Und da wäre ich auch schon wieder, heute mit der Kritik zu einem Film, über den anscheinend kaum jemand so richtig reden möchte, geschweige denn, dass er ihn gesehen hätte und das, obwohl es sich doch immerhin um das Regie-Debüt von Ryan Gosling handelt. Nach den Schmährufen in Cannes ist es ja aber auch irgendwie nicht verwunderlich, dass er so sang- und klanglos untergegangen ist. Zu Unrecht wie ich meine und warum ich das meine, das könnt ihr ja jetzt nun hier nachlesen:
Lost River
Lost River, USA 2014, 95 Min.
© Tiberius Film
Ryan Gosling
Eva Mendes (Cat)
Ben Mendelsohn (Dave)
Drama | Fantasy | Mystery
Trailer:
Inhalt:
© Tiberius Film
Billy, Mutter zweier Söhne, droht der Verlust ihres Hauses irgendwo am Rande Detroits, denn die Hypotheken-Raten sind zu hoch, die Zinsen steigen unaufhörlich und eigentlich hätte die arbeitslose Mutter überhaupt gar nicht auf ihren Bank-Berater hören dürfen, doch der ist längst nicht mehr im Ort und Dave hat für ihn übernommen. Als Billy sich voller Verzweiflung an ihn wendet, überreicht der ihr die Karte eines fragwürdigen Nachtclubs in der Nähe, dessen Manager er ist, wie Billy erst noch erfahren wird. Doch um ihre Familie zusammenzuhalten, das Haus als letzten Besitz, als Anker und Rückzugsort zu behalten, fügt Billy sich in ihr Schicksal und fährt zu der ihr unbekannten Adresse, nicht ahnend, was sie dort erwartet.
Ihr älterer Sohn Bones derweil treibt sich Tag für Tag in den verlassenen Vierteln des Ortes rum, um Kupferrohre aus der Wand zu reißen und auch sonst alles zu Geld zu machen, was sich irgendwie zu Geld machen lässt, doch zieht er damit auch den Unmut des Gangsters und Soziopathen Bully auf sich, der längst der Meinung ist, ihm gehöre der verwahrloste Teil der Stadt, woraufhin er die Hetzjagd auf Bones eröffnet. Während Billy von alldem noch nicht einmal etwas ahnt, bändelt Bones mit seiner Nachbarin an, die von allen nur Ratte genannt wird und ihm von einem Fluch erzählt, der auf Lost River liegen soll. Unterdessen beginnt Bully zu erkennen, dass eine Verbindung zwischen Bones und Ratte besteht und plant eine Kontaktaufnahme der ganz besonderen Art, während Billy immer weiter in den Kaninchenbau des Nachtclubs vordringt…
© Tiberius Film
Rezension:
Nun ja, man hat es nicht leicht als Schauspieler mit Filmemacher-Ambitionen und gerade aufgrund der eigenwilligen Machart seines Regie-Debüts ist es kaum verwunderlich, welche Welle der Häme und Belustigung über Ryan Gosling zusammenschlug, als er sein Erstlingswerk Lost River präsentierte, zumal sicherlich nicht in Abrede zu stellen ist, dass er sich zumindest inszenatorisch insbesondere von Nicolas Winding Refn hat inspirieren lassen, für denn er sowohl bei Drive als auch Only God Forgives bereits vor der Kamera stand, doch ihm deshalb gleich vorzuwerfen, sein Werk sei prätentiös geraten, erscheint mir nur bedingt nachvollziehbar, zumal das eine dieser Worthülsen ist, die man im Grunde jedem künstlerisch ambitionierten Werk entgegenschleudern kann, so es einem schlichtweg nicht gefällt oder man keine Lust hat, sich mit Intention und Aussage auseinanderzusetzen, zumal Kunst ja bekanntlich stets im Auge des Betrachters liegt, weshalb ich zwar einerseits durchaus nachvollziehen kann, woran man die prätentiöse Machart seiner märchenhaften Erzählung festmachen mag, es andererseits aber bei der Sichtung selbst schlicht und ergreifend nicht so erlebt habe, sondern mich ganz und gar in eine durch und durch ungewöhnliche, teils schier soghafte, jederzeit von einer beklemmenden Atmosphäre durchzogene Geschichte fallen lassen konnte, die mir gerade in Anbetracht der Tatsache, dass Gosling nicht auf jahrelange Erfahrung und das daraus resultierende Handwerkszeug im Filmemachen zurückgreifen konnte, doch nicht nur ausnehmend gut gefallen hat, sondern mir regelrecht zu imponieren wusste.
