Review: Alle sieben Wellen | Daniel Glattauer (Buch)

Anders als den Protagonisten Emmi und Leo stand es mir zum Glück frei, die Auszeit der beiden zu verkürzen und so hole ich kein halbes Jahr später nun auch den zweiten Roman über die außergewöhnliche Email-Bekanntschaft zwischen ihr und ihm nach.

Alle sieben Wellen

Alle sieben Wellen, AT 2009, 219 Seiten

Alle sieben Wellen von Daniel Glattauer | © Goldmann
© Goldmann

Autor:
Daniel Glattauer
Übersetzer:
entfällt

Verlag (D):
Goldmann
ISBN:
978-3-442-47244-4

Genre:
Romantik | Drama

 

Inhalt:

Monate sind vergangen, seit Leo Leike nach Boston aufgebrochen ist und mit seinem Weggang ist auch der zuvor rege und angeregte Email-Verkehr mit Emmi Rothner zum Erliegen gekommen, die aber zuweilen immer noch an die unlängst deaktivierte Email-Adresse schreibt, nur um vom Systemadministrator darüber informiert zu werden, dass absolut niemand ihre geistreichen Schilderungen je lesen würde. Dann aber meldet sich überraschend Leo selbst zurück und teilt der verdutzten Emmi mit, dass er aus Boston heimgekehrt sei. Und obwohl ihre gemeinsame Geschichte ein jähes und unbefriedigendes Ende gefunden hat, fallen sowohl Emmi als auch Leo alsbald in alte Verhaltensmuster zurück und schreiben sich tagein tagaus. Überdies stand vor der unerwarteten Funkstille ja noch ein Treffen der beiden im realen Leben im Raum, das sie bislang wahrzunehmen versäumt haben. Schnell ist man sich einig, dass man es sich schuldig wäre, doch zumindest dieses eine, lang angestrebte Ziel doch noch zu verwirklichen und sei es nur, um die Sache zu einem würdigen Abschluss zu bringen…

Rezension:

Nicht einmal fünf Monate ist es her, dass ich mich dem vielerorts gepriesenen, von mir lange vernachlässigten Gut gegen Nordwind gewidmet habe und tatsächlich hätte ich eigentlich noch ein wenig warten sollen, denn dann hätte die Story von Alle sieben Wellen tatsächlich auch chronologisch nahtlos an den Erstling anschließen können. Für die aus dem Vorgänger bekannten "Brieffreunde" Emmi Rothner und Leo Leike vergeht nämlich noch ein wenig mehr Zeit, bevor der überstürzt abgereiste Leo verkündet, aus Boston zurückgekehrt zu sein. Während Emmi bis dahin schon eine innige, aber mehr als einseitige Beziehung zum Systemadministrator aufgebaut hat, der sie mit gewohnt sonorem Ton ein ums andere Mal darüber informiert, dass das Email-Konto nicht mehr verfügbar sei und ihre Nachrichten ins Leere laufen, ist der neu erwachende Austausch mit Heimkehrer Leo natürlich um einiges gehaltvoller und interessanter. Und tatsächlich gelingt es Glattauer bereits nach wenigen Seiten zu vermitteln, dass man keinesfalls befürchten muss, er würde den Vorgänger mit dieser unverhofften Fortsetzung verwässern und entkräften, denn nach anfänglichem Fremdeln vermitteln die gegenseitigen Email-Botschaften schnell wieder den gewohnten Esprit und geistreiches Kokettieren.

Elf Stunden später
Betreff: Zurück aus Boston
Liebe Emmi, dein Gespür ist verblüffend. Ich bin seit nicht einmal einer Woche wieder im Lande. Was also den Strom betrifft: den verbrauche ich selbst. Emmi, ich wünsche dir, ach, was wünsche ich dir nach so langer Zeit? Klingt wohl alles ziemlich banal. Am besten, wenn auch fünf Monate verfrüht: Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr. Ich hoffe, es geht dir gut, mindestens zweimal so gut wie mir. Adieu. Leo.

Nun war es natürlich Teil der melancholisch-fatalistischen Note von Gut gegen Nordwind, dass die Geschichte zu Ende gegangen ist, wie sie zu Ende gegangen ist, doch merkt man schnell, dass selbige eben noch längst nicht zu Ende erzählt gewesen ist, wie auch den beiden Protagonisten klar wird, die in gewohnter Form auch hier nur schriftlich zu Wort kommen. Das macht es in Alle sieben Wellen aber ungleich spannender, denn während sich im ersten Roman die beiden noch umkreist und belauert haben, ohne dass es wirklich je zu einem Treffen gekommen wäre, wird dem hier Abhilfe geschaffen. Allerdings freilich mit dem Kniff, dass wir als außenstehende Leser eben auch nur durch den sich anschließenden Email-Verkehr davon erfahren, wie das Treffen vonstattengegangen ist und wie es Emmi und Leo jeweils für sich erlebt haben. So bleibt Glattauer seiner modernisierten Kunstform des Briefromans auch diesmal ausnahmslos treu, vermag aber trotzdem eine ungemein kurzweilige und zu Herzen gehende Geschichte zu erzählen, die ihrem ersten Akt in absolut nichts nachsteht, auch wenn ein einfaches Happy End natürlich auch hier in weite Ferne gerückt zu sein scheint. Denn fernab des digitalen Mikrokosmos, in dem sich Emmi und Leo ein ums andere Mal begegnen, geht das eigentliche Leben der beiden unerbittlich weiter und wir erinnern uns, dass zumindest Emmi verheiratet ist und Leo zudem noch immer das Geheimnis mit sich trägt, dass ihr besorgter Ehemann ihn seinerzeit – ebenfalls per Mail – kurz vor seiner Abreise in Richtung Boston kontaktiert hat.

