Ganz ehrlich, was könnte passender sein, als am St. Patrick’s Day die Kritik zu einem irischen Film zu veröffentlichen? Nicht viel, richtig, auch wenn es hier nur tertiär ums Trinken geht, soll heißen so etwa drei Minuten lang. Der Rest ist zynisch-schwarzhumoriges, immer düsterer werdendes Charakterkino, aber hey, es ist Paddy’s Day und es ist ein irischer Film, also!
Am Sonntag bist du tot
Calvary, IE/UK 2014, 102 Min.
© Ascot Elite
John Michael McDonagh
John Michael McDonagh
Chris O’Dowd (Jack Brennan)
Kelly Reilly (Fiona Lavelle)
Aidan Gillen (Dr. Frank Harte)
Dylan Moran (Michael Fitzgerald)
Isaach De Bankolé (Simon)
M. Emmet Walsh (The Writer)
Marie-Josée Croze (Teresa)
Domhnall Gleeson (Freddie Joyce)
Gary Lydon (Inspector Stanton)
Killian Scott (Milo Herlihy)
Orla O’Rourke (Veronica Brennan)
Owen Sharpe (Leo)
David McSavage (Bishop Garret Montgomery)
Mícheál Óg Lane (Mícheál)
Mark O’Halloran (Prison Officer)
Drama
Trailer:
Inhalt:
© Ascot Elite
Wie jeden Sonntag begibt sich Vater James Lavelle in den Beichtstuhl, auf das sich die Gemeindemitglieder das Gewissen erleichtern und Absolution erlangen können. An diesem Sonntag jedoch ist alles anders, denn ein Mann berichtet ihm, wie er als Kind über Jahre hinweg von einem Priester beinahe täglich missbraucht worden ist und dieses Trauma nie hat verarbeiten können. Auf die Frage, wieso er sich nicht an die Polizei wende, eröffnet der Mann ihm, dass der Priester längst tot sei und dessen Beschuldigung wohl kaum Folgen nach sich gezogen hätte. Doch der Mann hat einen Plan, denn was würde weit höhere Wellen schlagen als ein katholischer Priester, der sich an einem Kind vergangen hat? Richtig, der Mord an einem völlig unschuldigem Mann, der Tod von Vater Lavelle, der sich nie etwas hat zuschulden kommen lassen. Eine Woche gibt der Mann ihm, um sein Leben zu ordnen, seine Angelegenheiten zu erledigen, warnt ihn: Am Sonntag bist du tot.
Völlig perplex beginnt James Lavelle zunächst am darauffolgenden Montag seinen Rundgang durch den Ort an der der Küste von Sligo, doch die Dorfbewohner machen es ihm nicht leicht, sind sie schließlich voller Gehässigkeit gegenüber der Kirche und spotten allenthalben über die guten Absichten des Dorfpriesters. Da erscheint auch noch seine Tochter Fiona auf der Bildfläche, die nach einem halbherzigen Selbstmordversuch die Nähe ihres Vaters sucht und während die Tage verstreichen, gerät James Lavelle immer mehr in die Bredouille, ob er seinen Posten halten und am nächsten Sonntag am Strand seinen Tod erwarten soll – zumal er selbst genau weiß , um welchen Mann es sich handelt, der ihm gedroht hat – oder sucht er sein Heil in der Flucht, verlässt die Gemeinde und überlässt sie ihrem Schicksal?
