Review: Lion: Der lange Weg nach Hause (Film)

Endlich habe ich auch ich den großartigen Film nachgeholt, von dem ich euch heute erzählen möchte und bei dem ich mich freilich im Nachhinein wieder ärgere, wieso ich ihm nicht früher eine Chance gegeben habe. Diese Frage müsste ich mir allerdings in Bezug auf wenigstens sechzig andere Filme – von Serien ganz zu schweigen – auch stellen und begnüge mich folglich stattdessen damit, den jetzt für mich entdeckt zu haben.

Lion
Der lange Weg nach Hause

Lion, UK/AU/USA 2016, 118 Min.

Lion: Der lange Weg nach Hause | © Universum Film
© Universum Film

Regisseur:
Garth Davis
Autoren:
Luke Davies (Drehbuch)
Saroo Brierley (Buch-Vorlage)

Main-Cast:
Dev Patel (Saroo Brierley)
Rooney Mara (Lucy)
David Wenham (John Brierley)
Nicole Kidman (Sue Brierley)
in weiteren Rollen:
Abhishek Bharate (Guddu)
Divian Ladwa (Mantosh Brierley)
Priyanka Bose (Kamla)
Deepti Naval (Mrs. Sood)
Tannishtha Chatterjee (Noor)
Nawazuddin Siddiqui (Rama)
Sunny Pawar (Young Saroo)

Genre:
Biografie | Drama

Trailer:

 

Inhalt:

Szenenbild aus Lion: Der lange Weg nach Hause | © Universum Film
© Universum Film

Im Jahr 1986 wachsen der fünfjährige Saroo und dessen älterer Bruder Guddu unter der alleinigen Obhut ihrer Mutter in einem indischen Elendsviertel auf und müssen bereits ihre Mutter nach Kräften unterstützen, um insbesondere ihre kleine Schwester zu ernähren. Als Guddu sich von dem vor Tatkraft strotzenden Saroo überreden lässt, ihn zu seiner nächtlichen Arbeit begleiten zu dürfen, werden die beiden am Bahnhof getrennt und der kleine Saroo reist schlafend über 1600 Kilometer mit dem Zug, bevor er in Kalkutta strandet. Da niemand dort seinen Hindi-Dialekt versteht und er kein Bengali kann, muss sich Saroo zunächst allein durchschlagen und landet nach schier endlosen Irrungen und Wirrungen in einem Heim, wo es ihm allerdings kaum besser ergeht als auf den Straßen Kalkuttas. Das ändert sich erst, als das australische Ehepaar Sue und John Brierley ihn adoptieren, um ihm eine weitere Chance im Leben zu geben.

25 Jahre später ist der nunmehr erwachsene Saroo längst fest in der westlichen Welt verankert und schickt sich an, Hotelmanagement zu studieren, derweil er seine umtriebige wie tragische Vergangenheit längst hinter sich gelassen zu haben scheint. Doch eines Abends kehrt die Erinnerung schlagartig zurück und fortan fühlt der junge Mann sich regelrecht getrieben, herauszubekommen, woher er eigentlich stammt, gleichwohl er sich – abgesehen von einem Wasserturm in der Nähe des Bahnhofs – kaum an etwas erinnern kann…

Rezension:

Was lange währt, wird endlich gut und so ist nun auch Lion: Der lange Weg nach Hause nun endlich in meinem heimischen Player gelandet und hat mich tief berührt und bewegt, wobei mir schon im Vorfeld klar war, dass der Film mich höchstwahrscheinlich wunderbar würde abholen können. Dabei schenkt sich Regisseur Garth Davis dankenswerterweise großartige inszenatorische Schnörkel und erzählt die Geschichte des kleinen – und später erwachsenen – Saroo in chronologischer Form von dessen "Verschwinden" bis zu der unweigerlichen Rückkehr, die natürlich nicht nur der Titel bereits impliziert, sondern die der Art und Ausgestaltung des Films nach natürlich ausgemachte Sache ist, auch wenn es ein wahrhaft langer und durchaus steiniger Weg werden wird. Sunny Pawar als Darsteller des kleinen Saroo ist dabei eine echte Offenbarung und gewinnt bereits nach wenigen Minuten die Sympathie des Zuschauers, während man ihm die Rolle nicht nur abnimmt, sondern ihn regelrecht darin aufgehen sieht. Entsprechend lang muss man sich zwar im Umkehrschluss gedulden, bis einer der bekannten Mimen die Bühne betritt und der so großflächig auf dem Cover vertretene Dev Patel (Chappie) seine Chance bekommt zu glänzen, doch ist das mitnichten ein Makel oder Mangel, sondern unterstreicht, mit welcher Konsequenz Drehbuchschreiber Luke Davies sich dem zugrundeliegenden Buch des echten Saroo gewidmet hat.

Szenenbild aus Lion: Der lange Weg nach Hause | © Universum Film
© Universum Film

So könnte man zwar unken, dass sich einiges hätte kürzer und straffer fassen lassen können in der ersten Filmhälfte, doch wäre man dann als Zuschauer nicht annähernd so emotional involviert, wenn man nach einem Zeitsprung, der den Film im Grunde in zwei große Hälften teilt, mit dem erwachsenen Saroo konfrontiert wird, der einem sonst schnell wie ein Fremder hätte erscheinen können, sind 25 Jahre schließlich eine lange Zeit. Stattdessen verhält es sich sogar eher so, dass mir im direkten Vergleich die zweite Filmhälfte von Lion ein wenig zu knapp geraten ist und man sich – auch in Form von sorgfältig gesetzten Rückblenden – beinahe ein wenig zu sehr auf die emotionale Vorgeschichte verlässt, statt dem Geschehen – abgesehen von der Suche nach seiner Heimat – groß anderweitige Facetten hinzuzufügen. So bleibt beispielsweise die von Rooney Mara (Una und Ray) verkörperte Lucy als Freundin von Saroo kaum mehr als eine nette Dreingabe und hätte im Grunde auch aus dem Skript gestrichen werden können, so wenig echte Relevanz besitzt sie schlussendlich im fertigen Film.

