Review: The Irishman (Film)

Ausgerechnet zum Jahresende musste ich dann doch ein wenig jonglieren, was meine bereits fertigen Film-Rezensionen anbelangt, denn meine Meinung zu Scorseses neuestem Film wollte ich zugunsten von Aktualität und so natürlich nicht erst im neuen Jahr kredenzen.

The Irishman

The Irishman, USA 2019, 209 Min.

The Irishman | © Netflix
© Netflix

Regisseur:
Martin Scorsese
Autoren:
Steven Zaillian (Drehbuch)
Charles Brandt (Buch-Vorlage)

Main-Cast:
Robert De Niro (Frank Sheeran)
Al Pacino (Jimmy Hoffa)
Joe Pesci (Russell Bufalino)

in weiteren Rollen:

Harvey Keitel (Angelo Bruno)
Ray Romano (Bill Bufalino)
Bobby Cannavale (Skinny Razor)
Anna Paquin (Older Peggy Sheeran)
Stephen Graham (Anthony ‘Tony Pro’ Provenzano)
Stephanie Kurtzuba (Irene Sheeran)
Jack Huston (Robert Kennedy / RFK)
Kathrine Narducci (Carrie Bufalino)
Jesse Plemons (Chuckie O’Brien)
Domenick Lombardozzi (Fat Tony Salerno)

Genre:
Biografie | Krimi | Drama

Trailer:

 

Inhalt:

Frank Sheeran ist Lastwagenfahrer und verdient sich ein erkleckliches Zubrot dadurch, dass er edelstes Rindfleisch von der Ladung abzweigt und unter der Hand an Mafiosi verkauft. Das nimmt zuletzt solche Ausmaße an, dass die Sache auffliegt, doch Franks Anwalt Bill Bufalino boxt ihn aus der Sache unverhofft raus. Darüber hinaus macht er ihn mit seinem Cousin Russell bekannt, der als Kopf einer Mafiafamilie in Pennsylvania Frank unter seine Fittiche nimmt und ihm zunächst einfache Jobs zuschanzt, bevor Sheeran auch Mordaufträge für ihn zu übernehmen beginnt, die gemeinhin verklausuliert werden als "Häuser streichen", da oft das Blut der Opfer an die Wände spritzt. Frank beginnt, sich langsam einen Namen in der Hierarchie der Mafia zu machen, die ihrerseits eng zusammenarbeitet mit dem Gewerkschaftsboss Jimmy Hoffa, der nicht nur in der Öffentlichkeit und bei der arbeitenden Bevölkerung hohes Ansehen genießt, sondern auch bereitwillig aus dem üppigen Rententopf der Gewerkschaft dubiose Investitionen und Projekte zu unterstützen bereit ist. Während Frank zu stetem Begleiter, persönlichen Bodyguard und zuletzt Freund von Jimmy Hoffa wird, gerät die Beziehung zwischen Hoffa und der Mafia im Laufe der Jahre in Schieflage, was nicht zuletzt mit der Amtseinsetzung von John F. Kennedy zusammenhängt, dessen Bruder es als Justizminister nun auf Hoffa persönlich abgesehen hat. Frank Sheeran derweil gerät zunehmend zwischen die Fronten und muss sich zu fragen beginnen, welcher Partei und welchem Freund – Hoffa oder Bufalino – er die Treue zu halten gedenkt…

Szenenbild aus The Irishman | © Netflix
© Netflix

Rezension:

Viel Aufhebens wurde im Vorfeld um Scorseses The Irishman gemacht, ob es nun um die Tatsache ging, dass ausgerechnet der neueste Film des Regisseurs, der Marvel-Filmen attestierte, "kein Kino" zu sein, bei dem Streaming-Dienst Netflix erscheinen würde, das skeptisch wie argwöhnisch betrachtete Ansinnen, die versammelte Darsteller-Riege für den Film künstlich verjüngen zu wollen oder allein die Tatsache, dass der Film in seiner Aufmachung schlichtweg an viele ähnlich gelagerte Werke des Regisseurs erinnert und er demnach Gefahr laufen könnte, sich zu wiederholen und lediglich selbst zu zitieren. Gravierend oder bedeutend ist im Grunde keine dieser Diskussionsgrundlagen, denn weder schadet es dem Film meines Erachtens, nunmehr bei Netflix verfügbar zu sein und nicht ausschließlich im Kino, noch stört die künstliche Verjüngungskur sonderlich – auch wenn ich darauf später noch zu sprechen kommen möchte –, derweil es richtig ist, dass Martin Scorsese (The Wolf of Wall Street) viele altbekannte Motive und teils von ihm selbst befeuerte Mafia-Romantisierungen aufgreift, diese aber nicht glorifiziert oder kopiert, sondern im vorliegenden Fall genüsslich auseinandernimmt und sich auf die Kehrseite dessen konzentriert, was er uns früher als schillernde Mafia-Unterwelt präsentiert hat.

