Review: Ich bin Gideon | Tamsyn Muir (Buch)

Heute geht es um ein Buch, mit dem ich mich unerwartet schwergetan habe, auch wenn es mich letztlich in Summe dennoch zu überzeugen gewusst hat. Irgendwie hatte ich mir aber mehr – oder anderes – erwartet.

Ich bin Gideon

Gideon the Ninth (Locked Tomb Trilogy 1), USA 2019, 608 Seiten

Ich bin Gideon von Tamsyn Muir | © Heyne
© Heyne

Autorin:
Tamsyn Muir
Übersetzerin:
Kirsten Borchardt

Verlag (D):
Heyne
ISBN:
978-3-453-42373-2

Genre:
Science-Fiction | Fantasy | Mystery

 

Inhalt:

Mit achtzehn hatte Gideon sechsundachtzig Versuche unternommen, genau das zu erreichen. Sie hatte an den Anstand appelliert, Belohnungen in Aussicht gestellt, an moralische Verpflichtungen erinnert, komplizierte Pläne geschmiedet oder war schlicht abgehauen. Als sie es das erste Mal probierte, war sie vier Jahre alt gewesen.

Gideon Nav hat die Schnauze voll vom Neunten Haus und davon, auf dessen Planeten gefangen zu sein und tagtäglich drangsaliert zu werden. Nicht zum ersten Mal plant sie ihre Flucht, doch wie so oft lauert man ihr auf den letzten Metern auf und Harrowhark, die es seit Jahren auf sie abgesehen zu haben scheint, stoppt sie in letzter Minute, verspricht aber, sie könne alsbald ihre Reise antreten. Gleichwohl es Gideon besser wissen müsste, stimmt Gideon widerwillig zu, noch einer letzten Versammlung beizuwohnen, doch dann findet sie sich plötzlich als Oberste Kavalierin an die Seite der Nekromantin Harrowhark bugsiert, die anstrebt, Lyctorin im Dienste des Imperators zu werden, der als gottgleiche Entität über die neun Häuser wacht. So finden sich in einer alten Festung des Ersten Hauses Vertreter aller acht Häuser ein – jeweils bestehend aus Nekromant und Kavalier –, um die Lyctoren-Ehre zu erringen, doch die Herausforderungen sind größer und rätselhafter als zunächst angenommen und während Gideon noch damit zu kämpfen hat, sich wie eine Verräterin zu fühlen – normalerweise beginnt die Ausbildung zur Kavalierin in frühester Kindheit – verschwinden die ersten Teilnehmer von der Bildfläche und die Lage spitzt sich immer weiter zu…

Rezension:

Von vielen positiven Stimmen, einem interessanten Cover und vielversprechendem Klappentext angezogen, habe ich mich jüngst an Ich bin Gideon von Tamsyn Muir gewagt. Erhofft hatte ich mir allerdings ein abgedrehtes, skurriles Weltraumabenteuer – möglicherweise mit Gideon auf der Flucht, wie der Klappentext eben suggeriert – und bekam stattdessen etwas gänzlich anderes. Denn auch wenn Gideon vom Neunten Haus fortstrebt, geht es doch kaum um ihre Flucht, sondern eben darum, wie sie sich notgedrungen mit der verhassten Harrowhark zusammentun muss, um die Rätsel und Prüfungen des Ersten Hauses zu bestehen. Dergestalt staunte ich also schon nicht schlecht, denn anstatt nun die Galaxis zu bereisen, präsentiert sich der Roman im Grunde als ausgedehntes Kammerspiel und weite Teile des Geschehens spielen sich auf der Welt des Ersten Hauses, genauer in einer immensen Festung ab, die beinahe ausschließlich von Skeletten, die hier als willfährige Diener fungieren, bevölkert wird. Nun bin ich ja durchaus in der Lage, die eigene Erwartungshaltung zu korrigieren, doch war dieser Umstand für mich schon enttäuschend, weil eben etwas gänzlich anderes suggeriert worden ist.

»Ich hasse es, wenn du dich wie eine Nonne aufführst, der man an den Hintern gefasst hat«, sagte Gideon, die tatsächlich eines der aufgezählten Vergehen bedauerte.
»Wie schön«, fauchte Harrowhark, die nun so richtig in Rage geriet. Mit Mühe pellte sie sich aus ihren langen, reich verzierten Gewändern; der menschliche Brustkorb, den sie sich um ihren langen Torso geschnallt hatte, hob sich weiß vor der schwarzen Kleidung ab.

Dabei ist das Konzept der neun Häuser und der unterschiedlichen Professionen durchaus spannend, wobei ich das Ganze auch kaum als Science-Fiction im klassischen Sinne bezeichnen würde, denn abgesehen davon, dass sie auf unterschiedlichen Planeten residieren, geht das Ganze sonst weit mehr in Richtung Fantasy, da die Nekromanten der einzelnen Häuser – der Name lässt es schon vermuten – sich mehr auf die Manipulation, Widerbelebung, Nutzbarmachung von Leichen verstehen und Knochen, Körper oder Geist zu manipulieren vermögen. So ist für mich leider Ich bin Gideon mehr als einmal als eine Art Mogelpackung erschienen, denn auch wenn es witzige Szenen generiert, wenn Gideon noch nie eine Badewanne erblickt hat und vorsichtshalber noch einmal die Ultraschalldusche nutzt, wirkt das doch wenig greifbar und glaubhaft, zumal wenn andernorts ihr Schwert "wie ein Presslufthammer" durch die gegnerischen Reihen pflügt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass solche Dinge der Übersetzung seitens Kirsten Borchardt anzulasten sind, zumal diese ansonsten sehr gelungen ist, doch sind es eben solche Details, die mich immer mal wieder ins Stolpern gebracht haben.