Nichtsdestotrotz rundet sie die unglaubliche Erzählung aber natürlich ein Stück weit ab und sorgt in Kombination mit Nicole Kidman (Stoker) und David Wenham (Iron Fist) als Saroos Adoptiveltern dafür, dass das Geschehen in Lion zwar stets auf Saroo fokussiert, er aber nicht quasi im luftleeren Raum zu agieren gezwungen ist. Ohnehin reißt Dev Patel mit seinem eindringlichen Schauspiel jede Szene an sich und bedarf oftmals keiner Worte, um sein aufgewühltes Innenleben erfahrbar zu machen, was in Kombination mit der breit aufgefächerten Vorgeschichte und den "Abenteuern", die man mit dem kleinen Saroo bereits hat überstehen müssen, eine starke Verbindung zu der Figur generiert, die das absehbare Finale gleich noch einmal so packend und anrührend erscheinen lassen. Dabei ist es einer der großen Verdienste des Films, dass er eben eine zwar anrührende, aber nicht rührselige Geschichte erzählt und sich mit allzu pathetischen oder klischeebelasteten Einsprengseln angenehm zurückhält, was in diesem Genre die hohe Kunst darstellen dürfte, da viele Filmemacher doch eher dazu neigen, mit schwülstiger Musik und tränenreichen Szenen auf Teufel komm raus Emotion zu beschwören hoffen, statt sich einfach auf die Kraft ihrer Geschichte zu verlassen, was man im vorliegenden Fall zum Glück aber getan hat.

Szenenbild aus Lion: Der lange Weg nach Hause | © Universum Film
© Universum Film

So scheint mir auch das Bild von Kalkutta sowie Saroos Heimat ein realistisches zu sein, ohne dabei um Mitleid zu heischen, zu kritisieren oder zu verurteilen. Nein, Lion erzählt seine Geschichte auch zu Beginn ganz auf den kleinen Jungen fokussiert, der – nicht nur der Sprachbarriere wegen – die Welt um sich herum nicht versteht und sich nichts sehnlicher wünscht, als nach Hause zu seiner Mutter zu kommen, der sich allen Widrigkeiten zum Trotz aber auch zu behaupten weiß, der nach der Adoption und der damit verbundenen Chance seinen Weg geht, jedoch nie seine Vergangenheit, seine Herkunft vergisst und sich letztlich mit stoischem Eifer dranbegibt, zu seinen Wurzeln zurückzukehren. Dieser Ansatz, diese Intention sind so simpel wie effektiv und versprechen dank inszenatorisch formidabler Arbeit ein bewegendes wie berührendes Filmvergnügen, dessen einziges nennenswertes Manko es ist, dass der mit dem Zeitsprung einhergehende Bruch in der Erzählung meinem Gefühl nach noch ein stück eleganter hätte verpackt werden können, zumal es nun so wirkt, als hätte sich in dieser langen Zeit in Saroos Leben nichts wirklich Relevantes zugetragen. Bei dem, was der Film allerdings zu erzählen trachtet, ist selbst diese kurze Irritation nur ein marginaler Wermutstropfen, der niemanden davon abhalten sollte, dem Werk eine Chance zu geben.

Fazit & Wertung:

Mit Lion: Der lange Weg nach Hause erzählt Regisseur Garth Davis auf rührende – aber zum Glück niemals rührselige – Art und Weise die Geschichte des verloren gegangenen Saroo, der selbst nach zweieinhalb Dekaden noch alles daran setzt, in seine alte Heimat und zu seiner Mutter zurückzukehren. So packend das Geschehen inszeniert ist, wird dies noch von Dev Patels intensiven Schauspiel dominiert, was allerdings noch einmal getoppt wird von Sunny Pawar, der in der ersten Hälfte des Films als fünfjähriger Saroo die Herzen der Zuschauer erobert.

8,5 von 10 Stationen eines Lebens

Lion: Der lange Weg nach Hause

  • Stationen eines Lebens - 8.5/10
    8.5/10

Fazit & Wertung:

Mit Lion: Der lange Weg nach Hause erzählt Regisseur Garth Davis auf rührende – aber zum Glück niemals rührselige – Art und Weise die Geschichte des verloren gegangenen Saroo, der selbst nach zweieinhalb Dekaden noch alles daran setzt, in seine alte Heimat und zu seiner Mutter zurückzukehren. So packend das Geschehen inszeniert ist, wird dies noch von Dev Patels intensiven Schauspiel dominiert, was allerdings noch einmal getoppt wird von Sunny Pawar, der in der ersten Hälfte des Films als fünfjähriger Saroo die Herzen der Zuschauer erobert.

8.5/10
Leser-Wertung 7.5/10 (10 Stimmen)
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Meinungen aus der Blogosphäre:
moviescape.blog: 9/10 Punkte

Lion: Der lange Weg nach Hause ist am 14.07.17 auf DVD und Blu-ray bei Universum Film erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!

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vgw

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