Review: Die verlorenen Schwestern | Adrian McKinty (Buch)

So langsam habe ich mich ja ein bisschen eingegroovt mit meiner diesjährigen Veröffentlichungsweise und deshalb gibt es heute wieder einmal standesgemäß zum Freitag wie auch zum Wochenendeinstand eine Buch-Kritik, die diesmal zweifelsohne auch wieder als Empfehlung verstanden werden darf. Also, kommt mir gut in die freien Tage und macht es euch schön!

Die verlorenen Schwestern
Die Sean Duffy-Reihe 3

In the Morning I’ll be gone, UK 2014, 378 Seiten

Die verlorenen Schwestern von Adrian McKinty | © Suhrkamp Verlag
© Suhrkamp Verlag

Autor:
Adrian McKinty
Übersetzer:
Peter Torberg

Verlag (D):
Suhrkamp Verlag
ISBN:
978-3-518-46595-0

Genre:
Krimi | Thriller

 

Inhalt:

Am Mittwoch, den 25. September 1983, um 16 Uhr 27 schlug der Pieper an. Im Abstand von vier Sekunden erklang ein schrilles Cis, was verriet, dass es sich um einen Notfall der Kategorie 1 handelte – zumindest denjenigen unter uns, die sich die Mühe gemacht hatten, das Handbuch zu lesen. Dieser allgemeine Notruf ging an alle Polizisten, Reservisten und Soldaten in Nordirland, die gerade dienstfrei hatten. In der Kategorie 1 gab es nur fünf Notfälle, darunter: ein atomarer Erstschlag der Sowjets, ein Einmarsch ebendieser und etwas, das die Beamten, die das Handbuch geschrieben hatten, ganz nonchalant »Hausfriedensbruch durch Außerirdische« genannt hatten.

Nordirland im Jahre 1983: Als eine Gruppe von 38 IRA-Mitgliedern im September des Jahres aus einem Hochsicherheits-Gefängnis ausbricht, kontaktiert der MI5 den jüngst degradierten Sean Duffy und lockt mit einer Wiedereinsetzung bei der RUC, denn unter den Flüchtigen befindet sich auch Dermot McCann, ein mutmaßlicher Rädelsführer bei der IRA, mit dem Sean zufälligerweise vor Jahren die Schulbank gedrückt hat und den es nun aufzuspüren gilt, bevor dieser womöglich bald schon mit einem neuen Bombenattentat oder dergleichen von sich reden machen wird. Widerwillig nimmt der den Auftrag an und beginnt seine Ermittlungen, die ihn weit in seine eigene Vergangenheit hineinführen, zumal sein Entschluss, Mitglied der Polizei zu werden, von kaum jemandem seiner früheren Bekannten gutgeheißen wird. Schnell stagnieren allerdings die Nachforschungen und niemand scheint zu wissen, wo McCann sich aufhalten könnte, geschweige denn, dass man bereit wäre, es einem Bullen auf die Nase zu binden, selbst wenn man etwas wüsste.

Doch da wendet sich unerwartet McCanns Ex-Schwiegermutter Mary Fitzpatrick an Duffy und macht ihm ein Angebot, denn vor vier Jahren kam ihre Tochter Lizzie an den Weihnachtstagen in einem von innen verriegelten Pub ums Leben und während die Polizei den Fall als Unfall zu den Akten legte, ist sie fest davon überzeugt, dass es sich um Mord gehandelt hat, zumal ihre These auch von damals zuständigen Pathologen Dr. Kent gestützt wird. Sollte es Duffy gelingen, den Fall zu lösen und die Wahrheit aufzudecken, würde Mary ihm im Gegenzug den Aufenthaltsort von Dermot McCann verraten und so wie die Dinge liegen, hat Sean kaum eine andere Chance, um des untergetauchten IRA-Aktivisten habhaft zu werden, aber die Zeit drängt, denn niemand weiß, wann McCann als nächstes zuschlagen wird – und wo…

Rezension:

Lange Zeit hatte ich mich bezüglich des dritten Bandes der zwischenzeitlich von der Trilogie zur Tetralogie (und bald Pentalogie) angewachsenen Sean-Duffy-Reihe zurückgehalten und hoffte auf eine Taschenbuch-Veröffentlichung, denn nachdem die ersten zwei Bände in dem handlichen Format erschienen sind, ist der Suhrkamp Verlag hier nun dazu übergegangen, Seans Abenteuer als großformatigere Klappenbroschur fortzuführen, was ja auch nicht schlecht wäre, würden die Bücher im Regal dann nicht so in ihrer Erscheinung differieren. Sean Duffy sei Dank war ich das Warten aber irgendwann leid und prompt wurde nun für April eine entsprechende Taschenbuchausgabe angekündigt, nur so als Info für diejenigen unter euch, die sich noch zu gedulden wissen. Jetzt aber zum eigentlichen Thema dieser Rezension, namentlich Die verlorenen Schwestern. Hatte ich mich beim direkten Vorgängerband Die Sirenen von Belfast noch darüber ausgelassen, dass die Geschichte mit zunehmender Seitenzahl immer konstruierter, immer weniger glaubwürdig wirken würde, scheint das auch in gewissem Maße Autor Adrian McKinty aufgefallen zu sein, denn hier rudert er einen merklichen Schritt zurück und offeriert stattdessen wieder handfeste wie nachvollziehbare Ermittlungsarbeit, eingebettet in das nicht minder spannend gewordene Setting des Belfast der 1980er, zumal er auch hier wieder nicht an Lokalkolorit und Zeitgeist spart, die damalige Zeit also spürbar lebendig werden lässt und mit profundem Wissen über die unterschiedlichen politischen Gruppierungen sowie zuvorderst natürlich der IRA zu punkten versteht.

»Verdammt noch mal, Jungs! Hier drin ist ja eine Stimmung wie in einem Minibus in Juárez am ›Día de Los Muertos‹. Na kommt schon! Reine Routine. Wir werden schon keinem IRA-Desperado begegnen, ich versprech’s.«

Doch auch wenn sich diesmal alles um einen entflohenen IRA-Häftling namens Dermot McCann dreht, richtet McKinty niemals sein Hauptaugenmerk auf deren Wirken, sondern belässt es in angenehmen Umfang dabei, sie als Teil der damaligen Zeit und Umstände zu skizzieren, als mal mehr, mal weniger latente Bedrohung, nie aber als die alles überschattende Widerstandsgruppe, für die sie sich selbst gern gehalten haben mag. So geht es in Die verlorenen Schwestern immer noch zuvorderst um den jüngst degradierten Sean Duffy, der nun vom MI5 und einer alten Bekannten kontaktiert wird, damit er bei der Ergreifung von McCann hilft, doch inszeniert der Autor bald schon einen Fall im Fall, wenn es nämlich gilt, einen vier Jahre zurückliegenden vermeintlichen Mord aufzuklären, um McCanns Ex-Schwiegermutter dazu zu bewegen, dessen Aufenthaltsort preiszugeben, so dass das Thema IRA und auch McCann recht bald in den Hintergrund rückt, denn die Mordermittlungen nehmen durchaus einen Großteil des Buches ein, was mich zwar anfänglich ein wenig irritiert, später aber in zunehmenden Maße begeistert hat.

Das liegt zuvorderst daran, dass sich McKinty hier des klassischen Motivs des Rätsels um den (von innen!) verschlossenen Raum bedient und sowohl Duffy als auch den Leser lange rätseln lässt, wie ein Mord hat stattfinden können, wenn doch sämtliche Türen verriegelt und beim Eintreffen der Polizei nachweislich kein Täter vor Ort gewesen ist. Nichtsdestotrotz hätte so ein weithin bekannter Aufhänger auch schnell plump oder lieblos wirken können, doch McKinty inszeniert das Ganze so augenzwinkernd und um zahllose Querverweise nicht verlegen, dass das Rätselraten eine wahre Freude ist, zumal die schlussendliche Auflösung gleichermaßen stimmig wie überraschend gerät, vor allem aber nicht wie aus dem Hut gezaubert sondern als Ergebnis Tage und Wochen währender Ermittlungen nebst deduktiver Schlussfolgerungen. Damit nicht genug, gilt es aber dann natürlich immer noch McCann dingfest zu machen und was sich der Autor diesmal überlegt hat, wie er seine fiktive Roman-Reihe mit den realen Ereignissen im Irland und England Mitte der 1980er Jahre verknüpft, ist schon überaus gelungen.

