Und da wäre ich auch schon wieder als ewig gestriger Nachzügler und besinge einen Film, der von einem Großteil der Blogosphäre schon vor mehr als geraumer Zeit abgefeiert worden ist, aber so ist das eben, wenn man mit der Sichtung all der Filme, die man sich im Kaufwahn so zulegt, kaum noch hinterherkommt. Aber egal, jetzt gibt es eben auch noch meine Meinung zu:
Birdman
oder
(Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)
Birdman: or (The Unexpected Virtue of Ignorance), USA/CA 2014, 119 Min.
© Twentieth Century Fox
Alejandro González Iñárritu
Alejandro González Iñárritu
Nicolás Giacobone
Alexander Dinelaris
Armando Bo
Edward Norton (Mike)
Zach Galifianakis (Jake)
Andrea Riseborough (Laura)
Komödie | Drama | Satire
Trailer:
Inhalt:
© Twentieth Century Fox
Riggan Thomson war einst eine große Nummer im Film-Business und wurde durch seine Superhelden-Rolle als Birdman in den gleichnamigen Filmen weltberühmt, doch liegen die Filme lange zurück und Riggan hat seitdem keine nennenswerte Rolle gespielt. Riggan allerdings plant sein Comeback und hat sich vorgenommen, als Regisseur und Darsteller ein Broadway-Stück auf die Beine zu stellen, um allen zu beweisen, zu welch darstellerischer Brillanz er auch heute noch imstande ist. Die Proben allerdings gestalten sich zuweilen schwierig, zumal in Riggans Kopf noch immer Birdman zu ihm spricht, der nicht müde wird zu betonen, für welch verweichlichten Schwächling er Riggan hält, der besser einen vierten Birdman-Film drehen solle, als sich mit diesem Hirngespinst von Theaterstück herumzuschlagen. Während die Premiere des Stücks dennoch unaufhaltsam näher rückt, hält Riggan sich dafür verantwortlich, dass einer seiner Darsteller unfallbedingt ausscheidet und kurz entschlossen wird in Gestalt des arroganten wie cholerischen Mike Ersatz herbeigekarrt.
Während Riggan und Mike prompt ein ums andere Mal aneinandergeraten, hat Riggans Tochter Sam, die sich ebenfalls tagein tagaus im Theater aufhält und für ihren Vater kleinere Besorgungen tätigt, schnell ein Auge auf den charismatischen Mike geworfen. Damit nicht genug, eröffnet eine der Darstellerinnen, Laura, Riggan aus heiterem Himmel, von ihm schwanger geworden zu sein, während Lesley, der weibliche Star der Show kurz vor einem Nervenzusammenbruch zu stehen scheint und selbst Riggans Exfrau ihn ein ums andere Mal zu besuchen meint, selbstredend gerade dann, wenn sein Nervenkostüm bereits besonders aufgeraut ist oder er gerade eine hitzige Debatte mit Birdman führt…
Rezension:
Während Regisseur und (Co-)Drehbuchautor Alejandro González Iñárritu mit The Revenant jüngst bereits neue Erfolge feiert, habe ich mich nun zumindest endlich seinem vielgepriesenen Werk Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) widmen können und meine, einen neuen Lieblingsfilm gefunden zu haben, so großartig empfand ich die als große Plansequenz angelegte Inszenierung des beinahe gesamten Films, die spitzzüngigen und pointierten, von Querverweisen und Meta-Bezügen strotzenden Dialoge und das unvergleichliche Schauspiel gleich einer ganzen Riege Darsteller, die nicht von ungefähr auf eine breitgefächerte Erfahrung im Superhelden-Metier zurückblicken können, das Iñárritu hier so gekonnt wie gewollt aufs Korn nimmt, während sich sein satirisch angelegtes Werk damit längst nicht begnügt und gleich gegen das gesamte Showbiz seine Salven abfeuert. Birdman mag nicht ein Film für jedermann sein und ich verstehe gut, wenn jemandem diese Chose so absolut nicht zusagen möchte, doch ich hatte, obwohl der Film oftmals getragen und hochdramatisch daherkommt, lange nicht mehr so viel Freude bei der Sichtung eines Films, der sich in einer derartigen Überhöhung des Gesehenen ergeht, dass es eine wahre Freude ist, wenn ausgerechnet Michael Keaton den abgehalfterten Ex-Superheldendarsteller gibt, der nun am Theater neue Erfolge zu verbuchen trachtet, während der Film selbst in weiten Teilen wie ein Theaterstück wirkt, sich um die Entstehung eines Theaterstückes dreht und gegen Ende dann ganz bewusst gänzlich die Bodenhaftung verliert.
