Review: Zwischen zwei Sternen | Becky Chambers (Buch)

Heute möchte ich euch mal wieder von einer eher ungewöhnlichen Science-Fiction-Story berichten, deren direkter Vorgänger kurioserweise erst kürzlich in Buch-Blogger-Kreisen ziemlich die Runde machte, was mich ein wenig irritiert hat, nachdem ich schon vergangenes Jahr im Februar ins Schwärmen geraten bin. Der Nachfolgeband nun kommt nicht ganz an die Qualität von Chambers‘ Debüt heran, ist aber trotzdem allemal lesenswert.

Zwischen zwei Sternen

A Closed and Common Orbit, USA 2016, 450 Seiten

Zwischen zwei Sternen von Becky Chambers | ©  FISCHER Tor
© FISCHER Tor

Autorin:
Becky Chambers
Übersetzerin:
Karin Will

Verlag (D):
FISCHER Tor
ISBN:
978-3-596-03569-4

Genre:
Science-Fiction | Drama

 

Inhalt:

Auf ihren eigenen Wunsch hat sich Lovelace, die Schiffs-KI der "Wayfarer", in ein menschliches Kit transferieren lassen, insbesondere, um ihre Beziehung mit Jenks auf eine neue Stufe zu heben. Der Transfer allerdings ging mitnichten reibungslos vonstatten und in einer Kurzschlussreaktion löschte die KI den Erinnerungsspeicher, so dass von der Lovey, wie die Besatzung und der Captain der "Wayfarer" sie kannten, nichts mehr geblieben ist. Die aufgeweckte wie findige Mechanikerin Pepper derweil war bereit, sich der nun in einem menschlichen Körper ohne Erinnerung befindlichen KI anzunehmen, die sich anlässlich des "Neustarts" den Namen Sidra gibt und fortan versucht, ihren Platz in der Welt zu finden. Peppers Handeln kommt dabei nicht von ungefähr, wurde sie schließlich zu einer Zeit, als sie noch "Jane 23" genannt wurde, selbst von einer KI großgezogen, die sie auch nach all den Jahren noch schmerzlich vermisst und die für sie weit mehr war als nur ein schnödes Computerprogramm…

Rezension:

Nachdem ich im vergangenen Jahr von Becky Chambers‘ Debüt-Roman Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten schlichtweg begeistert gewesen bin und mich gar nicht sattlesen konnte an all den Figuren, Ideen und Ansätzen ihres Wayfarer-Universums, habe ich natürlich der alsbald angekündigten Fortsetzung Zwischen zwei Sternen regelrecht entgegengefiebert, wobei es wohl durchaus schon Bände sprechen dürfte, dass ich, obwohl das Buch nun bereits Ende Januar bei Fischer Tor erschienen ist, erst jetzt darüber berichte. Entgegen meiner ursprünglichen Erwartung handelt es sich nämlich mitnichten um eine direkte Fortsetzung der Ereignisse des ersten Bandes, sondern eher schon um eine Art Spin-off, das sich in diesem Fall der KI Lovelace widmet, die gegen Ende des ersten Bandes in einen künstlichen menschlichen Körper – schlicht "Kit" genannt – transferiert worden ist, dabei allerdings auch ihr Gedächtnis verloren hat und sich nun unter dem Namen Sidra eine Existenz als Lebewesen aufzubauen versucht, auch wenn ihr viele der für uns gängigen Konzepte zunächst neu und gänzlich unverständlich erscheinen.

Seit achtundzwanzig Minuten befand sich Lovelace nun in einem Körper, aber es fühlte sich noch kein bisschen weniger falsch an als in dem Augenblick, als sie darin erwacht war. Eigentlich gab es dafür keinen trift igen Grund. Keinerlei Fehlfunktionen. Nichts war defekt. Alle Dateien waren korrekt übertragen worden. Das Gefühl des Falschseins ließ sich durch Systemchecks nicht erklären, aber dennoch war es da und zerrte an ihren kognitiven Bahnen. Pepper hatte gesagt, dass die Gewöhnung Zeit brauchen würde, aber sie hatte nicht gesagt, wie viel Zeit. Lovelace gefi el das nicht. Das Fehlen eines Zeitplans beunruhigte sie.

Dabei beweist Chambers zwar durchaus dieselbe kluge, einfühlsame Herangehensweise, die auch schon ihren Erstling ausgezeichnet hat und entfaltet im weiteren Verlauf einen regelrechten Reigen an geradezu philosophischen Ansätzen die Frage betreffend, was es bedeutet, ein Mensch, oder allgemeiner Lebewesen zu sein, wer darüber entscheidet und wie sich das eigene Selbstbild trägt. Somit ist auch Zwischen zwei Sternen unbestritten klug und scharfsinnig verfasst, doch fehlte mir schlichtweg eine ganze Weile lang der Rest der so erfrischend diversifizierten Wayfarer-Crew, da sich der Band einzig auf Sidra sowie Pepper konzentriert, deren Kindheit und Jugend in einem parallel verlaufenden Handlungsstrang ebenfalls ausführlich aufgerollt wird. Der mag nicht minder gelungen sein und ergänzt die Geschehnisse um Sidra in der "Gegenwart" des Romans durchaus, doch wollte sich bei beiden Handlungen lange Zeit eben nicht derselbe Zauber einstellen, wie es bei dem ersten Ausflug ins Wayfarer-Universum noch der Fall gewesen ist.