Rezension:
Gleich in den ersten Minuten bricht sich die namensgebende Prämisse von Am Sonntag bist du tot Bahn und der Film eröffnet mit ebendieser Botschaft an den gutherzigen wie frommen Vater James Lavelle, der, sichtlich verstört und geschockt, in Kenntnis gesetzt wird, so ziemlich exakt eine Woche zu haben, um sein Leben zu ordnen und seine Angelegenheiten zu regeln, bevor ihn am Sonntag darauf am Strand der Tod erwarten wird. Besonders perfide für den Zuschauer ist hierbei, dass Vater James sich bald dahingehend äußert, zu wissen, wer ihm diese Drohung ausgesprochen hat, doch während dieser seine Schäfchen weiterhin zu schützen versucht und auf dem Beichtgeheimnis beharrt, die fragliche Person auch nicht bei der Polizei anschwärzt, beginnt das große Rätselraten, zumal nicht gerade wenige Mitglieder der Gemeinde verdächtigt werden können, zu dieser Tat fähig zu sein. Doch handelt es sich mitnichten um ein simples Whodunnit, was hier abgespult wird und der Film legt seinen Fokus in keiner Weise auf diese durchaus alles überspannende Fragestellung, sondern verbringt die meiste Zeit damit, eine Gemeinde auf Abwegen zu skizzieren, über die einzig noch der die Tugend der Vergebung predigende Priester seine schützende Hand hält und das, obwohl man ihm teils offen feindselig gegenübertritt.
© Ascot Elite
Anfänglich noch mit feinsinnigem schwarzen Humor durchzogen, wird der Ton von Am Sonntag bist du tot mit jedem verstreichenden Tag ernster, tragischer und fatalistischer, während es anfangs merkwürdig anmutet, dass Vater James sich in keiner Weise von der Drohung irritieren zu lassen scheint und seinem üblichen Tagesgeschäft nachgeht, man nach und nach die Bewohner des Örtchens an der Küste von Sligo kennenlernt und schockiert sein darf, was sich teils hinter der so lauteren und frommen Fassade verbirgt. Kurz mag man auch, ebenso wie Vater James, versucht sein, diesem opportunistischen wie zynischen Haufen den Rücken zu kehren und das Heil in der Flucht zu suchen, doch wird eben auch mit jedem weiteren Tag deutlicher, wie Vater James‘ eigenes Kredo und sein Selbstverständnis als Geistlicher es ihm verbieten, die Gemeinde im Stich zu lassen und ihn quasi dazu zwingen, sich einem Märtyrer gleich zu opfern und – obschon selbst unschuldig – für die Sünden der Kirche zu büßen.
Und obwohl manche der Figuren schon hart am Klischee kratzen und teils übertrieben verdorben gezeichnet werden, punktet Am Sonntag bist du tot in seiner Ausgestaltung vor allem mit seinen hintergründig existentiellen Fragen und regt zum Nachdenken an, ohne mit Plattitüden oder simplifizierten Lösungen um sich zu werfen, ist tatsächlich auch weit weniger schwarzhumorige Unterhaltung, als ein handfest melancholisches Drama mit elegischer Erzählweise und dem ruppigen Charme der irischen Landsleute, überschattet vom stoisch-charismatischen Spiel des großartigen Brendan Gleeson, der hier gerade in der zweiten Hälfte, wenn die Schlinge sich zuzuziehen beginnt, in Höchstform agiert und jede Szene spielend dominiert. Davon gänzlich unbeeindruckt, macht aber auch das Ensemble um ihn herum eine ausnahmslos glänzende Figur, wobei man hier vielleicht noch am ehesten Kelly Reilly als Vater James‘ Tochter Fiona, Dylan Moran als desillusionierten und ziellosen Millionär Fitzgerald und Aidan Gillen als zynisch-morbiden Dr. Harte hervorheben könnte, die ebenfalls mit ihrer Ausstrahlung manche Szene an sich zu reißen wissen.