© Tiberius Film
Selbstredend mag man bemängeln, dass die Geschichte von Lost River ein wenig mehr Drive (hier ist jetzt nicht der Film gemeint) und Stringenz hätte vertragen können und auch ich mache dort meine Kritikpunkte fest, weil hier, wären die einzelnen und erst spät zusammenlaufenden Handlungsstränge noch konsequenter durch- und zu Ende gedacht worden, sicherlich gar noch mehr drin gewesen wäre, doch dennoch gelingt es Gosling, insbesondere dank seines formidablen Casts, eine Geschichte von Zerstörung und Zerfall, Selbstaufgabe und Hoffnung zu erzählen, eine Geschichte, die sich zugegebenermaßen kaum an filmische, geschweige denn dramaturgische Konventionen hält und damit sicherlich einigen vor den Kopf stößt, was auch absolut nachvollziehbar ist, doch bemerke ich immer wieder, dass es gerade diese unangepassten, ungewöhnlichen und zutiefst merkwürdigen Filme sind, die – wenn sie auch sicherlich in ihrer teilweisen Unzugänglichkeit keine Höchstnoten bekommen – mich doch ein ums andere Mal faszinieren.
Exakt so verhält es sich nämlich auch bei Lost River, dessen Geschichte zwar einen Anfang und ein Ende hat, dazwischen aber mitnichten nur annähernd alles erklärt, vieles der Imagination überlässt, sich als entrücktes Märchen präsentiert, ohne offensiv in übersinnliche Bereiche vorzustoßen, auch wenn man gewillt sein könnte, dies zumindest hinsichtlich des Fluchs, der angeblich auf dem Ort liege, zu glauben, sondern sich vielmehr darauf konzentriert, eine Symbiose aus Bild, Ton und Atmosphäre zu schaffen, was ihm in meinen Augen tadellos gelingt, wenn ich alleine bedenke, wie lange mir der Soundtrack des Films noch in den Ohren nachhallte, von den teils hypnotischen und großartig surreal inszenierten Bildern ganz zu schweigen. Natürlich, das alles hätte noch weitaus imposanter sein können und ja, eine Botschaft müsste man erst in den Film hineininterpretieren, das ändert aber nichts an dem Umstand, dass die überspitzten Figuren, die überzeichnete Realität des Ganzen wie ein merkwürdig faszinierendes Zerrbild der Realität wirken, wie man es nur selten zu Gesicht bekommt. Eines der größten Mankos ist es da tatsächlich, dass sich die meiste Zeit die Handlungsstränge der von Christina Hendricks (Mad Men) verkörperten Billy und ihrem von Iain De Caestecker (Agents of S.H.I.E.L.D.) gespielten Sohn Bones die meiste Zeit kaum überschneiden, denn wäre hier eine noch engere Verzahnung der Geschehnisse möglich gewesen, hätte das Gesamtwerk womöglich noch überzeugender gewirkt.
© Tiberius Film
Doch auch abgesehen von den beiden Hauptfiguren überzeugt der Cast in allen Belangen und während Saoirse Ronan (Wer ist Hanna?) zwar die meiste Zeit eher im Hintergrund bleibt, kann sie durchaus einige starke Szenen für sich verbuchen, insbesondere im Zusammenspiel mit Matt Smith, der mir und den meisten noch am ehesten als elfter Dr. Who bekannt sein mag (und erst kürzlich in meiner Review zu Terminator: Genisys Erwähnung fand) und hier als glatzköpfiger Psychopath eine bahnbrechende Leistung abliefert, schlicht weil sein Habitus ihn als Figur so erschreckend wie bedrohlich wirken lässt wie lange keinen Schurken mehr zuvor. Einzig Eva Mendes scheint in dem Reigen durchaus austauschbar zu sein und ihre Rolle gibt nicht allzu viel her, wohingegen Ben Mendelsohn (Killing Them Softly) – einer dieser stetig zu Unrecht unterschätzten oder übergangenen Schauspieler – hier in seiner Rolle als Bankangestellter und gleichsam Club-Betreiber wahrhaft alle Register zieht. Wer also dramaturgisch wie inszenatorisch unkonventionellen Filmen etwas abgewinnen kann und damit leben zu können meint, dass sich Gosling zugegebenermaßen nicht gerade subtil an Vorbildern wie Winding Refn, aber auch beispielsweise David Laynch orientiert, der sollte bei Lost River durchaus mal einen Blick riskieren und könnte überrascht sein von der in sich äußerst stimmigen und eindrücklichen Inszenierung, die für ein Regie-Debüt schon durchaus beachtlich ist.
