Nun habe ich just gestern meinen Dreimonatsplan des täglichen Bloggens verwirklicht und habe mich ausgerechnet heute schwer getan, noch einen Artikel auf die Beine zu stellen und auch wenn eine Fake-Meldung zum ersten April sicherlich naheliegend gewesen wäre, ist es nun am Ende eine Buch-Kritik geworden, die ganz und gar nicht als Aprilscherz verstanden werden möchte, sondern stattdessen ein neues Kleinod in meiner Sammlung darstellt, handelt es sich schließlich um nichts Geringeres als die prä-posthumen Memoiren von Filmemacher, Autor, Künstler Terry Gilliam.
Gilliamesque
Meine Prä-posthumen Memoiren
Gilliamesque: A Pre-Posthumous Memoir, USA 2015, 308 Seiten
© Heyne Hardcore
Terry Gilliam
Ben Thompson
Berni Mayer
Heyne Hardcore
978-3-453-27016-9
Autobiografie
Trailer:
Inhalt:
Eine Warnung
Das ist nicht das Buch, das ich und meine Tochter Holly geplant hatten. Eigentlich wollten wir einen voluminösen, teuren und luxuriösen Bildband mit meinen Arbeiten für Connaisseure der Schönen Künste herausbringen. Außerdem sollte er eine erlesene Auswahl von Anekdoten enthalten. Als das Aufnahmegerät dann lief, konnte ich aber nicht aufhören zu quatschen, und am Ende ist eine Art ›Grand Theft Auto‹-Biografie dabei herausgekommen. Eine Hochgeschwindigkeitsjagd durch ein Leben voller Unfälle und Rutschpartien, in der die besten Momente nur so an einem vorbeirauschen.
Rezension:
Bei ›Schneewittchen‹ oder ›Pinocchio‹ dachte ich nur: »Ich möchte Teil dieser Welt sein.« Und spätestens wenn man als Kind Robin Hood, Cowboys und Indianer auf der Leinwand sieht, ist es endgültig um einen geschehen. Danach möchte man nur noch auf seinem Pferd sitzen und dem Sheriff von Nottingham davonreiten oder diese Rothaut zu schnappen (erst später lernt man, sie respektvoll als Ureinwohner Amerikas zu bezeichnen).
Normalerweise lese ich ja – wie man an dieser Stelle hier sieht – tendenziell beinahe ausschließlich Romane, doch im Fall von Terry Gilliams prä-posthumen Memoiren, kongenial als Gilliamesque betitelt, musste ich einfach eine Ausnahme machen, habe ich ihn zwar erst mit seinem 1995er-Film 12 Monkeys kennen (und lieben) gelernt, bin aber recht bald darauf natürlich auch mit den Werken von Monty Python in Berührung gekommen und habe im Laufe der Jahre so ziemlich jeden Film von ihm gesehen. Vor allem aber – und das weiß man, wenn man Gilliam kennt oder auch nur einen Blick auf das Cover wirft – handelt es sich mitnichten einfach nur um Memoiren und schon gar nicht um trockene Lektüre, denn der großformatige, vollfarbige Hardcover-Band ist nicht nur mit allerhand Fotos, Zeichnungen, Skizzen, Momentaufnahmen und den dazugehörigen Notizen und Anekdoten gespickt, die das Lesevergnügen immer wieder lustvoll zu unterbrechen wissen, sondern punktet vor allem mit Gilliams reflektierter und wortgewandter Art, vor allem aber dessen Witz und Humor, der bei all seinen Geschichten und den Abrissen seiner Lebensstationen immer wieder hervorblitzt.
Das insgesamt fünfzehn Kapitel umfassende Buch ist dabei durchaus chronologisch gestaltet und man mag sich bis zur Hälfte gedulden müssen, bis sich Gilliam seinem filmischen Schaffen zuwendet, doch erhebt Gilliamesque ja auch gar nicht den Anspruch, sich nur um seine Verdienste in der Film-Branche zu drehen, zumal die vorgelagerten Kapitel – die übrigens allesamt mit vor Kreativität und gleichermaßen Wahn sprühenden Collagen eröffnet werden – den späteren Erörterungen in keiner Weise nachstehen und Gilliam nicht müde wird, seine Erzählungen mit persönlichen Anmerkungen und Ansichten anzureichern, während er einerseits späteren Ereignissen vorgreift oder sich zu nachgelagerter Stelle auf frühere Begebenheiten besinnt.
Ich konnte also kein Trauma für mich beanspruchen, das für die Entwicklung einer Künstlerpsyche so unerlässlich ist (obwohl die Abwesenheit eines solchen in meinem späteren Leben selbst ein Trauma und eine echte Hürde auf meinem Weg zum Universalgenie darstellte).