Dabei verstehe ich jeden Cineasten der meint, The Irishman müsse auf der großen Leinwand und im einschlägigen Lichtspielhaus erlebt und genossen werden, doch bin ich für meinen Teil froh, mich dem Werk von der heimischen Couch aus habe widmen zu können, denn für einen dreieinhalbstündigen Film hätte mir im Kino womöglich wirklich das Sitzfleisch gefehlt. Nichtsdestotrotz habe ich Scorseses neuestes Werk – abgesehen von kleinsten Unterbrechungen – am Stück genossen und verstehe nun, weshalb der Regisseur nichts von den allerorten kursierenden Tipps hält, wie man sein Mafia-Epos einer Miniserie gleich in mehrere Episoden unterteilen könnte. Denn tatsächlich entfaltet sich die ganze Wirkung und Strahlkraft wohl noch am ehesten, wenn man sich bereitwillig und eben ohne größere Verschnaufpause auf dieses weitschweifige Werk einlässt, das nicht nur mehrere Dekaden an Geschichte umreißt, sondern auch gleich mit zwei umschließenden Rahmenhandlungen aufwartet, was schon einen gewissen Eindruck davon vermittelt, wie Scorsese hier gleichermaßen in die Tiefe wie auch Breite zu gehen gedenkt.

Szenenbild aus The Irishman | © Netflix
© Netflix

Die Erwähnung der Rahmenhandlungen lässt dann auch bereits folgerichtig schließen, dass Scorsese sein Werk mitnichten chronologisch zu erzählen gedenkt und so ist es einerseits der betagte Frank Sheeran im Altersheim, der seine Lebensgeschichte zum Besten gibt, während zudem das Geschehen immer wieder zu einem – vom Ausgangspunkt der Erzählung her betrachtet – Jahre zurückliegenden Road-Trip springt, den Frank und Russell unternehmen und an dessen Ende sich auch eines der erzählerischen Kernelemente des Films befindet. So sehr aber Frank Sheeran und damit Robert De Niro (Joy) als omnipräsenter Erzähler ins Schwadronieren gerät und so sehr die mehr als stolze Laufzeit zunächst abschrecken mag, kann ich derweil nicht behaupten, mich auch nur zu einem Zeitpunkt gelangweilt zu haben. Dabei bietet The Irishman noch nicht einmal klassische Höhepunkte oder auch nur reißerisch inszenierte Action, verweigert sich zudem einem dramaturgischen Aufbau nach Lehrbuch und mäandert mehr vor sich hin, als dass man einen stringenten roten Faden ausmachen könnte und trotzdem gelingt es ihm, das Interesse angefacht zu halten.

Die Verjüngungskur – ich wollte ja noch einmal darauf zu sprechen kommen – steht der Besetzung derweil überraschend gut zu Gesicht, zumal der Effekt nicht annähernd so omnipräsent vertreten ist, wie das eventuell zu befürchten stand. Optische Verjüngung täuscht aber nicht darüber hinweg – und das wurde auch schon im Internet lang und breit thematisiert – dass sich De Niro und Konsorten eben dennoch wie alte Männer bewegen, was einen merkwürdigen Effekt mit sich bringt, der allerdings nur in wenigen Szenen störend ins Gewicht fällt. Ansonsten ist es tatsächlich ein nützlicher und hilfreicher Clou, eine sich über mehrere Dekaden erstreckende Story zu erzählen, ohne auf Alternativschauspieler für die jüngeren Versionen ausweichen zu müssen, wobei man in Sachen Charisma und Präsenz sicherlich auch nur schwerlich Ersatz gefunden hätte für das dominante Trio, an dessen Spitze sich zwar unbestritten De Niro positioniert – zumal der ja den namensgebenden "Irishman" gibt, vor – beziehungsweise hinter – dem sich Al Pacino (Once Upon a Time in Hollywood) als Jimmy Hoffa sowie Joe Pesci als Russell Bufalino mitnichten verstecken müssen. So feiert Pesci eine fulminante Rückkehr ins Film-Business, während Pacino einen lautstarken und erinnerungswürdigen Einstand im filmischen Schaffen von Scorsese gibt. Beides Auftritte, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

