Review: Sentient – Kinder der K.I. (Graphic Novel)

Heute möchte ich euch von einer richtig schönen, emotionalen Science-Fiction-Story erzählen und habe mich deshalb auch mal wieder etwas früher an die Tastatur geschwungen, um euch nicht erst wieder am späten Abend zu behelligen.

Sentient
Kinder der K.I.

Sentient, USA 2019, 172 Seiten

Sentient - Kinder der K.I. | © Panini
© Panini

Autor:
Jeff Lemire
Zeichner:
Gabriel Walta

Verlag (D):
Panini Verlag
ISBN:
978-3-741-62081-2

Genre:
Drama | Science-Fiction | Thriller

 

Inhalt:

Wir schreiben das Jahr 2105 und es wird nicht mehr lange dauern, bis die Erde offiziell als unbewohnbar gelten wird. Seit etwas mehr als zwei Jahren befindet sich die U.S.S. Montgomery auf dem Weg zu den noch jungen Kolonien fernab der Wiege der Menschheit und hat gleich mehrere Dutzend Kolonisten an Bord. Nun befinden sich Schiff und Crew kurz vor dem Eintritt in die Schwarze Zone, den Bereich des Alls, der genau zwischen Erde und Kolonien liegt und von beiden zu weit entfernt ist, um Funkkontakt zu halten. Kaum passiert das Schiff aber diese Schwelle, kommt es zu einem Anschlag der Separatisten, die verhindern wollen, dass die Fehler und schlechten Gewohnheiten der Erdbevölkerung auch in den Kolonien Fuß fassen, wodurch sämtliche Erwachsene des Schiffs ums Leben kommen. Die Bord-K.I. Valarie, von den meisten nur Val genannt, muss zunächst hilflos mitansehen, wie die Crew verraten wird, da es ihr nicht möglich ist, Gewalt gegen ein Besatzungsmitglied auszuüben, doch zumindest die Kinder der Kolonisten überleben und so findet das Schiff seine Bestimmung darin, den Kindern das Wissen und die Fähigkeiten an die Hand zu geben, um es doch noch zu den Kolonien zu schaffen, wobei natürlich fraglich ist, inwieweit es funktionieren kann, menschliche Kinder von einer Künstlichen Intelligenz großziehen zu lassen…

Rezension:

Voller Neugierde habe ich mich jüngst auf die hierzulande frisch erschienene Mini-Serie Sentient – Kinder der K.I. gestürzt, die bei uns im edlen Hardcover die sechs Einzelhefte der Reihe vereint und von dem gefeierten wie preisgekrönten Autor Jeff Lemire stammt. Der entwirft hier ein zwar auf den ersten Blick wenig innovatives Science-Fiction-Setting – die Erde droht unbewohnbar zu werden, es existieren Kolonistenschiffe wie die U.S.S. Montgomery und auf einem fernen, aber erdähnlichen Planeten soll eine neue Zivilisation gegründet werden –, doch was er aus dieser schon oft dagewesenen Prämisse zaubert, kann sich wahrlich sehen lassen. Vorwortschreiber Christian Endres zieht hier gar den Vergleich zu William Goldings Der Herr der Fliegen, nur eben im Weltraum, und liegt damit gar nicht mal falsch, auch wenn ich zugeben muss, dass dieser Vergleich bei mir ein Stück weit eine falsche Erwartungshaltung aufgebaut hat. Denn grundsätzlich mag stimmen, dass es um die auf sich gestellten, quasi an Bord des Schiffs ja ebenfalls gestrandeten Kinder geht, doch stehen hier im Grunde einzig und allein die Kinder Lil und Isaac im Vordergrund, neben der K.I. des Schiffs freilich, die auf den Namen Valarie hört und sich alsbald der Mammutaufgabe gegenübersieht, den Kindern Mutter, Lehrerin, Schutz und Heimstatt zugleich zu sein.

Die Kapitelstruktur der sechs Hefte erinnert dabei selbst erzählerisch im Grunde an einen Roman und tatsächlich gelingt Lemire ein erzählerisch ausgereiftes Werk, das sich auch moralischen Dilemmata stellt und eine höchst ungewöhnliche Coming-of-Age-Geschichte zu erzählen vermag, denn schnell müssen die Kinder lernen, sich einzig mit der Hilfe von Valarie selbst um die Aufgaben an Bord der U.S.S. Montgomery zu kümmern, während sich natürlich speziell bei weitreichenden Entscheidungen bemerkbar macht, dass keine klare Hierarchie mehr an Bord existiert, so dass man einzig nach dem Alter und der Beliebtheit der Kinder gehen könnte, um deren Grad an Einfluss und Bedeutung zu bemessen. Dabei befinden sich die forsche Lil und der zurückhaltende Isaac auf zwei entgegenliegenden Seiten des Spektrums, denn während Lil sich schnell zur inoffiziellen Anführerin der Bande aufschwingt, führt Isaac ein Leben als Außenseiter, da seine Mutter es war, die die Crew verraten hat und somit für den Tod der Eltern verantwortlich ist, was indirekt nun auch ihm angelastet wird. Hier folgt Lemire zwar gängigen Erzählmustern und es wird kaum überraschen, dass die beiden sich schlussendlich noch im Angesicht der Gefahr zusammenraufen werden, doch fernab dieser übergeordneten Narrative ist es ohnehin weit spannender, sich den kleineren Episoden innerhalb des großen Ganzen zu widmen, vor allem aber, sein Augenmerk auf die ungewöhnliche Beziehung zwischen den Kindern und der Schiffs-K.I. zu richten, was eines der Alleinstellungsmerkmale von Sentient schlechthin darstellt.