Ein paar Worte zu Lost River 3D:
© Tiberius Film
Nachdem ich das in meinen Augen von vielen zu Unrecht pauschal abgestrafte Erstlingswerk von Ryan Gosling nun so hochgelobt habe, möchte ich auch noch ein paar Worte zu der 3D-Fassung des Films verlieren und muss zumindest hier deutlich verhaltener argumentieren, denn die nachträgliche Konvertierung ins dreidimensionale Bild scheint nicht nur auffallend lieblos vonstattengegangen zu sein, die suggerierte Tiefe verspricht in Anbetracht der Aufmachung des Films auch keinen ersichtlichen Mehrwert, denn abgesehen davon, dass man ein Kind auf der Wiese nun vielleicht etwas deutlicher nach hinten zu rennen sehen meint, ist hier die 3D-Variante nicht nur absolut entbehrlich, sondern noch dazu nicht annähernd so wirksam und überzeugend, wie man sich das wünschen würde, zumal man ja im Grunde bei jedem Film die Möglichkeit hätte, sich einen 3D-Modus hinzuzuschalten, was vermutlich zu beinahe ähnlichen Ergebnissen führen würde, wobei sich die Frage nach Sinn und Zweck des Ganzen in beiden Varianten stellt.
Lost River
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Ausflüge in eine versunkene Stadt - 8/10
8/10
Fazit & Wertung:
Wenn Ryan Gosling für sein Regie-Debüt Lost River ordentlich Kritik hat einstecken müssen, ist der Film nicht annähernd so schlecht wie sein Ruf und sollte bei Freunden entsprechend sperriger und unkonventioneller Filme nicht nur durchaus Anklang finden, sondern regelrecht zu begeistern wissen, denn auch wenn der Plot selbst durchaus als dünn zu betrachten ist, sind es die packenden Bilder, die surrealen Einschübe, der großartige Soundtrack, die merkwürdig entrückt wirkende Atmosphäre und nicht zuletzt der durch und durch sehenswerte Cast, die aus diesem Film für die richtige Klientel ein regelrechtes Erlebnis machen dürfte.
Meinungen aus der Blogosphäre:
Vieraugen Kino: 7/10 Punkte
Lost River ist am 08.10.15 auf DVD und Blu-ray im Vertrieb von Tiberius Film erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!
DVD:
Blu-ray:
Trotz deiner recht guten Kritik wahrlich kein Interesse an den Film. Dieses psychedelische Spiel reichte mir schon mit “Only God Forgives” – Style over substance. Einzig “Drive” wusste in dieser “Schiene” zuletzt (sehr) zu gefallen. Sorry Ryan, no chance. Die vielen negativen Stimmen und die Enttäuschung mit OGF haben da überwogen.
Wie immer zuverläsig meine Kritik verlinkt, schön!
Ein sehr stimmungsvoller Film, der wie dur richtig bemerkt hast, Wulf inhaltlich leider etwas zu wenig hergibt. Aber die ganze Kritikerschelte kann ich auch nicht nachvollziehen. Allerdings kenne ich auch nicht Ryan Goslings Filme von Nicolas Winding Refn nicht gesehen. “Lost River” hab ich übrigens im Sommer beim Open Air Kino gesehen, toller Erfahrung.
Der Extended Cut (ca. 10 Minuten länger) wird vsl. eine meiner ersten BluRay-Käufe sein.