Review: Der Geschmack von Rost und Knochen (Film)

Langsam aber stetig kümmere ich mich um all die filmischen Kleinode, die mir im Laufe der letzten Jahre durch die Lappen gegangen sind und widme mich demnach heute einem ziemlich intensiven Drama mit reichlich sprödem Charme.

Der Geschmack von Rost und Knochen

De rouille et d’os, FR/BE 2012, 120 Min.

Der Geschmack von Rost und Knochen | © Universum Film
© Universum Film

Regisseur:
Jacques Audiard
Autoren:
Jacques Audiard
Thomas Bidegain

Main-Cast:
Marion Cotillard (Stéphanie)
Matthias Schoenaerts (Alain van Versch)

Genre:
Drama | Romantik

Trailer:

 

Inhalt:

Szenenbild aus Der Geschmack von Rost und Knochen | © Universum Film
© Universum Film

Alain van Versch hält sich als Gelegenheitsarbeiter über Wasser und ist jüngst mit seinem fünfjährigen Sohn Sam bei seiner Schwester Anna an der Côte d’Azur untergekommen. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, nimmt Alain einen Job als Türsteher an und lernt im Zuge dessen auch die lebenslustige und charmante Stéphanie kennen, die in dem Club verletzt und von Alain daher nach Hause begleitet wird. Kurz darauf kommt es allerdings bei Stéphanies Arbeit als Orca-Trainerin zu einem folgenschweren Unfall, der die junge Frau beide Unterschenkel kostet. Während Alain sich weiter müht, zu Geld zu kommen und dafür alsbald als Untergrundkämpfer anheuert, versinkt Stéphanie daheim in Depressionen. Eines Tages aber meldet sie sich bei Alain, der recht unbeholfen auf ihren Schicksalsschlag reagiert und zunächst nicht weiß, wie er sie behandeln soll. Doch so ungleich die beiden Charaktere auch sein mögen, ist Alain doch zunehmend eine Hilfe dabei, dass Stéphanie zumindest langsam ins Leben zurückfindet und ihrerseits Anteil an Alains Problemen zu nehmen vermag, der mit der Rolle als Vater und Alleinverdiener sichtlich überfordert ist…

Rezension:

Jacques Audiards Der Geschmack von Rost und Knochen ist nunmehr auch beinahe zehn Jahre alt, hat derweil aber nichts von seiner verstörenden und teils niederschmetternden Intensität verloren, wie ich nun am eigenen Leib erfahren durfte, nachdem ich mir endlich ein Herz gefasst habe, dem Film meine Zeit zu widmen, denn allzu oft schreckte mich die doch vergleichsweise schwere Kost, die Regisseur Audiard in seinem Milieu-Drama zu offerieren trachtet. Die beiden Protagonisten Alain und Stéphanie könnten dabei kaum unterschiedlicher sein und hätte ich nicht bereits viel Gutes und Lobendes zum Film gehört, hätte ich mir kaum vorstellen können, dass die Geschichte um einen Türsteher und Untergrundkämpfer sowie eine verunglückte und aus dem Leben gerissene Orca-Trainerin funktionieren könnte. Hier aber offenbart sich bereits eine der größten Stärken des Films, denn ungeachtet der großartigen Kameraarbeit, dem treffsicheren Einsatz von Musik und Melodie, dem rauen Charme und der oft niederschmetternden Erzählung sind es vorrangig die beiden Hauptdarsteller, die aus dem Film ein einziges, packendes Erlebnis machen.

Szenenbild aus Der Geschmack von Rost und Knochen | © Universum Film
© Universum Film

Dabei kommt insbesondere Marion Cotillard (Macbeth) ihre langjährige Erfahrung und Expertise im Business zugute, denn auch wenn man meinen würde, dass beide Figuren gleichberechtigt koexistieren würden, zollt das ebenfalls von Audiard, aber gemeinsam mit Thomas Bidegain verfasste Skript dem bärbeißigen und ruppigen Alain deutlich mehr Aufmerksamkeit, während Stéphanie sich zunächst in den klassischen Niederungen einer ausgewachsenen Depression wiederfindet, was schnell ins Klischeehafte, Pathetische hätte abdriften können, von Cotillard allerdings mit Bravour und Feingefühl gemeistert wird. Matthias Schoenaerts derweil, der sich nicht erst seit Der Geschmack von Rost und Knochen mittlerweile einen Namen gemacht hat und beispielsweise auch in Produktionen wie Red Sparrow zu sehen gewesen ist, begeistert aber in der Rolle des oft unbeholfen und überfordert agierenden Alain noch eine Spur mehr, derweil das Geschehen häufiger aus dessen Perspektive betrachtet wird, als es bei Stéphanie der Fall ist. Das sind allerdings alles nur Feststellungen, keine Kritik, denn Audiards Film könnte kaum gelungener sein, zumal er dramaturgisch angenehm unvorhersehbar bleibt und selten den einfachen Weg nimmt, sondern sich zunehmend darum bemüht, den beiden Protagonisten nahe zu kommen, so schmerzhaft das auch sein mag.