© Ascot Elite
Man muss aber auch sagen, dass Am Sonntag bist du tot nicht unbedingt für einen unterhaltsamen, feucht-fröhlichen Heimkinoabend taugt und mit seiner Thematik und der elegisch-melancholischen Erzählweise schon speziell, ja teilweise erschütternd niederdrückend ist, zwar jederzeit eine tragisch-fatalistische Poesie verströmt, aber eben auch an die Substanz geht, mit jedem Tag ein wenig mehr, bis einem auch das letzte Lachen im Halse festzustecken bleiben droht, bis das letzte Quäntchen Hoffnung verbraucht und der letzte Tag verstrichen ist, Vater James sich zwar nach bestem Wissen seinen Angelegenheiten gewidmet, doch letztlich kaum etwas zu einem befriedigenden Abschluss geführt haben mag, selbst voll des Bedauerns ist über den Zustand seiner Gemeinde der ihm Schutzbefohlenen, doch trotzdem nicht von ihnen lassen kann, sich schließlich immer noch dem Herrn verpflichtet fühlt. Und nein, man muss nicht gläubig sein, um den Film genießen zu können, dessen Thematik um Schuld und Sühne zwar hier in einen christlichen Kontext gebettet, doch mehr universeller Natur ist, ganz allgemein zum Nachdenken anregt und trotz mancher losen Enden noch lange nachhallt.
Am Sonntag bist du tot
-
Sündhafte Gemeindemitglieder - 8.5/10
8.5/10
Fazit & Wertung:
John Michael McDonaghs Am Sonntag bist du tot ist weniger die schwarzhumorige Komödie, die man vielleicht erwarten würde, aber insbesondere dank Brendan Gleeson und dem formidablen Cast ein melancholisches wie intelligentes Werk über die Frage nach Schuld und Sühne geworden, das trotz des vorherrschenden Zynismus und der immer tragischer werdenden Erzählung auch immer warmherzig, vor allem aber sehenswert bleibt.
Meinungen aus der Blogosphäre:
Carlun: 4/5 Punkte
Der Kinogänger
Am Sonntag bist du tot erscheint am 24.03.15 auf DVD und Blu-ray im Vertrieb von Ascot Elite. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!
Der erste und bislang einzige Film, bei dem ich eine Wertung “verweigert” habe. Ich fand den so unfaßbar deprimierend, daß ich wirklich nicht mehr in der Lage war, objektive Bewertungsmaßstäbe und subjektive Empfindungen in Einklang zu bringen. Momentan kann ich mir auch kaum vorstellen, mir den noch mal anzuschauen. Ich verlinke mal ausnahmsweise meine eigene Rezension – mich würde ja interessieren, wie du beispielsweise die Sache mit dem Hund interpretiert hast …
http://www.der-kinogaenger.blogspot.de/2014/11/am-sonntag-bist-du-tot-2014.html
Tu dir keinen Zwang an, deine Rezensionen zu verlinken, denn dann gehe ich hin und pack sie unter die ‘Meinungen aus der Blogosphäre’ – siehe oben. Mich stört sowas gar nicht, gerade bei Bloggern die ich kenne und mag; sauer aufstoßen tut mir dergleichen nur bei Wildfremden, wo dann etwas kommt wie “Toller Artikel, hier ist übrigens meine Kritik …”
Ja, die Sache mit dem Hund, wirklich eine heftige Szene, bedrückend, verstörend und unendlich traurig – Gänsehaut pur, aber keine angenehme. Ich habe mir jetzt mal deine Ausführungen dazu durchgelesen und kann mich eigentlich in so ziemlich jedem Punkt anschließen.
Kurze SPOILERWARNUNG, für alle die hier die Kommentare lesen und den Film nicht kennen und schon gehts los:
Nachdem die Kirche abgebrannt ist und die eiligst herbeigeeilten Gemeindemitglieder nichts besseres zu tun hatten, als zu gaffen und zu lästern, war das eigentlich der nächste konsequente Schritt, den treuesten Begleiter von Vater James zu töten und ich denke es war auch beabsichtigt, dass man folgerichtig annimmt, dies wäre ebenfalls ein Akt des Mörders in spe, um eben am Ende noch einmal einen Hieb platzieren zu können, der da lautet – wie du ja auch schon geschrieben hast – dass Vater James sich für eine Gemeinde opfert, die aus purer Lust und/oder Langeweile ein unschuldiges Tier tötet, ohne dass es Gründe oder Erklärungen dafür gäbe und von der Botschaft her war das für mich auch eine der krassesten im Film, eben weil sie einem kurz vor Ende noch mal so richtig kalt erwischt, weil die Tat an sich ja auch weit über die Frotzeleien und den Spott hinausgeht, der Vater James gerade in den letzten Tagen vermehrt entgegenschlägt.
