Review: Scythe – Der Zorn der Gerechten | Neal Shusterman (Buch)

Auch wenn ich vielleicht in dem Ruf stehe – ich stelle mir das manchmal so vor –, vieles besser zu bewerten als so manch geschätzte*r Mit-Blogger*in, kommt es doch dennoch selten vor, dass ich die Höchstwertung gebe. Hier nun haben wir den seltenen Fall, dass ich dies bei einer Buch-Reihe bereits zum zweiten Mal tue, was hoffentlich einiges darüber aussagt, wie schwer begeistert ich von dem bin, was Shusterman hier ersonnen hat.

Scythe
Der Zorn der Gerechten
Arc of a Scythe 2

Scythe, USA 2018, 544 Seiten

Scythe – Der Zorn der Gerechten von Neal Shusterman | © FISCHER Sauerländer
© FISCHER Sauerländer

Autor:
Neal Shusterman
Übersetzer:
Pauline Kurbasik
Kristian Lutze

Verlag (D):
FISCHER Sauerländer
ISBN:
978-3-737-35758-6

Genre:
Science-Fiction | Abenteuer

 

Inhalt:

Nach den schockierenden wie umwälzenden Ereignissen beim letzten Konklave der Scythe ist Citra Terranova nunmehr selbst ordinierte Scythe und hat sich den Namen Anastasia verliehen, als welche sie an der Seite von Scythe Curie – das Benennen nach berühmten Personen hat in der Gemeinschaft der Scythe eine lange Tradition – ihre ersten Nachlesen vornimmt. Ganz anders Rowan, der untertauchen musste und sich mittlerweile Scythe Lucifer nennt und seinerseits Jagd auf korrupte und selbstherrlich gewordene Scythe macht und diese der Gerechtigkeit anheim führt. Dann allerdings fallen Curie und Anastasia beinahe einem Attentat zum Opfer und schnell hat man Lucifer als Drahtzieher an der Hand, wobei einzig Citra überzeugt ist, dass Rowan so etwas nie zu tun imstande wäre. Ähnliches vermutet der Thunderhead, die beinahe allwissende KI, die mittlerweile das menschliche Leben regelt und sich einzig aus den Angelegenheiten der Scythe herauszuhalten hat und so stattet er über Umwege den unbedarften Greyson Tolliver mit dem Wissen aus, das Attentat zu vermeiden. Noch ahnt also effektiv niemand, wer hinter den Anschlägen steckt und auch Greyson kann sich nicht annähernd ausmalen, in welch prekäre Lage ihn der Thunderhead gebracht hat…

Rezension:

Mehr als ein Jahr ist vergangen, seit ich mit Scythe – Die Hüter des Todes das erste Mal in die von Neal Shusterman ersonnene Welt eintauchen konnte und dieser erste Trip hat mich schon so schwer begeistert, dass ich es gar nicht erwarten konnte, alsbald möglich mit dem zweiten Teil fortzufahren, wobei ich ja dummerweise mit den broschierten Ausgaben begonnen habe, weshalb erst einmal Warten angesagt war, während das Hardcover längst verfügbar war. Jetzt aber konnte ich mich endlich Scythe – Der Zorn der Gerechten widmen und ich wäre geneigt zu behauten, dass dieser Band noch gelungener ist als Der Auftakt, gleichwohl ich dem schon die Höchstwertung verpasst habe, was nur allzu selten vorkommt. Hier nun aber baut Shusterman vom ersten Moment an alle stärken seiner feinsinnig und im gleichen Maße bedrohlich wie betörend scheinenden Welt aus und vermag den Umstand zu nutzen, dass die Lehrzeit von Citra und Rowan sich auf die eine oder andere Weise nun dem Ende geneigt hat. Bestanden nämlich weite Teile des ersten Bandes noch aus der Unterrichtung der beiden und lieferten Einblicke in Regeln und Kultur der Scythe, wirkt die Welt hier nun größer, offener, vielschichtiger.

Scythe Anastasia verfolgte ihr Opfer mit Geduld. Das war eine erlernte Fähigkeit, denn Citra Terranova war nie ein geduldiges Mädchen gewesen. Aber mit Zeit und Übung lässt sich jede Fertigkeit erwerben. Für sich selbst war sie immer noch Citra, obwohl niemand außer ihrer Familie sie noch so nannte. Sie fragte sich, wie lange es dauern würde, bis sie innerlich und äußerlich wirklich zu Scythe Anastasia geworden war und ihren Geburtsnamen zur ewigen Ruhe setzen würde.

Prägnantestes Beispiel dafür dürfte der Thunderhead sein, dem hier eine weitaus tragendere Rolle zugebilligt wird, so dass auch die zwischen den Kapiteln befindlichen Einschübe, wie man sie aus Band 1 kennt, beinahe ausschließlich aus seinen Äußerungen und Überlegungen bestehen. Das lässt einerseits tief blicken, wie Shusterman sich eine quasi unfehlbare, nicht korrumpierbare Künstliche Intelligenz vorstellt, sondern andererseits im weiteren Verlauf einen regelrechten Wandel erkennen, wenn der Thunderhead sich aufgrund der Gräueltaten der Scythe gezwungen sieht, sein Denken in neue Bahnen zu lenken. Hier liegt ganz klar der Fokus, mehr auf die "weltlichen" Belange fernab des Scythetum abzustellen und ich begrüße das, denn so faszinierend das Konzept des für den Tod verantwortlichen Ordens in einer Welt des ewigen Lebens und – sofern gewollt – der ewigen Jugend ist, lässt einen der Kontext diese auf eine perfide Art grausame Welt der Willkür – bei der Wahl ihrer "Opfer" haben die Scythe schließlich freie Hand – noch einmal ganz anders begreifen. Dessen ungeachtet stehen die Scythe aber freilich auch hier im Zentrum der Ereignisse und eines der Kernthemen ist es, das Macht eben auch beinahe unweigerlich korrumpiert und so macht eben insbesondere Rowan als Scythe Lucifer so manch Ordinierten aus, der sich im Laufe der Jahre gewisse Vorlieben bei der Nachlese zu Eigen gemacht hat.

