Review: Lovecraft Country | Matt Ruff (Buch)

Ganze zwei Wochen ohne Buch-Rezension, aber was soll ich sagen, da macht es sich dann doch bemerkbar, dass ich dieser Tage häufiger im Home-Office bin, denn dadurch fallen natürlich auch die tagtäglichen Bus- und Bahnfahrten flach, die mir sonst eine regelmäßige und verlässliche Lesezeit beschert haben. Wie man aber heute sieht, schaffe ich es dann doch auch mal, ein Buch zu Ende zu lesen, auch wenn es diesmal etwas länger gedauert haben mag.

Lovecraft Country

Lovecraft Country, USA 2016, 432 Seiten

Lovecraft Country von Matt Ruff | © dtv
© dtv

Autor:
Matt Ruff
Übersetzer:
Anna Leube
Wolf Heinrich Leube

Verlag (D):
Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN:
978-3-423-21915-0

Genre:
Drama | Mystery | Fantasy

 

Inhalt:

Es ist das Jahr 1954 und Korea-Kriegs-Veteran Atticus Turner kehrt in seine alte Heimat Chicago zurück, muss dafür aber zunächst die Südstaaten der USA durchqueren, was für einen Schwarzen einer Höllenfahrt gleicht, wie auch Atticus am eigenen Leib erfahren muss, bevor er – gerade noch – heil zuhause ankommt. Dort aber muss er feststellen, dass sein Vater George verschwunden ist und prompt beginnt er sich umzuhören. Wie es scheint, ist George zuletzt mit einem Weißen gesehen worden und letztlich deuten die Spuren in Richtung Neuengland, auf eine als Lovecraft Country bekannte Gegend, in der er ebenso wenig willkommen sein dürfte wie im Süden der Staaten. Dessen ungeachtet aber macht er sich in Begleitung auf, seinen Vater heimzuholen und lernt nach beschwerlicher Reise den mysteriösen Caleb Braithwaite kennen, der Teil einer uralten Loge zu sein scheint, die mit finsteren Mächten experimentiert und aus irgendeinem Grund ein Auge auf Atticus geworfen zu haben scheint. Und obwohl er sich der Situation letztlich entziehen kann, werden noch weitere Personen in seinem Umfeld die Bekanntschaft von Braithwaite machen, bevor der Spuk womöglich ein Ende findet…

Rezension:

Es ist ein Phänomen, dass jedes der Bücher von Matt Ruff gänzlich anders wirkt und ist als seine anderen Werke und mehr noch als zuvor gilt das wohl sicherlich für Lovecraft Country, das ich mir jüngst zugelegt habe, da ich einerseits mit enormem Vergnügen seinen neuen Roman 88 Namen gelesen habe, andererseits aus diesem, bereits 2016 erschienenen Werk unlängst eine TV-Serie abgeleitet worden ist, die man sich sicherlich beizeiten auch mal ansehen kann. Mit dem Spaß ist das hier aber so eine Sache, denn Ruff kann nicht nur lustig und so wird es hier vergleichsweise ernst und düster, wobei man nicht den Fehler begehen sollte, zu denken, der Schrecken ginge hier von etwas Übernatürlichem und Außerweltlichen aus. Schon der Titel des Buches lässt natürlich direkt erahnen, dass der Autor sich hier den Cthulhu-Mythos oder ganz allgemein das Schaffen von H.P. Lovecraft zur Brust genommen hat und so sehr er auch im Bereich der (Horror-)Literatur geschätzt sein mag, hatte er doch auch offenkundig ausgeprägte rassistische Tendenzen. Ein cleverer Schachzug, das nun dahingehend ins Gegenteil zu verkehren, dass er eine Gruppe Schwarzer als Protagonisten nimmt, zumal das einiges an erzählerischen Möglichkeiten eröffnet.

Zehn Meilen weit hinter ihm waren nichts als Felder und Wald, aber vor sich sah er in einer Entfernung von etwa zwei Meilen eine Ansammlung von Gebäuden. Er nahm den ›Safe Negro Travel Guide‹ und machte sich zu Fuß auf den Weg. Auf der Straße herrschte reger Verkehr, und zunächst versuchte er, Autos anzuhalten, die in seine Richtung fuhren, aber entweder ignorierten ihn die Fahrer, oder sie drückten extra aufs Gas, und schließlich gab er den Versuch auf und konzentrierte sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

So ist es eben weit mehr der Schrecken, der hier von der weißen – und nicht gerade wohlmeinenden – Bevölkerung ausgeht, der Lovecraft Country streckenweise zu hartem Tobak macht, derweil die übernatürlichen Einsprengsel tatsächlich vergleichsweise harmlos wirken. Ich muss auch zugeben, persönlich ein wenig enttäuscht gewesen zu sein, dass die Lovecraft-Anleihen nicht noch ausgeprägter und prägnanter gewesen sind, denn auch wenn es zunehmend mysteriöser und abgründiger werden mag, beschränkt sich das auf vereinzelte Episoden und Spitzen, während der eigentliche Alltagshorror spürbar im Vordergrund steht. Enttäuschung bedeutet in diesem Fall allerdings nicht, dass der Roman schlecht oder weniger empfehlenswert würde, sondern einfach nur, dass ich mir ein wenig was anderes erwartet hätte. Ebenfalls unerwartet ist derweil der episodische Aufbau, denn nach erster Durchsicht habe ich eine Kapitel-Struktur schmerzlich vermisst, was damit zusammenhängt, dass Ruff eine Anzahl lose miteinander verknüpfter, durchaus aufeinander aufbauender Geschichten zum Besten gibt, die allerdings auch – in den meisten Fällen – für sich stehen können und wechselnde Protagonisten aus dem Umfeld des zuerst vorgestellten Atticus Turner in den Mittelpunkt stellen.

