Review: Ein feiner dunkler Riss | Joe R. Lansdale (Buch)

Mittwoch, Bergfest, Hälfte geschafft. Ich wiederum habe es erneut geschafft, mich dem Blog zu widmen und merke, dass ich in punkto Artikel-Veröffentlichung langsam wieder an Fahrt aufnehme, auch wenn ich nicht annähernd hinterherkomme, die fertigen Artikel rauszuhauen. Hat immerhin den Vorteil, dass ich mir in den nächsten Tagen keine Gedanken machen muss, mir könnte das Material ausgehen.

Ein feiner dunkler Riss

A Fine Dark Line, USA 2002, 351 Seiten

Ein feiner dunkler Riss von Joe R. Lansdale | © Suhrkamp Verlag
© Suhrkamp Verlag

Autor:
Joe R. Lansdale

Verlag (D):
Suhrkamp Verlag
ISBN:
978-3-518-46497-7

Genre:
Drama | Krimi | Thriller

 

Inhalt:

Mein Name ist Stanley Mitchel junior, und ich schreibe hier auf, woran ich mich erinnere.
Die ganze Geschichte hat sich in einer Stadt namens Dewmont zugetragen. Es ist eine wahre Geschichte, die sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne abspielte, und ich habe sie selbst erlebt.

Es ist das Jahr 1958 und der junge Stanley Mitchel ist gerade erst mit seiner Familie nach Dewmont, East Texas gezogen, wo sie das dortige Autokino in Besitz und Betrieb nehmen. Für den Dreizehnjährigen ist die Welt noch einfach, bis vor kurzem glaubte er noch an den Weihnachtsmann und in Richard hat er bereits einen Freund gefunden. Doch bis der Sommer endet und die Schule beginnt, wird Stans Leben gehörig auf den Kopf gestellt werden, denn eines Tages findet er gemeinsam mit seiner älteren Schwester Caldonia bei einem Streifzug durch die Wälder ein verwittertes Kästchen mit alten Briefen. Schnell gelingt es ihm, den Bezug zu der Familie Stilwind herzustellen, denn dort, wo er das Kästchen fand, verbrannte vierzehn Jahre zuvor die Villa der angesehenen Familie und mit ihr Tochter Jewel Ellen, während in derselben Nacht die junge Margaret Wood vergewaltigt und kopflos auf den Bahngleisen gefunden wurde.

Sich in einen waschechten Kriminalfall involviert wähnend, beginnt Stan, Nachforschungen anzustellen und freundet sich alsbald mit dem trunksüchtigen wie launischen Filmvorführer Buster Smith an, der früher einmal als Hilfspolizist gearbeitet hat und ihm bereitwillig hilft. Doch der feine dunkle Riss, der sich in Stans Umfeld manifestiert, reicht deutlich weiter und bald sieht sich die Familie von dem Exmann Rosy Maes bedroht, der sie Unterschlupf gewährt haben, während auch die Familie Stilwind noch einiges an Geheimnissen zu verbergen hat. Und auch Richard, der von seinem fanatischen Vater ein ums andere Mal verprügelt wird, ist mitnichten ein unbeschriebenes Blatt.

Rezension:

Wer Joe R. Lansdales Schreibkünsten einmal verfallen ist, der kommt so schnell nicht mehr von ihm los und da ist es ein segensreicher Umstand, dass nicht nur der Golkonda-Verlag sich redlich bemüht, die zahlreichen Werke des amerikanischen Autors auch im deutschsprachigen Raum verfügbar zu machen, sondern dass nach dem DuMont-Verlag nun auch der Suhrkamp-Verlag auf den Zug aufgesprungen ist, adäquate Taschenbuchausgaben seiner Werke zu vertreiben. So ist Ein feiner dunkler Riss zwar erst der dritte Roman aus der Feder Lansdales, den ich zu lesen die Ehre hatte, doch hat er mich ein weiteres Mal in dem Glauben bestärkt, dass diesen noch viele folgen werden, denn erneut gelingt es ihm, eine sorgsam inszenierte, intime wie breit gefächerte Geschichte zu entwerfen, die auf jeder Seite das Südstaatenflair der Fünfziger Jahre atmet.

Jenen Sommer über arbeitete ich mit Caldonia in unserem Autokino. Ein Schwarzer namens Buster Abbot Lighthorse Smith, der schon für den vorherigen Besitzer gearbeitet hatte,
bediente den Filmprojektor. Er war alt, mürrisch, wirkte kräftig und sprach kaum ein Wort. Kümmerte sich um seinen eigenen Kram. Er war so still, dass man vergaß, dass er überhaupt da war. Eine Stunde vor der Vorführung kam er angeschlendert, tat seine Arbeit, verräumte den Film, wenn die Vorstellung zu Ende war, und ging wieder.

Geschildert aus der Ich-Perspektive des dreizehnjährigen Stan Mitchel, der jüngst mit seiner Familie nach Dewmont, Texas gezogen ist, wo sein Vater das hiesige Autokino unter seine Fittiche nimmt, skizziert der Autor einmal mehr mit präzisen wie knappen Erläuterungen, wie es um die Gesellschaft der damaligen Zeit bestellt ist. Da bedarf es keiner hochtrabenden Worte, um aufzuzeigen, dass Stan, nicht nur Kind seiner Zeit sondern auch des White-Trash, in seiner jugendlichen Naivität felsenfest an den amerikanischen Traum glaubt und durch seine Gespräche mit dem schwarzen Filmvorführer Buster erst langsam begreift, was Worte wie Diskriminierung und Rassenhass eigentlich wirklich bedeuten. Lansdale ergreift dabei keinesfalls Partei, sondern schildert die Zu- und Umstände, wie sie sich zur damaligen Zeit dargestellt haben und dazu gehört es auch, dass Farbige und Weiße in voneinander getrennten Vierteln leben, Frauen den Mund zu halten hatten und Kinder am besten ebenfalls still und fromm in der Ecke stehen.