Szenenbild aus The Irishman | © Netflix
© Netflix

So dominant aber De Niro, Pesci und Pacino sein mögen, versammelt der Regisseur auch ansonsten eine illustre Schar an bekannten Gesichtern, wobei speziell Kenner seiner HBO-Serie Boardwalk Empire sich über das Wiedersehen mit Bobby Cannavale, Stephen Graham und Jack Huston freuen dürften. Dem Thema und Scorseses Schwerpunkt entsprechend ist dabei der Cast mehr als nur ein wenig männlich dominiert und im Grunde ist es einzig Anna Paquin (True Blood), die eine der wirklich bedeutsamen und wichtigen weiblichen Rollen innehat und selbst die erstreckt sich in Summe über kaum mehr als einige wenige Minuten. Entsprechend ist der Vorwurf, Martin Scorsese habe als alter weißer Mann mit alten weißen Männern einen Film über alte weiße Männer gedreht, auf den ersten Blick nicht von der Hand zu weisen, doch so klein Paquins Rolle als ältere Tochter von Frank Sheeran auch sein mag, möge man die Bedeutung ihrer Figur hinterfragen, denn anhand weniger Einstellungen und oft lediglich in Form von Blicken beweist der Regisseur eine reflektierte Betrachtung der Lage seiner Protagonisten und liefert ein weiteres Mosaikteil zur Demontage seiner einstigen Mafia-Epen. Wie man aber auch The Irishman betrachten oder deuten mag, sollte man sich von dessen Inhaltsschwere, der teils bewusst zelebrierten Zähigkeit und natürlich nicht zuletzt der schieren Laufzeit einschüchtern lassen, denn auch wenn der Film vordergründig weitaus weniger reißerisch daherkommt als viele andere Werke des Kult-Regisseurs, hat er doch ein weiteres filmisches Kleinod geschaffen, das eben gerade nicht seine älteren Werke kopiert, sondern durchaus Neues und Andersartiges zu berichten hat, auch wenn die Leitmotive sich ähneln mögen.

Fazit & Wertung:

Wenn Martin Scorsese mit The Irishman aufgrund der schieren Länge, der weitschweifigen Erzählweise und der teils regelrecht zähen Inszenierung nicht prompt der nächste große Wurf gelungen sein mag, strotzt sein ungewöhnliches Mafia-Epos doch vor Qualitäten und überzeugt dramaturgisch und inszenatorisch ebenso wie mit seiner formidablen Besetzung, während der Regisseur gekonnt und akribisch den Mafia-Mythos dekonstruiert und der Film für seine dreieinhalb Stunden Laufzeit überraschend kurzweilig daherkommt.

8,5 von 10 pragmatisch-effektiv ausgeführten Morden

The Irishman

  • Pragmatisch-effektiv ausgeführte Morde - 8.5/10
    8.5/10

Fazit & Wertung:

Wenn Martin Scorsese mit The Irishman aufgrund der schieren Länge, der weitschweifigen Erzählweise und der teils regelrecht zähen Inszenierung nicht prompt der nächste große Wurf gelungen sein mag, strotzt sein ungewöhnliches Mafia-Epos doch vor Qualitäten und überzeugt dramaturgisch und inszenatorisch ebenso wie mit seiner formidablen Besetzung, während der Regisseur gekonnt und akribisch den Mafia-Mythos dekonstruiert und der Film für seine dreieinhalb Stunden Laufzeit überraschend kurzweilig daherkommt.

8.5/10
Leser-Wertung 9.5/10 (2 Stimmen)
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The Irishman ist seit dem 27.11.19 exklusiv bei Netflix verfügbar.

vgw

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