Heute geht es dann mal um eine Band-Biografie in Graphic-Novel-Form, auf die ich sehr neugierig gewesen bin und die auch vieles richtig macht, schlussendlich aber zu wenig erzählerische Substanz und echten Mehrwert bietet, um wirklich begeistern zu können. Aber ich greife schon wieder vor und verweise jetzt also lieber auf nachfolgende Rezension.
Sex Pistols
Die Graphic Novel
Sex Pistols: The Graphic Novel, UK 2008, 100 Seiten
© Panini
Jim McCarthy
Steve Parkhouse
Panini Verlag
978-3-741-62172-7
Biografie | Drama
Inhalt:
Als sich John Lydon 1975 zum Vorsingen begibt, ahnen weder er noch die Band, dass dies den Grundstein für eine beispiellos kurze wie umtriebige Band-Karriere bedeuten würde, in deren Verlauf sie gefeiert und geächtet, geliebt und gehasst werden würden. Am 5. November 1975 trat die Gruppe erstmals unter ihrem neuen Namen "Sex Pistols" auf und es sollte kein Jahr dauern, bis die Band einen Vertrag bei der Plattenfirma EMI bekam, wobei ein Wellen der Empörung schlagender Auftritt auf ITV das Label einerseits dazu brachte, die Single Anarchy in the U.K. zurückzuziehen und andererseits alsbald den Vertrag mit der Band zu kündigen. Als es dann auch noch zu Querelen zwischen Lydon und Glen Matlock kam, verließ Letzterer schließlich die Band und wurde durch Sid Vicious ersetzt, derweil das den skandalträchtigen Auftritten der Band im Grunde nur weiteren Auftrieb gab. Doch wer hoch steigt, der fällt auch tief und so schnell die Pistols die Gesellschaft, die Krone, das Gesetz und die Plattenfirmen gegen sich aufzubringen wusste, so schnell war ihr Stern bereits wieder im Sinken begriffen, während insbesondere Sid noch für manch tragische bis erschütternde Anekdote sorgen sollte…
Rezension:
Obwohl die Sex Pistols sich längst schon wieder aufgelöst hatten, als ich das Licht der Welt erblickte, kann ich doch durchaus behaupten, mit ihrer Musik aufgewachsen zu sein und war dementsprechend gespannt, wie sich Sex Pistols – Die Graphic Novel so geben würde. Rudimentär war ich über die Geschichte der Band im Bilde, doch blieb abzuwarten, was Autor Jim McCarthy daraus machen und welchen erzählerischen Ansatz er wählen würde. Leider muss ich hier sagen, dass mich der Band zwiegespalten zurücklässt, denn einerseits verzichtet McCarthy zwar darauf, stupide durch sämtliche Stationen im kurzlebigen Dasein der Sex Pistols zu führen, wählt aber andererseits einen dermaßen assoziativen und fragmentarischen Ansatz, dass man bestmöglich schon im Vorfeld die Eckdaten kennen sollte, weil das Geschilderte ansonsten wohl eher verwirrt als für Erhellung sorgt. Kennt man allerdings die Band-Biografie bereits, stellt sich natürlich die Frage, weshalb man sich diese noch einmal in Graphic-Novel-Form zu Gemüte führen sollte.
Und obwohl McCarthy munter erzählt, springen wir natürlich dennoch von einer denkwürdigen Aktion zur nächsten und einen wirklichen Mehrwert mag das Ganze nicht bieten, während man sich nur selten erzählerische Freiheiten nimmt wie etwa den abschließenden Monolog von Johnny Rotten, der dem Ganzen eine zeitgeschichtliche Bedeutung verleiht und die Pistols als hellsichtige Propheten ihrer Zeit in Szene setzt, die in ihrer Kritik vieles vorweggenommen haben, was im heutigen England bittere Realität ist. Ansonsten aber begnügt sich Sex Pistols – Die Graphic Novel die meiste Zeit mit einer kommentierten und bebilderten Nacherzählung, ob es sich dabei um ihren Fernsehauftritt bei ITV, das Themse-Konzert zum Geburtstag der Queen oder den Absturz von Sid Vicious handelt, der noch dazu reichlich klischeehaft zum Abschluss gebracht wird, was man ebenfalls zwiespältig aufnehmen mag. Vicious immerhin wird noch einmal ausgiebig Zeit gewidmet in dem Band, was man von den weiteren Bandmitgliedern Steve Jones, Paul Cook und Glen Matlock (bis zu dessen Ausstieg) nicht behaupten kann, die kaum einmal namentlich benannt werden, während es sich die meiste Zeit alles um John Lydon aka Johnny Rotten dreht.