Vor allem aber hat Chambers hier merklich daran zu knabbern, einen großen und zusammenhängenden Roman zu konzipieren, denn so gelungen ihr Erstling auch gewesen sein mag, handelt es sich doch wenn man ehrlich ist um eine Aneinanderreihung nur lose miteinander verknüpfter Kurzgeschichten, die eben einzig und speziell durch die Crew der Wayfarer geeint worden sind. Nun auf einen Großteil der Crew sowie das Schiff als verbindendes Element zu verzichten, sorgt dramaturgisch für einen gewissen Leerlauf, so dass ich nicht nur einige Zeit gebraucht habe, mich in die zwei Parallelhandlungen einzufinden, sondern auch immer mal wieder mit leichteren Längen zu kämpfen hatte, denn so klug und detailliert die Schilderungen allerorten auch sein mögen, ergeht sie sich für meinen Geschmack manches Mal zu sehr darin, alltägliche Situationen zu schildern, die oft auch einen roten Faden kaum erkennen lassen, wenn man einmal von übergeordneten Zielen wie Sidras Selbstfindung absieht. Nichtsdestotrotz strotzen aber auch hier die Schilderungen vor Einfallsreichtum und Gespür für Dramatik und Emotionen, so dass man sich durchaus in Zwischen zwei Sternen einzulesen vermag, was nur eben etwas länger braucht und bis zuletzt nicht dieselbe Sogwirkung entfaltet wie noch der vorangegangene Band.

»Wieso wollte meine frühere Installation das? Wieso hat sie sich das angetan?«
Pepper seufzte und fuhr sich mit der Hand über den haarlosen Schädel. »Lovey … hatte viel Zeit, um darüber nachzudenken. Ich wette, sie hat wie wild recherchiert. Sowohl sie als auch Jenks. Die beiden hätten gewusst, was auf sie zukam. Du dagegen … wusstest es nicht. Das ist immerhin dein allererster Tag bei Bewusstsein, und den haben wir dir einfach so verpasst, mit allem, was dazugehört.« Sie steckte sich den Daumennagel in den Mund und fuhr mit der unteren Zahnreihe daran entlang, während sie nachdachte. »Für mich ist das alles auch neu. Aber wir stehen das gemeinsam durch. Du musst mir immer Bescheid sagen, wenn etwas ist. Gibt es … gibt es irgendwas, was ich für dich tun kann?«

Immerhin, in der zweiten Hälfte oder spätestens im letzten Drittel, wenn die auf unterschiedlichen Zeitachsen changierenden Handlungsstränge sich anzunähern beginnen, gelingt es auch, die Geschichte(n) mit einer offenkundiger fortlaufenden Handlung zu versehen und somit auch die Spannung und das Interesse zu steigern. Fans von Chambers‘ Erstling sollten hier somit durchaus auch ihre Freude haben – mir zumindest ging es so –, sich aber auch im Vorfeld bewusst machen, dass die Geschichte sich sowohl konzeptionell als auch dramaturgisch in gänzlich anderen Bahnen bewegt. Allein die vielen Miniaturen und Momentaufnahmen, die feinfühligen Interaktionen der Protagonisten und die nur auf den ersten Blick profanen, auf einer tieferen Ebene aber oft ungemein tiefsinnigen Alltagsbeobachtungen dieses noch immer als Füllhorn an Ideen daherkommenden Universums machen diese zutiefst optimistisch gestimmte Art der Science-Fiction auf alle Fälle wieder zu einem Erlebnis, weshalb ich nun gerne das Warten auf Record of a Spaceborn Few und dessen deutsche Übersetzung beginnen werde.

Fazit & Wertung:

Nach dem fulminanten ersten Ausflug ins Wayfarer-Universum dauert es bei Zwischen zwei Sternen durchaus seine Zeit, bis man sich wirklich in die Geschichte findet, die auch nicht frei von Längen ist, doch mit jeder verstreichenden Seite wächst die Faszination für das von Becky Chambers erdachte Universum ein wenig mehr und auch wenn es ihr nicht gelingen mag, qualitativ hundertprozentig an ihren Überraschungserfolg anzuschließen, lohnt die Lektüre für Freunde fein- wie tiefsinniger, vor allem aber optimistisch stimmender Science-Fiction auf alle Fälle.

8 von 10 Stationen einer langwierigen Reise

Zwischen zwei Sternen

  • Stationen einer langwierigen Reise - 8/10
    8/10

Fazit & Wertung:

Nach dem fulminanten ersten Ausflug ins Wayfarer-Universum dauert es bei Zwischen zwei Sternen durchaus seine Zeit, bis man sich wirklich in die Geschichte findet, die auch nicht frei von Längen ist, doch mit jeder verstreichenden Seite wächst die Faszination für das von Becky Chambers erdachte Universum ein wenig mehr und auch wenn es ihr nicht gelingen mag, qualitativ hundertprozentig an ihren Überraschungserfolg anzuschließen, lohnt die Lektüre für Freunde fein- wie tiefsinniger, vor allem aber optimistisch stimmender Science-Fiction auf alle Fälle.

8.0/10
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Weitere Details zum Buch und der Autorin findet ihr auf der Seite von FISCHER Tor.

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Zwischen zwei Sternen ist am 25.01.18 bei FISCHER Tor erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den folgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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