Review: Im Herzen des Imperiums | Arkady Martine (Buch)

Heute mal wieder ein paar ausgesuchte Worte zu einem sprachgewaltigen Science-Fiction-Werk, das mich zu fesseln wusste, obwohl mich schon das Cover auf eine falsche Fährte zu locken versucht hat hinsichtlich dessen, was mich erwarten würde.

Im Herzen des Imperiums

A Memory called Empire, USA 2019, 608 Seiten

Im Herzen des Imperiums von Arkady Martine | © Heyne
© Heyne

Autorin:
Arkady Martine
Übersetzer:
Jürgen Langowski

Verlag (D):
Heyne
ISBN:
978-3-453-31993-6

Genre:
Science-Fiction | Mystery | Krimi | Thriller

 

Inhalt:

Wie eine Studentin im ersten Semester, die sich auf eine mündliche Prüfung vorbereitete, probte Mahit im Kopf, was sie den Bürgern des Imperiums sagen würde. Im Hinterkopf summte aufmerksam die Imago. Hin und wieder bewegte Yskandr ihre linke Hand und tippte mit den Fingern auf die Gurte. Die nervöse Geste einer anderen Person.

Mahit Dzamare wird als Botschafterin der Lsel-Station von eben dort entsandt, um die dortigen Bewohner in der Hauptwelt des Imperiums von Teixcalaan zu vertreten. Für sie ein Traumjob, auf den sie seit Kindesbeinen erpicht gewesen ist. In ihrem Kopf – dank implantierter Imago-Maschine – die Erinnerungen ihres Vorgängers Yskandr Aghavn, allerdings nicht auf den neusten Stand gebracht und somit rund eine Dekade alt, weshalb es zunächst gilt, sich über das rätselhafte Ableben Yskandrs Klarheit zu verschaffen, was allerdings leichter gesagt als getan ist. Schnell muss Mahit zudem erkennen, dass es ungleich fordernder ist, sich auf dem teixcalaanischen politischen Parkett zu bewegen, zumal die Herrschaft von Imperator Sechs Vektor längst nicht so gesichert ist, wie zunächst angenommen. Immerhin steht ihr in Gestalt der asekreta Drei Seegras eine mehr als ambitionierte und aufopfernde Kulturreferentin zur Seite, was sich noch als Glücksfall erweisen wird, als Mahit beinahe Opfer eines Anschlages wird und alsbald unter die Fittiche der hochrangigen ezuazuacat Neunzehn Breitaxt gerät. Mahits größtes Problem aber ist, dass die Imago-Maschine ihr den Dienst verweigert und sie sich ohne inneren Dialog mit Yskandr über dessen politische Winkelzüge klar werden muss…

Rezension:

Neugierig, aber auch skeptisch, habe ich mich jüngst an die Lektüre von Im Herzen des Imperiums begeben, denn während Aufmachung und Inhaltsangabe durchaus mein Interesse geweckt haben, wirft der Verlag doch auffallend aggressiv mit Superlativen um sich, vergleicht den Debüt-Roman von Arkady Martine mit Frank Herberts Klassiker Der Wüstenplanet und lässt Ann Leckie gleich vorn auf dem Cover prominent proklamieren, es handle sich um "eine Space Opera, die ihresgleichen sucht". Dumm nur, dass es sich bei vorliegendem Werk – übrigens wieder einmal Auftakt einer Reihe – überhaupt nicht um eine Space Opera im eigentlichen Wortsinne handelt, was schon viel darüber aussagt, inwieweit sich die Zitierte mit dem Werk auseinandergesetzt haben mag. So man sich also eine Space Opera erwartet, wird man mit Martines Debüt definitiv nicht glücklich werden, doch bedeutet das im Umkehrschluss nicht, dass der Roman nicht gelungen wäre, doch eine Art Einlenken in der persönlichen Erwartungshaltung ist hier erforderlich. Auch sonst macht es einem das Buch nicht einfach, denn nach vielversprechendem Einstieg findet sich doch so manch kleinere Länge im Mittelteil, wobei das faszinierende Worldbuilding und die zuletzt gelungen ineinandergreifende Story vieles davon wettzumachen wissen.