Die Entgegnung des Mörders, wie Vater James denn annehmen könne, er würde einen armen, unschuldigen Hund ermorden, stellt den Akt der Vergeltung an einem armen, unschuldigen Priester natürlich auf eine ganz neue Stufe.
Du schriebst ja auch, dass diese beiden Schlussfolgerungen im Film nicht angesprochen, beziehungsweise ausformuliert werden und da muss ich sagen, dass ich das auch als mitunter größte Stärke von ‘Am Sonntag bist du tot’ empfunden habe, weil eben einmal nicht alles mit Holzhammermethode und blinkendem Hinweisschild erklärt wird, sondern man sich seine eigenen Gedanken machen kann, eigentlich beinahe zwangsläufig macht, so wie einen der Film mitzunehmen imstande ist, siehe ja auch bei dir.
Mich hat der Film jetzt ja auch nicht mit einem wohligen guten Gefühl in den Abend entlassen und ich musste auch schon schwer schlucken, aber auch wenn die Aussagen und das Geschehen bitter sind, steckt da viel Wahrheit und eine traurige Poesie drin, vor allem aber, wenn man genau hinsieht und reflektiert, wie Vater James sich für gerade diese Gemeinde opfert und bis zuletzt die Tugend der Vergebung predigt, dazu die abschließende Szene, wie seine Tochter den Mörder ihres Vaters im Gefängnis aufsucht, so etwas wie Hoffnung vermittelt, wobei Hoffnung hier auch das falsche Wort ist.
Ja, ich mag das auch sehr, wenn ein Film zur Abwechslung mal nicht meint, dem Zuschauer alles haarklein erklären zu müssen, was zuvor passiert ist – umgekehrt war das beispielsweise mein einziger echter Kritikpunkt an der kanadischen Tragikomödie “Barney’s Version” mit Paul Giamatti (die ich an dieser Stelle schwer empfehlen möchte), die für mich ohne die “Erkläreritis” ein nahezu perfekter Film wäre.
Allerdings passiert es mir dann eben auch immer wieder, daß ich beim Rumstöbern im Internet herausfinde, daß meine Interpration eines solch offenen Films nur von wenigen geteilt zu werden scheint (beispielsweise empfinde ich das Ende von Kate Winslets Handlungsstrang in “Little Children” auf eine andere Art ähnlich deprimierend wie das von “Am Sonntag bist du tot”, mußte dann aber etwa in den IMDB-Foren zu meinem Erschrecken feststellen, daß es für andere allen Ernstes eine Art Happy End war, weil “sie sich richtig entschieden hat” …) – und das kann dann doch verunsichern, ob man das Ganze nicht schlicht und ergreifend falsch verstanden hat. Insofern bin ich schon froh, daß du bei “Am Sonntag …” vollkommen mit mir konform gehst. ;-)
Hi Wulf,
habe es nun endlich auch geschafft eine Review zu schreiben
Bin weniger deprimiert wie “Der Kinogänger”, obwohl der Film ja ein böses Ende hat. Aber ich sehe den Film als Gesamtes und da ist er einfach toll. Toll gespielt, toll gesprochen, toll fotographiert.
http://www.carlun.de/blu-ray/am-sonntag-bist-du-tot-kritik/
Ja super, hab ich doch direkt mal nachgepflegt ;-)
Und ja, insgesamt ist der Film schon ziemlich toll, ungewöhnlich, frisch, unerwartet und herrlich skurril, aber eben nicht auf Kosten der Dramaturgie, das hat mir schon auch imponiert.