Da ist es bezeichnend, dass Lansdale wie schon in Die Wälder am Fluss nicht umhin kommt, mit Stanleys Vater eine Art Gegenentwurf zu dem reaktionären Denken anzubieten, denn auch wenn dieser durchaus auch seine Verfehlungen hat und vor Jähzorn nicht gefeit ist, benimmt er sich doch gegenüber Frauen wie auch Farbigen deutlich besser als der Durchschnittseinwohner von Dewmont. Des Weiteren nutzt der Autor zudem die Gelegenheit, auch den Alkoholismus und seine Folgen darzustellen, die aufkeimende Sexualität von Stans Schwester Caldonia zu thematisieren und den gewaltbereiten Exmann der farbigen Hausangestellten Rosy Mae als Feindbild zu etablieren und Stan nicht zuletzt einen Freund namens Richard an die Seite zu stellen, der ebenfalls unter den Gewaltexzessen seines Vaters zu leiden hat. Überhaupt erinnert Ein feiner dunkler Riss speziell in seiner unterschwelligen Düsternis trotz differierender Ausgestaltung frappierend an oben genanntes Buch, denn auch hier scheinen Geister in den Wäldern umherzugehen, auch hier sind Morde passiert und das Umland wimmelt von zwielichtigen Gestalten, auch hier handelt es sich zu gleichen Teilen um einen bemerkenswerten Coming-of-Age-Roman wie auch einen Krimi und im direkten, natürlich subjektiven Vergleich hat da durchaus Die Wälder am Fluss ein Stück weit die Nase vorn.

Nachdem wir nach Dewmont gezogen waren, lernte ich einen Jungen kennen, mit dem ich mich anfreundete. Er hieß Richard Chapman. Er war ein wenig älter als ich, ging aber in dieselbe Klasse, weil er einmal sitzen geblieben war.
Genau wie Huckleberry Finn würde Richard wohl nie einen vorbildlichen Erwachsenen abgeben, aber er war ein prima Lausebengel. Er konnte schneller radeln als der Wind, konnte sich ein Taschenmesser zwischen die Zehen werfen, ohne sich wehzutun, kannte sich bestens in den Wäldern aus, kletterte wie ein Affe in den Bäumen herum und konnte mit vier Gummibällen gleichzeitig jonglieren.

Nichtsdestotrotz ist es lohnenswert und eindrücklich, wie es Lansdale gelingt, Stanleys langsames Erwachen und seinen Lernprozess darzustellen, der ihm nicht nur die Augen öffnet für die Welt da draußen, sondern auch zu erklären vermag, was es mit dem feinen dunklen Riss auf sich hat, der sich langsam aber sicher durch Stans Umfeld zu ziehen beginnt. Und mit jeder Seite und Schilderung wird die Grundhandlung düsterer und beklemmender, bis man gar nicht mehr in der Lage ist, sich von der nur wenige Wochen umfassenden Geschichte loszureißen, die ihn einem überraschenden wie schockierenden Finale mündet, dem sich anschließend zwar längst nicht alle Fragen erschöpfend geklärt sind, doch genauso wie im wahren Leben, muss das, was Stanley hat erfahren können, genügen und im Gegenzug schließt der Roman mit einem poetischen wie einfachem Bild, das alles auf den Punkt bringt.

Fazit & Wertung:

Lansdales Ein feiner dunkler Riss ist wie andere Romane vor ihm eine gekonnte, lakonisch dargebrachte Mischung aus Coming-of-Age, Krimi und zeitgeschichtlichem Dokument und dabei so leichtfüßig und pointiert geschrieben, dass die 350 Seiten wie im Flug vergehen. Geschwängert von unheilvoller Südstaaten-Atmosphäre in den ausklingenden Fünfziger Jahren schildert der Autor einen Sommer, der das Leben seines gerade mal dreizehnjährigen Protagonisten für immer verändern wird.

8,5 von 10 feinen dunklen Rissen in der Idylle Dewmonts

Ein feiner dunkler Riss

  • Feine dunkle Risse in der Idylle Dewmonts - 8.5/10
    8.5/10

Fazit & Wertung:

Lansdales Ein feiner dunkler Riss ist wie andere Romane vor ihm eine gekonnte, lakonisch dargebrachte Mischung aus Coming-of-Age, Krimi und zeitgeschichtlichem Dokument und dabei so leichtfüßig und pointiert geschrieben, dass die 350 Seiten wie im Flug vergehen. Geschwängert von unheilvoller Südstaaten-Atmosphäre in den ausklingenden Fünfziger Jahren schildert der Autor einen Sommer, der das Leben seines gerade mal dreizehnjährigen Protagonisten für immer verändern wird.

8.5/10
Leser-Wertung 9.5/10 (2 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des Suhrkamp Verlages. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.

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Ein feiner dunkler Riss ist am 17.02.14 als Taschenbuch im Suhrkamp Verlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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Kommentare (3)

  1. Zeilenkino 7. Juli 2014

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