Review: Junktown | Matthias Oden (Buch)

Und auch diesmal geht es ein ganz klein wenig in Richtung Science-Fiction, wobei es sich konkreter vielmehr um eine Dystopie handelt, die in einer gleichermaßen erschreckenden wie faszinierenden nahen Zukunft angesiedelt ist und auf alle Fälle einen Blick lohnt.

Junktown

Junktown, DE 2017, 400 Seiten

Junktown von Matthias Oden | © Heyne
© Heyne

Autor:
Matthias Oden
Übersetzer:
Originalausgabe

Verlag (D):
Heyne
ISBN:
978-3-453-31821-2

Genre:
Science-Fiction | Krimi

 

Inhalt:

Bei Untersuchungen von Todesfällen setzte die Gemapo Inspektoren und Mechapathologen immer als Gespann ein. Der eine war für die eigentliche Ermittlung zuständig, der andere für die Arbeit am und im Opfer. Es war eine erprobte Zweiteilung, die aber in Fällen wie diesem die Lastenverteilung etwas ungleich erschienen ließ: Die vollständige Obduktion würde Cains Partner Ewigkeiten beschäftigen.

Die Konsumrevolution hat das Leben nachhaltig verändert und seit die Konsumistische Partei ihren Herrschaftsanspruch ausgerufen und die Bevölkerung willentlich und wissentlich unter Drogen gesetzt hat, sorgen vermehrt Maschinenwesen dafür, dass die zunehmend erlahmende Gesellschaft nicht vollends zum Erliegen kommt. Zum Schutz dieser "Höheren Maschinenwesen" wurde die Gemapo ins Leben gerufen, der auch Solomon Cain angehört und der nun in dem Fall der mutmaßlich ermordeten Brutmutter BM17 hinzugezogen wird. Schnell allerdings wird klar, dass es sich mitnichten um eine einfache Brutmutter des Konzerns Pregnantam handelt, sondern dass das Rauschsicherheitshauptamt – oberste Instanz zur Durchsetzung der Interessen der Partei – seine Finger im Spiel hat, doch natürlich unterliegen sämtliche diesbezüglichen Unterlagen strengster Geheimhaltung, was den ohnehin zunehmend verworrener werdenden Fall für Cain noch zusätzlich erschwert…

Rezension:

Mehr durch Zufall bin ich jüngst auf Matthias Odens Junktown gestoßen und als Freund von Dystopien jeglicher Art und Kriminalfällen vor ungewöhnlichem Setting fiel die Wahl nicht schwer, hier einen Blick zu riskieren und tatsächlich liefert der Autor ein vor Ideen nur so sprudelndes Werk ab, dass in einer gleichermaßen erschreckenden wie faszinierenden Zukunft spielt, in der Konsum jedweder Art -speziell aber der Drogengenuss – zur obersten Bürgerpflicht geworden ist, was sich im ersten Moment abwegig anhören mag, tatsächlich aber recht schlüssig vermittelt wird, zumal dadurch dem Staat die ultimative Kontrolle über dessen Bürger verliehen wird, was sich auch in den regelmäßig stattfindenden Drogentests widerspiegelt, die wiederum ein Rating nach sich ziehen, das die Bevölkerung in unterschiedliche Margen, Klassifizierungen unterteilt, die unmittelbar über ihren Status innerhalb der Gesellschaft zu entscheiden vermögen.

Cains Antwort ging in ohrenbetäubendem Tröten unter. Er schloss die Augen und stöhnte abermals. Die restlichen Brutmütter waren aufgewacht, und ihre Signalhörner gaben ihm unmissverständlich zu verstehen, dass sich gleich zu erbosten Anwälten auch noch aufgebrachte HMWs gesellen würden. Mit einem Mal tat er sich selbst sehr leid.

Im Kern der Geschichte allerdings steht der Ermittler Solomon Cain als ausführendes Organ der Gemapo, der Geheimen Maschinenpolizei, die sich dem Schutz der sogenannten Mechanwesen verschrieben hat, höheren Maschinenwesen, denen Bürgerrechte zugesprochen worden sind. Eines dieser Maschinenwesen ist eine Brutmutter, die jüngst "ermordet" worden ist. Das allerdings ist, wie sich das für einen erwartungsgemäß verworrenen Kriminalfall gehört, nur die Spitze des Eisberges und Cains Ermittlungen führen ihn bis zum Rauschsicherheitshauptamt, der obersten Behörde der Einheits- wie auch Staatspartei, wo er selbst bis vor einigen Jahren gearbeitet hat. All diese Informationen allerdings gelangen nur häppchenweise zum Leser und womöglich ist dies eine der wenigen echten Schwächen von Junktown, denn so überbordend der Ideenreichtum auch sein mag, erfährt man über die eigentliche Konsumrevolution doch nur sehr wenig und wird überwiegend vor vollendete Tatsachen gestellt.

