Review: Das Antiquariat der Träume | Lars Simon (Buch)

So, auch heute gilt es noch ein Buch vorzustellen und das habe ich immerhin in – beinahe – einem Rutsch durchgelesen, was schon einiges darüber sagt, dass es mir wohl gefallen haben muss. Warum allerdings, will ich nachfolgend gern etwas ausführlicher erläutern.

Das Antiquariat der Träume

Das Antiquariat der Träume, DE 2020, 320 Seiten

Das Antiquariat der Träume von Lars Simon | © dtv
© dtv

Autor:
Lars Simon
Übersetzer:
entfällt

Verlag (D):
Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN:
978-3-423-21931-0

Genre:
Drama | Romantik | Mystery | Fantasy

 

Inhalt:

Träume brauchen keinen Schlaf. Sie können gut sein oder böse. Letztere lassen einen erstarren und oft darüber im Unklaren, ob man bereits erwacht ist.
Wie in einem solchen Albtraum gefangen, kam sich Johan Andersson vor.

Im Jahre 1983 begegnen sich Johan Andersson und Lina auf der Fähre Leksand und verlieben sich beinahe unmittelbar ineinander. Die gemeinsam verbrachten Stunden und Tage wird Johan in romantisch idealisierter Erinnerung behalten, denn kurz nachdem Lina ihm als Literaturliebhaber eine seltene Ausgabe der Singoalla geschenkt hat, kommt es zu einem schweren Schiffsunglück und während Johan gerettet werden kann, bleibt Lina unauffindbar. Dergestalt in seinen Grundfesten erschüttert, lässt Johan seine Stelle als CEO in einem Stockholmer Verlagshaus hinter sich, zieht ins ländliche Hedekas und eröffnet ein Literatur-Café nebst Antiquariat. Vier Jahre vergehen und seit dem Unglück erscheinen ihm immer wieder literarische Gestalten wie etwa Sherlock Holmes oder William von Baskerville. Johan hat das zwar längst als eigenwilligen Spleen abgehakt und nimmt das Erscheinen seiner "literarischen Freunde" anstandslos hin, doch es zeichnet sich ab, dass das Kapitel Lina, die er nie hat vergessen können, noch nicht geschlossen ist. Und da können die Hilfe und Ratschläge von imaginierten Romanfiguren ja eigentlich nur helfen, um dem Rätsel ihres spurlosen Verschwindens auf die Spur zu kommen…

Rezension:

Diese Woche habe ich mich mit einer wortwörtlich literarischen Perle auseinandergesetzt, denn mit Das Antiquariat der Träume liefert Autor Lars Simon nichts weniger als eine Liebeserklärung an das geschriebene Wort, verpackt in eine fantastisch angehauchte, sich über drei Zeitebenen erstreckende und mit allerhand Gastauftritten von Romanfiguren gespickte Liebesgeschichte, die den Protagonisten Johan Andersson der jäh unterbrochenen Romanze mit der charmanten Lina hinterhertrauern lässt. Mit kaum mehr als 300 Seiten Umfang ist der Roman dabei vergleichsweise kompakt geraten, hat inhaltlich aber viel zu bieten und unterteilt sich in fünf große Abschnitte, deren Länge durchaus variiert. Tatsächlich ist es einzig der Aufhänger des Ganzen, der mich nicht vollends zu überzeugen wusste, denn das ein erfolgreicher Verlagsmensch sein altes Leben hinter sich lässt und zum exzentrischen Einsiedler wird, nachdem ihm für ein paar Tage die Liebe seines Lebens zur Seite gestanden hat, wirkt doch etwas merkwürdig und entsprechend lässt sich der Johan, den man eingangs in seinem liebevoll gestalteten Literatur-Café kennenlernt, nur schwerlich mit der Person vereinen, die er nur wenige Jahre zuvor gewesen sein soll. Aber gut, das fällt im Grunde unter dichterische Freiheit und was zählt ist ja zuvorderst, dass man sich mit dem Protagonisten identifizieren kann, was dank liebenswerter Spleens und einer ausgemachten Leidenschaft für Bücher überhaupt kein Problem darstellt.

Nichts war ihm geblieben von ihr. Nicht einmal die »Singoalla«. Wie stolz sie gewesen war, als sie ihm das Buch vor wenigen Stunden geschenkt hatte. Konnte das wirklich erst vor so kurzer Zeit gewesen sein? Sie habe es während ihres gemeinsamen Landgangs in Umeå zufällig in einem verborgenen Antiquariat entdeckt.

Dennoch brauchte ich eine Weile, mich in das Setting und die Geschichte zu finden, denn zunächst einmal gilt es, Johans neue Heimat, seine Mitarbeiterin Agnes und die üblichen Arbeitsabläufe im Literatur-Café zu vermitteln. Wenn aber erst einmal die ersten literarischen Figuren Johan ihre Aufwartung machen, nimmt die Geschichte merklich an Fahrt auf. Oder zumindest das Interesse ist geweckt, wer ihm noch alles begegnen könnte und vor allem, was es damit auf sich hat, denn erzählerisch rasant wird es in Das Antiquariat der Träume eigentlich nie, was aber auch gar nicht vonnöten ist oder zweckdienlich wäre, um das vorherrschende Feel-Good-Flair zu unterstützen. Denn trotz der persönlichen Tragödie von Johan und seinen zwischenzeitlichen Bedenken, mit handfesten psychischen Problemen gestraft zu sein, wird es nie wirklich dramatisch oder düster, sondern bleibt stets verträumt und melancholisch. Genau dieser Erzählton aber, dieses spezifische Flair machen die Geschichte schon zu etwas Besonderem und Einzigartigen, wobei ich besonders faszinierend empfunden habe, wie sehr sich doch die einzelnen Teile des Buches tonal und stilistisch voneinander abzuheben wissen, wenn Johan zwischenzeitlich nach Stockholm zurückkehrt, um womöglich seinem alten Leben noch eine zweite Chance zu geben.