Im Mittelpunkt des Ganzen steht freilich Gideon und die immerhin wächst einem mit ihrer rebellisch-ruppigen, aufmüpfigen Art schnell ans Herz, aber selbst hier hätte ich mir ein wenig mehr greifbare Charakterisierung gewünscht. Das gilt aber noch weit mehr für das umfangreiche Figuren-Konsortium der anderen Häuser, denn anfänglich fällt es wirklich schwer, die unterschiedlichen Parteien auseinanderzuhalten. Überhaupt scheint mir Ich bin Gideon aber auch unverhältnismäßig lange zu brauchen, um in die Gänge zu kommen, denn bis die eigentliche Geschichte, der Wettkampf um die Lyctoren-Ehre beginnt, vergehen beinahe hundert Seiten, während ich auch beim weiteren Verlauf sagen muss, dass er sicherlich knapper und prägnanter hätte ausfallen können. So zieht sich der Mittelteil leider für meinen Geschmack etwas, während die Dialoge auch schon einmal unübersichtlich und wirr wirken, gerade wenn mehrere Parteien zugegen sind. Man merkt, ich hatte doch so meine Probleme mit der Lektüre, habe sie aber trotzdem beendet, zumal viele frische Ideen auch einige der inszenatorischen Schwächen ausgleichen.

Mit einem wilden Schrei sprang Gideon ihr nun wieder entgegen und zertrat in ihrem Lauf jede Menge Handwurzelknochen und Mittelhandknochen, aber es nützte ihr nichts. Aus den kleinsten hier vergrabenen Bruchstücken, die von Oberschenkelhalsknochen oder Schienbeinen stammten, erstanden nun ganze, vollständige Skelette, und als Gideon sich ihrer Herrin näherte, brach eine Flut reanimierter Gebeine über sie herein.

Die Fähigkeiten der Nekromanten allein sind ausnehmend faszinierend und werden auch bildhaft und schillernd beschrieben, während das sich ausbreitende Flair einer Haunted-House-Story ebenfalls gelungen ist und das Geschehen im weiteren Verlauf manches Mal wie ein schmissiges Science-Fiction-Cluedo wirken lässt. Nicht unbedingt das also, was ich erwartet habe, aber durchaus gelungen. Skeptischer bin ich, was die geplanten Fortsetzungen seitens Tamsyn Muir angeht, denn im amerikanischen Original firmiert das Ganze schon unter Locked-Tomb-Trilogy. Die Möglichkeiten für eine Fortsetzung sind unzweifelhaft gegeben, doch wird diese so radikal anders sein (oder werden müssen), dass sich die Frage stellt, inwieweit die Geschichten noch als zusammengehörig erkennbar sein werden, zumal das Worldbuilding dafür im Detail schon ausgeprägter hätte sein dürfen. Ich bin wirklich selbst erstaunt, wie wenig mich Ich bin Gideon wirklich fesseln konnte, zumal das Buch ja durchaus wie für mich gemacht schien, aber letzten Endes ist es auch an keiner Stelle wirklich konsequent geraten und kränkelt und schwächelt immer mal wieder im Detail, während Muir aber natürlich auch einiges an großartigen Ideen in die Story gepackt hat. Die weiß ich auch durchaus zu würdigen, doch in Anbetracht des eigentlichen Inhalts hätten meinem persönlichen Gefühl nach rund 150 Seiten weniger locker gelangt, die Story zum Besten zu geben.

Fazit & Wertung:

Tamsyn Muir entwirft mit Ich bin Gideon eine durchaus spannende Science-Fantasy-Welt voller Skelette und Nekromanten, wobei die Story weit weniger pulpiges Abenteuer, sondern vielmehr kammerspielartiger Mystery-Krimi geworden ist. Durch das begrenzte Setting bleibt das Worldbuilding leider ein wenig auf der Strecke und die Geschichte hätte prägnanter inszeniert werden können, doch Spaß macht der Ausflug mit der rotzig-rebellischen Gideon dennoch.

7 von 10 Prüfungen für angehende Lyctoren

Ich bin Gideon

  • Prüfungen für angehende Lyctoren - 7/10
    7/10

Fazit & Wertung:

Tamsyn Muir entwirft mit Ich bin Gideon eine durchaus spannende Science-Fantasy-Welt voller Skelette und Nekromanten, wobei die Story weit weniger pulpiges Abenteuer, sondern vielmehr kammerspielartiger Mystery-Krimi geworden ist. Durch das begrenzte Setting bleibt das Worldbuilding leider ein wenig auf der Strecke und die Geschichte hätte prägnanter inszeniert werden können, doch Spaß macht der Ausflug mit der rotzig-rebellischen Gideon dennoch.

7.0/10
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Weitere Details zum Buch und der Autorin findet ihr auf der Seite von Heyne. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.

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Ich bin Gideon ist am 13.04.2020 bei Heyne als Klappenbroschur erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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