Zeichnerisch derweil liegen Licht und Schatten ebenfalls dicht beieinander, denn einerseits hat Steve Parkhouse einen angenehm ruppigen, kantigen Stil und schafft es oft, ikonische Panels zu liefern, doch andererseits fällt dazwischen immer wieder auf, dass sich viele Figuren kaum identifizieren, geschweige denn auseinanderhalten lassen, was noch dadurch gravierender ins Gewicht fällt, dass McCarthy und Parkhouse allerhand Gestalten in die Story flechten, die meist nur einen kurzen, prägnanten Auftritt haben, bevor sie für den Rest des Bandes wieder in der Versenkung verschwinden und keinerlei Erwähnung mehr finden. So ist zwar der erzählerisch sprunghafte Stil durchaus kurzweilig, sorgt aber eben auch dafür, dass man der Band als solchen – und deren Mitgliedern – kaum näher kommt, nichts Neues oder Bemerkenswertes erfährt, sondern eben lediglich von Höhepunkt zu Höhepunkt zu Tiefpunkt der Band-Vita gelotst wird, alles verbunden durch ein paar launige Erzähler-Kommentare, bei denen man lange Zeit nicht ganz sicher sagen kann, ob es sich um einen auktorialen Erzähler, ein Band-Mitglied oder jemand ganz Anderen handeln soll.
Einerseits also wirkt Sex Pistols – Die Graphic Novel durchaus ambitioniert und künstlerisch anspruchsvoll, bei näherer Betrachtung aber eben auch oft prätentiös und nur gewollt unangepasst, was zwar dem Stil der Band entsprechen mag, das Album aber nicht immer im besten Licht präsentiert. So ist die wertige Hardcover-Veröffentlichung dann wohl auch eher als nettes Mitbringsel für ausgewiesene Fans geeignet und nicht so sehr für Interessierte, die einmal eine etwas andere Form der Biografie versuchen wollen, denn dafür bleibt hier erzählerisch zu viel auf der Strecke, wird zu viel Vorwissen vorausgesetzt, um der Abfolge von Geschehnissen folgen zu können. Dennoch vermittelt die Geschichte aber dank zahlreicher bemerkenswerter Episoden zumindest einen gelungenen Eindruck davon, wie die Sex Pistols zu ihrer Zeit Gesellschaft, Musik-Industrie und nicht zuletzt die Regierung gegen sich aufzubringen gewusst haben und welcher Ruck durchs damalige England gegangen sein muss, was auch erklärt, dass ihr einziges echtes Album Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols – natürlich auch in der Graphic Novel prestigeträchtig in Szene gesetzt – bis heute unvergessen ist und als prägend für die Punkszene gilt.
Sex Pistols - Die Graphic Novel
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Ruppig-rotzige Live-Auftritte - 7/10
7/10
Fazit & Wertung:
Grundsätzlich kann man Sex Pistols – Die Graphic Novel als gelungene Abhandlung der kurzlebigen aber umtriebigen Band-Historie bezeichnen, doch setzt die fragmentarische Erzählform einiges an Vorwissen voraus und eignet sich kaum für Leute, die sich bislang nicht mit den Pistols auseinandergesetzt haben. Kenner wiederum werden bemerken, dass es sich hier weitestgehend um pflichtschuldiges Abgrasen ikonischer Momente handelt, was den erzählerischen Mehrwert enorm schmälert, derweil Ansatz, Prämisse und auch Look deutlich mehr hätten erwarten lassen.
Sex Pistols – Die Graphic Novel ist am 23.03.21 im Panini Verlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den nachfolgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!