Im Grunde schon beinahe ungewohnt, nach den letzten Tagen des Müßiggangs nun wieder zu bloggen, doch da mir diesmal kein "Happy Birthday"-Artikel mehr aus der Patsche helfen kann, muss ich wohl oder übel wieder ran. Nein, keine Sorge, das war natürlich Quatsch, denn ich freue mich jetzt schon, wenn ich demnächst wieder im Trott bin, denn da hat mir schon einiges gefehlt in meinem Alltag. Nun, mit dem Sehen auf dem rechten Auge klappt es zwar noch nicht so gut, doch vertraue ich da ganz auf das linke Auge und die Autokorrektur, dass nachfolgender Artikel schon was werden wird.
Frontal
Head On, USA 2018, 368 Seiten
© FISCHER Tor
John Scalzi
Bernhard Kempen
FISCHER Tor
978-3-596-29979-9
Science-Fiction | Krimi
Inhalt:
In der Zukunft ist ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung mit einer Krankheit geschlagen, dem sogenannten "Haden-Syndrom", das Betroffene ans Bett fesselt und sie lediglich virtuell oder mithilfe sogenannter "Threeps" – einer Art Roboter – mit der Außenwelt in Kontakt treten lässt. Aus dieser Einschränkung geboren ist allerdings auch "Hilketa", eine neue, zunehmend beliebter werdende Sportart, in der sich Threeps gegenseitig bekämpfen und den Kopf des "Sündenbock" aus dem gegnerischen Team ins Tor befördern müssen. So bietet dieser Sport eine Art Brutalität, die die Massen begeistert, allerdings keinen Spieler zu Schaden kommen lässt, da diese sich wohlbehalten im heimischen Krankenbett befinden. Bis zu dem Tag zumindest, als der Hilketa-Athlet Duane Chapman vor aller Augen auf dem Spielfeld stirbt. Von diesem mysteriösen Todesfall wird prompt das FBI auf den Plan gerufen und Agent Shane – ebenfalls ein Haden – und Agent Vann nehmen die Ermittlungen auf. Was anfänglich aber nur wie ein unerklärlicher Einzelfall wirkt, zieht bald weitaus größere Kreise und es scheint, als wären Shane und Vann einer regelrechten Verschwörung auf der Spur, in die auch die NAHL – North American Hilketa League – involviert sein könnte…
Rezension:
Bei Frontal handelt es sich bekanntermaßen nicht um meinen ersten Roman von John Scalzi, doch statt zunächst einmal Das Imperium der Ströme fortzuführen, das mich mit seinem ersten Band doch durchaus zu begeistern gewusst hat, ging man bei Tor einen anderen Weg und widmete sich dieser Geschichte, die als "in sich abgeschlossener Roman aus derselben Zukunftswelt wie "Das Syndrom"" vermarktet wird, was allerdings nur die halbe Wahrheit darstellt, denn wie ich später erfahren musste, teilen sich beide Bücher mit den FBI-Agenten Shane und Vann auch gleich noch die Protagonisten, womit wir es wohl eher mit einer Art zweitem Teil einer lose zusammenhängenden Reihe zu tun haben, wie mir bei der Lektüre immer bewusster wurde. Funktionieren tut der Bans trotzdem auch für sich genommen, doch empfand ich das schon ein wenig als irreführende Werbung, denn es wäre sicherlich schön gewesen, mit Das Syndrom zunächst die Vorgeschichte konsumiert zu haben, aber das ist nur ein kleines Manko in einem ansonsten beinahe ungetrübten Lesevergnügen.
»Man spielt auch mit Schmerzen weiter. Immer.«
Das ist natürlich für jeden Athleten in jeder Sportart ein Mantra. Aber es gilt noch viel mehr für die Hilketa-Spieler. Sie wissen, dass sie gleichzeitig mehr und weniger als der durchschnittliche Sportler sind, denn sie sind außerdem Hadens. Sie gehören zu jenem kleinen Prozentsatz von Bürgern, deren Körper inaktiv ist, während sich ihr Geist frei durch die Welt bewegen kann, sowohl im Onlinetreffpunkt der Agora als auch in der Offline-Welt, durch die sie sich in ihren Threeps bewegen.