Darüber hinaus mögen Politik und Regierungen in Shustermans Welt längst der Vergangenheit angehören – sowohl der Thunderhead als auch Scythe Curie zeichnen hierfür maßgeblich verantwortlich – doch ist das Scythetum eben längst an deren Stelle getreten und erlebt jüngst eine Spaltung, die bereits in Die Hüter des Todes ihren Anfang genommen hat, in Der Zorn der Gerechten aber noch weit gravierendere Ausmaße annimmt. Waren Citra und Rowan schon seit jeher im Grunde zwei Seiten einer Medaille, sind sie an diesen jüngsten Entwicklungen auch nicht gerade unschuldig, denn durch das Ableben von Scythe Goddard ist der im Grunde zum Märtyrer geworden für das, was man gemeinhin als die "Neue Ordnung" bezeichnet. So stehen die althergebrachten Lehren und Traditionen des Scythetum auf dem Prüfstand wie nie zuvor, während eine Reihe Attentatsversuche auf die Scythe Anastasia und Curie von einer neuen Bedrohung künden. Das veranlasst eben auch den Thunderhead, seine eigenen Gesetze zur Nichteinmischung bestmöglich großzügig auszulegen, um den angehenden Nimbus-Agenten Tolliver damit zu betrauen, den beiden Frauen das Leben zu retten.

»Ich musste aufbrechen«, sagte er. »Ich habe eine … Berufung gespürt. Ich kann es nicht erklären.«
Aber Citra konnte es. Sie kannte diese Berufung auch. Sie waren ein Jahr lang an Geist und Körper zu perfekten Killern für die Gesellschaft ausgebildet worden. Leben zu beenden war zu einem Teil ihrer Identität geworden. Und sie konnte es ihm nicht verdenken, dass er seine Klinge gegen die Korruption wenden wollte, die innerhalb des Scythetums wurzelte. Aber der Wunsch und seine tatsächliche Durchführung waren zwei verschiedene Dinge.

Tolliver ist dabei der wohl signifikanteste Neuzugang im Figurenrepertoire, auch wenn man lange nicht ahnt, wohin sein Weg ihn noch führen wird, zumal natürlich für Außenstehende – also die geneigten Leser – viel schneller klar ist, dass mitnichten Scythe Lucifer – also Rowan – hinter den Anschlägen stecken kann. Und obwohl dem so ist, haut Shusterman dennoch mit nonchalanter Leichtigkeit eine Reihe an Twists raus, die einem den Atem stocken lassen, was er im reißerischen wie brachialen Finale noch auf die Spitze zu treiben versteht, ohne darüber die zahllosen moral-philosophischen Ansätze zu vergessen, die eben auch Scythe – Der Zorn der Gerechten wieder so absolut lesenswert machen. Insbesondere für ein Jugendbuch geht es hier zuweilen doch erstaunlich kompromisslos und schockierend zur Sache, aber das ist eben mitnichten Selbstzweck, sondern liegt in der Natur dessen begründet, wofür die Scythe stehen und welche Rolle sie in einer vom Tod befreiten Welt einnehmen. Für den garstigen Cliffhanger am Ende möchte man den Autoren allerdings am liebsten fest schütteln, wobei zumindest die Hardcover-Variante vom dritten und finalen Band Das Vermächtnis der Ältesten bereits verfügbar ist. Bleibt nur zu hoffen, dass ich diesmal nicht wieder mehr als ein Jahr auf die Klappenbroschur werde warten müssen, denn eine bessere und lohnendere Lektüre kann ich mir im Moment schwerlich vorstellen.

Fazit & Wertung:

Mit Scythe – Der Zorn der Gerechten vermag sich Neal Shusterman tatsächlich noch einmal selbst zu übertreffen und liefert eine in sämtlichen Belangen großartige Fortsetzung dessen, was ich schon jetzt als eine der intelligentesten, spannendsten und durchdachtesten Zukunftsvisionen benennen kann. Absolute und uneingeschränkte Leseempfehlung (zusammen mit dem ersten, nicht minder großartigen Band).

10 von 10 zur Nachlese ausgewählten Individuen

Scythe – Der Zorn der Gerechten

  • Zur Nachlese ausgewählte Individuen - 10/10
    10/10

Fazit & Wertung:

Mit Scythe – Der Zorn der Gerechten vermag sich Neal Shusterman tatsächlich noch einmal selbst zu übertreffen und liefert eine in sämtlichen Belangen großartige Fortsetzung dessen, was ich schon jetzt als eine der intelligentesten, spannendsten und durchdachtesten Zukunftsvisionen benennen kann. Absolute und uneingeschränkte Leseempfehlung (zusammen mit dem ersten, nicht minder großartigen Band).

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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite der Fischer Verlage.

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Scythe – Der Zorn der Gerechten ist am 29.07.20 als Paperback bei FISCHER Sauerländer erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den folgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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