So berichtet er von seiner sich früh abzeichnenden Faszination für das Kino, seinen ersten Gehversuchen als Magier, seiner Zeit in Hot Springs, dem Drang, Amerika den Rücken zu kehren und die Welt zu bereisen und davon, wie er dem Dienst beim Militär erfolgreich entgehen konnte. Was bei vielen eine trockene Lektüre hätte werden können, ist bei Terry Gilliam von einer treibenden, pulsierenden Kraft durchsetzt, die fasziniert und in Erstaunen versetzt, während man dankbar ist, diesen so ungewöhnlichen und vor allem ungewöhnlich kreativen und weltgewandten Mann von einer ganz anderen Warte aus kennenlernen zu dürfen. So mag die Lektüre gar nicht einmal nur für Fans des Regisseurs und Autors lohnenswert sein, sondern für jeden, der sich für das Leben eines außergewöhnlichen Künstlers interessiert, den es im Laufe seines Lebens wie zufällig zum Film verschlagen zu haben scheint, derweil er von den Problemen einer Film-Finanzierung zu berichten weiß und von den Stolpersteinen bei der Veröffentlichung seines Films Brazil, gescheiterten Projekten, absurden Forderungen und auch seinen späteren Filmen, die vielleicht nicht unbedingt die Herzen der Kritiker höher schlagen ließen, jedoch immerhin seinen Status als Ausnahmeregisseur zu untermauern wussten, wenn er sich beispielsweise anlässlich der Veröffentlichung von Tideland als Independent-Filmschaffender ausgibt und Geld auf der Straße sammelt, um damit exakt 25 Dollar zu verdienen, die neben seiner Grundgage alles waren, was er mit diesem völlig zu Unrecht weitestgehend unbeachtet gebliebenen Film verdient hat.
© Heyne Hardcore
Auf diesen Reisen durch sein Leben bleibt Gilliam dabei aber vor allem entwaffnend ehrlich und nennt die Dinge beim Namen, weiß beispielsweise auch nicht viel Gutes über Hunter Thompson zu berichten, den er im Rahmen der Verfilmung von Fear and Loathing in Las Vegas kennenlernen durfte und berichtet in gänzlicher Offenheit von seinem gescheiterten Projekt, die Geschichte von Don Quixote zu verfilmen, woraus am Ende immerhin die Dokumentation Verloren in La Mancha entstand. Auch von den anderen Pythons und seiner Bekanntschaft zu allerhand illustren Gestalten erzählt Gilliamesque sowie davon, wie sich sein Blick auf das Leben im Laufe der Jahrzehnte gewandelt hat, während er äußerst reflektiert von seinen früheren Einstellungen zu berichten versteht. Wer sich auch nur annähernd für diese Welt des kreativen Schaffens interessiert und nur einen Bruchteil der Werke von Gilliam kennt und mag, dem sei dieses Buch daher wärmstens ans Herz gelegt, denn eine unterhaltsamere, verrücktere, unglaublichere und nicht zuletzt ungewöhnlichere Biografie wird man so shcnell nicht finden können.
Gilliamesque: Meine Prä-posthumen Memoiren
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Vor Ideenreichtum überquellende Bildkompositionen - 10/10
10/10
Fazit & Wertung:
Vom ersten Moment an ist klar, dass man mit Gilliamesque ein wahres Füllhorn an Geschichten in Händen hält, die in ihrer Summe das außergewöhnliche und bemerkenswerte Leben von Terry Gilliam skizzieren, der in seinen Ausführungen dankenswerterweise kein Blatt vor den Mund zu nehmen bereit ist und im selben Maße mit sprudelndem Wortwitz und Eloquenz zu begeistern versteht, weshalb ich diese höchst ungewöhnlichen Memoiren nur uneingeschränkt empfehlen kann.
Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von Heyne Hardcore. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.
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Gilliamesque: Meine Prä-posthumen Memoiren ist am 16.11.15 bei Heyne Hardcore erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!
Oh, klingt gar famos! Das Buch merke ich mir auf jeden Fall vor. Lange war Gilliam mein Lieblingsregisseur und mit “Lost in La Mancha” ist er mir richtig ans Herz gewachsen. Speziell was die Entstehung seiner Filme betrifft. Das werde ich irgendwann auch noch lesen. Danke für den Tipp!
Das wäre auch übrigens eines der Bücher gewesen, die in dem immer noch ausstehenden Stöckchen “Bücher für 2016” vorgekommen wäre. Freut mich, dass ich dir da mal wieder einen Tipp geben konnte! Wie ja schon ausführlich beschrieben, fand ich es einfach von vorne bis hinten grandios, auch wenn ich gerne noch mehr zu den Filmen gelesen hätte. Hat dank Prime auch zu einer spontanen Wiederholungssichtung von “12 Monkeys” geführt ;)
Klingt in der Tat sehr interessant. Auf meiner Wunschliste steht sowieso schon John Cleeses Autobiographie (sobald sie als Taschenbuch erscheint), da sollte ich “Gillliamesque” wohl gleich hinzufügen … ;-)
Jau, würde ich empfehlen, zumal das Buch selbst eben auch so toll aufgemacht ist, Hardcover, vollfarbig, richtig wertig, vom Inhalt ganz zu schweigen. Ich habe es genossen. Aufs Taschenbuch würde ich hier nun aber nicht warten, da dürfte gehörig Flair verloren gehen