Anfänglich war ich zugegebenermaßen skeptisch, ob mich Scalzi mit seiner Prämisse um das Hilketa-Spiel würde fesseln können, denn während ich schon in "unserer" Welt kaum Hingabe oder Begeisterung für jedwede Sportart entwickeln kann, schien mir auch der Beginn des Romans sportlastig geraten, was aber freilich auch vonnöten ist, um in Grundzügen dieses gleichermaßen absurde wie überaus glaubhafte Spiel zu skizzieren, welches der Autor hier für seine Zukunftsvision und insbesondere die vom Haden-Syndrom geplagten Menschen ersonnen hat. Meine anfängliche Skepsis sollte sich aber zunehmend legen, als die beiden FBI-Vertreter in immer abseitigere Gefilde geraten und der Tod auf dem Spielfeld zwischenzeitlich zur puren Randerscheinung ihrer zunehmend verworrener und verwinkelter werdenden Ermittlungen gerät, wobei sich Frontal hier fast zu einer Art Wirtschafts-Krimi mausert. Dies war ebenfalls eine Überraschung für mich und zeitweise fühlte ich mich von den genannten und beteiligten Parteien und Interessengruppen regelrecht erschlagen, zumal ich auch nicht erwartet hatte, dass sich die Geschichte in solch eine Richtung entwickeln würde, doch gelingt es dem versierten Scalzi dennoch, sowohl Spannung als auch Interesse weiter zu befeuern und an schier jeder Ecke mit neuen Offenbarungen oder weiteren Geheimnissen aufzulauern, so dass ich das Buch irgendwann gar nicht mehr aus der Hand legen wollte (zugegebenermaßen auch, um nicht den Überblick bei all den Namen zu verlieren).
Insbesondere im zweiten bis dritten Akt (lediglich "gedachte" Akte, der Roman gliedert sich schlicht in 23 Kapitel) rückte mir allerdings zuweilen auch das Science-Fiction-Setting zu sehr in den Hintergrund und bildete nur noch die bloße Triebfeder, um eine Geschichte in Gang zu bringen, die abgesehen von ihrer zugegebenermaßen extrem einfallsreichen Ausgangslage so ähnlich auch zu jeder anderen Zeit oder an jedem anderen Ort hätte spielen können. Das ist natürlich ein wenig zu vereinfacht ausgedrückt und freilich haben sowohl die Hadens als auch deren Threeps sowie die virtuelle, "Agora" getaufte Welt ihre Daseinsberechtigung und ihren Sinn und Zweck, doch zwischenzeitlich sind es eben mehr die gemutmaßten Wirtschaftsverbrechen, die hier im Fokus stehen. Davon abgesehen allerdings wusste mich Frontal recht schnell und umfassend für sich einzunehmen, weshalb ich es noch bedauerlicher finde, nicht im Vorfeld auch Das Syndrom gelesen zu haben, denn so gut insbesondere die FBI-Agenten Shane und Vann miteinander harmonieren und interagieren, ist deren Charakterzeichnung doch eher dürftig geraten und so hätte ich mir gewünscht, sie bereits aus ihrem vorangegangenen Fall zu "kennen".
Nach einem Spiel machen sich die Athleten normalerweise sofort auf den Weg zum Pressezentrum, um Interviews zu geben, und wechseln bestenfalls schnell in ihre persönlichen Threeps. Dazu kam es diesmal nicht. Stattdessen wurden die Bays und die Snowbirds, die noch in ihren Spieler-Threeps steckten, in den Umkleideraum geschickt, wo Pena und die Snowbird-Managerin Linda Patrick ihnen leise die Nachricht von Chapmans Tod überbrachten.
Andererseits begünstigt das natürlich auch die Aussage und Annahme, Frontal völlig unvorbelastet lesen zu können, denn es wird schon deutlich, dass es sich eben nicht um eine charakter-getriebene, sondern eher Story-fokussierte Geschichte handelt, die vorrangig auf ihre spezielle Welt und die damit einhergehenden Besonderheiten abstellt, statt sich über Gebühr auf ihre Protagonisten zu fokussieren, wie es bei vielen anderen, von mir hochgeschätzten Krimi-Reihen der Fall ist. Nun ist dem Tor-Verlag allerdings auf alle Fälle gelungen, was sicherlich beabsichtigt gewesen ist, denn nun bin ich nicht nur von Das Imperium der Ströme, sondern eben auch dem originär als Lock In Universe (nach dem Originaltitel des ersten Buches) bezeichneten Reihe angefixt und kann es in beiden Fällen kaum erwarten, mehr von den jeweiligen Geschichten zu erfahren, womit auch John Scalzi den Grundstein gelegt haben dürfte, in die Riege der von mir favorisierten AutorInnen aufzusteigen.
Frontal
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In Mitleidenschaft gezogene Threeps - 8/10
8/10
Fazit & Wertung:
Bei John Scalzis Frontal scheint es sich zu gleichen Teilen um Standalone-Story sowie Sequel zu Das Syndrom zu handeln, doch dessen ungeachtet weiß die Geschichte auf alle Fälle zu begeistern und bietet spannende Einblicke in das mysteriöse Haden-Syndrom, ein auffallend ungewöhnliches FBI-Gespann und eine gleichermaßen erschreckende wie naheliegende Zukunfts-Sportart namens Hilketa, die hier als Ausgangspunkt für eine mehr als wendungsreiche Mordermittlung dient.
Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von FISCHER Tor.
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Frontal ist am 24.10.18 bei FISCHER Tor erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den folgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!