© Twentieth Century Fox
Zwar dreht sich Birdman zuvorderst um Michael Keatons Figur des Riggan, der von der Stimme seines Alter Egos Birdman heimgesucht wird und über Superkräfte zu verfügen meint/scheint, doch ist Iñárritus Werk durchaus als Ensemble-Stück zu verstehen und insbesondere Edward Norton (Leaves of Grass) liefert hier seine seit Jahren großartigste Leistung als arroganter Method-Actor Mike ab, geht so völlig in dieser Figur auf, dass man nur staunen kann, weshalb auch insbesondere seine Konfrontationen mit Riggan zu den Highlights des Films zählen dürfen, ebenso aber die ungemein vielschichtigen Dialoge zwischen ihm und der von Emma Stone (Magic in the Moonlight) verkörperten Sam, ihres Zeichens Tochter von Riggan und sich mit ihren eigenen Dämonen herumschlagend. Im Grunde ist der gesamte Film ein einzigartiges Kammerspiel und schafft in Gestalt des Theaters seinen eigenen, vom eigentlichen Leben wie losgelöst scheinenden Mikrokosmos, der auch nur in den seltensten Fällen einmal verlassen wird und in ebenjenem Mikrokosmos, dem Film, der dokumentiert, wie ein Theaterstück entsteht und die Premiere unaufhaltsam näher rückt, inszeniert der Ausnahmeregisseur den unweigerlichen psychischen Niedergang eines alternden, sich nach Berühmtheit und Anerkennung sehnenden Schauspielers, dessen geistige Konstitution von Beginn an im Wanken begriffen zu sein scheint, denn allein die erste Szene, in der man Riggan zu Gesicht bekommt, zeigt ihn schwebend in seiner eigenen Garderobe und die tiefe, basslastige Stimme, die da aus seinem Kopf heraus zu ihm spricht – Birdman – und die nicht von ungefähr enorm an die seltsam verfremdete Stimme von Batman erinnert, lassen kaum einen Zweifel daran, dass Riggan nicht etwa über unerklärliche Kräfte verfügt, sondern weit wahrscheinlicher einen gehörigen Schaden hat, was sich später auch noch deutlicher herauskristallisieren soll.
So verschwimmen die Grenzen von Realität und Fiktion mehr und mehr, werden die Geschehnisse innerhalb des Theaters immer absurder und unglaublicher, während die ungemein spleenigen Akteure ihr Übriges tun, um der abgehobenen Chose noch den letzten Kniff zu geben. Dabei ist Birdman aber auch bis auf wenige Ausnahmen ungemein ruhig und wenig effekthascherisch inszeniert und legt seinen Fokus klar auf die ausnahmslos großartig aufspielenden Darsteller, so dass selbst Zach Galifianakis (It’s Kind of a Funny Story) hier endlich wieder einmal zeigen kann, dass er auch ernstzunehmende Rollen spielend zu verkörpern weiß, so wie hier etwa den ungemein gutmütigen und besorgten Manager Jake. Naomi Watts (Gefühlt Mitte Zwanzig) ist als Gegenpart zu Nortons Mike zwar nicht ganz ebenbürtig und ihre Figur der Lesley wird nicht unbedingt vollumfänglich ausgelotet, doch schmälert das ihre Leistung in keiner Weise. Selbiges gilt derweil – um den Cast zu vervollständigen – auch für Andrea Riseborough (Oblivion) als Laura sowie last but not least Amy Ryan als Riggans Exfrau Sylvia, die ebenfalls ihre starken Szenen zugesprochen bekommen, aber eben nicht so stark polarisieren dürfen wie Keaton, Norton und Stone.