Reichlich Zündstoff also, der neben dem ohnehin prekären und diffusen Verhältnis der beiden sich zueinander hingezogen Fühlenden für Dramatik sorgen könnte. Drama ist allerdings – wie schon im Buch zuvor – im Grunde stets nur ein kurzes Aufbegehren, eine zeitweilige Funkstille, während der eigentliche Fokus auch hier wieder auf den geistreich-eloquenten Dialogen und Analysen liegt. Und hier gelingt es dem Autor, wirklich ohne Abstriche und Vorbehalte wieder zu gleicher Form aufzulaufen, wie eben schon bei Gut gegen Nordwind, was auch insofern beachtlich ist, dass zwischen dem Entstehen beider Bücher in der Realität mehrere Jahre gelegen haben. Dabei versteht es sich von selbst, dass es insbesondere bei einem nur auf zwei Figuren abstellenden Roman ungemein wichtig ist, dass die ihrer jeweiligen Stimme, ihrem Habitus treu bleiben. Zuletzt nutzt Glattauer die Chance aber eben nicht nur, einfach nur eine Fortsetzung zu inszenieren, sondern eben auch vieles Unausgesprochene, Unerledigte erneut aufs Trapez zu bringen und das offene – für viele sicher ernüchternde – Ende des ersten Bandes umzumünzen, ein neues Kapitel im Leben von Emmi und Leo aufzuschlagen, an dessen Ende hoffentlich nicht wieder der Abschied und mit ihm Abbruch des Kontakts steht.

Zehn Minuten später
RE:
Leo, das war ein Glanzstück, ein Leckerbissen, du läufst binnen kurzer Zeit zu Höchstform auf! – »Emmi, du bist zwar die Illusion des Vollkommenen, aber ich will nichts mehr mit dir zu tun haben.« Verstehe. Verstehe. Verstehe. Morgen mehr. Tut mir leid, das kann ich dir nicht ersparen. Gute Nacht, deine I.d.V.

Dass der Weg zu diesem wie auch immer gearteten Ende aber erneut stets gespickt ist mit cleveren, feinfühligen, intelligenten Dialogen, kann man dem Autor dabei nicht hoch genug anrechnen, auch wenn die Story natürlich diesmal einen etwas anderen Verlauf nimmt und unerwartet viele "kleine" Cliffhanger mit sich bringt. Ich kann mir entsprechend kaum ein Szenario vorstellen, in dem einem Gut gegen Nordwind gefallen hat, Alle sieben Wellen jedoch nicht, so dass ich nur jedem raten kann – sofern man den ersten Band bereits gelesen hat – auch hier wieder zuzugreifen. Das allerdings werden die meisten sicherlich wie automatisch tun, wenn sie ebenfalls der Meinung sind, dass die Geschichte von Emmi Rothner und Leo Leike nicht enden darf, wie sie beinahe geendet hätte, hätte Glattauer nicht diese Fortsetzung kredenzt. Fühlt man sich allerdings zu Jammern auf hohem Niveau genötigt, könnte es ein Ansatz sein, festzustellen, dass die jeweils knapp 200 Seiten starken Romane auch gut und gerne von vornherein als ein zusammenhängendes Werk mit zwei großen Akten hätten verkauft werden können. Das nimmt man allerdings gerne in Kauf und es bleibt festzuhalten, dass hier sprachlich wie inhaltlich statt Quantität dafür gehörige Qualität geliefert wird.

Fazit & Wertung:

Daniel Glattauer gelingt es tatsächlich, mit Alle sieben Wellen nahtlos und ohne Qualitätsverlust an seinen Erfolgsroman Gut gegen Nordwind anzuknüpfen und entführt ein weiteres Mal in einer modernen Variation des klassischen Briefromans in die Weiten des Internet, wo sich Emmi Rothner und Leo Leike erneut begegnen, ihre Geschichte nicht nur aufleben lassen, sondern auch fortführen, was sich sicherlich viele Leser*innen auch sehnlichst gewünscht haben dürften.

8,5 von 10 sehnsuchtsvoll erwarteten Emails

Alle sieben Wellen

  • Sehnsuchtsvoll erwartete Emails - 8.5/10
    8.5/10

Fazit & Wertung:

Daniel Glattauer gelingt es tatsächlich, mit Alle sieben Wellen nahtlos und ohne Qualitätsverlust an seinen Erfolgsroman Gut gegen Nordwind anzuknüpfen und entführt ein weiteres Mal in einer modernen Variation des klassischen Briefromans in die Weiten des Internet, wo sich Emmi Rothner und Leo Leike erneut begegnen, ihre Geschichte nicht nur aufleben lassen, sondern auch fortführen, was sich sicherlich viele Leser*innen auch sehnlichst gewünscht haben dürften.

8.5/10
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von Goldmann. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.

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Alle sieben Wellen ist am 08.03.11 bei Goldmann als Taschenbuch erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!

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