Die sorgfältig eingeübte neutrale Miene der Beamtin änderte sich nicht. »Botschafterin, ich bin Drei Seegras, asekreta und Patrizierin Zweiter Klasse. Es ist mir eine Ehre, Sie auf dem Juwel der Welt zu empfangen. Auf Befehl Seiner Imperialen Majestät Sechs Vektor diene ich Ihnen als Kulturreferentin.«

Es beginnt mit der Reise der frisch gekürten Botschafterin Mahit Dzamare von der autarken Lsel-Station zum sprichwörtlichen Herzen des Imperiums, auf den Stadtplaneten Teixcalaan, um dort ihren jüngst verstorbenen Vorgänger Yskandr Aghavn zu beerben. Und obwohl Mahit seit ihrer Kindheit von ihrer Faszination gegenüber dem teixcalaanischen Imperium gegenüber beherrscht wird, ist natürlich der erste Besuch dort etwas völlig anderes und entsprechend unbedarft und staunend kann man sich auch als Leser an ihre Fersen heften, um die politischen Feinheiten, das Faible fürs Poetische und die oft archaischen Herrschaftsstrukturen vor Ort zu ergründen. Mahit indes, von den Teixcalaanern als Barbarin betrachtet, kommt von einer gar nicht mal so rückständigen Station, deren größte Errungenschaft wohl die sogenannten Imago-Maschinen sind, die mittels Implantat im Nackenbereich die Erfahrungen und Kenntnisse anderer Personen übertragen, bis es zu einer regelrechten Verschmelzung der Bewusstseine kommt. So auch im Fall von Mahit, die ihrerseits mit den Erinnerungen und Fähigkeiten von Yskandr ausgestattet worden ist, doch ist dessen Imago-Kopie dummerweise mehr als zehn Jahre alt und wurde seither nicht aktualisiert, so dass eines der ersten und größten Rätsel darstellt, was er in den vergangenen Jahren auf Teixcalaan getrieben haben mag und ob er damit womöglich sein eigenes Ableben provoziert hat.

Das Konzept der Imago-Maschinen mag nicht unbedingt neu sein, ist aber immer noch spannend, gleichwohl Mahit alsbald den Zugriff auf "ihre" Yskandr-Kopie verliert, doch die Technik dahinter ist für einige Würdenträger und Polit-Bestrebten auf Teixcalaan von immensem Interesse, so dass es zwar schade ist, dass die innere Zwiesprache nur kurz Teil der eigentlichen Handlung ist, Martine die Idee dahinter aber dennoch gewinnbringend für Im Herzen des Imperiums zu nutzen weiß. Ansonsten merkt man dem Roman vor allem anderen aber den Hintergrund der Autorin – mit bürgerlichem Namen AnnaLinden Weller – als studierte Historikerin an, die selbst angibt, sich vom byzantinischen Imperialismus und der Annektierung des Königreichs Ani inspiriert haben zu lassen. Und auch wenn sie das alles fiktionalisiert, ergänzt und ins All verlegt haben mag, ist dieser fundierte Hintergrund zu spüren, auch wenn es sicher – mal wieder – nicht jedem munden wird, sich in ein Imperium entführen zu lassen, das schon mal über poetischen Wettstreit politische Debatten entscheidet oder es zur Kunstform erhebt, Infofiches mit literarischen Querverweisen zu chiffrieren. Wenn die Handlung zwar gerne etwas temporeicher hätte ausfallen können und das Buch an sich noch ein wenig hätte gestrafft werden können, muss ich doch zugeben, dass ich dem Reiz dieser facettenreichen und bis ins Detail durchdachten Welt erlegen bin, was aber auch an der gelungenen Charakterisierung der Protagonistin Mahit und ihrer Begegnungen liegt.