Entsprechend ist Der Geschmack von Rost und Knochen gleichermaßen eindrückliches Charakter-Porträt und handfestes Drama, das zwei mehr als ungleiche Gestalten auf ungewöhnliche Weise zusammenführt und sie auf Umwegen in die Lage versetzt, sich gegenseitig Halt und Kraft zu geben, obwohl dazu weder der oft etwas grobschlächtig und empathielos wirkende Alain noch die mit ihrem Schicksal hadernde Stéphanie dazu in der Lage scheinen. Gerade dieser Umstand aber schweißt das ungleiche Paar auch zunehmend zusammen, gleichwohl man nicht behaupten könnte, in ihrer Beziehung herrsche eitel Sonnenschein, zumal es allerhand Rückschläge in Kauf zu nehmen gilt, ohne dass das Geschehen dadurch konstruiert wirken würde oder man das Gefühl bekäme, diese oder jene Wendung wäre nur für den entsprechenden Effekt eingebaut worden. Begeisternd ist aber vor allem der raue Charme, der dem Gezeigten und den Figuren innewohnt, der nichts beschönigt, nichts ausspart und sich auch vor schwierigeren Themen nicht scheut, während insbesondere Stéphanie erst langsam wieder ins Leben zurückfindet und Alain im Umkehrschluss zu sich selbst, denn die junge Frau legt Schichten und Charakterzüge an ihm offen, die ihm zuvor selbst verborgen waren.

Szenenbild aus Der Geschmack von Rost und Knochen | © Universum Film
© Universum Film

In diesem Zusammenhang wirkt es wie ein schlechter Scherz, das Geschehen an der sonnigen Côte d’Azur zu verorten, doch ist es gerade diese Diskrepanz, die das Gezeigte noch zusätzlich reizvoll macht, weil der Regisseur sich eben nicht auf den touristischen Blickwinkel verlässt, sondern stattdessen die Strandpromenaden und Cafés zu nutzen versteht, um aufzuzeigen, wie weit entfernt seine Figuren von der friedvollen Unbeschwertheit ihrer Umgebung ihr Dasein fristen. Tatsächlich war die Annahme, es würde sich bei Der Geschmack von Rost und Knochen um zuweilen starken Tobak handeln, auch goldrichtig und zu einer anderen Zeit hätte mich das Geschehen schlichtweg niedergeschmettert, wobei Jacques Audiard es auch nicht versäumt, stets einen Silberstreif am Horizont, einen Hoffnungsschimmer zu vermitteln, statt stumpf eine Art Betroffenheits-Kino zu inszenieren, was sicherlich der deutlich einfachere, aber eben auch nicht annähernd so lohnende weg gewesen wäre. Und an dieser fein austarierten Art der Erzählung wird dann auch deutlich, weshalb sein Werk so sehr zu überzeugen versteht, denn von einer objektiven Warte aus erzählt der Film kaum mehr als die Geschichte zweier Menschen, die sich annähern und entfernen, wieder zueinander finden und sich gegenseitig stützen, aneinander wachsen. Das aber tut er so nuanciert, feingeistig und intensiv, dass ich ihn ohne Vorbehalte und nachdrücklich empfehlen kann.

Fazit & Wertung:

Jacques Audiard inszeniert mit Der Geschmack von Rost und Knochen ein eindrücklich geschildertes Charakter-Drama, das trotz Schicksalsschlägen und rauer Oberfläche nie der Versuchung erliegt, sich in Tristesse zu verlieren, sondern stattdessen ein feinsinniges Porträt zweier Protagonisten zeichnet, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, was sie aber gerade deshalb befähigt, sich gegenseitig zu stützen und zu stärken.

9 von 10 Schicksalsschlägen

Der Geschmack von Rost und Knochen

  • Schicksalsschläge - 9/10
    9/10

Fazit & Wertung:

Jacques Audiard inszeniert mit Der Geschmack von Rost und Knochen ein eindrücklich geschildertes Charakter-Drama, das trotz Schicksalsschlägen und rauer Oberfläche nie der Versuchung erliegt, sich in Tristesse zu verlieren, sondern stattdessen ein feinsinniges Porträt zweier Protagonisten zeichnet, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, was sie aber gerade deshalb befähigt, sich gegenseitig zu stützen und zu stärken.

9.0/10
Leser-Wertung 8.5/10 (2 Stimmen)
Sende

Der Geschmack von Rost und Knochen ist am 19.07.13 auf DVD und Blu-ray bei Universum Film erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!

DVD:

Blu-ray:

vgw

Sharing is Caring:

Hinterlasse einen Kommentar