenzen zwischen Identität und Realität mehr und mehr verschwimmen, beginnt man sich zu fragen, ob es des übergeordneten, an die Anonymen Alkoholiker angelehnten Konzepts überhaupt bedurft hätte, um diesem Konglomerat aus Gedanken Gedichten, Erzählungen und Geschichten eine Struktur zu verleihen.

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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des Eichborn Verlages.

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Das Manifest der Anonymen Schauspieler ist am 15.04.14 im Eichborn Verlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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Kommentare (6)

  1. Der Kinogänger 21. September 2014
    • Wulf | Medienjournal 23. September 2014
      • Der Kinogänger 24. September 2014
      • Wulf | Medienjournal 24. September 2014
  2. moep0r 24. September 2014

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