Heute geht es gleich mit einem richtigen Ausnahmefilm weiter, der mich in vielerlei Hinsicht schwer begeistert hat und den ich bis vor kurzem so gar nicht auf dem Schirm hatte.
The Lobster
Eine unkonventionelle Liebesgeschichte
The Lobster, IE/UK/GR/FR/NL/USA 2015, 119 Min.
© Sony Pictures Home Entertainment Inc.
Yorgos Lanthimos
Yorgos Lanthimos
Efthymis Filippou
Colin Farrell (David)
Rachel Weisz (Short Sighted Woman)
John C. Reilly (Lisping Man)
Léa Seydoux (Loner Leader)
Ben Whishaw (Limping Man)
Jessica Barden (Nosebleed Woman)
Olivia Colman (Hotel Manager)
Ashley Jensen (Biscuit Woman)
Ariane Labed (The Maid)
Angeliki Papoulia (Heartless Woman)
Michael Smiley (Loner Swimmer)
Drama | Komödie | Romantik | Science-Fiction | Thriller
Trailer:
Inhalt:
© Sony Pictures Home Entertainment Inc.
Es ist eine nahe, doch unbestimmte Zukunft. Nachdem David seine Frau verloren hat, wird er – wie es üblich ist – in einer Art Hotel einquartiert, um dort -ebenso wie alle anderen Singles – einen neuen Partner zu finden. Sollte ihm dies nicht gelingen, er also offenkundig nicht vermittelbar, nicht beziehungsfähig sein, würde er in ein Tier seiner Wahl verwandelt werden, wobei Davids Wahl nicht ganz alltäglich auf den Hummer fällt. Die Partnersuche indes ist auf dem simplen Prinzip von Gemeinsamkeiten aufgebaut, die ein Indiz für Kompatibilität sind. So versucht sich David beispielsweise dergestalt emotional abzustumpfen, um mit einer nicht minder empathielosen Frau zusammen sein zu können, doch erweist sich dies verständlicherweise als forderndes und kräftezehrendes Unterfangen. Erst als David die Flucht nach vorn antritt, wird ihm die Existenz einer Gruppe im Wald lebender Außenseiter gewahr, die bewusst Single bleiben und sich den Gepflogenheiten der Gesellschaft verweigern worden. Dabei gehen sie In die entgegengesetzte Richtung und verbieten körperliche Nähe strikt, was für David zum Problem wird, als er in einer kurzsichtigen Frau seine ideale Partnerin und Seelenverwandte zu erkennen meint…
Rezension:
Zugegebenermaßen bin ich erst mit The Favourite auf Yorgos Lanthimos gestoßen, beziehungsweise aufmerksam geworden, doch dafür habe ich mich dann nun auch einem seiner Vorgängerwerke gewidmet, das gefühlt ein ziemliches Schattendasein führt, denn obwohl hochkarätig besetzt und von der Prämisse her mehr als nur ein wenig neugierig machend, ist The Lobster hierzulande lediglich auf DVD erschienen. Beispielsweise bei Netflix allerdings steht das gute Stück zum Abruf bereit und ich möchte schon jetzt eine Empfehlung aussprechen, bevor ich mich weitergehend mit Lanthimos‘ erstem englischsprachigen Spielfilm beschäftige, der voller Qualitäten und Einfälle steckt, sich ehrlicherweise sein Publikum aber auch wirklich suchen muss, denn die Geschichte dieser verzweifelt nach Liebe suchenden Menschen, die bei einem möglichen Misserfolg in Tiere verwandelt und dergestalt den Rest ihres Daseins fristen würden, ist vom Mainstream schon merklich entfernt und auch die Art des Storytelling oft so bedächtig, dass es manchem schlicht zu getragen und behäbig sein dürfte (auch wenn dadurch gewisse Gewaltspitzen und Überraschungsmomente nur umso offensiver und drastischer ins Gewicht fallen).
© Sony Pictures Home Entertainment Inc.