Vom eigentlichen Fortgang der Geschichte wie auch deren Auflösung – die leider im Kontext ein wenig abrupt und knapp daherkommt – möchte ich aber gar nicht viel vorwegnehmen, jedoch eine kleine Warnung aussprechen. Wer sich nämlich erhofft, dass all die mysteriösen Zufälle, der Verbleib von Lina, die Natur von Johans Hirngespinsten und nicht zuletzt das Geheimnis des mysteriösen Buches Singoalla (nach dem Johan auch sein Café benannt hat) vollumfänglich aufgeklärt werden, sollte sich besser nach anderer Lektüre umsehen. Denn hier bleibt Simon auffallend vage und wenig spezifisch, auch wenn man freilich mit einem durchaus zufriedenstellenden Abschluss rechnen darf. Aus dem Grund habe ich mir auch angemaßt, Das Antiquariat der Träume unter anderem mit dem Label "Fantasy" zu versehen, obwohl es nicht der klassischen Lesart der Genre-Bezeichnung entspricht und auf gänzlich anderen Pfaden wandelt. Um aber noch einmal auf das Kernstück dieser literarischen Huldigung zurückzukommen, sind es weder die aberwitzigen und nicht erklärten Zufälle, die dieses Buch so lohnend machen, sondern vorrangig natürlich die Romanfiguren, die Johan hier allenthalben zur Seite stehen.

Es würde hoffentlich nicht mehr lange dauern, bis die Kraniche zurückkehrten. Sie kamen für gewöhnlich immer im April. Und sobald sich der Nebel, der vom nahen Lersjön aufstieg, früh am Morgen zu lichten begann, um sich auf die kargen Felder zu legen, begannen sie zu schreien und ihre einbeinigen Balztänze aufzuführen. Auch wenn dem Kranich in vielen Kulturen eine positive Bedeutung zugeschrieben wurde – unter anderem galt er als Symbol für Klugheit und Wachsamkeit –, wirkten seine Tänze nicht ernsthaft oder erotisch, sondern eher rührend und bemüht.

Dabei konzentriert sich Simon natürlich vorrangig auf die ganz großen Klassiker und ein Großteil der in Erscheinung tretenden Gestalten dürfte wohl jedem ein Begriff sein. Hier Sherlock Holmes oder auch Pippi Langstrumpf auftreten zu lassen, ist aber mitnichten als Selbstzweck zu betrachten, um den Unterhaltungswert zu erhöhen oder sich lediglich die prominenten Namen auszuleihen, nein, sie alle tragen tatsächlich in spezifischem Maße etwas zur Geschichte bei und es finden sich durchaus einige Parallelen zu den literarischen Werken, denen die Figuren entstammen. Und während es in Johans Kopf quasi nur so wimmelt an imaginierten Wegbegleitern, bestreitet der tatsächlich im Grunde eine klassische Heldenreise und müht sich in Das Antiquariat der Träume stoisch, mit der für ihn so traumatischen und betrüblichen Vergangenheit abzuschließen. Fernab dessen aber sind es natürlich das Märchenhafte und Abenteuerliche, die hier quasi Gestalt gewordene Macht und Faszination der Literatur, die dieses erzählerische Schmuckstück so lesenswert und gelungen machen, auch wenn eben längst nicht alles abschließend erörtert wird.

Fazit & Wertung:

Lars Simon schafft mit Das Antiquariat der Träume eine Buch gewordene Huldigung an die Weltliteratur und vermag mit allerhand Anspielungen, leichtfüßiger Erzählweise und einem liebenswert verschrobenen Protagonisten schnell für sich einzunehmen. Da fallen dann auch manch kleinere Längen und eine arg konstruiert wirkende Prämisse kaum ins Gewicht.

8,5 von 10 imaginierten Romangestalten

Das Antiquariat der Träume

  • Imaginierte Romangestalten - 8.5/10
    8.5/10

Fazit & Wertung:

Lars Simon schafft mit Das Antiquariat der Träume eine Buch gewordene Huldigung an die Weltliteratur und vermag mit allerhand Anspielungen, leichtfüßiger Erzählweise und einem liebenswert verschrobenen Protagonisten schnell für sich einzunehmen. Da fallen dann auch manch kleinere Längen und eine arg konstruiert wirkende Prämisse kaum ins Gewicht.

8.5/10
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Weitere Details zum Autor und dem Buch findet ihr auf der Seite des Deutschen Taschenbuch Verlages.

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Das Antiquariat der Träume ist am 22.05.2020 bei dtv erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den nachfolgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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