Yskandr lotste sie durch die nächste halbe Stunde. Mahit konnte es ihm nicht einmal übel nehmen. Er benahm sich genauso, wie sich eine Imago verhalten sollte: als Magazin voller instinktiver und automatischer Reaktionen, die Mahit noch nicht hatte erwerben können. Er wusste, wann man sich ducken musste, um durch Türen zu treten, die für Teixcalaaner und nicht für Stationsbewohner gebaut waren, wann man die Augen von dem zunehmenden Strahlen der Stadt abwenden musste, zu der sie im gläsernen Aufzug außen am Raumhafen hinunterfuhren, wie hoch man den Fuß heben musste, wenn man in Drei Seegras’ Bodenfahrzeug einsteigen wollte.

Hier findet sich noch mehr Eigentümliches in der Gesellschaft von Teixcalaan, denn Namen setzen sich stets aus Ziffern und Bezeichnungen von unbelebten Gegenständen – oder Pflanzen – zusammen, so dass beispielsweise Drei Seegras schnell zu Mahits engster Vertrauter avanciert, während auch die ezuazuacat Neunzehn Breitaxt, eine Vertraute des Imperators Sechs Vektor, Mahits Wege kreuzen wird. Was sich komisch liest, geht allerdings schnell ins Blut über, zumal Martine nicht nur hier einen gewissen Sinn für Humor beweist, der sich oft unterschwellig durch die Erzählung zieht, ohne dabei die politischen Ränkeschmiede oder den sich anbahnenden Aufstand selbst ins Lächerliche zu ziehen. So mag Im Herzen des Imperiums zuweilen fordernd bis überfordernd wirken und sich dramaturgisch manches Mal ein wenig ziehen, doch lohnt der Ausflug ins teixcalaanische Imperium durchaus, wenn man sich auf dieses akribisch durchexerzierte und vielschichtig konzipierte Werk einzulassen bereit ist, das wohl – um noch einmal auf die unsägliche Bezeichnung als Space Opera zurückzukommen – eher als Science-Fiction-Polit-Thriller bezeichnet werden könnte. Zugegebenermaßen hatte ich nach der Lektüre aber auch das Gefühl, jetzt eine Pause von Teixcalaan zu benötigen, aber das passt ja, schließlich ist der Nachfolgeband A Desolation Called Peace erst für März 2021 avisiert, wobei die deutsche Fassung wahrscheinlich noch etwas länger auf sich warten lassen wird, aber hoffentlich erneut von Jürgen Langowski kommt, der hier einen großartigen Job gemacht hat, was auch und insbesondere das Eindeutschen der teixcalaanischen Namen angeht.

Fazit & Wertung:

Arkady Martine offeriert mit Im Herzen des Imperiums ein lohnendes und vielschichtiges Science-Fiction-Debüt, in das sie merklich ihre Expertise als Historikerin hat einfließen lassen, was den in ferner Zukunft angesiedelten Polit-Thriller im Imperium von Teixcalaan allerdings zuweilen auch etwas behäbig wirken lässt. Eine gelungene Figurenzeichnung, ein vielschichtiger Plot und das allgemeine Worldbuilding erster Güte trösten aber über die meisten Längen locker hinweg.

8 von 10 Eigenheiten des teixcalaanischen Imperiums

Im Herzen des Imperiums

  • Eigenheiten des teixcalaanischen Imperiums - 8/10
    8/10

Fazit & Wertung:

Arkady Martine offeriert mit Im Herzen des Imperiums ein lohnendes und vielschichtiges Science-Fiction-Debüt, in das sie merklich ihre Expertise als Historikerin hat einfließen lassen, was den in ferner Zukunft angesiedelten Polit-Thriller im Imperium von Teixcalaan allerdings zuweilen auch etwas behäbig wirken lässt. Eine gelungene Figurenzeichnung, ein vielschichtiger Plot und das allgemeine Worldbuilding erster Güte trösten aber über die meisten Längen locker hinweg.

8.0/10
Leser-Wertung 4.33/10 (3 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und der Autorin findet ihr auf der Seite von Heyne. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.

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Im Herzen des Imperiums ist am 11.11.19 bei Heyne als Klappenbroschur erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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