Das versetzt ihn natürlich ebenfalls in die Lage, kompakte Gruselgeschichten zum Besten zu geben, anstatt sich an der übergeordneten Dramaturgie orientieren zu müssen. Mag das aber auch ein weiteres Alleinstellungsmerkmal sein, muss diese Herangehensweise natürlich nicht jedem gefallen, denn so wirkt Lovecraft Country natürlich wie eine Kurzgeschichtensammlung mit übergeordnetem Thema, was sich derweil sicherlich begünstigend auf die Serien-Adaption ausgewirkt haben dürfte. Sei es wie es will, liefert Matt Ruff hier ein weiteres lohnendes Werk ab, für das er merklich intensiv recherchiert hat, auch wenn er sich natürlich gewisse Freiheiten nimmt und Dinge verfremdet, so dass beispielsweise aus dem real existierenden Negro Motorist Green Book hier der Safe Negro Travel Guide wird, auch wenn es für sich genommen schon erschreckend genug ist, dass es ein solches Werk erforderte, um die sichere Reise durch die Statten zu ermöglichen. Der Alltagsrassismus, Vorurteile, Klassendenken sind hier also vorherrschende Konzepte, die sich auch im erzählerischen Ton niederschlagen, wobei Ruff niemand ist, der einfach nur anprangert, sondern dabei eben auch blendend unterhält.

Und so redeten sie über Ray Bradbury, über Robert Heinlein und Isaac Asimov, die Earl alle gut fand. Nicht gut fand er L. Ron Hubbard. Die Tom-Swift-Serien, die Earl in seiner Jugend begeistert hatten, waren ihm nun peinlich, einmal wegen der Art, wie darin Neger dargestellt waren, und dann auch, weil ihm das damals als Junge gar nicht aufgefallen war, obwohl sein Vater immer wieder versucht hatte, ihn darauf hinzuweisen. »Ja genau, mein Dad hatte auch Probleme mit der Auswahl meiner Lektüre«, sagte Atticus.

Neben der Ernsthaftigkeit und dem realen Schrecken punktet er hier nämlich auch wieder mit gelungenen Dialogen, aberwitzigen Ideen und dem einen oder anderen Augenzwinkern, speziell was die Rolle der Logenmitglieder anbelangt, die hier im weiteren Verlauf noch versuchen werden, das sagenumwobene Necronomicon in die Finger zu bekommen. So macht sich Ruff nicht nur das Lovecraft’sche Schaffen zu Eigen und verkehrt dessen rassistische Tendenzen spielerisch ins Gegenteil, nein, er huldigt auch den Schundromanen früher Tage und liefert im Grunde die anspruchsvollere Variante einer klassischen Pulp-Story, die sich hier aus Versatzstücken von Krimis, Horror- und Gruselgeschichten sowie einem ordentlichen Schuss Fantasy, Science-Fiction und Mystery zusammensetzt. Ob und inwieweit man aber attestieren könne, dass dieser Roman einem gefällt, sofern man bereits weitere Werke von Ruff kennt, bleibt derweil offen, da der sich thematisch und dramaturgisch hier wieder einmal neu erfindet und es sicherlich schwerfallen dürfte, einen adäquaten Vergleich für dieses im besten Sinne einzigartige Werk heranzuziehen.

Fazit & Wertung:

Matt Ruff arrangiert in Lovecraft Country gleich eine ganze Zahl Storys zu einem lose zusammenhängenden Kurzgeschichtenband, der sich zwar an der Pulp-Literatur orientiert und thematisch bei Lovecraft zu Hause sein mag, den eigentlichen Schrecken aber in Form das allgegenwärtigen Alltagsrassismus präsentiert, der seinen Protagonisten stetig entgegenschlägt.

8 von 10 bedrohlichen Begegnungen

Lovecraft Country

  • Bedrohliche Begegnungen - 8/10
    8/10

Fazit & Wertung:

Matt Ruff arrangiert in Lovecraft Country gleich eine ganze Zahl Storys zu einem lose zusammenhängenden Kurzgeschichtenband, der sich zwar an der Pulp-Literatur orientiert und thematisch bei Lovecraft zu Hause sein mag, den eigentlichen Schrecken aber in Form das allgegenwärtigen Alltagsrassismus präsentiert, der seinen Protagonisten stetig entgegenschlägt.

8.0/10
Leser-Wertung 6/10 (1 Stimme)
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Weitere Details zum Autor und dem Buch findet ihr auf der Seite des Deutschen Taschenbuch Verlages.

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Lovecraft Country ist am 14.05.18 in gebundener Fassung, am 24.07.2020 als Taschenbuch bei dtv erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den nachfolgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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