Review: Niemals | Andreas Pflüger (Buch)

Ich kann selbst nicht glauben, wie lange nachfolgendes Buch bei mir unberücksichtigt rumgelegen hat, doch dem Urlaub sei Dank habe ich tatsächlich letztens Zeit gefunden, es dann auch mal zu lesen statt nur zu beherbergen.

Niemals

Niemals, DE 2017, 475 Seiten

Niemals von Andreas Pflüger | © Suhrkamp Verlag
© Suhrkamp Verlag

Autor:
Andreas Pflüger
Übersetzer:
entfällt; Originalausgabe

Verlag (D):
Suhrkamp Verlag
ISBN:
978-3-518-42756-9

Genre:
Krimi | Thriller

 

Inhalt:

Dem BKA-Präsidenten gingen die Optionen aus.
Damit kam die Abteilung ins Spiel.
Sie gehört nicht zum BKA, steht für sich; die kleinste und geheimste Organisation der Bundesrepublik. Vierzig Männer und eine Frau übernehmen Aufträge, die für alle anderen zu heikel sind. Wie Aarons Chef  Lissek zu sagen pflegt: »Wir sind die Bad Bank der deutschen Polizei.«

Nach der finalen Konfrontation zwischen Jenny Aaron und ihrem Erzrivalen Ludger Holm, welche dieser mit seinem Leben bezahlt hat, hat sich die blinde junge Frau bei ihrem ehemaligen Vorgesetzten Lissek auf der schwedischen Insel Fårö einquartiert und versucht dort zur Ruhe zu kommen. Während Lissek aber darauf drängt, dass sie sich bezüglich ihrer Blindheit erneut in Behandlung begibt, da sie jüngst zumindest Hell und Dunkel und gewisse Schemen wahrzunehmen imstande ist, hat die Demirci als neue Chefin der Abteilung sie bereits bekniet, zurückzukehren. Jenny weigert sich in beiden Fällen, doch dann erreicht sie die Nachricht, dass Holm sie als Erbin eingesetzt hat und sie sich nach Marrakesch begeben müsse, um es nach erfolgter Identifikation in Empfang nehmen zu können. Jenny ahnt eine Falle, doch kann sie Holms Nachricht schlecht ignorieren und so begibt sie sich unter Aufsicht der Abteilung und in Begleitung ihres Freundes und Kollegen Pavlik nach Marrakesch, wo sie bereits erwartet wird…

Rezension:

Heute ist es mal Zeit für ein ungewöhnliches Geständnis, das da lautet, dass ich mit Hardcover-Ausgaben nur selten richtig warm werde, was vorrangig daran liegt, dass ich meist unterwegs lese und da einem Taschenbuch stets den Vorzug gebe, zumal ich bei den edlen Hardcovern auch erst den Umschlag entfernen müsste, damit der nicht verknickt oder verdreckt. Das ist dann auch die Erklärung dafür, weshalb ich erst jetzt dazu komme, den zweiten Band der Jenny-Aaron-Reihe zu rezensieren, obwohl der bereits seit anderthalb Jahren erhältlich ist (und mittlerweile auch als Taschenbuch). Nun aber habe ich es im Urlaub endlich geschafft, mich mit Niemals ihrem zweiten Fall zu widmen, wobei "Fall" im Grunde schon falsch ist, handelt es sich schließlich um eine fortlaufende Reihe, zumal ihr ausgewiesener Todfeind Holm, mittlerweile verstorben, sie selbst noch aus dem Grab heraus zu beeinflussen versteht. Und allein dieser Aufhänger hat es in sich und führt die Geschichte stimmungsvoll und nicht minder spannend fort, wie ich mit großer Freude berichten darf, denn schon der erste Band hat mich schwer begeistert und folglich bin ich froh, dass Autor Andreas Pflüger sich all seine Qualitäten zu bewahren gewusst hat.

Zweihundertneunzig Meter.
Normalerweise arbeitet Pavlik auf eine solche Entfernung mit seinem alten Mauser; die panzerbrechende Munition erfordert jedoch die höhere Mündungsgeschwindigkeit des Steyr HS. Das Standardmodell ist ein Einzellader, aber er hat die Waffe modifiziert und ein Kastenmagazin eingebaut.

Ähnlich wie schon bei Endgültig eröffnet nun also auch Niemals mit einer ausgedehnten Rückblende, die von einem zehn Jahre zurückliegenden Auftrag der Einheit in Rom erzählt, bevor wir nach einem Sprung in die Gegenwart erfahren, wie es Jenny nach jüngsten Ereignissen ergangen ist und wo sie sich nun befindet. Im Grunde mag man sich die ersten hundert Seiten fragen, wohin die Geschichte sich zu entwickeln gedenkt, doch kann ich aufgrund der adrenalinpeitschenden Eröffnung und der auch nachfolgend gelungenen Schilderungen nicht behaupten, mich auch nur eine Sekunde gelangweilt zu haben, wobei die Spannungskurve natürlich noch einmal deutlich anzieht, wenn man langsam zu durchschauen beginnt, wohin der Hase läuft. Dabei gelingt es Pflüger gar, ein paar falsche Fährten zu legen, bei denen man sich als versierter Leser im Vorteil wähnt und zu wissen glaubt, was passiert, nur um ein weiteres Mal überrascht zu werden.