Es ist ein allzu merkwürdiger Weltenentwurf, den Lanthimos hier gemeinsam mit Drehbuchautor Efthymis Filippou präsentiert, aber dadurch natürlich auch ungemein faszinierend und betörend, wobei das Setting insbesondere von seinen Auslassungen lebt, weil es Lanthimos und Filippou nicht für nötig erachten, alles und jedes erklären zu müssen. Recht haben sie, denn die wichtigen Dinge erklären sich zunehmend aus dem Kontext, während es zu dem gleichermaßen dystopischen wie märchenhaften Anstrich von The Lobster passt, dass manches bis zuletzt gar nicht erklärt werden soll, erklärt werden wird, denn allein die Tatsache, dass die bei der Partnersuche Scheiternden in Tiere verwandelt werden, bleibt letztlich ein irritierendes Kuriosum. Dabei ist die stilisierte und instrumentalisierte Partnersuche natürlich auch ein Kommentar auf – insbesondere – Online-Dating-Plattformen, denn allzu oft wird dieser Tage Kompatibilität auf möglichst viele und prägnante Gemeinsamkeiten heruntergebrochen, so dass wir hier in einer Nebenhandlung die Figur von Ben Whishaw (Im Herzen der See) erleben dürfen, wie er sich ein ums andere Mal die Nase blutig schlägt, um der von Jessica Barden (The End of the F***ing World) dargestellten Frau – deren Rollenname bezeichnenderweise " Nosebleed Woman" lautet – zu suggerieren, sie wären füreinander geschaffen.
Solche Einsprengsel und Nebenschauplätze gibt es zwar einige im Film, doch im Kern folgen wir relativ stringent dem von Colin Farrell (The Gentlemen) verkörperten David, der unfreiwillig in diese Staatsmaschinerie der Zwangsverkupplung gerät, sein Schicksal aber auch mit geradezu lethargischem Gleichmut annimmt. Ganz davon abgesehen, dass Farrell für die Rolle satte 20 Kilo zugelegt hat (laut IMDb-Trivia), hängt er sich auch ansonsten merklich rein, diesem doch eher farblosen Jedermann Profil zu verleihen, soweit es ein Film, dessen Figuren nach Charaktereigenschaften oder körperlichen Merkmalen benannt werden, eben zulässt. Denn ganz bewusst handelt es sich natürlich nicht unbedingt um ausgearbeitete Figuren, sondern vielmehr Stereotypen und Projektionsflächen unterschiedlicher Ideen und Schwerpunkte. Das lässt dann auch absolut logisch und nachvollziehbar erscheinen, dass der kurzsichtige David sich in die Figur von Rachel Weisz (Ungehorsam) – "Short Sighted Woman" – verguckt, weil ihm eingetrichtert worden ist, dass einzig eine kurzsichtige Frau seinen Vorlieben, seinen Bedürfnissen entsprechen kann. Bis es aber überhaupt soweit ist, vergeht einiges an Zeit in The Lobster und man möge sich darauf einstellen, die zweite Hauptfigur im Film erst spät kennenzulernen.
© Sony Pictures Home Entertainment Inc.
Zugegebenermaßen empfand ich – grob gesagt – die erste Hälfte des Films als ungleich faszinierender denn das, was sich anschließt, doch bedeutet das in keiner Weise, dass der Film im weiteren Verlauf nachlassen würde, sondern lediglich neue, ungeahnte Pfade einschlägt, die auch dieser konzeptionell so ungemein spannenden Dystopie neue Facetten angedeihen lassen. In weiteren Rollen glänzen hier zudem John C. Reilly (The Sisters Brothers), Olivia Colman (Broadchurch) sowie Léa Seydoux (The French Dispatch), um den wirklich großartig besetzten Reigen abzurunden, der ein nur auf den ersten Blick reichlich absurdes Bild der Gesellschaft der Zukunft zeichnet. Ziemlich sicher werden zwar auch in der Zukunft keine Menschen in Tiere zwangsverwandelt, doch hilft dieses exzentrische Versatzstück natürlich ungemein, sich die inszenatorische Freiheit zu erstreiten, die es braucht, um dermaßen clever und gleichzeitig augenzwinkernd auf das Dating-Verhalten und die Partnerwahl blicken zu können, was The Lobster zu einem gesellschafts-satirischen Leckerbissen macht, dessen Tristesse und Tragik ihn nie zu übermannen drohen, aber dennoch ein unbestreitbar fatalistisches Bild zeichnen.
The Lobster - Eine unkonventionelle Liebesgeschichte
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Fadenscheinige Gemeinsamkeiten - 8.5/10
8.5/10
Fazit & Wertung:
Yorgos Lanthimos offeriert mit The Lobster eine satirische Zukunfts-Dystopie, die zwar beinahe sämtliche ‚Erklärungen missen lässt, wie es zu der Welt, kam, wie sie dort gezeichnet wird, doch tut das der Faszination und der konzeptionellen wie inszenatorischen Brillanz keinerlei Abbruch, zumal auch die Besetzung schlicht als superb zu bezeichnen ist. Dennoch bewegt sich dieses Werk so fernab vom Mainstream, dass man sich schon einlassen können muss auf diese Art Erzählung.
The Lobster – Eine unkonventionelle Liebesgeschichte ist am 28.04.16 auf DVD bei Sony Pictures Home Entertainment Inc. erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!
Ein großartiger Film!