So ist Teil des Plots beispielsweise die Annahme, dass ein Konzernmitglied eine Beziehung mit der ermordeten Brutmutter unterhalten haben soll, die auch sexuelle Aspekte inkludiert, während man gleich mehrfach darauf hingewiesen wird, dass die Brutmutter mehrere Stockwerke hoch ist und mehrere hundert Föten enthält, was die Sache doch grenzwertig irritierend macht. Ähnliches erlebt man an vieler anderer Stelle und so schillernd und prächtig die Schilderungen der Welt sein mögen, wirkt sie doch in vielen Punkten nicht bis zum Ende durchdacht, derweil nicht einmal klar ist, ob das namensgebende Junktown nur eine von vielen Städten darstellt oder gar Dreh- und Angelpunkt der zukünftigen Zivilisation ist oder in welchem Land oder auf welchem Kontinent man sich überhaupt befinden mag. Aber all das trübt den Lesegenuss tatsächlich nur marginal, während es zugegebenermaßen ein wenig dauern mag, bis man sich wirklich in die Geschichte gefunden hat und mit ihr warmgeworden ist. Hat man aber erst einmal die Einstiegshürde von Junktown überwunden und fühlt sich bereit, sich auf diese neue Welt nach der Konsumrevolution einzulassen, entfaltet die ungewöhnliche Geschichte vermehrt ihre Faszination und wartet gleichsam mit allerhand überraschenden Wendungen auf, die aber nicht wie aus dem Hut gezaubert wirken und tatsächlich von langer Hand geplant sind.

Er ließ von der Mülltonne ab und wandte sich dem Iglu zu. 56,95 Quadratmeter Wohnfläche, zwei Stockwerke, fünf Fenster, Adrenalinheizung – das Standardmodell für die Humanklassen Ba3 bis Baa1, eine Unterkunft, so durchschnittlich wie ihre Bewohner. Das Alter schätzte er auf zehn, fünfzehn Jahre; der Flugsand aus der Graubeigen Sandeinöde hatte bereits angefangen, die Bakelitziegel zu zerkauen. Dieselbe Zeitspanne in die Zukunft, dann, wenn der Kredit abgezahlt wäre, und von dem Iglu würde nur noch das Skelett aus Plastitstahl übrig sein, ein von der Witterung glatt geschmirgeltes Überbleibsel eines gebrochenen Versprechens.

Nicht zuletzt gefällt – von immanenter Bedeutung bei einem grundsätzlich als Krimi einzustufenden Werk – der Ermittler Solomon Cain in seiner ambivalenten und differenzierten Ausgestaltung, zumal es dem Roman in diesem Fall gut zu Gesicht steht, nur häppchenweise Details zu dessen Vita zu verraten. Dem gegenüber fallen die weiteren Figuren von Junktown leider ein wenig ab und sind nicht annähernd so akribisch ausgearbeitet, was zuweilen störend sein kann, der grundsätzlich überzeugenden Tonalität des Werkes aber in keiner Weise im Wege steht. Einzig zuletzt bei dem dreisten Zitate-Klau von Hunter S. Thompson auf Seite 148 bin ich mir nicht abschließend sicher, ob Matthias Oden hier dem berühmten Gonzo-Journalisten zu huldigen gedachte – thematisch ist eine gewisse Verwandtschaft schließlich sicherlich nicht von der Hand zu weisen – oder sich nur einen poetisch klingenden Satz für sein Werk sichern wollte, wobei ich persönlich auf alle Fälle schmunzeln musste, als mir die weithin bekannten Zeilen in nur marginaler Variation entgegenstrahlten. Zuletzt muss man nämlich auch sagen, dass Oden durchaus eine gewisse Raffinesse an den Tag legt, bekannte Begriffe und Abkürzungen zu verballhornen – nicht negativ gemeint in diesem Zusammenhang – und auf die Konsumistische Partei und ihre Staatsorgane umzumünzen. Last but not least finden sich aufgrund des Themas und der Art der Herangehensweise ein paar sehr schöne sozial- und gesellschaftskritische Ansätze zwischen den Zeilen, die allein diese innovative Weltenschöpfung fernab ihres ausgefeilten Plots schon zu einem Genuss machen.

Fazit & Wertung:

Mit Junktown liefert Matthias Oden ein vor Ideenreichtum nur so sprühendes Werk ab, das in eine irritierend glaubhaft konzipierte Welt entführt, in der Rausch zum Gesetz erklärt worden ist und Abstinenz Hochverrat gleichkommt, wenn auch nicht alle Details seiner Dystopie zur vollen Zufriedenheit erläutert werden. Dessen ungeachtet verbirgt sich aber in dem Buch ein ungemein spannender Kriminalfall, der nach leichter Einstiegshürde zunehmend in seinen Bann zu ziehen weiß.

8 von 10 konsumistischen Partei-Leitsätzen

Junktown

  • Konsumistische Partei-Leitsätze - 8/10
    8/10

Kurzfassung

Mit Junktown liefert Matthias Oden ein vor Ideenreichtum nur so sprühendes Werk ab, das in eine irritierend glaubhaft konzipierte Welt entführt, in der Rausch zum Gesetz erklärt worden ist und Abstinenz Hochverrat gleichkommt, wenn auch nicht alle Details seiner Dystopie zur vollen Zufriedenheit erläutert werden. Dessen ungeachtet verbirgt sich aber in dem Buch ein ungemein spannender Kriminalfall, der nach leichter Einstiegshürde zunehmend in seinen Bann zu ziehen weiß.

8.0/10
Leser-Wertung 10/10 (1 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von Heyne.

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Junktown ist am 09.05.17 als Taschenbuch bei Heyne erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den folgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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