Dabei wirkt auch Niemals genauso gründlich und akribisch recherchiert wie sein Vorgänger und zeichnet sich durch einen außerordentlich gelungenen und einnehmenden Stil aus, so dass die nicht ganz 500 Seiten umfassende Geschichte wirklich in Windeseilen an einem vorbei zu rauschen scheint. Neben Jenny Aaron sind aber auch die weiteren Mitglieder der Einheit wieder gelungen skizziert und werden – beispielsweise im Fall von Pavlik – gehörig ausgebaut, während die Blindheit von Protagonistin Aaron auch hier wieder als gelungenes Alleinstellungsmerkmal der Reihe taugt. Dabei gelingt es Pflüger einmal mehr, ihre Wahrnehmung plastisch und nachvollziehbar zu schildern, ohne sich in Redundanzen oder Klischees flüchten zu müssen, zumal ihr Handicap gleich Aufhänger einer ganzen Nebenhandlung sein darf, die allerdings ab dem zweiten Drittel zugunsten der Haupthandlung zunächst ins Hintertreffen gerät. Selbige ist natürlich unter anderem eng verknüpft mit den Geschehnissen in Rom von vor zehn Jahren, nur dass man eben nicht den Fehler begehen sollte, zu glauben, man wisse bereits, was der Autor sich bei diesem Blick in die Vergangenheit gedacht habe.

Zweiholster kläfft italienische Brocken in ein Kehlkopfmikro. Seine Schalldämpfermündung pulsiert, schickt drei zischelnde Projektile auf eine lange Reise. Doch Aaron hat schon mit einem Schritt zu Keyes aufgeschlossen und ihn mit der Schulter zehn Zentimeter zur Seite geschoben, so dass auch diese Kugeln sie knapp verfehlen werden. Sie analysiert das Gewicht ihrer Waffe; im 19er-Magazin sind noch sechs Patronen.

Was ich allerdings schon beim ersten Band erwähnt hatte, trifft auch hier wieder zu, nämlich, dass die Mitglieder der Einheit teils regelrecht übermenschlich begabt wirken und ihre Taten zuweilen wirken, als wären sie einem Superheldenfilm entsprungen, was eben auch für Jennys gesteigerte sonstige Sinneswahrnehmungen, aber auch ihre Kampfkünste gilt. Hier wie dort will ich diese Anmerkung allerdings nicht als Kritik verstanden sehen, sondern lediglich als gutgemeinten Hinweis für all jene, denen das in einem grundsätzlich in der Realität verhafteten Thriller zu sehr gegen den Strich geht. Für mein Empfinden nämlich halten sich auch hier die Schilderungen im Rahmen und sind kaum unglaubwürdiger als das, was man in einschlägigen Actionfilmen geboten bekommt, zumal es auch hier dem Autor gelingt, dem Ganzen durch die Ernsthaftigkeit seiner Schreibe eine gewisse Bodenhaftung und Authentizität zu verleihen. Darüber hinaus möchte ich mir speziell hinsichtlich der blinden Jenny überhaupt kein abschließendes Urteil erlauben, zu was sie fähig sein mag oder nicht, denn dass Andreas Pflüger zu der Thematik mehr als gründlich recherchiert hat, wird auch hier wieder im Nachwort deutlich. Dessen ungeachtet aber ist Niemals einmal mehr sprachlich brillant verfasst und nervenaufreibend spannend, wie man es eben von einem gelungenen Thriller erwarten würde, punktet aber dank sorgfältig ausgearbeiteter Figuren und persönlicher Schicksalsschläge auch mit einer ordentlichen Portion Menschlichkeit. Bleibt für mich persönlich nur zu hoffen, dass ich meine Aversion gegenüber Hardcover-Ausgaben zeitnah überwinde, denn bereits am 12. August wird mit Geblendet der dritte und letzte Teil der Reihe erscheinen und ich habe sicher nicht vor, hier auf die Taschenbuchausgabe zu warten.

Fazit & Wertung:

Mit Niemals liefert Andreas Pflüger eine rundherum gelungene Fortsetzung der in Endgültig begonnenen Geschichte um die blinde Jenny Aaron ab, die einmal mehr von den Fehlern und Feinden ihrer Vergangenheit gejagt und umgetrieben wird, sich dabei aber immerhin auf das eingespielte Team der Einheit verlassen kann. Sprachlich wie inhaltlich brillante Thriller-Kost, die sich nicht nur durch ihre Protagonistin wohltuend von ähnlich gearteten Veröffentlichungen abhebt.

9 von 10 mittels Klicksonar versprengte Echos, die die Welt modellieren

Niemals

  • Mittels Klicksonar versprengte Echos, die die Welt modellieren - 9/10
    9/10

Fazit & Wertung:

Mit Niemals liefert Andreas Pflüger eine rundherum gelungene Fortsetzung der in Endgültig begonnenen Geschichte um die blinde Jenny Aaron ab, die einmal mehr von den Fehlern und Feinden ihrer Vergangenheit gejagt und umgetrieben wird, sich dabei aber immerhin auf das eingespielte Team der Einheit verlassen kann. Sprachlich wie inhaltlich brillante Thriller-Kost, die sich nicht nur durch ihre Protagonistin wohltuend von ähnlich gearteten Veröffentlichungen abhebt.

9.0/10
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des Suhrkamp Verlages. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.

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Niemals ist am 09.10.17 als Hardcover im Suhrkamp Verlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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