Heute habe ich mal wieder ein eher ungewöhnliches Buch im Gepäck, bin aber auch hier wieder schwer begeistert, wie ihr nachfolgend werdet lesen können.
Tales from the Loop
Ein illustrierter Roman
Tales from the Loop, SE 2015, 128 Seiten
© FISCHER Tor
Simon Stålenhag
Stefan Pluschkat
FISCHER Tor
978-3-596-70483-5
Endzeit | Drama | Abenteuer | Science-Fiction
Inhalt:
Tief unter der Erde lag der Loop. Ein gigantisches unterirdisches Tunnelsystem, das einen Teilchenbeschleuniger sowie eine Forschungsstation für Experimentalphysik beherbergte und sich einmal um die nördlichen Mälarinseln wand – von Hilleshög im Osten fast bis nach Härjarö im Norden hoch, westwärts unter dem Björkfjärden hindurch, am Westufer von Adelsön entlang, um sich im Süden unter den archäologischen Stätten auf Björkö hindurchzuschlängeln.
Anfang der 1950er Jahre erwuchs die Idee für einen Teilchenbeschleuniger, dessen offizieller Name "Anlage für Hochenergiephysikalische Forschung" lautete und der auf den Mälarinseln realisiert werden sollte. Zahlreiche Forschergruppen wurden zusammengestellt, schon bevor 1969 die Eröffnung der landläufig nur als Loop bekannten Anlage erfolgte. Niemand weiß genau, welche Forschung in Sachen Experimentalphysik bis zur Schließung der Anlage 1994 betrieben wurde, doch Fakt ist, dass die Mälarinseln seither bevölkert sind von merkwürdigen, ausrangierten Maschinen, ausgebüchsten Robotern und Überbleibseln einer futuristisch anmutenden Vergangenheit, welche die Landschaft nachhaltig geprägt haben. Simon Stålenhag erinnert sich an seine Kindheit inmitten dieser obskuren Objekte und Gerätschaften, derweil auch seit jeher Gerüchte die Runde gemacht haben, der Loop habe ein Portal in eine andere Dimension geöffnet, wodurch beispielsweise auch Dinosaurier die Wälder und Ebenen der Mälarinseln durchstreifen. Allein die Erläuterungen und Gemälde geben Aufschluss darüber, wie es war, im Schatten des Loop und der dazugehörigen Bona-Kühltürme aufzuwachsen…
Rezension:
Pünktlich zum Erscheinen von Tales from the Loop am 26. Februar (bezogen auf die deutsche Ausgabe seitens Fischer Tor natürlich), erschien nur zwei Tage später auch der erste Trailer zur gleichnamigen Amazon-Serie, die Anfang April bei Prime Video verfügbar sein soll, doch hatte ich den Bildband natürlich schon weit länger auf dem Schirm, weil man von Verlagsseite bereits vergangenen Herbst das eigentlich bereits dritte Werk von Künstler und Autor Simon Stålenhag mit Namen The Electric State veröffentlicht hat und sich nun anschickt, die seinerseits ebenfalls via Kickstarter finanzierten ersten zwei Bände nachzureichen (der Nachfolger Things from the Flood soll Ende Oktober erscheinen). Obschon aber auch hier die Veröffentlichung wieder mit dem Hinweis Ein illustrierter Roman untertitelt worden ist, sollte darauf hingewiesen werden, dass dies nur die halbe Wahrheit ist, um keine falschen Erwartungen zu wecken. Vielmehr verhält es sich nämlich so, dass Stålenhag eine Reihe Fragmente und Kurzgeschichten einer fiktiven Vergangenheit auf den Mälarinseln aneinanderreiht, so dass es zwar durchaus ein vorherrschendes Thema gibt, aber keine durchgängige Geschichte im Sinne klassischer Dramaturgie.
Der Loop war auf den Mälarinseln allgegenwärtig. Unsere Eltern arbeiteten dort. Die Einsatzfahrzeuge des Landesenergiewerks Riksenergi überwachten die Straßen und den Luftraum. In den Wäldern, auf den Lichtungen und Feldern trieben sich seltsame Maschinen um. Die Kräfte, die im Loop aktiv waren, sandten Schwingungen durchs Grundgebirge, die über den Kalksandstein und die Eternitplatten an den Fassaden bis in unsere Wohnzimmer drangen.