Dermot schaffte es nach South Tyrone und über die Grenze in die Republik Irland. Später erfuhr ich vom MI5, dass er und ein Elite-Team der IRA in einem Terroristen-Ausbildungslager in Libyen gesichtet worden seien. Doch schon an diesem elenden Montagmorgen am Ostufer des Lough Neagh, als der Nebel sich vom Wasser hob und Regen von einem grauen Septemberhimmel herabnieselte, wusste ich aus der schaudernden Logik eines Märchens, dass sich unsere Wege erneut kreuzen würden.

So bilden einerseits der zeitgeschichtliche Rahmen wie andererseits der Charakter Sean Duffys erneut das Fundament für eine in sich äußerst stimmige Geschichte, die von zahllosen liebevoll skizzierten Figuren bevölkert wird, während der eigentliche Kriminalfall und die Suche nach Dermot McCann ebenfalls zu überzeugen wissen und McKinty sich auch für Rückbezüge auf die früheren Fälle von Sean nicht zu schade ist, weshalb Die verlorenen Schwestern mit knappem Abstand den bislang überzeugendsten Teil der Reihe bilden, die man aber natürlich nichtsdestotrotz von Anfang an und in chronologischer Reihenfolge genießen sollte, denn auch wenn der zweite Teil qualitativ marginal abfiel, ist mir doch Sean Duffy neben Jack Taylor der derzeit liebste irische Ermittler, weshalb ich mich nun auch schon auf Gun Street Girl freue, bei dem ich nun auch nicht erst auf die Taschenbuchausgabe warten brauche und der zum Glück noch immer nicht den Abschluss der Geschichten um den katholischen Bullen bildet, steht Rain Dogs, der fünfte Band der Reihe, schließlich zumindest im englischen Original bereits in den Startlöchern.

Fazit & Wertung:

Mit einem überaus starken Plot und überzeugend inszenierter Ermittlungsarbeit gelingt es Adrian McKinty spielend, mit Die verlorenen Schwestern an die hohe Qualität der Vorgängerbände der Sean-Duffy-Reihe anzuknüpfen und diese teils noch zu toppen, so dass es mehr als zu begrüßen ist, dass aus der ursprünglich auf lediglich drei Bände angelegten Reihe mittlerweile eine langlebige Serie geworden zu sein scheint. Nicht nur für Irland- und/oder Krimi-Fans regelrechte Pflichtlektüre.

9 von 10 falschen Fährten und unerwarteten Offenbarungen

Die verlorenen Schwestern

  • Falsche Fährten und unerwartete Offenbarungen - 9/10
    9/10

Fazit & Wertung:

Mit einem überaus starken Plot und überzeugend inszenierter Ermittlungsarbeit gelingt es Adrian McKinty spielend, mit Die verlorenen Schwestern an die hohe Qualität der Vorgängerbände der Sean-Duffy-Reihe anzuknüpfen und diese teils noch zu toppen, so dass es mehr als zu begrüßen ist, dass aus der ursprünglich auf lediglich drei Bände angelegten Reihe mittlerweile eine langlebige Serie geworden zu sein scheint. Nicht nur für Irland- und/oder Krimi-Fans regelrechte Pflichtlektüre.

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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des Suhrkamp Verlages. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.

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Die verlorenen Schwestern ist am 07.03.15 als Klappenbroschur im Suhrkamp Verlag erschienen und wird am 11.04.16 als reguläres Taschenbuch veröffentlicht. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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