© Twentieth Century Fox
Durch diesen Umstand gelingt Iñárritu dann auch das seltene Kunststück, das absolut Beste aus seinem Ensemble herauszuholen und schafft ein in sich ungemein stimmiges und konsistentes Gesamtwerk, das mich von der ersten bis zur letzten Minute zu fesseln wusste und bei dem keine Szene, keine Einstellung unnötig oder überflüssig gewirkt hätte, sogar weit mehr, zwingend nötig schien und beinahe zu jedem Zeitpunkt zudem mit einer Meta-Ebene versehen, die mal mehr, mal weniger offensichtlich einen satirisch gefärbten Seitenhieb enthielt und ob der sich nun gegen die Hollywood-Maschinerie, das Theater, den Hype um Superheldenfilme, das Ego von Schauspielern, das Wesen der Kunst- und Kultur-Kritiker oder allgemeinen Opportunismus, die sozialen Netzwerke und das Internet oder ganz allgemein auf heutige Lebensrealitäten richtete, schien beinahe schon nebensächlich zu sein, zumal Birdman hier durchaus mehr als eine Lesart bereithält und in die eine wie andere Richtung gedeutet werden kann. Dabei verkommt der Film aber dennoch nicht zu einem verkopften Kunstprodukt und schafft den seltenen Spagat zwischen künstlerischem Anspruch und Massentauglichkeit, womit sozusagen der Film zuletzt auch als Kommentar zu sich selbst verstanden werden kann und mich schlussendlich mit einem Ende, wie es offener und vor allem deutungsoffener kaum sein könnte, maßlos begeistert zurückließ, denn fernab des für sich genommen schon beinahe ausufernden Unterhaltungswertes regt Iñárritus Birdman auch zum Nachdenken an und endet mitnichten, wenn der Abspann über den Bildschirm flimmert, denn bis dahin hat sich dieses einzigartige, vielschichtige, nuancierte Kammerspiel mit seinen sich überlagernden Deutungs- und Realitätsebenen schon viel zu tief ins Gehirn gebrannt, als dass man diesen Film für sich selbst so einfach ad acta legen könnte. Zumindest ging es mir so und das ist wohl das Beste, was ein Film bewirken kann. Uneingeschränkt empfehlenswertes wie großartiges Kino.
Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)
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Zwiegespräche mit dem fiktiven Superhelden-Alter Ego - 10/10
10/10
Fazit & Wertung:
Alejandro González Iñárritus Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) ist ein bestechend ungewöhnlicher Film mit unvergleichlich durchdachtem Drehbuch voller skurriler wie merkwürdiger Begegnungen und Begebenheiten, ungemein pointierten wie vielschichtigen Dialogen und einem von Michael Keaton angeführten Darsteller-Ensemble, das samt und sonders zu Hochform aufläuft und in Kombination mit der einzigartigen Kameraarbeit, den unterschiedlichen Deutungs-Ebenen ein einmaliges Filmerlebnis beschert.
Meinungen aus der Blogosphäre:
Cellurizon: 10/10 Punkte
ERGOThek: 5/5 DeLoreans
Filmkompass: 5/6 Punkte
Der Filmtipp
Der Kinogänger: 9/10 Punkte
Vieraugen Kino: 9/10 Punkte
Birdman ist am 11.06.15 auf DVD und Blu-ray im Vertrieb von Twentieth Century Fox erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!
Also zunächst mal möchte ich zu deiner Einleitung sagen, dass es überhaupt nicht darauf ankommt, wann man einen Film rezensiert. Hauptsache ist nur, dass man es tut ;-) und dass man sich Mühe dabei gibt. (Und du hast dir Mühe gegeben, also alles gut. ;-) )
Zum Film brauche ich, glaube ich, nicht viel zu sagen. Er ist toll. Auch wenn einen das Ende mit einem großen Fragezeichen zurücklässt. Aber solche Filme muss es auch geben. ;-)
P.S. Vielleicht kannst du meine Kritik noch in deine Blogosphäre-Übersicht aufnehmen: https://filmkompass.wordpress.com/2015/02/02/birdman-2014/
Ja, okay, dass es nicht wirklich darauf ankommt, wann man einen Film rezensiert ist mir auch klar, nur fällt mir eben bei solch bekannten Werken immer wieder auf, wie spät ich dann vergleichsweise dran bin, aber so lange man merkt, dass ich mir Mühe gegeben habe ist ja alles gut ;) Und danke für das Lob! :)
Gerade das Fragezeichen bezüglich des Endes fand ich auch so toll muss ich sagen, weil es zum Diskutieren einlädt, ob das jetzt real war, ein Traum oder wie auch immer und ein profaneres, normales Ende hätte meines Erachtens eben auch nicht wirklich gepasst.
Deinen Artikel – wie du siehst – habe ich natürlich längst in die Übersicht mit aufgenommen.
Hier passt alles, was beim Revenant nicht passt.
Gute Kritik übrigens. :-)