Das ist mitnichten als Mangel oder Versäumnis zu betrachten, soll aber all jenen als Hinweis dienen, die sich eben eher eine um Gemälde angereicherte Story erwarten und sonst möglicherweise enttäuscht würden von diesem ansonsten ungemein visionären, inspirierenden und vielschichtigen Band. In selbigem entwirft Stålenhag eine ganze Parallelrealität, die von den Erinnerungen seiner Kindheit kündet, welche so nie stattgefunden hat. Dabei ist die Diskrepanz zwischen unberührter Natur und gleichermaßen urtümlich wie fremdartig anmutenden Gerätschaften und Konstruktionen ein Faszinosum, das schnell und nachhaltig in seinen Bann schlägt, derweil auch hier die gestalterische Qualität der Bilder als solches, ebenso wie die Wertigkeit des Papiers und der Aufmachung des großformatigen Bandes außerfrage steht. Jammern kann man folglich nur auf sehr hohem Niveau, so dass mir teilweise beispielsweise der Anteil der Bilder ohne Begleittext ein wenig zu hoch erschien, denn so schön, verstörend, düster und faszinierend diese auch sein mögen, hätte ich gerne noch öfter davon gelesen, welche Geschichte diese Momentaufnahmen illustrieren sollten.
Darüber hinaus muss ich gestehen, dass mir The Electric State mit seiner fortlaufenden Geschichte tatsächlich ein Stück weit besser gefallen hat als diese lose Sammlung von Fragmenten und Momenten, die alsbald angereichert werden von Skizzen zu Fahrzeugen, Gerätschaften und Tieren, derweil mir der Part mit den Dinosauriern ein wenig zu weit ging, weil diese als zusätzliches Element in der ohnehin schon geheimnisvollen und surrealen Landschaft mir persönlich zu weit geführt haben. Zum Glück aber nehmen die Urzeitwesen nicht allzu viel Raum in den Erzählungen ein, aber wie so vieles bleibt auch deren Akzeptanz reine Geschmackssache. In seiner thematischen Vielfalt und optischen Opulenz wirkt Tales from the Loop aber im besten Sinne inspirierend und so verwundert es kaum, dass auf Basis der Ideen und Ansätze des Autors und Illustrators bereits ein gleichnamiges Rollenspiel entwickelt worden ist und nun eben auch eine Serien-Adaption in den Startlöchern steht, denn erzählen gäbe es reichlich von den Mälarinseln und dem mysteriösen Loop, das weit über das hinausgeht, was man ansonsten storytechnisch geboten bekommt.
© FISCHER Tor
Möglicherweise hätte ich hier bei Unkenntnis des Nachfolgers ebenfalls die Höchstwertung vergeben und Simon Stålenhag ist mit Tales from the Loop ein unbestritten einzigartiges Werk gelungen, doch fehlt mir hier noch das letzte Quäntchen, um restlos begeistert zu sein, zumal beispielsweise die fiktiven Kindheitserinnerungen bereits nach wenigen Seiten zeitweilig abgelöst werden von besagten Skizzen oder anderweitigen geschichtlichen Abrissen. So kann man hier nicht einmal mehr mit Wohlwollen davon sprechen, dass der Band einer wenn auch nicht ausgearbeiteten Narrative folgt. Schlechtreden will ich ihn deswegen mitnichten und wer der Kunst des Autors etwas abgewinnen oder sich allgemein auf dieses eigenwillige Konzept einlassen kann, bekommt hier einen durchweg grandiosen Bildband über eine ungemein verstörende wie faszinierende Parallelwelt geboten, der durch die Story-Einsprengsel und Ideen hinter den Gemälden ungemein gewinnt. Doch zeigt The Electric State eben auf, wie – und dass – es noch einen Hauch besser und überzeugender geht, wenn man die schwelgerischen Landschafts- und Momentaufnahmen in einen größeren Kontext bettet.
Tales from the Loop
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Erinnerungen an das Leben im Schatten der Bona-Kühltürme - 9/10
9/10
Fazit & Wertung:
Simon Stålenhag präsentiert mit Tales from the Loop eine gelungene Verquickung aus Kunst und Literatur, Fiktion und Faszinosum, das in eine eigentümliche, gleichermaßen fremd wie vertraut wirkende Welt entführt und zum Schwelgen und Nachdenken einlädt. Ein inspirierendes Werk, das schnell und nachhaltig in seinen Bann schlägt.
Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von FISCHER Tor.
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Tales from the Loop ist am 26.02.2020 bei FISCHER Tor erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den folgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!
Bleibt noch die Erwähnung vom darauf basierenden Rollenspiel, welches in Bälde bei Ulisses erscheinen soll. Bisher zweimal gespielt und sehr, sehr viel Spaß gehabt, ein ganz einzigartiges Feeling, am ehesten mit Stanger Things vergleichbar, aber doch nochmal anders.