Bebildert wird das Ganze trefflich von Gabriel Walta, der auch dankenswerterweise für sämtliche Hefte, Seiten und Panels verantwortlich zeichnet, was dem Geschehen einen einheitlichen und immens einnehmenden Look verleiht. So gehen Text und Bilder hier aufs Trefflichste Hand in Hand und Walta hat gleichermaßen ein Händchen für ausdrucksstarke Gesichter als auch greifbar – schier lebendig – wirkende Apparaturen, derer sich Val des Öfteren bedient, um den Kindern fernab von klugen Ratschlägen auch tatkräftig zur Seite stehen zu können. Das wird mit dermaßen viel Feingefühl erzählt, dass man sich schnell in Sentient vertieft und den Band gar nicht mehr zur Seite legen mag, denn fernab des Science-Fiction-Setting und dem Umstand, dass hier eine K.I. eine maßgebliche Rolle spielt, erzählen Lemire und Walta eine zutiefst menschliche Geschichte von Vertrauen und Zusammenhalt, Familiensinn und Aufopferungsbereitschaft. Da fallen dann auch die eher generischen Elemente wie etwa die vergleichsweise farblos bleibenden, für die Ausgangssituation der Geschichte aber nachdrücklich verantwortlichen Separatisten kaum ins Gewicht, denn um sie geht es im Kern ja auch überhaupt nicht, sondern eben einzig um die Kinder der K.I..

Was man von Val derweil konkret zu erwarten hat, ob ihre Programmierung sich als zuverlässig und zweckdienlich erweist, ist eines der großen Fragezeichen der Erzählung und so aufopferungs- und liebevoll sie sich auch geben mag, schleichen sich auch immer wieder Zweifel ein, ob und wie lange das gutgehen kann, dass eine Schar Kinder von einer Künstlichen Intelligenz großgezogen wird. Damit vermag Lemire ebenfalls gekonnt zu spielen und führt mehrfach auf falsche Fährten, zumal die Erzählstimmen aus dem Off – einerseits von Lil, andererseits von Isaac – auch mehrfach bewusstes Foreshadowing betreiben und Dinge in vager Form vorwegnehmen, die sich erst noch ereignen werden. Dabei ist Sentient erfreulicherweise in sich abgeschlossen, bietet aber gleichsam die Möglichkeit einer späteren Fortsetzung, sollte Lemire der Sinn danach stehen, sein Augenmerk in Zukunft einmal mehr in Richtung der ungewöhnlichen Besatzung der U.S.S. Montgomery richten zu wollen. Ich für meinen Teil stünde auf jeden Fall parat, denn gemessen an der zunächst altbekannt scheinenden Prämisse machen Autor und Zeichner hier verdammt viel aus dem, was ihnen an Bord des durchs All reisenden Schiffes zur Verfügung steht.

Fazit & Wertung:

Jeff Lemire und Gabriel Walta liefern mit Sentient – Kinder der K.I. ein erzählerisches wie inszenatorisches Kleinod ab und vermögen ihre Prämisse aufs Trefflichste zu nutzen, um eine gleichermaßen spannende wie emotionale Geschichte zu erzählen, die davon handelt, wie eine K.I. sich einer Gruppe Kinder annimmt und sie gemeinsam den beschwerlichen Weg durch die Weiten der Galaxis zu meistern versuchen. Mögen manche Versatzstücke hier dennoch generisch anmuten, tröstet die ansonsten ungemein packende Geschichte darüber locker hinweg.

9 von 10 mütterlichen Instinkten einer Bord-K.I.

Sentient – Kinder der K.I.

  • Mütterliche Instinkte einer Bord-K.I. - 9/10
    9/10

Fazit & Wertung:

Jeff Lemire und Gabriel Walta liefern mit Sentient – Kinder der K.I. ein erzählerisches wie inszenatorisches Kleinod ab und vermögen ihre Prämisse aufs Trefflichste zu nutzen, um eine gleichermaßen spannende wie emotionale Geschichte zu erzählen, die davon handelt, wie eine K.I. sich einer Gruppe Kinder annimmt und sie gemeinsam den beschwerlichen Weg durch die Weiten der Galaxis zu meistern versuchen. Mögen manche Versatzstücke hier dennoch generisch anmuten, tröstet die ansonsten ungemein packende Geschichte darüber locker hinweg.

9.0/10
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Sentient – Kinder der K.I. ist am 26.01.21 im Panini Verlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den nachfolgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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